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FORSCHUNG/216: Der innere Erdkern - Zeuge der Entstehung (research*eu)


research*eu Sonderausgabe - September 2008
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Der innere Erdkern: Zeuge der Entstehung

Von Marie-Françoise Lefévre


Als Erinnerung an die Entstehung unseres Planeten ist der Erdkern zweifellos der geowissenschaftliche "Gral". Die Zusammensetzung seiner flüssigen und festen Bestandteile bleibt jedoch ungewiss, genauso wie die komplexen Phänomene, die dort stattfinden. Da es den Wissenschaftlern nicht möglich ist, in Tiefen von mehr als 3000 km vorzudringen, müssen sie erfinderisch sein. Bisher ist nur eines sicher: Der innere Erdkern, das Herz unserer Erde, kristallisiert aus und kündigt auf sehr lange Sicht das voraussichtliche Verschwinden unseres schützenden Magnetfelds an.


Bereits im Jahre 1864 entwickelte Jules Verne in seinem Roman Die Reise zum Mittelpunkt der Erde die Idee, den Erdkern über den Krater eines isländischen Vulkans zu erreichen. Auch der Vorschlag von David Stevenson, Geologe am renommierten California Technology Institute (USA), im Jahre 2003 erinnert eher an Science-Fiction. Er hatte damals vor, mithilfe einer riesigen Explosion einen Spalt zu erzeugen, in den flüssiges Eisen eingeleitet werden sollte. Das Eisen würde dann aufgrund der Schwerkraft als Radiowellensender dienen, um das Herz der Erde zu ergründen. Geheimnisvoll und unergründlich entfacht der Erdkern immer wieder das Interesse der Wissenschaftler, die mit Erfindungsreichtum darum wetteifern, die Zusammensetzung ihres Forschungsobjekts in 5000 km Tiefe zu enthüllen.


Unter dem Mantel der Gaia

Zurück zur Entstehung unseres wunderbaren Blauen Planeten. Dies war vor 4,5 Milliarden Jahren, als das gesamte Sonnensystem entstand und die Erde aus einer Ansammlung aufgeschmolzener Himmelskörper hervorging. Wegen der Nähe zur Sonne und der daraus resultierenden Temperaturen auf der Erdoberfläche, die zwischen 800°C und 1300°C lagen, konnte sich diese flüssige Materie, die sich aufgrund der Kugelgestalt des Planeten in einer Schraubenbewegung befand, vermischen. Im Laufe einer Differenzierungsphase sind die schweren Partikel wie Eisen oder Nickel(1) tiefer in das aufgeschmolzene Gestein gesunken und haben in dessen Zentrum den Erdkern gebildet, umgeben von einem Mantel aus leichteren Elementen, den Silikaten. Die kontinentale und ozeanische Kruste haben sich in einem späteren Stadium gebildet, nachdem sich die Oberfläche des Globus abgekühlt hatte.

Dem derzeitigen Kenntnisstand zufolge reicht diese Kruste bis in 35 bis 70 km Tiefe. Darunter erstreckt sich über 2885 km der Erdmantel, dessen Bestandteile sich mit zunehmender Tiefe ändern. Man muss also knapp 3000 km tief in die Erde vordringen, um den äußeren Erdkern zu erreichen, und gar tiefer als 5000 km, um zum festen inneren Erdkern zu gelangen.

Wie konnten die Geologen nun angesichts dieser gigantischen Entfernungen die Existenz der verschiedenen Schichten feststellen und sinnvolle Hypothesen zu ihrer Zusammensetzung aufstellen? "Für die Analyse der Tiefseegräben der Erde existieren verschiedene Methoden", erklärt Véronique Dehant, ehemalige Beauftragte des Special Bureau for the Core und Bereichsleiterin am königlichen Observatorium von Belgien. "Beispielsweise kann man sich auf den Aufbau metallischer Asteroiden stützen, die, sofern sie unter ähnlichen Bedingungen wie die Erde entstanden sind, eine Fülle an Informationen liefern. Aber unter allen verfügbaren Techniken zur Ergründung des Erdkerns", so fügt sie hinzu, "ist die Seismologie zweifellos die nützlichste."


Erdbeben als Analysehelfer

Tellurische Erdbeben sind das Ergebnis einer Kombination aus zwei Phänomenen: Kompressions- und Scherkraft. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit dieser P-Wellen (Primärwellen) bzw. S-Wellen (Sekundärwellen) hängt stark von der Zusammensetzung des durchwanderten Bodens ab. Bei einem Erdbeben breiten sich die Wellen vom Epizentrum aus und werden an den inneren Übergangsstellen der Erde reflektiert oder sie brechen sich bzw. werden abgelenkt. "Zunächst trifft die P-Welle ein, dann die S-Welle. Im Grunde genommen ist die Ausbreitungsgeschwindigkeit umso größer, je geringer die Umgebungsdichte ist; sie ist aber auch von den rheologischen Parametern dieser beiden Wellenarten abhängig. Folglich können wir, wenn wir die Ausbreitungsgeschwindigkeit kennen, den Aufbau der verschiedenen Materieschichten bestimmen."(2)

Dank dieser seismischen Technik konnte die komplexe Struktur des Erdkerns im Jahre 1906 nachgewiesen werden. Nach Auswertung sämtlicher seismischer Messergebnisse, die den Wissenschaftlern zur Verfügung standen, erkannten sie. dass jedem Erdbeben ein "Schatten-Gebiet entspricht, in dem sich keine Scherwelle bildet. Aus dieser Beobachtung lässt sich schließen, dass die Beschaffenheit der Materie im Zentrum der Erde eine Ausbreitung dieser Wellenart verhindert. Seitdem wird angenommen, dass der Erdkern flüssig ist. Dennoch war es keine Seltenheit, dass P-Wellen den Planeten vollständig durchliefen und dabei erhebliche Geschwindigkeitsschwankungen in der Nähe des Erdzentrums auftraten. Nur mit einem einzigen Modell kann dieser doppelte Tatbestand erklärt werden: Der Kern besteht aus einer äußeren Schicht, die durch die Hitzeeinwirkung (4000 bis 5000°C) flüssig geblieben ist, und einer inneren Schicht, die durch den in dieser Tiefe herrschenden höheren Druck im Laufe der Zeit fest geworden ist. Dies ist der innere Erdkern.


Der Erdkern kristallisiert aus

Im Gegensatz zu dem, was die Geologen zunächst annahmen, sind Eisen und Nickel nicht die einzigen Bestandteile des Kerns. Aus den gesamten bis zum heutigen Tage erfassten Daten und der daraus berechneten Dichte lässt sich schließen, dass auch leichtere Elemente wie Schwefel und/oder Sauerstoff vorhanden sind.(1) Würde es unter den Temperatur- und Druckbedingungen, die im Herzen unseres Planeten herrschen, diese Substanzen geringerer Dichte nicht geben, wäre ein nur aus Eisen und Nickel bestehender Kern völlig fest. Nun ergibt sich das Erdmagnetfeld aber gerade aus den inneren Konvektionsbewegungen des flüssigen Teils des Kerns. Ohne diesen würde das Feld, das uns vor dem Sonnenwind schützt und unseren Planeten überhaupt bewohnbar macht, aller Wahrscheinlichkeit nach verschwinden.

Weil diese leichten Elemente vorhanden sind, wird die Verfestigung des Erdkerns verzögert. "Für das Verständnis der Entwicklung der Erde ist die ausführliche Kenntnis der Charakteristik dieser Legierung von wesentlicher Bedeutung. Derzeit kristallisiert sich der innere Erdkern durch Fe-/Ni-Abscheidung aus. Dabei nimmt aber die flüssige Schicht ab, sodass wir annehmen, dass diese stete Änderung der Zusammensetzung des äußeren Erdkerns letztlich zu einer Verschiebung im Phasendiagramm dieses Gemenges führen wird. Wenn sich das Verhältnis zwischen den schweren und leichten Elementen zu stark ändert, wird es keine Abscheidung mehr geben. sondern einen direkten physischen Übergang vom flüssigen in den festen Zustand."

Wozu wird aber nun der Kern eines Planeten untersucht? Aus dem einfachen Grund, weil dort die Voraussetzung für Leben geschaffen wird. "Das Wasser auf dem Mars ist vor 3,5 Milliarden Jahren verschwunden. Unsere Sonden haben gezeigt, dass ein großer Teil der Atmosphäre entwichen ist, sodass angenommen werden kann, dass unser Nachbarplanet zunächst bewohnbar war. Ohne Atmosphäre ist der Druck jedoch so gering, dass Wasser direkt vom festen in den gasförmigen Zustand übergehen kann. Da die flüssige Phase aber schließlich für jegliches Leben unabdingbar ist, kann es das dort nicht geben. Ob Schicksal oder Zufall: Auch das Magnetfeld des Mars ist etwa zur gleichen Zeit verschwunden. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass der Kern eines Planeten einen wesentlichen Einfluss auf seine Entwicklung hat. Wenn dies tatsächlich der Fall ist, wäre es dann nicht besser, weiter zu forschen, um so die zukünftige Bewohnbarkeit unseres Planeten voraussagen zu können?"


Anmerkungen

1) Das Atomgewicht dieser Elemente liegt zu nahe beieinander. als dass sich eines der beiden mit Sicherheit feststellen lässt.
(2) Sämtliche Zitate stammen von Véronique Dehant.


info
EXOMARS
www.esa.int



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Quelle:
research*eu Sonderausgabe - September 2008, Seite 10 - 11
Magazin des Europäischen Forschungsraums
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2009