Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → GEOWISSENSCHAFTEN

FORSCHUNG/249: Auf den Spuren des kosmischen Dauerregens (DFG)


forschung 2/2010 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Auf den Spuren des kosmischen Dauerregens

Von Mario Trieloff


Der Zusammenstoß der beiden Groß-Asteroide zwischen Mars und Jupiter ereignete sich schon vor 470 Millionen Jahren - doch noch heute ist jeder dritte Meteorit, der die Erde trifft, auf diese urzeitliche Kollision zurückzuführen. Aus niedergegangenen Bruchstücken gewinnen Geowissenschaftler neue Aufschlüsse über die Geschichte des Sonnensystems.


Seit ihrer Entstehung kollidiert die Erde mit extraterrestrischen Körpern. In den Anfängen unseres Sonnensystems gehörten Einschläge großer Kleinplaneten sogar zum "natürlichen" Wachstumsprozess der terrestrischen Planeten. Auch heute noch wird die Erde in Abständen von wenigen Jahrmillionen von größeren Körpern getroffen, die mehrere hundert Meter bis hin zu mehreren Kilometern messen. Das Besondere: Solche ausgedehnten Objekte werden anders als kleine Meteoriten durch die irdische Atmosphäre kaum abgebremst. Sie schlagen mit Geschwindigkeiten zwischen zehn und siebzig Kilometern pro Sekunde auf und verdampfen dabei vollständig. Zurück bleibt nur ein Einschlagkrater.

Weitaus häufiger treffen kleinere Körper die Erde: Millimetergroße Staubkörnchen verglühen und verdampfen als Sternschnuppen in der Atmosphäre. Seltener sind Meteoriten, die zwischen wenigen Zentimetern und Metern groß sind. Sie überleben die Passage durch die Atmosphäre sowie den Aufprall am Boden - und bleiben als Meteorite erhalten.


Die Mehrzahl aller bekannten Meteorite stammt von den Asteroiden zwischen Mars und Jupiter. Im "Asteroidengürtel" zieht eine Vielzahl von Kleinplaneten ihre Bahn, und es kommt häufig zu Zusammenstößen. Bei solchen Crashs sind die meisten der einst hunderte Kilometer großen Asteroiden in kleinere Fragmente zerbrochen. Beeinflusst von den benachbarten Riesenplaneten Jupiter und Saturn, gelangen Asteroide auf elliptische Umlaufbahnen, sodass sie beim Umlauf um die Sonne die Mars- oder Erdbahn kreuzen.

Die auf den Oberflächen von Erdmond, Mars und Merkur sichtbaren Einschlagkrater geben Auskunft über Zahl und Häufigkeit der Einschläge extraterrestrischer Körper in der Vergangenheit. Zählungen und Datierungen ergaben, dass in den letzten 3,5 Milliarden Jahren die Anzahl extraterrestrischer Einschläge in etwa konstant war. Die auf der Erde aufgefundenen Meteorite sind für eine solche Abschätzung allerdings unbrauchbar, weil sie fast ausnahmslos erst in den letzten zwei Millionen Jahren niedergegangen sind. Ältere Exemplare haben die intensiven Verwitterungsprozesse auf unserem Planeten in der Regel nicht überstanden.

Doch es gibt seltene Ausnahmen: Vor etwa fünfzehn Jahren entdeckte die Arbeitsgruppe von Birger Schmitz an der Universität Lund zahlreiche Überreste uralter fossiler Meteoriten in einem schwedischen Steinbruch, eingebettet in Kalkstein aus dem Erdzeitalter des mittleren Ordoviziums. Sie mussten demnach etwa eine halbe Milliarde Jahre alt sein - kein anderes bekanntes extraterrestrisches Objekt ist auch nur annähernd so früh auf die Erde gestürzt und heute noch erhalten. Die Zahl der Fundstücke ist etwa hundertmal so groß wie es den heutigen "Fallraten" von Meteoriten entspricht.

Durch die starke Verwitterung gestaltete sich die mineralogischchemische Zuordnung der fossilen Meteorite zu den bekannten Meteoritenklassen schwierig. Schmitz und seine Mitarbeiter vermuteten, dass es sich um sogenannte "L-Chondrite" handelt. Diese sind nach ursprünglichen Gesteinskügelchen (griech. Chondros, Korn) benannt und haben einen niedrigen (L=Low) Eisengehalt. Sie machen 38 Prozent aller weltweit gefundenen Meteorite aus und stammen von einem einzigen, ehemals großen Mutterasteroiden.

Die Datierung von L-Chondriten jüngeren Datums mit der Kalium-Argon-Methode ergibt oft ein "Entgasungsalter" von rund einer halben Milliarde Jahren. Bei diesem Alter handelt es sich um den Zeitpunkt, an dem das Gestein des Meteoriten zum letzten Mal geschmolzen oder zumindest so hoch erhitzt worden war, dass das enthaltene Argon - ein reaktionsträges Edelgas - entweichen konnte. Nach dem Abkühlen entstand aus Kalium-40 (das sind Kaliumatomkerne mit der Atommasse 40) durch radioaktiven Zerfall Argon-40. Aus der Menge des Argon-40 und seinem Mutternuklid Kalium-40 lässt sich mithilfe des radioaktiven Zerfallsgesetzes die Zeit seit der letzten vollständigen Entgasung berechnen. Genau diesen Zeitabschnitt definiert das Entgasungsalter.

Als ziemlich kleine Körper haben Asteroide nur unmittelbar nach ihrer Entstehung vor 4,5 Milliarden Jahren eine eigene geologische Aktivität durchlaufen, die durch starke innere Wärmeentwicklung bewirkt wurde. Der einzige Prozess, der das Gestein später noch stark erwärmen, dabei entgasen und somit die Kalium-Argon-Uhr auf null stellen konnte, war die Aufheizung durch energiereiche Kollisionen. Mit anderen Worten: Die Kalium-Argon-Datierungsmethode gibt den Zeitpunkt des Zusammenstoßes des Meteoritenmutterkörpers, des Asteroiden, an.

Bei solchen kosmischen Kollisionen treten Stoßwellen mit einem Spitzendruck von mehreren hundert Kilobar auf. Unter diesen Bedingungen verändern sich Minerale und Gestein; Fachleute sprechen von "Impaktmetamorphose". Sie ist bei L-Chondriten hochgradig ausgeprägt, was auf eine energiereiche Kollision zurückzuführen ist. Trotzdem ist bei kaum einem L-Chondriten das vor diesem Ereignis vorhandene Edelgas Argon-40 vollständig entwichen. Noch immer finden sich Reste aus der Zeit vor dem Impakt in Form des sogenannten "reliktischen" Argon-40. Dieses "überschüssige" Argon stellt das größte Problem und die Hauptfehlerquelle der Kalium-Argon-Datierung von L-Chondriten dar.


Im Herbst 2004 brachte Ekaterina Korochantseva, eine Gastwissenschaftlerin aus Moskau, im Rahmen des angelaufenen DFG-Projekts Bruchstücke eines Meteoriten aus der Wüste von Oman mit nach Heidelberg. Wie sich zeigte, enthielt auch dieser L-Chondrit reliktisches oder "überschüssiges" Argon-40 - allerdings in unerwartet hoher Konzentration. Die genauere Analyse zeigte, dass das "reliktische" Argon-40 nicht - wie bislang angenommen - während der Aufheizung beim Zusammenstoß einfach im Ursprungsmineral verblieben war.

Es hatte dieses sehr wohl verlassen, war dann jedoch von anderen Mineralen des Gesteinsgefüges wieder eingefangen worden. Dieser kleine, aber feine Unterschied ermöglichte einen entscheidenden Erkenntnisfortschritt: Während der kurzen Wanderung konnte sich das Überschuss-Argon-40 mit anderen, gleichfalls im Meteoriten vorkommenden Argonatomkernen anderer Atommasse mischen. Durch die sogenannte "isotopische Markierung" kann dieses Überschuss-Argon-40 erkannt werden. So war es dem Projektteam erstmals möglich, eine präzise Korrektur vorzunehmen und das exakte Entgasungsalter neu zu bestimmen.

Nachdem mehrere L-Chondrite mit dieser Methode datiert worden waren, konnten erheblich präziser und konsistenter die Alterswerte für die Impaktmetamorphose von 470 (plus/minus sechs) Millionen Jahren eingegrenzt werden. Zuvor war das Entgasungsalter der L-Chondrite mit etwa 500 (plus/ minus 40) Millionen Jahren angegeben worden. Auch das Alter der Sedimentgesteine, die die fossilen Meteoriten beherbergten, konnte genauer in die geologische Zeitskala eingeordnet werden. Demnach geschah die Ablagerung vor 467 (plus/ minus zwei) Millionen Jahren.

Die Übereinstimmung dieser beiden Werte erlaubt das damalige Geschehen im Detail zu rekonstruieren: Eine der größten bekannten Kollisionen im Asteroidengürtel zerriss vor 470 Millionen Jahren einen mehrere hundert Kilometer großen Kleinplaneten. Dabei wurden die Gesteine beider Asteroiden von sekundenlangen, gewaltigen Stoßwellen durchdrungen. Die durch die Hochdruckmetamorphose erzeugten Minerale und ihre chemische Zusammensetzung erlauben Aussagen zu Spitzendrücken, Temperaturen und nachfolgenden Abkühlraten.

Die Schlussfolgerung: Während der Kollision musste der Spitzendruck über rund eine Sekunde angehalten haben. Das spricht dafür, dass der an der Kollision beteiligte Einschlagkörper mehrere Kilometer groß war, der getroffene Mutterasteroid der L-Chondriten dagegen eher mehrere hundert Kilometer maß. Metergroße Bruchstücke gelangten anschließend auf erdbahnkreuzende Umlaufbahnen, sodass ein bis zwei Millionen Jahre lang etwa hundertmal so viele Meteorite auf der Erde niedergingen als heute.


Nach dem Zusammenstoß vor zwanzig Millionen Jahren erreichten auch überdurchschnittlich viele größere Bruchstücke die Erde. Dies illustrieren bis heute die acht Einschlagkrater, die zwischen 450 und 470 Millionen Jahre alt sind und Durchmesser von zwei bis dreißig Kilometern haben: Die Krater heißen Neugrund (Estland), Granby (Schweden), Ames (Oklahoma, USA), Kärdla (Estland), Tvären (Schweden), Lockne (Schweden), Slate Islands (Ontario, Kanada), Calvin (Michigan, USA). Statistisch betrachtet, hätten in diesem Zeitraum nur etwa zwei derart große Einschlagkrater entstehen dürfen.

Die Energie solcher großen Einschläge war beträchtlich und hatte wahrscheinlich globale Auswirkungen. So entstand beispielsweise ein 30 Kilometer großer Krater wie Slate Islands in Kanada durch eine Impaktexplosion, deren Energieumsatz etwa dem von zehn Millionen Hiroshima-Bomben entspricht. Bildlich und zur Veranschaulichung gesprochen: Es schlägt ein Objekt von der Größe des Feldbergs im Schwarzwald mit einer Geschwindigkeit von rund 50 000 Stundenkilometern auf der Erde ein.

Auch danach durchzogen größere Bruchstücke unser Sonnensystem. Ein bemerkenswert großes Fragment schlug vor 35 Millionen Jahren auf der Erde ein und schuf den imposanten, 100 Kilometer großen Popigai-Krater (Sibirien). Von anderen Asteroidenbruchstücken lösten sich in den letzten Jahrmillionen von Zeit zu Zeit - wiederum durch kleinere Einschläge - metergroße Körper ab, die als moderne L-Chondrite auf der Erde niedergingen. Sie machen gut ein Drittel aller Meteoritenfälle aus. Noch immer erleben wir also die Nachwehen der kosmischen Kollision vor 470 Millionen Jahren - ein buchstäblich folgenreiches Ereignis für unser Sonnensystem.



Prof. Dr. Mario Trieloff ist am Institut für Geowissenschaften der Universität Heidelberg tätig. Er koordiniert mit Prof. Dr. Klaus Mezger, Universität Bern, das DFG-Schwerpunktprogramm "The First 10 Million Years of the Solar System - a Planetary Materials Approach".

Förderung der vorgestellten Studien in der Einzelförderung der DFG.

Adresse: Institut für Geowissenschaften
Im Neuenheimer Feld 234-236, 69120 Heidelberg
www.rzuser.uni-heidelberg.de/~b53/index.htm


*


Quelle:
forschung 2/2010 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, S. 10-13
mit freundlicher Genehmigung des Autors
Herausgeber: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Kennedyallee 40, 53175 Bonn
Telefon: 0228/885-1, Fax: 0228/885-21 80
E-Mail: postmaster@dfg.de
Internet: www.dfg.de

"forschung" erscheint vierteljährlich.
Jahresbezugspreis 2007: 59,00 Euro (print),
59,00 Euro (online), 65,00 Euro für (print und online)
jeweils inklusive Versandkosten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juli 2010