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MELDUNG/114: 10. Jahrestag der deutsch-französischen Arktisstation auf Spitzbergen (idw)


Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, - 26.04.2013

Wissenschaftler feiern den 10. Jahrestag der deutsch-französischen Arktisstation auf Spitzbergen

Qualitätssiegel zum Jubiläum: Aufnahme in neues Klimadatennetzwerk



Bremerhaven/Ny-Ålesund, 26. April 2013. An der deutsch-französischen Arktis-Forschungsstation AWIPEV auf Spitzbergen gibt es heute gleich zweifach Grund zur Freude: Zum einen feiert die Wissenschaftsgemeinde am nördlichsten Forschungsstandort der Welt den 10. Jahrestag der Kooperation zwischen dem deutschen Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und dem französischen Institut Polaire Paul Emile Victor (IPEV). Zum anderen erhält die Station am heutigen Tag als erste meteorologische Einrichtung weltweit das Qualitätssiegel des Klimadatennetzwerkes GRUAN. Dessen Ziel ist es, Höhenprofile von Klimaparametern wie Temperatur, Luftdruck und Luftfeuchtigkeit weltweit nach einheitlichen Qualitätsstandards zu messen, um die Beobachtungen global vergleichen zu können.

Wer das Klimasystem unserer Erde verstehen will, braucht verlässliche Daten - zum Beispiel über die Temperatur, den Luftdruck und die Luftfeuchtigkeit. Verlässlich und miteinander vergleichbar sind diese Messdaten allerdings nur, wenn sie auf einheitliche Art und Weise erfasst werden. "Ein Badewannenthermometer gibt eine Temperatur natürlich deutlich ungenauer an als ein Präzisionsthermometer. Auch meteorologische Messgeräte können unterschiedliche Messgenauigkeiten haben. Deshalb ist es für Klimaforscher entscheidend, dass die Messungen an den verschiedenen Stationen weltweit vergleichbar sind. Nur so können Wissenschaftler im Anschluss verlässliche Klimatrends aus diesen Daten ablesen", sagt AWI-Meteorologin Dr. Marion Maturilli, Leiterin des meteorologischen Observatoriums an der deutsch-französischen Arktis-Forschungsstation AWIPEV in Ny-Ålesund, Spitzbergen.

Als weltweit allererste Messstation ist das meteorologische Observatorium der deutsch-französischen Arktis-Forschungsstation nach den Standards des Global Climate Observing System Reference Upper Air Network (GRUAN) zertifiziert worden - einem internationalen Klimareferenznetzwerk, initiiert von der World Meteorological Organization, der Intergovernmental Oceanographic Commission, der UNESCO, des United Nations Environment Programme und des International Council for Science.

"Für uns verändert sich mit dieser Zertifizierung vor allem die Messung selbst. Wann immer wir jetzt einen unserer Wetterballons steigen lassen, führen wir zuvor am Boden verschiedene Vergleichsmessungen mit der Radiosonde durch, die wir anschließend am Ballon befestigen. Diese Kalibrierung der Radiosonde erfolgt im Labor in einer Wolkenkammer und in einem kleinen Windkanal mit Präzisionsthermometer und -feuchtemesser. Das heißt, wir wissen ganz genau, wie und mit welcher Genauigkeit die Sensoren der Radiosonde reagieren", sagt Marion Maturilli.

Die Vergleichsdaten aus dem Labor sowie die per Funk übertragenen meteorologischen Messwerte vom eigentlichen Ballonaufstieg werden anschließend an das GRUAN-Lead Center am Meteorologischen Observatorium Lindenberg des Deutschen Wetterdienst übertragen. "Die Kollegen dort werten die Messungen aus und nehmen jene Korrekturen vor, die sich aus den Vergleichsmessungen ergeben haben", erklärt die Meteorologin.

Die offizielle Übergabe des GRUAN-Zertifikates durch Dr. Holger Vömel, Leiter des GRUAN Lead Centers, wird heute den Höhepunkt der Feierlichkeiten zum zehnjährigen Jahrestag der deutsch-französischen Forschungskooperation in Ny-Ålesund bilden. Im Jahr 2003 hatten der damalige AWI-Direktor Prof. Dr. Jörn Thiede und IPEV-Leiter Dr. Gerard Jugie beschlossen, ein Signal für eine gemeinsame europäische Polarforschung zu geben. Sie wollten Zusammenarbeit nicht mehr länger nur predigen, sondern setzten sie durch die Fusion der deutschen und französischen Forschungsstation zur AWIPEV-Station in die Realität um.

Eine Initiative, die sich in der Praxis bestens bewährt hat: "Die Zusammenarbeit mit den französischen Kollegen und Kolleginnen klappt hervorragend. Der beste Beleg dafür ist unser gemeinsames Überwinterungsteam, das wir seit fünf Jahren zusammenstellen und gemeinsam ausbilden. Vor Ort stellt sich dann gar nicht mehr die Frage, wer aus Deutschland kommt und wer aus Frankreich", sagt AWI-Stationskoordinator Dr. Roland Neuber.

AWIPEV ist bis heute die größte Forschungsstation in Ny-Ålesund. Pro Jahr beherbergt sie etwa 130 bis 150 Wissenschaftler aus Deutschland und Frankreich. "Noch leben und arbeiten diese Kollegen und Kolleginnen in sechs verschiedenen Gebäuden über ganz Ny-Ålesund verteilt. Wir wünschen uns deshalb einen Stationsneubau und entwerfen gerade mit einer Seminargruppe der Bremer 'School of Architecture' Pläne für ein solches gemeinsames Gebäude", erzählt Roland Neuber.

Welcher Entwurf am Ende umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Fest steht, dass das Interesse der Wissenschaft an der nördlichsten Forschungsstation der Welt wächst. "Seitdem wir auch unser neues Unterwasserobservatorium zum Einsatz gebracht haben, bekommen wir vermehrt Kooperationsanfragen von Forschern anderer Nationen. Denn Themen wie Ozeanversauerung oder die Frage nach den physikalischen Veränderungen des Ozeans im Zuge des Klimawandels sind hochaktuell und lassen sich hier im Kongsfjord bestens untersuchen", sagt Roland Neuber.

Schlagzeilen macht die AWIPEV-Station aber auch mit ihrer Atmosphärenforschung. So hatten AWI-Wissenschaftler aus Potsdam zum Beispiel im Frühjahr des Jahres 2011 mit ihren Untersuchungen in Ny-Ålesund dazu beigetragen, das erste Ozonloch über der Arktis zu erfassen.

Einen Wetterballon mit einer Ozonsonde im Schlepptau schickt das Team um AWI-Meteorologin Marion Maturilli einmal wöchentlich in den arktischen Himmel. Auch deren Daten werden bald in das GRUAN-Datennetzwerk eingespeist.

"Langfristig verfolgen wir mit unseren nun zertifizierten Messungen drei Ziele. Sie sollen helfen, Klimatrends besser nachzuweisen, dienen als Vergleichsgröße für Satellitenmessungen und fließen in wissenschaftliche Studien atmosphärischer Prozesse ein", sagt die Observatoriumsleiterin. Und weil sie und ihre Kollegen auf diese Arbeit auch ziemlich stolz sind, freuen sie sich besonders, dass die GRUAN-Zertifizierung zum 10. AWIPEV-Jubiläum erfolgt und damit der gemeinsamen Station heute ein weiteres Aushängeschild verliehen wird.


Glossar:

Radiosonde
Eine Radiosonde ist ein etwa 200 Gramm schweres Instrument mit Sensoren zur Messung der meteorologischen Größen Luftdruck, Temperatur, und Feuchte. Ihre Position wird über GPS bestimmt, und daraus auch die Daten für Windrichtung und -geschwindigkeit ermittelt. Die Radiosonde wird an einem mit Helium gefüllten Ballon gestartet und gelangt mit einer Steiggeschwindigkeit von fünf Meter pro Sekunde in eine Höhe von etwa 30 Kilometer. Auf ihrem Weg durch die Atmosphäre funkt sie jede Sekunde die Messwerte an die Bodenstation, sodass sich vertikale Profile der Messgrößen ergeben. Für den Aufstieg in diese Höhe benötigt sie etwa 90 Minuten. An der AWIPEV-Station in Ny-Ålesund starten Mitglieder des Stationsteams täglich eine solche Radiosonde.

GRUAN
Die Abkürzung GRUAN steht für Global Climate Observing System Reference Upper Air Network, einem internationalen Klimareferenznetzwerk, das ins Leben gerufen wurde von der World Meteorological Organization (WMO), der Intergovernmental Oceanographic Commission (IOC) der UNESCO, des United Nations Environment Programme (UNEP) und des International Council for Science (ICSU). Sein Ziel lautet, hochgenaue Langzeitdaten über die physikalischen Merkmale der Atmosphäre zu sammeln, sodass mit ihrer Hilfe aussagekräftige Atmosphären-Höhenprofile erstellt werden können. Das GRUAN-Lead Center hat seinen Sitz am Meteorologischen Observatorium Lindenberg des Deutschen Wetterdienstes. Seine Mitarbeiter koordinieren die Messstandards, bilden Wissenschaftler und Ingenieure wie beispielsweise das AWIPEV-Überwinterungsteam aus, verarbeiten die einlaufenden Daten, kontrollieren ständig deren Qualität und stellen diese der Wissenschaft zur Verfügung.

Mehr Informationen zur AWIPEV-Station finden Sie auf der englisch-sprachigen Stationswebseite:
www.awipev.eu

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Das Alfred-Wegener-Institut forscht in der Arktis, Antarktis und den Ozeanen der mittleren und hohen Breiten. Es koordiniert die Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen in der Arktis und Antarktis für die internationale Wissenschaft zur Verfügung. Das Alfred-Wegener-Institut ist eines der 18 Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands.

Weitere Informationen unter:
http://www.awi.de/de/infrastruktur/stationen/

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution188

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung,
Ralf Röchert, 26.04.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2013