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FORSCHUNG/205: Reise ins Innere der Erde (Portal - Uni Potsdam)


Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung 7-9/2008

Reise ins Innere der Erde
Deutsches Schwerpunktprogramm widmet sich Auswertung von Probenmaterial aus Tiefbohrungen

Von Petra Görlich


Es gehört wohl zu den ältesten Menschheitsträumen überhaupt zu wissen, was eigentlich im Erdinneren passiert. Jules Vernes Buch "Reise zum Mittelpunkt der Erde" ist vielleicht der bekannteste künstlerische Versuch, mit dem Thema umzugehen. Während er dabei auf viel menschliche Phantasie setzte und seine Reise zum wahren Erlebnis für Scharen von Lesern werden ließ, verlassen sich Geowissenschaftler weltweit auf Fakten. Sie erhalten sie unter anderem durch das am Helmholtz-Zentrum Potsdam - Deutsches GeoForschungsZentrum koordinierte International Continental Scientific Drilling Program (ICDP). Seit 1996 wird es von einem entsprechenden deutschen Bohrprogramm flankiert. Seine Fäden hält Roland Oberhänsli, Mineralogie-Professor an der Universität Potsdam, in der Hand. Hauptaugenmerk im deutschen Schwerpunktprogramm (SPP) liegt auf der Auswertung von Bohrmaterial.


Etwa 60 Projekte werden gegenwärtig durchgeführt. Beteiligt ist eine Wissenschaftlergemeinde von fast 300 Personen, davon 60 Doktoranden, die über die Republik verteilt sind. Sie untersuchen an ihren Universitäten die von den internationalen Bohrungen erhaltenen Proben unter geophysikalischen, geochemischen, mineralogisch-petrologischen und auch biologischen Gesichtspunkten. Dabei sind die dahinter stehenden Fragestellungen durchaus unterschiedlich. Es geht um Paläoklima, die Entstehung von Erdbeben, die Geobiosphäre, Vulkane und deren thermische Regimes, Lagerstätten, aktive Störungen, konvergente Plattenränder und Kollisionszonen und anderes mehr.

So wurde zum Beispiel an der San-Andreas-Störung in einer groß angelegten Bohrung inzwischen ein Langzeitlaboratorium in der Tiefe installiert, um zu Erdbeben führende Prozesse direkt zu beobachten. In See-Bohrungen wiederum spielen klimageschichtliche Betrachtungen eine Rolle. "Wir können", so Oberhänsli, "aus den jahreszeitlich dünn geschichteten Sedimenten, die aus vielen kleinen Seen herausgeholt werden, die Jahrtausende und Jahrmillionen zurückliegende Klimageschichte ableiten". Dazu analysieren die Wissenschaftler jene zuvor klimatisiert und gut geschützt aufbewahrten frischen Proben Schicht für Schicht in sorgfältiger Kleinarbeit. "Nur so können wir überhaupt herausfinden, wie sich die Erde als System gegenüber natürlichen Veränderungen verhält, und wie sie auf all das, was wir ihr antun, reagieren wird", erklärt der Potsdamer Uni-Professor.

In den letzten zehn Jahren hat es rund 30 internationale Bohrungen gegeben. Fast immer waren deutsche Wissenschaftler dabei. Bis es jedes Mal so weit war, dass die Forscher Einblick in die Tiefe erhielten, verging viel Zeit. Mindestens drei, eher fünf bis sechs Jahre dauert die Vorbereitung einer solchen Bohrung. Das Bohren selbst erfolgt dagegen in nur ein bis drei Monaten. Ansonsten wären die Kosten nicht bezahlbar. Um sie überhaupt so gering wie möglich zu halten, wird im Vorfeld nach der kostengünstigsten Variante gesucht. Manchmal gelingt es, die Industrie des betreffenden Landes mit ins Boot zu holen. In Island etwa ist das geglückt. Hier wird industriell geothermische Energie gewonnen. Das erfordert Bohrungen in bestimmter Tiefe, um das zur Umwandlung in Elektrizität vorgesehene heiße Wasser zu Tage zu fördern. Mehrere dieser schon fertigen Bohrlöcher wurden ICDP zur Verfügung gestellt - noch bevor sie kommerziell genutzt wurden. Ein Zugeständnis, das sich rechnet. Es spart erhebliche Bohrkosten. Immerhin "versinken" pro Bohrung durchschnittlich vier bis fünf Millionen Dollar sprichwörtlich in der Erde.

Aber nicht nur die finanzielle Sicherstellung der Projekte ist ein Problem. Die je nach Land unterschiedlichen politischen, rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen sind ebenso zu beachten.Selbst die erfahrensten unter den Geowissenschaftlern erleben da schon mal Überraschungen. An eine zumindest ungewöhnliche Begegnung erinnert sich in diesem Zusammenhang Oberhänsli. Er bereitete damals mit einem Team gerade die Bohrung im ghanesischen Lake Bosumtwi vor. Die Regierung hatte zwar schon ihr Einverständnis signalisiert, doch dies bedeutete offensichtlich nicht viel. Der Grund: Nach Landestradition lag auf dem See ein Tabu. Aufheben konnte es nur der dort herrschende Stammes-König. Oberhänsli brach also mit einer Delegation auf, um mit ihm zu verhandeln. Er traf auf einen mit so viel schwerem Schmuck beladenen Mann, dass andere ihm beim Tragen helfen mussten. Doch trotz der für europäische Augen ungewohnten Situation entspann sich ein durchaus konstruktives Gespräch. "Der Aschanti-König, mit Oxford-Jura-Abschluss (!), zeigte Verständnis für unser Anliegen und öffnete uns schließlich die Tür zur Realisierung des Forschungsvorhabens", erzählt der noch heute von der Begebenheit beeindruckte Mineraloge.

Das deutsche Bohrprogramm, ein Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), befindet sich gegenwärtig in seiner vierten Phase. Sie soll 2011 enden. Damit es auch danach mit einer Beteiligung am Internationalen Bohrprogramm weitergehen kann, wird es nach Absprache in ein Infrastruktur-Programm umgewandelt. Zu verstehen, was im Erdinneren geschieht, wird weiter treibende Motivation für ähnliche Programme bleiben. "Natürlich richtet sich unser Blick dabei vor allem in die Vergangenheit", sagt der Universitätsprofessor. "Wir wollen aber auch von unseren Untersuchungen auf heute ablaufende Prozesse schließen. Sie zu entschlüsseln wäre Voraussetzung dafür, um realistisch prognostizieren zu können." Dass es bis dahin allerdings noch ein sehr weiter Weg ist, daraus macht der Wissenschaftler keinen Hehl. "Und wenn man einmal verstanden hat, wie die Prozesse funktionieren, ist noch längst nicht geklärt, wie dies oder jenes verhindert werden kann. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Natur mit Kräften spielt, die wir uns kaum vorstellen können."


Das ICDP-Programm

Das International Continental Scientific Drilling Program (ICDP) ist ein internationales kontinentales Tiefbohrprogramm, an dem Wissenschaftler aus 17 Ländern beteiligt sind. Es wurde ins Leben gerufen, um Bohr-Infrastruktur der wissenschaftlichen Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen und finanzieren zu können.

Das Schwerpunktprogramm ICDP Deutschland der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bietet Wissenschaftlern und Nachwuchswissenschaftlern die Möglichkeit, sich an internationalen kontinentalen Bohrprojekten zu beteiligen. An rund 80 Prozent der Projekte sind oder waren deutsche Wissenschaftler beteiligt, sogar etwa 20 Prozent als Principal Investigators. Im Rahmen dieses Programms wird ein Koordinationsbüro an der Universität Potsdam unterhalten, das unter anderem den Kontakt zwischen Interessenten an Bohrprojekten herstellen und Hilfestellung bei der Initiierung von Forschungsprojekten leisten soll.


Konsortium gegründet

In Deutschland beteiligen sich viele Universitäten und Forschungsinstitute an nationalen und internationalen Bohrprojekten, insbesondere im Rahmen des Integrated Ocean Drilling Programm (IODP) und des International Continental Scientific Drilling Program (ICDP). Um deren Aktivitäten besser untereinander abzustimmen und Synergien durch ein gemeinsames Vorgehen zu schaffen, wurde kürzlich ein Konsortium für Geowissenschaftliches Bohren (GESEP) gegründet. Es soll der Information über neue Entwicklungen in der Bohrtechnologie und der Initiierung und Durchführung gemeinsamer Projekte, von der Konzipierung, dem Bau von kompletten Bohranlagen bis hin zur Entwicklung von Einzelkomponenten, dienen. Ziel ist auch ein abgestimmtes Vorgehen und die Bildung von Interessensgemeinschaften zur Beantragung von Serviceeinrichtungen für internationale Bohrprogramme. Ebenso wird die Weiterentwicklung und Standardisierung der Analytik von Bohrkernen, einschließlich der Bereitstellung von aufwändigen Analyseverfahren für andere Arbeitsgruppen, eine Rolle spielen.

Das Institut für Geowissenschaften und damit die Universität Potsdam ist Gründungsmitglied und wird im Vorstand von GESEP durch Prof. Roland Oberhänsli als Vizepräsident vertreten.


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Quelle:
Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung Nr. 7-9/2008, Seite 26-28
Herausgeber:
Referat für Presse-, Öffentlichkeits- und Kulturarbeit (PÖK)
im Auftrag des Rektors der Universität Potsdam
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. August 2008