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FORSCHUNG/346: Biogeochemie - Tiefenbohrung in die Erdgeschichte (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 3/2015

Tiefenbohrung in die Erdgeschichte

von Dirk Liesemer


Das Leben auf der Erde dümpelte Jahrmilliarden im Stadium primitiver Einzeller vor sich hin. Erst als die Zellen einen Zellkern bildeten, nahm es Fahrt auf und diversifizierte sich zu großer Vielfalt. Wie, wann und wo es dazu kam, erforschen Christian Hallmann und seine Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena.

Tausende von Kilometern muss der Bremer Geologe Christian Hallmann im Geländewagen zurücklegen, bevor er endlich den Pilbara-Kraton, ein Stück besonders alter Erdkruste im Nordwesten Australiens, erreicht hat. Nur wenige Büsche überleben an diesem trockenen Ort. In der rostroten Ebene bohrt er in einem kleinen internationalen Team Hunderte Meter tief in 2,7 Milliarden Jahre altes Gestein. Hinab in ein einmaliges Archiv der Erdgeschichte, aus dem sich Informationen in Form von Gesteinsproben gewinnen lassen. Darin sucht er nach winzigen Spuren frühester Lebensformen.

Monatelang haben Christian Hallmann und seine Kollegen aus den USA und Australien die Bohrungen mit haushohen Maschinen vorbereitet. Es sind die saubersten ihrer Art, die bisher stattgefunden haben. Denn für die Bergung der Gesteinsproben gelten extrem strenge Vorsichtsmaßnahmen. Die Proben sollen eine Kontroverse in der historischen Geologie beilegen. Unter anderem wollen die Forscher nämlich klären, wann in den Ozeanen Eukaryoten entstanden sind. Diese Lebewesen verpacken ihr Erbgut in einem Zellkern. Die anfangs nur einzelligen Eukaryoten brachten im Laufe der Erdgeschichte alle komplexen mehrzelligen Organismen hervor, also auch Pflanzen und Tiere. Der erste Auftritt der Zellen mit Kern markiert folglich auch aus Sicht des Menschen einen entscheidenden Punkt in der Evolution.


Lipide als molekularer Fingerabdruck

Bislang gab es dazu unterschiedliche Auffassungen. Die ersten bekannten Mikrofossilien von Eukaryoten sind etwa 1,5 Milliarden Jahre alt. Einige Forscher berichteten 1999 jedoch, in Gesteinsproben aus dem Pilbara-Kraton 2,7 Milliarden Jahre alte Spuren von Eukaryoten entdeckt zu haben: Überbleibsel von Steroiden - Kohlenwasserstoffe, genauer gesagt: Lipide, die den ersten Eukaryoten wahrscheinlich vor allem dazu dienten, ihre Zellmembranen zu stabilisieren und in verschiedene Kompartimente wie den Zellkern zu unterteilen. Durch diese Unterteilung der Zellen ließen sich die biochemischen Prozesse vor allem in größeren Zellen effizienter gestalten. Dies war auch eine Voraussetzung dafür, dass sich komplexere Lebensformen entwickeln konnten. Heute gelten die Lipide als molekularer Fingerabdruck der Eukaryoten. Kritiker monierten allerdings bald, dass die gewonnenen Mengen viel zu gering seien, um zuverlässige Ergebnisse zu liefern. Zudem hätten sich die Gesteine im Laufe der Erdgeschichte stark erwärmt, wobei die charakteristischen Moleküle zerstört worden seien.

Handelte es sich bei den vermeintlichen Spuren der Eukaryoten also um Verunreinigungen? Das zu klären hatte Christian Hallmann sich vorgenommen: "Wir mussten also in Australien so sauber wie möglich arbeiten", sagt der Geologe. Schon bei der Planung überlegten er und seine Kollegen, wie man die Gesteinsproben vor Verunreinigungen schützen kann: vor allem vor Kohlenwasserstoffen aus den Schmiermitteln der Bohrfirmen. Solche Mittel schonen die Maschinen, die Bohrungen gehen schneller und leiser vonstatten, aber ihre Rückstände in den Proben sind den gesuchten Spuren der Eukaryoten zum Verwechseln ähnlich. Daher suchte Roger Buick, der seitens der University of Washington im US-amerikanischen Seattle an den Arbeiten teilnimmt, wochenlang nach einer Firma, die bereit war, auf solche Mittel zu verzichten. So handfest können die Schwierigkeiten der Forschung sein - vor allem wenn es um einen so schwer zu fassenden Gegenstand geht wie das frühe Leben.

Genau darum geht es Christian Hallmann. Er leitet am MARUM, dem Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen, die Forschungsgruppe Organische Paläobiogeochemie, die primär zum Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena gehört. Hallmann widmet sich dem Präkambrium - jener Epoche, die sich über die ersten 85 Prozent unserer Erdgeschichte erstreckt. Sie begann vor viereinhalb Milliarden Jahren, als sich die Erde formte, und endete vor 541 Millionen Jahren, unmittelbar bevor sich komplexe mehrzellige Lebensformen explosionsartig diversifizierten.

Die vier Milliarden Jahre des Präkambriums waren von großen Veränderungen geprägt: Nährstoffkreisläufe entwickelten sich, zugleich schwankten die chemischen Bedingungen des Meeres sowie der Atmosphäre erheblich, und das Klima kippte mehrmals ins Extreme. Wahrscheinlich vereiste unser Planet zwischenzeitlich weitgehend, sodass er mehrmals einem Schneeball glich.

Wie es zu der Vereisung kam, ist eine der Fragen, denen Christian Hallmann gemeinsam mit amerikanischen und australischen Kollegen nachgeht. Darüber hinaus wollen er und seine Kollegen herausfinden, wie sich die Erde im Präkambrium entwickelt hat, sodass sich am Ende dieser Epoche komplexe Lebensformen ausbreiten konnten. Wie ist die Erde von einer lebensfeindlichen Umgebung ohne Sauerstoff in der Atmosphäre und mit viel Eisen in den Ozeanen zu der Erde von heute geworden? "Ich will etwa wissen, wann, warum und unter welchen Umweltbedingungen die ersten Eukaryoten aufgekommen sind", sagt Hallmann. "Und wie brachten diese Lebensformen letztlich unser heutiges Erdsystem hervor - samt Luft und Nährstoffkreisläufen?"

Im Präkambrium lebten lange nur einfache Einzeller, etwa Bakterien und später auch Eukaryoten. Bis heute wird jene Epoche deshalb als eine Zeit evolutionären Stillstands angesehen. Erst in der letzten Ära des Präkambriums, dem Neoproterozoikum, traten komplexere mehrzellige Organismen auf, Pflanzen und die Metazoen (griechisch: "vielzellige Tiere"). Zu Letzteren gehören alle Tiere, die wir kennen, und sie alle stammen von den ersten einfachen Vertretern ab. Erst mit Beginn des Kambriums vor 541 Millionen Jahren entwickelten sich in einer - aus erdgeschichtlicher Sicht - erstaunlich kurzen Phase von wenigen Millionen Jahren nahezu gleichzeitig alle Vertreter der heutigen Tierstämme.

Dabei interessiert sich Christian Hallmann vor allem für die ökologischen Bedingungen, welche die sogenannte kambrische Artenexplosion erst ermöglichten. Denn Eukaryoten und mit hin auch die Pflanzen und Metazoen brauchen Sauerstoff für die Energiegewinnung. Dieses Elixier des höheren Lebens produzierten lange nur die Vorläufer der Cyanobakterien in den Ozeanen. "Theoretisch könnte es Eukaryoten schon vor 2,45 Milliarden Jahren gegeben haben, weil Sedimente, die damals abgelagert wurden, Hinweise auf den ersten Sauerstoff in der Atmosphäre liefern", so Hallmann.


Biomarker überdauern Jahrmilliarden

Um neue Einsichten zu Eukaryoten, Metazoen und ihren Welten zu gewinnen, hat Christian Hallmann Gesteinsproben an verschiedenen Orten gesammelt, die auch aus unterschiedlichen Epochen der Erdurzeit herrühren: Seine australischen Proben stammen aus der sehr frühen Phase unseres Planeten; Proben aus Brasilien und Sibirien kommen unter anderem aus der Zeit kurz vor der Artenexplosion. Gesteine aus unterschiedlichen Weltregionen zu analysieren ist nicht zuletzt wichtig, um ein Gefühl dafür zu bekommen, ob Veränderungen etwa in der Atmosphäre global oder nur regional stattfanden.

In den Proben aus dem australischen Pilbara-Kraton suchen Christian Hallmann und seine Kollegen nach den Kohlenwasserstoff-Überresten von Lipiden und speziell von Steroiden, weil diese Biomarker anders als andere Moleküle, die ebenfalls typisch für bestimmte Lebewesen sind, theoretisch Jahrmilliarden überdauern. Erbgut, der wahrscheinlich untrüglichste molekulare Fingerabdruck eines Organismus, wird dagegen rasch abgebaut und verschwindet spurlos. "Nur in Science-Fiction-Filmen finden Forscher DNS, die noch aus der Erdurzeit stammt", sagt Hallmann.

Aber auch Steroide und andere Lipide können nur unter optimalen Bedingungen die Epochen überstehen. Vor allem sollte während der Ablagerung der Sedimente möglichst wenig Sauerstoff im Wasser vorhanden sein - etwa so wie in einem Parkteich, der zu viel Entenfutter abbekommen hat und umkippt. Tonmineralien und manche Kalksteine können das Grundgerüst der Moleküle erhalten, auch wenn die Moleküle selbst in diesen Mineralien umgebaut werden. Poröse Sandsteine sind dagegen völlig ungeeignet. Wie sich die ursprünglichen Moleküle in unterschiedlichen Gesteinen verändern, erforscht Arne Leider, ein Mitarbeiter Christian Hallmanns. Denn nur wenn diese Veränderungsprozesse bekannt sind, können die Forscher die molekularen Spuren in ihren Proben richtig deuten - falls sie welche finden.

Damit die Suche erfolgreich ist, reicht es nicht, dass die Biomarker in geeignetem Gestein eingeschlossen wurden. Denn seit der Erdurzeit hat sich fast kaum ein Ort auf unserem Planeten in seiner Ursprünglichkeit erhalten. Aus der Zeit der ersten Milliarde Jahre existieren nirgends mehr sedimentäre Gesteine, die sich aus Ablagerungen in Ozeanen bildeten. Sie sind verwittert, oder das organische Material darin hat sich in Graphit verwandelt, der keinerlei Informationen mehr birgt. Oder das Gestein ist ins Erdinnere hinabgesunken und geschmolzen. Doch auch Gestein aus späteren Epochen wurde bei Erdbewegungen fast immer irgendwann so heiß, dass organische Moleküle darin in Bruchstücke zerlegt wurden. Um festzustellen, ob sich auch veränderten Molekülen und ihren Scherben noch Informationen über die Ursprungssubstanz entlocken lassen, vollzieht Arne Leider im Labor auch nach, was mit einschlägigen Biomarkern unter Hitze geschieht.

Die ältesten heute bekannten Spuren versteinerten Lebens finden sich in 3,5 Milliarden Jahre alten Felsen in Australien: Stromatolithen, von Bakterien geformte, zwiebelartige Gebilde, die einst Schicht für Schicht nach oben wuchsen. Heute finden sich an wenigen Orten, etwa in einer Bucht im Westen Australiens, Bedingungen, unter denen Stromatolithen entstehen können.


Bislang lagerten Bohrkerne oft jahrelang offen

Gestein, in dem sich Spuren von uralten Eukaryoten verbergen könnten, kennen Geologen heute weltweit nur aus zwei Regionen: dem Pilbara-Kraton in Australien und dem Kaapvaal-Kraton im südlichen Afrika. Nur an diesen beiden Orten ist das Gestein im Laufe der Zeit nicht zu stark erhitzt worden. Sollte es Eukaryoten schon vor 2,7 Milliarden Jahren gegeben haben, dann müsste man hier fündig werden, dachten die Wissenschaftler bis dato.

Im Sommer 2012 bereitet Hallmanns Team die Bohrungen in Australien vor. Finanziell unterstützt wurde die Arbeit vom Agouron Institute in Pasadena, USA. Seine Kollegen arbeiten am MIT, der University of California, Riverside, der Macquarie University in Sydney und der Australian National University in Canberra.

Noch immer gilt es unter Geologen als extrem schwierig, Gesteinsproben aus der Erdurzeit frei von Verunreinigungen zu nehmen und korrekt zu analysieren. Entsprechend ist das bislang auch nur wenigen Gruppen gelungen. Viele Forscher nutzen bis dato Bohrkerne, die Mineral- oder Erdölexplorationsfirmen aus dem Boden geholt haben. Die Firmen benutzen dabei nicht nur Unmengen synthetischer Schmiermittel, manche Bohrkerne lagerten sie zunächst auch jahrelang offen, sodass sich Staub oder Dieseldämpfe absetzten. Erst dann wurden sie für die Wissenschaft freigegeben.

Selbst vor Ort am Pilbara-Kraton ist zunächst unsicher, ob die Bohrungen gelingen werden. Niemand weiß etwa, ob die Kühltruhen in der Hitze des Outbacks konstant minus 20 Grad halten können, damit leichtflüchtige Substanzen nicht aus den Proben entweichen. Und natürlich bleibt die Sauberkeit der Proben ein Thema. Zunächst reinigen die Forscher die Bohrgestänge mit synthetischen Reinigungsmitteln. Dann bohren sie mehrere Hundert Meter tief in vulkanisches Gestein hinein, das keine organischen Materialien enthält. Dabei sollen sich letzte Verunreinigungen am Bohrgestänge abschmirgeln. Als einziges Schmiermittel ist unterirdisches Grundwasser erlaubt.

Ursprünglich wollten die Forscher sogar aus Perth, von wo sie aufbrachen, genug organisch sauberes Wasser für die Bohrung mitbringen. Doch das erwies sich als unmöglich. Die Entfernungen sind schlicht zu gewaltig. Stattdessen suchte das Team vor Ort tagelang nach unterirdischem Wasser, bohrte schließlich einen Brunnen und pumpte Grundwasser nach oben. Das Wasser lagerte man in einem Tank zwischen, sodass feinste Partikel absinken konnten. Genug organisch sauberes Wasser karrten die Wissenschaftler nur heran, um die Proben zu waschen.

Dann mischten sie noch eine fluoreszierende Substanz ins Wasser, um es leuchtend grün zu färben, sowie synthetisch markierte Kohlenwasserstoffe. Diese sollen ihnen später genau zeigen, wie tief Wasser - und damit auch mögliche Verunreinigungen - in die Gesteinsproben eingedrungen sind. Bisher werden ähnliche fluoreszierende Kügelchen nur in der Forschung zum heutigen Leben im tiefen Gestein benutzt, um zu erkennen, wie weit gleich große Bakterien in den Bohrkern eindringen könnten. In der Organischen Geochemie bohren die Forscher erstmals mit solch einem Aufwand, als sie im australischen Outback den frühen Eukaryoten nachspüren.

Bald erkennen sie, wie schwierig, laut und langsam eine Bohrung ohne Schmiermittel vor sich geht. Vor allem, wenn die Gestänge in sehr harte Gesteinsschichten eindringen sollen. Nur langsam dringen sie in den Boden ein. Erst nach mehr als 100 Metern zeigt das Gestein keine Anzeichen von Oxidation mehr, die auch organisches Material zerstört. Darunter ist das Gestein seit Jahrmilliarden größtenteils unverändert.

Nach und nach kommen die Proben an die Oberfläche: Die Forscher öffnen fünf Meter lange Stangen und legen ihre Schätze sofort in Aluminiumboxen. Sie spülen die Bohrkerne mit organisch sauberem Wasser ab, brechen sie mit gezielten Hammerschlägen vorsichtig in mehrere Stücke, greifen die für ihre Studie interessanten Brocken mit gereinigter Alufolie und stecken sie in Teflontüten, die sie zuvor in Säuren ausgekocht haben. Die Tüten füllen sie dann mit dem Edelgas Argon, damit das Gestein nicht der oxidierenden Luft ausgesetzt ist. Verschweißt landen die Tüten in der Tiefkühltruhe.

Eigentlich hatten die Wissenschaftler nicht mehr als zwei Wochen für die Expedition veranschlagt. Letztlich müssen sie fast eineinhalb Monate in der Wüste verbringen. Dass die Bohrungen am Ende gelingen, wertet Hallmann als einen entscheidenden Etappensieg des Forschungsprojekts. Auch der Transport nach Perth gelingt, obwohl die Fahrt mit der schweren Kühltruhe auf einem Pick-up ziemlich wackelig ist. Drei Tage sind sie unterwegs, nicht zuletzt weil sie alle paar Stunden anhalten müssen, um die Kühltruhe zunächst mit dem eigenen Generator und dann an den Steckdosen von Campingplätzen wieder runterzukühlen.

Von Perth gelangen die Proben mit einem Kurier weiter nach Canberra. An der dortigen Universität teilen die Forscher ihren Schatz im Labor von Jochen Brocks und nehmen auch erste Analysen vor. Dann nimmt Katherine French einen Teil mit ans MIT, einen anderen Teil bringt Christian Hallmann nach Bremen. Um die Proben zu analysieren, schicken Hallmanns Mitarbeiter sie durch einen Gaschromatografen und ein Tandem-Massenspektrometer. Ersterer trennt das organische Material, mit Letzterem identifizieren die Forscher die Moleküle, die den Gaschromatografen zu verschiedenen Zeitpunkten verlassen.


Keine Spuren von Eukaryoten im Pilbara-Kraton

Die Forscherteams aus den USA und Deutschland haben die Proben unabhängig voneinander untersucht, doch im Resultat sind sie sich einig: Das uralte Gestein aus dem Pilbara-Kraton birgt keine Biomarker für Eukaryoten vor 2,7 Milliarden Jahren. Das steht im Sommer 2015 fest. "Wir wissen nun, dass die ganze Region zumindest einmal so heiß geworden ist, dass wir dort keine Steroide mehr nachweisen können, selbst wenn es sie einmal gegeben hat", sagt Christian Hallmann. Letzteres ist aber nicht wahrscheinlich.

"Wir sind der Meinung, dass es Eukaryoten seit 1,5 Milliarden Jahren gibt", sagt Christian Hallmann. Darauf deuten auch genetische Analysen aus den vergangenen 15 Jahren hin. Die ersten einzelligen Vertreter tauchten vermutlich in küstennahen Gewässern auf, in die Flüsse Nährstoffe spülten.

Vor rund 750 Millionen Jahren könnten Eukaryoten zum ersten Mal eine ökologisch relevante Rolle eingenommen haben. Damals hatten sich die Lebewesen über die Erde verbreitet und eine große Vielfalt entwickelt. Abbauprodukte der abgestorbenen Zellen hatten sich daraufhin in solchen Mengen in der Atmosphäre gesammelt und in Kondensationskeime für Wassertropfen verwandelt, dass sich vermehrt Wolken bildeten und weniger Sonnenlicht auf die Erde gelangte. Als dann auch noch der Superkontinent Rodinia zerbrach, dabei gigantische Mengen Gestein verwitterten und der Atmosphäre so gewaltige Mengen Kohlendioxid entzogen, kühlte sich die Erde drastisch ab und verschwand ganz oder zumindest teilweise unter Eis und Schnee. Cryogenium heißt diese Periode folgerichtig.

"Ich hatte schon seit Längerem die Idee, dass die Eukaryoten dazu beigetragen haben könnten, dass die Erde zu einem Schneeball wurde", sagt Hallmann. Kürzlich präsentierte er ein entsprechendes Szenario gemeinsam mit Georg Feulner und Hendrik Kienert vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Die beiden Wissenschaftler simulierten die Rolle der Eukaryoten im urzeitlichen Klima. Und tatsächlich bewirkte die Verbreitung der Lebewesen eine Abkühlung, die für die Eiszeit eine wichtige Rolle spielte.

Dass sich die vermeintlichen Spuren von 2,7 Milliarden Jahre alten Eukaryoten als Verunreinigungen erwiesen, spricht für die Ergebnisse. Die 1999 gefundenen Lipide waren nämlich derart komplex, dass sie nahelegten, Eukaryoten hätten sich schon vor 2,7 Milliarden Jahren stark differenziert und weit verbreitet. Die gesicherten Funde von Steroiden und vor allem die Mikrofossilien deuten aber darauf hin, dass dies erst zwischen 800 und 750 Millionen Jahre vor unserer Zeit geschah. "Das passt gut zu der extremen Abkühlung vor 750 Millionen Jahren", so Hallmann.

Somit hat der Forscher mithilfe der Paläobiogeochemie dazu beigetragen, etwas über die Veränderung der urzeitlichen Lebensbedingungen zu erfahren. Und um noch weitere Erkenntnisse über die Sturm-und-Drang-Phase des Lebens zu gewinnen, wird er weiter in der Erdgeschichte bohren.


Auf den Punkt gebracht

• Mit der Entstehung der Eukaryoten wurde die Voraussetzung geschaffen, dass sich auf der Erde komplexere mehrzellige Lebensformen entwickeln konnten. Wann, wo und unter welchen Bedingungen dies geschah, ist bis heute nicht völlig klar.

• Um die Entstehung der Eukaryoten und die Veränderung der Lebensbedingungen auf der Erde in der Urgeschichte zu erforschen, hat ein internationales Team um Forscher des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie eine extrem saubere Methode entwickelt, mehrere Milliarden Jahre alte Gesteinsproben zu nehmen und korrekt zu analysieren.

• Ersten Ergebnissen zufolge sind Eukaryoten nicht, wie lange diskutiert, schon vor 2,7 Milliarden Jahren entstanden, sondern sehr wahrscheinlich erst vor 1,5 Milliarden Jahren.

• Die Diversifizierung und Verbreitung der Eukaryoten hat möglicherweise dazu beigetragen, dass es auf der Erde vor rund 700 Millionen Jahren zu mindestens einer extremen Eiszeit gekommen ist.


Glossar

Eukaryoten, auch Eukaryonten genannt - Lebewesen, deren Zellen einen Zellkern und heute auch Organellen besitzen. Die Organisation der Zelle in Untereinheiten macht die Prozesse in der Zelle effizienter. Daher konnten sich aus den zunächst einzelligen Organismen komplexe mehrzellige Lebensformen entwickeln.

Gaschromatografie: Bei diesem chemischen Trennverfahren werden Gemische gasförmiger Substanzen auf dem Weg durch eine lange dünne Kapillare getrennt. Die Kapillare ist innen mit einem Material beschichtet, an dem verschiedene Substanzen unterschiedlich gut binden. Daher brauchen verschiedene Stoffe entsprechend ihrer Polarität und Flüchtigkeit unterschiedlich lang für den Weg durch die Kapillare und verlassen diese in verschiedenen Fraktionen.

Kraton: Sehr alte Gebiete der Kontinente, deren Gestein im Laufe der Erdgeschichte meistens durch Druck und Hitze verändert wurde.

Metazoen: Zu den "vielzelligen Tieren" gehören alle mehrzelligen Tiergruppen.

Tandem-Massenspektrometrie: Diese Analysemethode kombiniert zwei Massenspektrometer (MS). Im ersten MS werden Substanzen mit wenig Energie ionisiert und nach dem Verhältnis von Masse zu Ladung aufgetrennt. Im zweiten MS werden die einzelnen Substanzen so stark ionisiert, dass sie in Fragmente zerbrechen. Aus diesen lässt sich schließen, um welchen Stoff es sich ursprünglich handelte.

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Der Artikel ist mit Abbildung im PDF-Format herunterladbar unter:
http://www.mpg.de/9688346/W005_Umwelt_Klima_070-077.pdf

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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-Gesellschaft
Ausgabe 3/2015, Seite 70-77
Herausgeber: Wissenschafts- und Unternehmenskommunikation der
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2016

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