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FORSCHUNG/239: Wie kalt ist der Erdboden in der Arktis? (idw)


Universität Bayreuth - 09.03.2010

Wie kalt ist der Erdboden in der Arktis?
Bayreuther Forscher optimieren Mess- und Berechnungsverfahren


Die Temperatur an der Erdoberfläche spielt eine zentrale Rolle in Modellen der Meteorologie und der Klimaforschung. Im Rahmen einer Forschungsexpedition nach Spitzbergen haben Forscher der Universität Bayreuth mit unterschiedlichen Messverfahren und -instrumenten daran gearbeitet, die Bodenoberflächentemperatur in der Arktis möglichst zuverlässig abzuschätzen. Sie sind dabei auf ein Phänomen gestoßen, das selbst erfahrene Klimaforscher zu Fehleinschätzungen verleiten kann. Darüber berichten sie in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift "Atmospheric Chemistry and Physics".

Bayreuth (UBT). Meteorologie und Klimaforschung haben komplexe Modelle entwickelt, um künftige Entwicklungen von Wetter und Klima möglichst präzise einschätzen zu können. Ein Faktor, der dabei eine zentrale Rolle spielt, ist die Temperatur unmittelbar an der Erdoberfläche. Sie lässt sich nicht direkt durch Temperaturmessungen ermitteln, sondern sie kann immer nur auf der Grundlage anderweitig gewonnener Daten eingeschätzt werden. Methodische Sorgfalt bei der Berechnung der Bodenoberflächentemperatur ist daher unabdingbar, wenn man Wetter- und Klimaprozesse möglichst fehlerfrei beschreiben und prognostizieren will.

Dies gilt auch für Untersuchungen zum Klimawandel in der Arktis. Forscher der Abteilung Mikrometeorologie der Universität Bayreuth haben - im Rahmen des Forschungsprojekts ARCTEX 2006 - in Spitzbergen umfangreiche Messungen vorgenommen. Dabei sind sie auf ein Phänomen gestoßen, das selbst erfahrene Klimaforscher zu Fehleinschätzungen der Bodenoberflächentemperatur verleiten kann. Darüber berichten Dr. Johannes Lüers, der Bayreuther Leiter des Forscherteams, und sein Kollege Dr. Jörg Bareiss von der Universität Trier in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift "Atmospheric Chemistry and Physics".


Berechnungen der Bodenoberflächentemperatur: Inversionsschichten als mögliche Fehlerquelle

Normalerweise nimmt die Temperatur der Luft stetig ab, je weiter man sich von der Erdoberfläche entfernt. Dieser vertikale Temperaturverlauf ist jedoch über kalten Oberflächen, wie z.B. über einer Schnee- oder Eisfläche im Arktischen Frühling, oftmals gestört - und zwar in dem Abschnitt zwischen Boden und 3 Metern über dem Boden. Dabei steigt die Temperatur über der Erd- oder Schneeoberfläche zunächst stark an, bis eine Höhe zwischen 1 und 3 Metern erreicht ist. Erst dann fällt die Temperatur mit wachsender Entfernung vom Erdboden im normalen Verlauf ab. Dieses Phänomen wird in der Forschung als schmale Inversionsschicht ("narrow inversion layer") bezeichnet.

Eine derartige Inversionsschicht kann sich irreführend auf die Berechnung der Oberflächentemperatur am Boden auswirken. Denn sie puffert vertikale turbulente Luftbewegungen in den darüber liegenden Luftschichten ab. Dadurch sind die Stoff- und Energieflüsse, die in dem Bereich zwischen dem Boden und 3 Metern Höhe stattfinden, entkoppelt von den Stoff- und Energieflüssen, die sich in den darüber liegenden Luftschichten abspielen. Diese Entkopplung muss bei den Messverfahren und bei den Berechungsformeln berücksichtigt werden, die bei der Abschätzung der Bodenoberflächentemperatur zum Einsatz kommen. Andernfalls können hierbei erhebliche Fehler auftreten.


Auf dem Weg zu optimierten Mess- und Berechnungsverfahren

Die Bayreuther Klimaforscher haben deshalb bei ihren Messungen in der Arktis gezielt darauf hingearbeitet, die Bodenoberflächentemperatur durch vielfältige Messverfahren und -instrumente möglichst zuverlässig abzuschätzen. "Je genauer man den Einsatz von Messinstrumenten und Messverfahren den spezifischen klimatischen Verhältnissen anpasst, desto zuverlässiger lässt sich die Temperatur am Erdboden berechnen", erklärt Lüers. "Und damit steigt auch die Zuverlässigkeit von Wetter- und Klimamodellen, in denen die Bodenoberflächentemperatur ein wesentlicher Parameter ist." Für die Bodenoberfläche in Spitzbergen haben die Forscher aus Bayreuth im Mai 2006 eine Temperatur von bis zu minus 15 Grad Celsius ermitteln können. Wie Lüers hervorhebt, nimmt die sorgfältige Auswertung von Klimadaten, die in mehrwöchigen Forschungsexpeditionen gewonnen wurden, oftmals längere Zeiträume in Anspruch: "Es ist daher keineswegs ungewöhnlich, dass unsere Publikation erst dreieinhalb Jahre nach den Messungen in der Arktis erscheint."


Forschungsprojekt ARCTEX

ARCTEX - der Name steht für Arctic Turbulence Experiments - ist ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Klimaforschungsprojekt. Es begann im Jahr 2006 mit einer Expedition zur Inselgruppe Spitzbergen (norwegisch: Svalbard), die seit 1925 von Norwegen verwaltet wird. 2009 fand eine weitere Forschungsreise statt.

Ausführlichere Informationen:
www.uni-bayreuth.de/blick-in-die-forschung/05-2010.pdf

Titelaufnahme:
Lüers, J; Bareiss, J.:
The effect of misleading surface temperature estimations on the sensible heat fluxes at a high Arctic site - the Arctic turbulence experiment 2006 on Svalbard (ARCTEX-2006),
in: Atmospheric Chemistry and Physics, 2010(1), p. 157-168.
www.atmos-chem-phys.net/10/157/2010/acp-10-157-2010.html

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution4


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Bayreuth, Christian Wißler, 09.03.2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. März 2010