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FORSCHUNG/189: Das Dach der Welt als Klimasensor (DFG forschung)


forschung 2/2007 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Das Dach der Welt als Klimasensor

Das Tibetische Hochplateau hat über die letzten fünfzig Millionen Jahre entscheidend das globale Klima beeinflusst. Im Seeschlamm des Nam Co suchen deutsche und chinesische Forscher nach den Spuren folgenreicher Klima- und Umweltveränderungen


Das Tibetische Plateau ist mit 1,5 Millionen Quadratkilometern das größte Hochplateau der Erde. Damit ist es eine Schlüsselregion, die grundlegende Informationen zur Gebirgs- und Hochebenenbildung sowie zu deren Wechselwirkungen mit den Klima- und Umweltänderungen auf der Erdoberfläche liefert. Über die letzten 50 Millionen Jahre hat die Bildung der Hochebene entscheidend das globale Klima beeinflusst und das Monsunsystem in Gang gesetzt. Weil das Plateau gleichzeitig wie ein empfindlicher Sensor auf Umweltänderungen reagiert, kann der globale Wandel für die sensiblen Umweltsysteme auf dem Plateau zu drastischen Veränderungen führen.

Zusammen mit dem Himalaya bildet das Plateau das Ursprungsgebiet großer Flüsse, die, überwiegend von Schmelzwasser der Gletscher gespeist, fast die halbe Menschheit mit Trinkwasser, Wasser für Bewässerung und für die Erzeugung von Strom versorgen. Seit zwei Jahrzehnten wird allerdings ein drastischer Rückgang der Gletscher beobachtet. Mit fortschreitender globaler Erwärmung ist daher zunächst ein Anstieg der Schmelzwasserproduktion zu erwarten, gefolgt von einem drastischen Rückgang, der die Wasserversorgung in Zukunft gefährden und Ernteerträge mindern wird. Die intensivierte Weidewirtschaft strapaziert zusätzlich die Geo-Ökosysteme auf dem Plateau.

Im Rahmen der internationalen Forschungskooperation "The Tibetan Plateau - Geodynamics and Environmental Evolution" wurde der Schwerpunkt auf die Klimaentwicklung der letzten Jahrtausende sowie auf die von Menschenhand beeinflusste Umweltgeschichte gelegt. Ein besonderes Augenmerk gilt der Entwicklung und Veränderung der Monsunsysteme und der Frage, welche Prozesse hierbei eine entscheidende Rolle gespielt haben.

Die Arbeiten wurden durch ein Memorandum zwischen der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem 2004 gegründeten Institute of Tibetan Plateau Research der Chinese Academy of Sciences vorbereitet. Im August 2005 begannen die chinesisch-deutschen Feldarbeiten auf dem Tibetischen Plateau. Zielgebiet war der Nam Co, nach dem Qinghai-See der zweitgrößte Salzwassersee auf der Hochebene. Der Nam Co liegt gut vier Autostunden nördlich von Lhasa, ist etwa 70 Kilometer lang und fast viermal so groß wie der Bodensee. An seinem südlichen Ufer erhebt sich das Nyainqentanglha-Gebirge mit über 7000 Meter hohen Gipfeln wie eine alpine Wand.

Seesedimente haben den großen Vorteil, dass sie Klima- und Umweltveränderungen im See und seinem Einzugsgebiet in hoher zeitlicher Auflösung speichern. Im Seeschlamm begrabene Klima- und Umweltindikatoren wie Kleinstlebewesen, Algen, Pollenkörner und mikrometerkleine Gesteins- und Pflanzenreste sind Zeitzeugen, deren Analyse eine detaillierte Reise in die Vergangenheit erlaubt. So wird anhand dieser Klima- und Umweltindikatoren nach Hinweisen auf die Veränderung der Monsun- und Gletscherdynamik in der Vergangenheit gesucht.

Die Zusammenarbeit mit den chinesischen Kollegen wurde durch Workshops in Peking und Lhasa vorbereitet. Wer China noch als Schwellenland bezeichnet, weiß nach einem Besuch vor Ort, dass dies längst nicht mehr so ist. Neue Labore mit modernster Ausrüstung zeigen, dass Wissenschaftsförderung in China offensichtlich zu den Prioritäten gehört. Die chinesischen Kooperationspartner hatten auch die Genehmigungen für die Geländearbeiten organisiert und eine Forschungsstation am Nam Co fertiggestellt, ein 120 Quadratmeter großer Container mit Labor, Seminarraum, zwei Schlafräumen, einer Küche mit Speiseraum sowie einer Latrine. Die Forscher gehörten zu den ersten Gästen, die dort ihre Zelte aufstellten, um von der Station aus das südliche Seeufer zu erkunden. Nach ein paar Tagen wurde die Arbeitsbasis in ein Zeltlager verlegt, in einer geschützten Bucht nahe dem nordöstlichen Ende des Sees gelegen, von wo aus das Arbeitsprogramm zu Land und zu Wasser fortgesetzt werden konnte. Bereits die erste Nacht brachte in Sachen angewandte Meteorologie Anschauung: Heftige Niederschläge prasselten auf die Zelte nieder, die am nächsten Morgen weiß überzogen waren. Danach war klar, dass der Zelteingang möglichst nicht nach Westen zeigen sollte, weil hier der südwestasiatische Monsun in erster Linie aus Westen kommt. Der jährliche Niederschlag kann am Nam Co bis zu 500 Millimeter erreichen, allerdings ist die Verdunstung bis zu fünfmal so hoch. Im Sommer bringt der südwestasiatische Monsun den Löwenanteil der Niederschläge zum Nam Co, und nur wenig Niederschlag erreicht das Gebiet mit dem ostasiatischen Monsun. Im Winter sorgt der asiatische Wintermonsun für Trockenheit, und feuchte Westwinde erreichen nur den Norden Chinas. Es ist bekannt, dass in der Vergangenheit extreme Schwankungen des südwestasiatischen Monsuns zu Überschwemmungen und Dürren geführt haben und letztlich für den Zusammenbruch von Kulturen verantwortlich waren.

Daraus ergeben sich nahe liegende Fragen nach dem Zusammenspiel der unterschiedlichen Luftmassen und wie und durch welche Prozesse sich Niederschlag und Verdunstung in der Vergangenheit geändert haben. Insbesondere interessiert die Frage, ob der Einfluss einzelner Luftmassen im Schlamm nachgewiesen werden kann, ob Gletschervorstöße im Zusammenhang mit der Dominanz einer bestimmten Luftmasse standen und wann und wie der Mensch mit welchen Folgen in das System eingegriffen hat. Die Beantwortung dieser Fragen setzt zunächst die Kenntnis und das Verständnis des modernen Systems voraus. Dessen Untersuchung liefert spezielle Datensätze, mit deren Hilfe dann die in Sedimenten enthaltenen Klima- und Umweltinformationen entschlüsselt werden können.

Zum Arbeitsprogramm gehörte auch die Entnahme von Bodenproben, um anhand des Pollengehalts zu untersuchen, welche Spuren die moderne Vegetation im Boden hinterlässt. Eine besonders spannende Frage ist hierbei, ob es in der Vergangenheit Phasen gab, während der das Einzugsgebiet bewaldet war. Eine weitere Arbeitsgruppe bestimmte die Position alter Strandlinien von Kliffs und Uferwällen als Zeugen vergangener Seespiegelhochstände und lokalisierte Endmoränen als Anzeiger ehemaliger Gletscherausdehnung. Zu Wasser wurde mit seismischen Methoden insgesamt 200 Kilometer Sedimentfüllung und die Struktur des Untergrundes des Nam Co untersucht. Diese Aufnahmen zeigten, dass sich der Nam Co in mehrere Becken mit einer maximalen Tiefe von etwa 100 Metern gliedert und dass diese Becken mit Sedimentpaketen von zehn bis über 20 Metern Dicke gefüllt sind. Aus Wassertiefen von 24 und 31 Metern wurden Sedimentkerne von bis zu fünf Metern Länge gezogen. Das Oberflächenwasser des Nam Co war zwölf Grad Celsius kühl; zwischen 20 und 25 Metern Tiefe ging die Temperatur auf fünf Grad Celsius zurück. Im Bodensee ist die Oberflächentemperatur zwar im Sommer etwa zehn Grad Celsius wärmer, aber der Temperaturrückgang tritt in vergleichbarer Tiefe auf. Obwohl der Sommer auf dem Plateau recht kurz ist, bleibt dem See dank der intensiven Sonneneinstrahlung offensichtlich genug Zeit, eine relativ warme Schicht Oberflächenwassers auszubilden.

Ein erster Blick in die Sedimentkerne lässt eine Sandlage erkennen, die möglicherweise auf einen Seespiegel-Tiefstand hinweist. Nun gilt es herauszufinden, wann es zu diesem Tiefstand kam, ob er schnell und abrupt oder eher langsam und kontinuierlich erreicht wurde und wie schnell sich der See nach diesem Tiefstand wieder auffüllte. Ist dies ein Hinweis auf eine für eine bestimmte Zeitspanne reduzierte Monsunaktivität? Mit sogenannten Isotopensignalen aus Pflanzenresten sowie aus Schalen von Mikrofossilien soll die Zusammensetzung des Seewassers in der Vergangenheit bestimmt werden. Durch die Kombination von verschiedenen Forschungsansätzen wird dabei versucht, die Herkunft der Niederschläge zu klären und die Monsun- und Schmelzwasserdynamik in die Vergangenheit zurückzuverfolgen.

Die deutsch-chinesische Zusammenarbeit hat sich gut eingespielt und beim Gegenbesuch in Deutschland wurde deutlich, wie intensiv sich die chinesischen Partner insbesondere mit deutscher Geografie und Geschichte auseinandergesetzt hatten. Beim Besuch einiger deutscher Labore waren die chinesischen Wissenschaftler doch sehr erstaunt, wie alt die Laborausrüstung zum Teil ist, aber sie waren ebenso erstaunt, wie gut die alte Ausrüstung noch funktioniert.

In der ersten Phase der Kooperation wurden zunächst Proben sowohl in Deutschland als auch in China parallel analysiert, um die Vergleichbarkeit der Analysen und der Labore sicherzustellen. In Zukunft wird die Analyse von Proben effizient untereinander aufgeteilt. Eine räumliche Erweiterung des Arbeitsprogramms soll in Zukunft zu einem besseren Verständnis der räumlichen Verteilungsmuster des Monsunsystems führen. In einem weiteren Schritt sollen dann die gewonnenen Ergebnisse mit Klimamodellen verglichen werden, um die Prozesse, die das Monsunsystem antreiben und steuern, besser entschlüsseln zu können. Wenn das gelingt, werden Modelle genauere Vorhersagen über regionale Auswirkungen der zu erwartenden Klimaerwärmung und eine bessere Anpassung des Menschen an eine sich ändernde Umwelt ermöglichen.


Prof. Dr. Antje Schwalb
Philip Steeb
Claudia Wrozyna
Technische Universität Braunschweig

Prof. Dr. Roland Mäusbacher
Dr. Gerhard Daut
Johannes Wallner
Friedrich-Schiller-Universität, Jena

Dr. Ernst Kroemer
Bayerisches Landesamt für Umwelt, Marktredwitz

PD Dr. Gerd Gleixner
Ines Mügler
Max-Planck-Institut für Biogeochemie, Jena

Dr. Dirk Sachse
Max-Planck-Institut für Biogeochemie, Jena
und University of Washington, Seattle

Prof. Dr. Volker Mosbrugger
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum, Frankfurt

Prof. Dr. Brigitta Schütt
Jonas Berking
Freie Universität Berlin


Die Studien im Rahmen des deutsch-chinesischen Kooperationsprojekts werden von der DFG im Normalverfahren gefördert.


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Quelle:
forschung 2/2007 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, S. 4-7
mit freundlicher Genehmigung der Autoren
Herausgeber: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
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"forschung" erscheint vierteljährlich.
Jahresbezugspreis 2007: 53,50 Euro (print),
59,50 Euro (online), 62,15 Euro für (print und online)
jeweils inklusive Versandkosten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Dezember 2007