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FORSCHUNG/200: Massenaussterben vor 540 Millionen Jahren (idw)


Universität Bern - 28.05.2008

Massenaussterben vor 540 Millionen Jahren: Der Tod kam aus der Tiefe


Mit dem Übergangsmetall Molybdän in Sedimentgesteinen ist nachweisbar, warum es vor rund 540 Millionen Jahren auf der Erde zu einem grossen Massenaussterben der ersten Mehrzeller kam. Prof. Thomas Nägler und Dr. Martin Wille vom Institut für Geologie der Universität Bern publizieren ihre Erkenntnisse jetzt in "Nature".

Am Ende des Präkambriums, vor rund 600 Millionen Jahren, beherrschte eine spezielle Gruppe von mehrzelligen Weichtieren die Meere, die so genannte Ediacara-Fauna. Ein gewaltiges, weltweites Ereignis setzte jedoch deren Vorherrschaft ein plötzliches Ende. Für das Massenaussterben diskutieren Forschende verschiedene Theorien, jedoch nur eine erklärt die Beobachtungen der Berner Forscher: Die gemessenen Molybdän-Isotope in den Sedimenten zeigen an, dass die Lebensräume der Ediacara-Fauna durch aus der Tiefe aufsteigenden Schwefelwasserstoff (H2S) vergiftet wurden.


Ozeane mit lebensfeindlichen Bedingungen

Die neuesten Erkenntnisse des Berner Geologen Thomas Nägler und seines internationalen Teams beruhen auf der Untersuchung von kambrischen Schwarzschiefern aus China und aus dem Oman. Schwarzschiefer enthalten nebst Ton viel Kohlenstoff aus abgestorbenem organischem Material, sie entstehen aus Faulschlamm. In solchen Ozeanregionen herrschen lebensfeindliche Bedingungen: Es hat kaum Sauerstoff und das Wasser kann grosse Mengen an Schwefelwasserstoff (H2S) enthalten. Unter dem Einfluss von Schwefelwasserstoff baut der Schiefer bevorzugt schwere Molybdän-Isotope ein; Isotope sind Atome eines Elements mit gleicher Anzahl an Protonen, aber unterschiedlich vielen Neutronen und somit unterschiedlichem Gewicht. Das gemessene Isotopenverhältnis des Molybdäns in den Schwarzschiefern zeigt nun, ähnlich einer Waage, die Ausbreitung von H2S-reichen Gebieten im Vergleich zu sauerstoffreichen Gebieten in den alten Ozeanen auf.


Zwei Ozeanbecken - ein Phänomen

Thomas Nägler und sein Team massen die Molybdän-Isotope in den einzelnen Schiefer-Schichten von unten nach oben, also von den älteren Schichten zu den jüngeren. Dabei entdeckten die Berner in beiden Meeren an der Präkambrium-Kambrium-Grenze eine plötzliche Zunahme an schweren Molybdän-Isotopen. In den jüngeren Schichten wäre zu erwarten gewesen, dass nach dem plötzlichen Anstieg der Gehalt an schweren Molybdän-Isotopen langsam auf normale Werte abnehmen würde. Wider Erwarten folgte aber auf die Zunahme eine extreme Abnahme, die schliesslich sogar tiefere Werte lieferte als in der ursprünglichen Zusammensetzung: Die Waage der Isotopenverhältnisse war aus dem Gleichgewicht gebracht worden, schwankte und pendelte erst mit der Zeit wieder bei den Ausgangswerten ein.


Des Rätsels Lösung ist die Wasserdurchmischung

Um eine Antwort für das aussergewöhnliche Phänomen zu finden, suchte Dr. Martin Wille mittels Computer-Modellierungen nach einer Erklärung. Sein Fazit über die Vorgänge vor 540 Millionen Jahren: Ein plötzliches Ereignis muss erstens die Molybdänkonzentration im Ozeanwasser stark erniedrigt haben. Das heisst, das im Ozeanwasser gelöste Molybdän muss sehr schnell ausgefällt und in die Schwarzschiefer eingelagert worden sein. Zweitens muss es eine kurze Phase gegeben haben, in der bevorzugt schwere Molybdän-Isotope ausgefällt wurden, und drittens eine längere Phase mit der Ausfällung leichterer Zusammensetzungen.

Als Auslöser für diese plötzliche Änderung der Molybdän-Isotopenverhältnisse an der Präkambrium-Kambrium-Grenze kommt einzig Schwefelwasserstoff (H2S) in Frage. Am Ende des Präkambriums waren die Ozeane ähnlich geschichtet wie ein überdüngter See. Das Wasser war kaum durchmischt. Während an der Wasseroberfläche oxische Bedingungen mit Sauerstoff und Molybdänoxid herrschten, lagerten in der Tiefe enorme Mengen an H2S. Eine Durchmischung des Ozeans führte zu einem plötzlichen Aufsteigen des hochgiftigen Wassers, welches schliesslich in kleinere randliche Meeresbecken schwappte und die dort lebende Ediacara-Fauna tötete.


Ursache: Klimaschwankung oder Plattentektonik

In der Folge führte der Schwefelwasserstoff (H2S) zum schlagartigen Ausfallen des gelösten Molybdäns. Da aber H2S im Kontakt mit dem Sauerstoff in der Atmosphäre sehr schnell oxidiert wird, wird der ursprüngliche Zustand in den Oberflächengewässern rasch wieder hergestellt. So pendelten sich die Isotopenwerte erneut ein - und die Randmeere wurden wieder lebensfreundlich. Das Aussterben der Ediacara-Fauna hinterliess unzählige Lebensräume, die umgehend mit neu entwickeltem Leben wieder besetzt wurden - die so genannte "kambrische Explosion".

Die Frage, warum die Ozeanströmungen sich so stark änderten, dass es zur Durchmischung kam, können die Geologen nicht beantworten. Änderungen der Meerströmungen sind aber in der Erdgeschichte nicht selten. Ursachen können zum Beispiel Klimaschwankungen sein oder aber das Schliessen oder Öffnen von Meerstrassen durch die Wanderung der Kontinente.

Quellenangabe:
Martin Wille, Thomas F. Nägler, Bernd Lehmann, Stefan Schröder & Jan D. Kramers:
Hydrogen sulphide release to surface waters at the Precambrian/Cambrian boundary.
Nature, doi:10.1038/nature07072

Weitere Informationen unter:
http://www.geo.unibe.ch/medien

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution57


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Bern, lic. phil. Nathalie Matter, 28.05.2008
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E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Mai 2008