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FORSCHUNG/392: Neue Erkenntnisse aus der frühen Erdgeschichte (idw)


Universität Innsbruck - 29.11.2017

Neue Erkenntnisse aus der frühen Erdgeschichte


Durch neue Analysemethoden konnte ein internationales Forscherteam mit Innsbrucker Beteiligung neue Erkenntnisse über die Entstehung der Erde gewinnen. Anhand von Meteoriten analysierten die Wissenschaftler die Vorkommen der flüchtigen Elemente Chlor, Iod und Brom und stellten fest: Bisherige Modelle passen nicht zu den neuen Daten. Die Erde hat bereits in ihren ersten Entstehungsphasen an den so genannten Halogenen "festgehalten".

Die Entstehung unseres Sonnensystems und somit die ersten Momente in der Geschichte unserer Erde geben der Forschung bis heute immer noch viele Rätsel auf. Besonders die Verteilung der chemischen Elemente im solaren Urnebel, also jenem Material, aus dem alle Planeten unseres Sonnensystems entstanden sind, ist von großem Interesse, da diese Verteilung bis heute maßgeblich die Eigenschaften im Inneren der Planeten und damit auch in der Erde bestimmt. "Um die Vorgänge im Inneren der Erde heute zu verstehen, müssen wir in die Vergangenheit blicken - im Optimalfall bis ganz an den Beginn vor ca. 4,5 Milliarden Jahren", sagt Dr. Bastian Joachim vom Institut für Mineralogie und Petrographie der Uni Innsbruck. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen von der University of Manchester, University of Oxford und der ETH Zürich konnte der Forscher in einer aktuellen Studie, die nun im Magazin "Nature" veröffentlicht wurde, neue Erkenntnisse aus diesem frühen Stadium der Erdentstehung gewinnen. Dazu hat das Forscherteam mithilfe neuartiger, äußerst präziser Messmethoden die chemische Zusammensetzung bestimmter Meteoriten rekonstruiert. "Auf diesem Gebiet wurde bereits sehr viel Forschungsarbeit geleistet, die aber aufgrund der Herausforderungen in den Messmöglichkeiten an gewissen Punkten ihr Limit erreichte", erklärt Joachim.

Neue Messmethoden

Eine an der University of Manchester entwickelte neue Methode erlaubt hochempfindliche Messungen mithilfe von Massenspektrometern. Diese Messungen ermöglichten den Forschern die Bestimmung von Elementen, die in nur sehr geringen Mengen in den jeweiligen Proben vorkommen. "Unser Interesse galt in dieser Studie den so genannten Halogenen. Das sind volatile, also leicht flüchtige Elemente, zu denen unter anderem Chlor, Iod und Brom zählen. Volatile beeinflussen unter anderem den Grad der Zähflüssigkeit von Gesteinsschmelzen im Erdinneren und damit zum Beispiel die Art und Weise, wie ein Vulkan ausbricht. In noch viel größerem Maßstab beeinflussen Volatile den Verlauf von Massenströmen im Erdmantel, den man als Mantelkonvektion bezeichnet. Diese Massenströme prägen maßgeblich die Wanderung der Kontinente und das Entstehen und Vergehen von Ozeanen, sowie die langfristige Abkühlung unseres Planeten. Somit können Volatile dramatische Auswirkungen auf das Leben auf der Erde haben", verdeutlicht Bastian Joachim. Die Methode nennt sich "Neutron Irradiation Noble gass mass spectrometry" (NI-NGMS). Dabei werden die Proben zuerst in einem Forschungsreaktor mit Neutronen bestrahlt. Dies führt dazu, dass sich die Halogene in Edelgase umwandeln. Edelgaskonzentrationen können wiederum mit Hilfe von Massenspektrometer mit deutlich höherer Genauigkeit gemessen werden als Halogenkonzentrationen. In der aktuellen Studie ist es dem Forscherteam dadurch gelungen, die Konzentrationen der Elemente Chlor, Brom und Iod in Meteoriten mit bisher unerreichter Genauigkeit zu bestimmen. Die dabei erhaltenen Werte stimmen mit den bisherigen Annahmen über die ursprüngliche "Ausstattung" des Sonnensystems mit diesen Elementen nicht überein - was wiederum neue Fragen aufwirft.

Meteoriten aus der Geburtsstunde

Halogene gehören zu jener Klasse von Elementen, die sich bei hohen Temperaturen relativ rasch verflüchtigen. "Der Beginn unseres Universums war extrem heiß, dann folgte eine schrittweise, langsame Abkühlung des Systems. Wenn sich eine solch bunte Mischung abkühlt, wird aber natürlich nicht alles gleichzeitig fest: Während die zuerst verfestigten Verbindungen reich an Aluminium und Calcium sind, folgten die Volatile erst viel später: Daher sind Planeten nahe an der Sonne fest, jene weiter weg - zum Beispiel der Saturn - gasförmig", beschreibt Joachim. Dennoch: Halogene kommen auch tief im Erdmantel vor und zeigten sich auch in den extrem heißen Ursprungsbedingungen unseres Sonnensystems "robuster" als bisher gedacht, zeigt das Forscherteam durch die neuen Messmethoden. Als Untersuchungsgegenstand dienten den Forschern so genannte Chondrite - jene Art von Meteoriten, die schon seit der Frühzeit des Sonnensystems vor ca. 4,5 Milliarden Jahren ihre ursprüngliche Form weitgehend beibehalten haben. "Sie sind das einzige Fenster in die Anfänge der Erdgeschichte, die wir haben: sie beinhalten die Mischung des ursprünglichen Sonnensystems", betont der Mineraloge die große Bedeutung der kleinen, kosmischen Steinchen. Das Problem bei der Messung von Halogenen sind ihre extrem geringen Konzentrationen. "Wir reden hier von zwei bis vier Atomen pro einer Million Atome. Das ist unglaublich schwierig nachzuweisen. Mit der neuen Messmethode ist uns das nun aber gelungen."

Rätselhafte Beständigkeit

Mit überraschenden Ergebnissen: Die Konzentration der Halogene Chlor, Iod und Brom ist in den Chondriten viel niedriger als in bisherigen Modellen angenommen wurde. Deutlich wird die Besonderheit dieser Entdeckung bei einem Blick in die Erdgeschichte: Die Erde bildete sich aus einem Urnebel und begann sich langsam abzukühlen. "Dieser Zustand blieb aber nicht so, da die Erde im weiteren Verlauf massiv von Meteoriten getroffen wurde. Ein großer Einschlag führte beispielsweise zum Herausschleudern gewaltiger Massen, die dann den Mond formten. In der 'late veneer'-Theorie geht man davon aus, dass die Erde nach der Bildung ihres Erdkerns nochmals so massiven Meteoriten-Einschlägen ausgesetzt war, dass sie etwa die Hälfte ihrer Masse erst dadurch dazugewonnen hat", so Joachim. "Da die Erde in ihrer ursprünglichen Entstehung aber theoretisch viel zu heiß war, um Halogene halten zu können, nahm man bisher an, dass diese Elemente erst über diese späteren Einschläge auf die dann schon etwas ausgekühlte Erde kamen." Diese Annahme konnte das Forscherteam durch seine Ergebnisse allerdings nicht mehr bestätigen, ganz im Gegenteil. "Jene Mengen an Chlor, Iod und Brom, die über die Meteoriteneinschläge zusätzlich in die Erde eingebracht wurden, sind geringer als jene Menge, die davon heute auf der Erde vorhanden ist." Joachim und seine Kollegen schließen daraus, dass diese Halogene bereits von Beginn an vorhanden gewesen sein müssen - auch wenn das aufgrund ihrer Eigenschaften eigentlich nicht der Fall sein dürfte. "Es muss also einen Mechanismus geben, den wir noch nicht verstehen. Die Erde hat diese Elemente 'festgehalten' und wir wissen nicht wie", sagt Joachim. Die Wissenschaftler haben zwar einige Theorien, wie etwa der Einbau in sehr robuste Minerale, sehen darin aber weiteren Forschungsbedarf zur Klärung eines neuen Rätsels in der Entstehung unserer Erde.

Das Projekt wurde durch den European Research Council (ERC) FP7 'NOBLE' grant No. 267692 gefördert.


Publikation: Halogens in chondritic meteorites and terrestrial accretion. Patricia L. Clay, Ray Burgess, Henner Busemann, Lorraine Ruzié-Hamilton, Bastian Joachim, James M.D. Day, Christopher J. Ballentine. Nature 2017.
DOI: 10.1038/nature24625

Weitere Informationen unter:
http://www.uibk.ac.at/mineralogie/
Institut für Mineralogie und Petrographie

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution345

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Innsbruck, Dr. Christian Flatz, 29.11.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Dezember 2017

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