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SEISMIK/072: Seismologen führen Messungen in Marokko durch (wissen leben - WWU Münster)


wissen leben - Nr. 4, 7. Juli 2010

Die Zeitung der WWU Münster

Schnuppernde Schafe
Seismologen führen Messungen in Marokko durch

Von Christina Heimken


Ein einziges Schaf reicht aus, um die Messungen zu verfälschen, von einem vorbeifahrenden Auto ganz zu schweigen. Die 20 neuen, hochempfindlichen Stationen der Arbeitsgruppe Seismologie der Uni Münster zeichnen noch die leiseste Schwingung in der Erde auf: kaum wahrnehmbare Erdbebenwellen, aber eben auch Bewegungen, die durch Autos oder menschliche Schritte verursacht werden - oder durch neugierige Schafe, die die Messstation beschnuppern. Und Schafe gibt es viele in Marokko, wo die tragbaren Stationen demnächst stehen werden. Sie sind ein wichtiges Hilfsmittel bei der Erforschung der Strukturen im Erdmantel, einem Schwerpunkt von Prof. Christine Thomas.

Die neuen Seismik-Stationen sind, da sind sich die Wissenschaftler einig, etwas ganz Besonderes. Sie sind für den mobilen Einsatz bestens geeignet, sind leicht zu montieren und haben einen geringen Stromverbrauch. Gekaufte Komponenten wurden von der institutseigenen Werkstatt genau auf die Bedürfnisse der Wissenschaftler abgestimmt und in tragbare Metallboxen eingebaut. "In dieser 60-Kilo-Kiste ist alles, was wir brauchen, um irgendwo auf der Welt eine Seismik-Station aufzubauen", sagt Stefan Ueding von der Werkstatt für Geophysik und deutet auf eine von 20 Metallkisten, die zur Demonstration ausgepackt ist. "Ein Seismograf zur Messung, ein Datenlogger zur Aufzeichnung der Messwerte, Solarzellen und eine Autobatterie zur Stromversorgung ... Alles stoßgeschützt verpackt."

Christine Thomas, Leiterin der Arbeitsgruppe Seismologie, schwärmt: "Unsere Techniker haben sich eine ganz einfache und robuste Bedienung ausgedacht, die auch von Studenten ohne große Vorerfahrung bedient werden kann. Die Anlage ist zudem preiswerter und effizienter als alles, was es zu kaufen gibt." Insgesamt haben die Seismik-Stationen rund 400.000 Euro gekostet. 90 Prozent davon haben die Deutsche Forschungsgemeinschaft und das Land Nordrhein-Westfalen finanziert, den Rest hat die WWU übernommen.

Die hochmodernen Geräte sollen den münsterschen Forschern Einblicke in das Innere der Erde geben: Die Ausbreitung von Erdbebenwellen, deren Streuung oder Reflexionen lassen Rückschlüsse auf die Strukturen im Erdmantel und die Prozesse, die dort ablaufen, zu. Dazu werden die 20 Stationen im Abstand von jeweils 30 bis 40 Kilometern voneinander ungefähr in Form eines Rechtecks aufgestellt. Sie sind so empfindlich, dass sie jedes Erdbeben aufzeichnen, das weltweit geschieht. Doch bevor es so weit ist, müssen die Forscher für jede einzelne Station einen optimalen Stellplatz finden. Dafür reisen Christine Thomas und ihr Kollege Dr. Jörg Schmalzl im kommenden Wintersemester mit einem fünfköpfigen Team - darunter auch ein Techniker aus der Werkstatt - für einen Monat nach Marokko. "Es gibt auf der Welt viele Orte, die noch nicht seismologisch vermessen worden sind."

Das arabische Land wurde deswegen ausgewählt, weil hier bereits Kollegen arbeiten. "Wir kooperieren unter anderem mit der marokkanischen Universität Rabat. Die Kollegen dort vermitteln zwischen den Bauern und uns", erklärt Jörg Schmalzl. Denn die Bauern in den entlegenen Gebieten Marokkos sprechen weder Arabisch noch Französisch, Englisch schon gar nicht. "Alleine könnten wir das Projekt niemals durchführen", ergänzt Christine Thomas. Die Münsteraner haben daher auch Partner aus Kanada, den USA und Spanien, die jeweils eigene Stationen betreuen. Die Forscher bearbeiten jeweils unterschiedliche Fragestellungen, unterstützen sich aber gegenseitig und tauschen alle Messdaten untereinander aus.

Den Standort der Stationen zu bestimmen ist "eine Gratwanderung", erklärt Geophysikerin Thomas. "Wir müssen sie so aufstellen, dass sie möglichst ungestört bleiben. Andererseits wollen wir sie in der Nähe von Bauern unterbringen, die ein wachsames Auge darauf haben. Ansonsten befürchten wir, dass Teile davon geklaut werden." Insgesamt decken die Stationen für ein aktuelles Forschungsvorhaben große Teile Spaniens und Marokkos ab. "Unsere neuen Stationen waren die Eintrittskarte in das internationale Forschungsprojekt. Ohne selbst Daten dafür zu liefern, hat man keine Chance, sich zu beteiligen", betonen die Wissenschaftler aus Münster.

Die Stationen sollen zwei Jahre lang Daten aufzeichnen. Alle sechs Monate muss ein Team aus Münster anreisen, um diese zu überspielen und nach dem Rechten bei den Stationen zu sehen. Dazwischen, so die Hoffnung der Wissenschaftler, bleiben die Seismik-Stationen sich selbst überlassen. Sollte sich ein Zwischenfall ereignen und beispielsweise ein Schaf ein Kabel anknabbern, geben die betreuenden Bauern Bescheid. Dann könnte einer der internationalen Kooperationspartner vor Ort den Schaden beheben. Wenn der Einsatz erfolgreich beendet ist, ist für die münsterschen Wissenschaftler noch lange nicht Schluss. "Dann", so Christine Thomas, "gibt es auf der Welt noch viele Orte, die noch nicht von Seismologen vermessen wurden."


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Quelle:
wissen leben - Die Zeitung der WWU Münster, Nr. 4, 7. Juli 2010, S. 5
Herausgeberin:
Die Rektorin der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
Redaktion: Brigitte Nussbaum (verantw.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. August 2010