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FRAGEN AN DIE NEBELKAMMER/002: Higgs - Wer hat's erfunden? (SB)


Wer hat's erfunden?

oder

Inszenierung einer Unglaublichkeit


Mit Bias, schräger Schnitt, bezeichnen Wissenschaftler die kühne Linienführung bei der Interpretation von Experimenten, mit der, gelenkt durch die eigene Voreingenommenheit, Neigung bzw. gespannter Erwartung, das Ergebnis eines Versuchs in gewünschter Form herbeiinterpretiert wird.

Tatsächlich gilt es in Fachkreisen nicht unbedingt als unwissenschaftlich, im lauteren Bemühen, die eigene These zu belegen, durch ein Diagramm von Meßwerten eine passende Gerade oder eine Kurve zu legen, wenn dadurch am Ende eine mathematische Gleichung oder Funktion aufgeht. Selbst wenn von 10 Meßwerten vielleicht nur drei in der Nähe der gezogenen Linie oder auf ihr liegen, überzeugt allein die Ästhethik der geometrischen und symmetrischen Form und bestätigt den Forschern wissenschaftliche Genauigkeit, selbst wenn das, was sich als Datenpunkt nicht in die Gleichung oder die mathematische Funktion fügen läßt, gewissermaßen als Meßfehler verworfen oder mittels mathematischen Feingefühls weginterpetiert wurde. Das nennt man auch Engagement in eigener Sache...

Daß die Wissenschaftler sich dieses Selbstbetrugs durchaus bewußt sind, zeigt nicht nur der Name, Bias, dem sie ihm gegeben haben, sondern auch ein gängiger Witz in Forscherkreisen: Danach wollen Physiker bewiesen haben, daß jede ungerade Zahl eine Primzahl ist. Bei "eins" ist die Meßung wohl noch nicht richtig angelaufen, durch "drei", "fünf" und "sieben" kann die Gerade gelegt werden, "neun" fällt raus (Meßfehler?), "elf" und "dreizehn" stimmen wieder, damit hat man fünf (von sieben) Belege für die Theorie - und der Rest wird extrapoliert.

Genaugenommen ist das kein Scherz. Bei näherer Betrachtung wird in den kleineren Labors wie in großen Forschungsanlagen exakt auf diese Weise gearbeitet. Und so muß man sich angesichts der aufwendig gewonnenen Meßergebnisse, die beispielsweise das CERN nun bald ausspucken soll, doch fragen, was von den Milliarden zu erwartender Ereignisse, die verworfen oder "biaisiert" werden sollen, noch als objektive wissenschaftliche Aussage zu werten ist?

Nehmen wir einmal das Higgs-Teilchen, dessen Erscheinen nach Beheben aller technischen Pannen mit einer mindestens sechsmonatigen Verzögerung schon Tausende von ergebnisorientierten, zum "Bias" bereiten Forschern sehnsüchtig erwarten...

Nachdem man es weder am alten CERN noch am Fermilab in Illinois erzeugen konnte (wo man auch schon ganz, ganz viele davon herstellen wollte), soll die nobelpreissichere Darstellung des Higgs nun möglichst nicht mehr herausgezögert werden, da sind sich schon mal alle einig.

Denn wenn es diesmal nicht gelingt, dann kann man wohl die sauber ineinandergefügten Hypothesen und Theorien des Standardmodells der Teilchenphysik in den Schweizer Bergwind schreiben. Dabei handelt es sich nicht allein um das Modell, in dem die ganzen gesammelten Hypothesen der teilchenphysikalischen Forschung aus den letzten Jahrzehnten zusammenfließen sollen und als dessen letztbegründender Nachweis eben das besagte Higgsteilchen verstanden wird, sondern die mißglückte Konsolidierung des Standardmodells würde auch weitere Ambitionen der Elementarteilchentheoretiker begraben, nämlich die zunehmende Vereinheitlichung quantenfeldtheoretischer und relativitätstheoretischer Überlegungen in den sogenannten Großen Vereintheitlichenden Theorien oder angelsächsisch kurz: GUT (Grand Unification Theories). Und das darf nicht geschehen...

Noch einmal kurz und auch gut:

Die Mehrzahl der Physiker geht davon aus, dass der LHC das Higgs- Teilchen findet; der dahinter liegende Mechanismus spielt mittlerweile in so vielen Zusammenhängen eine Rolle, dass er schon fast als indirekt bewiesen gilt. Nur der Astrophysiker Stephen Hawking hat 100 Pfund darauf gewettet, dass das Higgs-Teilchen nie gefunden werde. Sollte er recht behalten, wäre die Frage, wie die subatomaren Bausteine unserer Welt zu ihrer Masse kommen, wieder völlig offen. (DIE ZEIT, 4. September 2008)

Wenn das Standard-Modell stimmt und es irgendeine Art von Higgs- Feld gibt, dann müßten sie es am LHC eigentlich sehen, sagt Harald Fritzsch [Elementarteilchenphysiker an der Universität München]. "Und wenn sie es nicht sehen, dann ist da was faul."
(Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 3. April 2005, Nr. 31 / Seite 71)

Solch ein weltweites Hoffen und Sehnen darf nicht unerfüllt bleiben...

Da stellen wir uns einmal ganz dumm und fragen uns, wie es denn überhaupt zu dieser enormen Erwartungshaltung kommen konnte. Denn darüber, daß es sich um ein bisher rein hypothetisches Teilchen handelt, kann sich niemand etwas vormachen. Dazu liegen die noch immer nicht wissenschaftlich bestätigten Überlegungen von Peter Higgs und Kollegen nicht lange genug zurück.

Allerdings wäre dieses brandneue Teilchen durchaus in guter Gesellschaft: Schließlich haben auch Elektron und Photon ihre Karrieren als rein hypothetische Charaktere gestartet, die für die symmetrische Auflösung von Gleichungen nötig wurden, und entsprechend flüchtig sind auch ihre biasverdächtigen Nachweise. Das hindert aber heutzutage kaum noch jemanden daran, mit Photonen und Elektronen zu rechnen...

Beim Higgsteilchen - und das kann man nun ganz genau nachlesen - fängt der Bias (hier nennt man es Kunstgriff) eigentlich schon bei seiner Hypothese an. Denn die Masse der Teilchen paßt offenbar per se nicht in die harmonische Formellandschaft, die man für das Standardmodell kreiert hatte. Es wurde richtiggehend aus den mathematischen Gleichungen als unbekömmlich oder unverdaubar ausgespuckt, wie man einem Interview des Drillingsraums (Webseite im Internet) mit dem CERN- Physiker Dr. Matthias Schott entnehmen kann:

Drillingsraum: Wie kam man überhaupt darauf, ein HIGGS-Teilchen zu postulieren?

Dr. Matthias Schott: Dummerweise muss man auch für diese Frage recht weit ausholen: Die ganze (oder zumindest ein sehr großer Teil der) Physik, die wir kennen, basiert auf irgendwelchen Symmetrien: So folgt zum Beispiel die Impulserhaltung aus der Tatsache, dass es egal ist an welchem Ort im Raum ich ein gewisses Experiment durchführe. Nun, das Standardmodell basiert auch auf Symmetrien, die man Eichsymmetrien nennt. Wenn man nun den Teilchen des Standardmodells eine Masse geben will, schreibt man naiverweise einfach die Masse der Teilchen dazu, also ähnlich wie bei F = m * a.

Das Problem ist aber, dass dieses Hinzuschreiben die Struktur der Gleichungen so ändert, dass sie eben nicht mehr Eichsymmetrisch sind. Damit verliert die gesamte Theorie in gewisser Weise ihre Grundlage und man kann die Theorie nicht mehr nutzen um Vorhersagen zu treffen. Also brauchte man eine andere Methode um den Teilchen im Standardmodell Masse zu geben, und da kam Peter Higgs eben auf die Lösung mit dem Higgs-Feld. Ich weiß, das Ganze ist ziemlich abstrakt, aber Teilchenphysik ist eben abstrakt.
(Dimension hoch 3, Was ist das CERN? - Interview mit CERN-Physiker Dr. Matthias Schott, Teil 2: Über das HIGGS-Teilchen und den HIGGS- Mechanismus)

So weit so schlecht. Mit anderen Worten, es wird durch dieses u.a. von Higgs postulierte Teilchen eine Lücke in der Theorie des Standardmodells geschlossen, die zuvor absichtlich offen gelassen wurde, damit es überhaupt als Modell nutzbar ist. Aber auch diese "Wegdefinition" der Teilchenmassen wurde eigentlich schon lange vor Peter Higgs festgelegt.

Wer hat's erfunden?

Bei genauerer Betrachtung stammt diese Idee nämlich nicht von Higgs selbst, sondern ergab sich bei dem Entwurf des Standardmodells bzw. aus dem steten Ehrgeiz der Teilchentheoretiker, die Fundamentalkräfte (die elektromagnetische und die schwache Kraft, die Kernkraft und die Gravitation) zu immer größeren Symmetrien zu vereinheitlichen.

Paradoxerweise mußten manche der sogenannten Austauschteilchen, mit denen z.B. die elektroschwache Wechselwirkung der schwachen Kraft über kurze Distanzen im Standardmodell erklärt werden sollte, extrem große Massen haben - etwa das 80- bis 90fache eines Protons, andere Teilchen sollten dagegen tatsächlich fast masselos bleiben...

Da kam der amerikanische Nobelpreisträger Richard Feynman auf den genialen, beinahe "biasischen" Kniff, eine Teilchenart zu erfinden, die sich per Definition gar nicht nachweisen läßt:

Auf der Suche nach einer vereinigenden mathematischen Symmetrie für diese ungleichen Partner bissen sich die Theoretiker an physikalisch sinnlosen, unendlichen Wahrscheinlichkeiten eine Zeit lang die Zähne aus. Als Pragmatiker schlug der berühmte amerikanische Nobelpreisträger Richard Feynman 1963 schließlich vor, einfach die Existenz eines "Geist"-Teilchens anzunehmen, dessen Existenz-Wahrscheinlichkeit zum Ausgleich bei Null läge - ein scheinbar rein formaler mathematischer Kniff, um das Modell zu retten.
(mundo - Das Magazin der Universität Dortmund, Nr. 7/07)

Ausgerechnet diese Idee legte Feynmans britischer Kollege Peter Higgs seinen Hypothesen zugrunde, als er zunächst, wie er gegenüber Kollegen zugab, "etwas völlig Unnützes" entdeckt zu haben glaubte. Und damit hatte er recht, denn was ist wohl weniger zu gebrauchen und somit unnützer als eine ohnehin postulierte und mit quasi null Wahrscheinlichkeit aufzufüllende Lücke noch einmal zu erfinden und zu füllen?

Auf einmal versteht man auch, warum das Higgs-Teilchen, das vom Geistteilchen inzwischen zum Gottesteilchen avancierte, weil es nicht nur allen 12 elementaren Bausteinen, den sechs Quarks und sechs Leptonen, sondern dazu auch noch den dazugehörenden Antiteilchen, also eigentlich insgesamt 24 Bausteinen, ihre Masse verleihen soll, bisher in keinem Experiment gefunden werden konnte.

War nun eigentlich Feynman der Schöpfer des Higgs-Konzepts?

Peter Higgs räumt durchaus ein, bei seiner physikalischen Pioniertat von anderen Forschern inspiriert worden zu sein. Er gibt allerdings einen anderen Vater seiner Gedanken an, den Japaner Yoichiro Nambu. In der Sendung "Forschung aktuell" des Deutschlandfunks erzählte er selbst von seiner Idee:

Es geht zurück auf das Jahr 1960. Damals stieß ich auf die Arbeiten des Japaners Yoichiro Nambu. Nambu wollte eine neue Theorie über Elementarteilchen aufstellen - eine Theorie inspiriert durch die Theorie der Supraleitung, bei der Strom völlig verlustfrei durch ein Metall fließen kann. Das Problem: Nambu musste bei seiner Theorie von der Existenz bestimmter masseloser Teilchen ausgehen. Doch solche Teilchen gab es offenbar nicht, sonst hätte man sie damals längst entdeckt. Also suchte ich nach einem Trick, wie man diesen masselosen Teilchen irgendwie Masse verleihen konnte.

Jahrelang blieb das Problem ungelöst, erzählt Peter Higgs. Dann endlich stieß er auf die Lösung.

Ich schrieb einen kurzen Fachartikel, der einen Ausweg aus dem Problem skizzierte. Und zwar musste man das Problem innerhalb bestimmter Theorien angehen, sog. Eich-Theorien. Dann ging ich einen Schritt weiter und verband die Eich-Theorien mit der Theorie der Supraleitung. Dabei kam ein neues Teilchen heraus, das zwar den Photonen ähnelt, also den Lichtteilchen, das aber dennoch Masse besitzt. Und das war es - das war die Lösung!
(Deutschlandfunk, 10. September 2008)

Und dieses aus den Eich-Theorien entsprungene Teilchen hat eine nicht ganz zufällige Ähnlichkeit mit dem zuvor von Feynman postulierten Geist-Partikel, dessen nicht vorhandene Existenz-Wahrscheinlichkeit oder auch Nichtexistenz in den Gleichungen festgelegt wurde.

Sollte man es jetzt doch irgendwie herstellen können, wird sein Namensgeber, Peter Higgs, dafür wohl den Nobelpreis bekommen - obwohl er in Fachkreisen nur als recht mittelmäßiger Physiker gilt und auch in diesem Fall nicht gerade viel zu Papier brachte:

Anderthalb Seiten lang war der Fachartikel, den Peter Higgs 1964 beim Fachblatt "Physical Review Letters" einreichte. Ganze vier Gleichungen fanden sich in dem Text, in dem Higgs einen mathematischen Kniff beschrieb, der Teilchen Masse verlieh - ein bis dahin in der Theorie ungelöstes Problem. Der schottische Physiker, in Wissenschaftlerkreisen ein unbeschriebenes Blatt, hatte die damals schon als etwas verstaubt geltende Quantenfeldtheorie für Elementarteilchen weiterentwickelt.
(Spiegel Online, Wissenschaft, 7. September 2008)

Auch die Gutachter des renommierten Fachblatts sollen zunächst sehr wenig von der Idee gehalten haben. Im ersten Anlauf wurde der Artikel sogar abgelehnt. "Die fanden, das habe nichts mit Physik zu tun", sagte Higgs im Jahr 2000 im Gespräch mit dem SPIEGEL. Vielleicht hätte man bei den nüchternen Tatsachen bleiben und die Theorie erneut hinterfragen sollen, doch mit Träumen läßt sich auch gut Schaum schlagen...

Nach einer weiteren Fassung des Higgs-Artikels, in der er die omnipotente Bedeutung seiner Theorie beinahe populärwissenschaftlich zum Besten gab, stimmte die Zeitschrift dem Abdruck schließlich zu. Kurze Zeit später war Higgs' Theorie in aller Munde und das Higgs- Boson aus der Taufe gehoben. Viel Lärm um Higgs, könnte man auch sagen ...

Denn zunächst war das Higgs-Boson nicht einmal ein richtiges Teilchen. Um nämlich seine omnipräsente Wirkung auf alle 24 Bausteinchen des Universums zu erklären, versteht man das Higgs als ein "Massefeld", ähnlich wie ein Magnetfeld oder elektromagnetisches Feld:

Bildhaft lässt sich der Higgs-Mechanismus mit einer gut laufenden Prominenten-Party vergleichen, auf der es nur so von Gästen (dem Higgs-Feld) wimmelt. Wenn dort ein Prominenter auftaucht (Teilchen, das massiv werden soll), so zieht er die Aufmerksamkeit der Gäste auf sich: Es bilden sich Knubbel im Higgsfeld, die den Prominenten langsamer werden lassen. Er wird träger, so als ob er an Masse gewönne.
(Welt der Physik, 14. Januar 2004, Die Suche nach dem Higgs von Dirk Rathje)

Um aus dem Feld ein Teilchen werden zu lassen, hilft ein weiterer mathemathischer Kniff oder Bias: Denn nach den Gesetzen der Quantentheorie gehören zu Quantenfeldern entsprechende Quanten. Das hat zum einen etwas mit der Heisenbergschen Unschärferelation zu tun, die man zum anderen dazu nutzt, da wo die eine Theorie nicht hinlangt, auf eine andere (das Teilchenmodell) auszuweichen. Doch ich erspare hier dem werten Leser weitere Details...

Nach dieser Theorie gehören zum elektromagnetischen Feld die Photonen, zum starken Kraftfeld die Gluonen, und so sollte es eben auch zum Higgs-Feld dann endlich die so genannten Higgs-Teilchen geben. Das ist nur recht und billig...

Angesichts der dicken hypothetischen Knubbel auf einer Prominentenparty und der unvermeintlichen Abhängigkeit der Masse von der Dichte des Feldes fragt man sich doch, warum sich nun aber der Nachweis des immer noch hypothetischen Higgsteilchens bisher so schwierig gestaltet?

Auch im CERN wird bestenfalls ein Higgs auf 100.000.000.000 uninteressante Kollisionen erwartet..., und doch kommt offenbar gar niemand auf die Idee, daß die auf Feynmans Geistteilchen zurückzuführende Ausgeburt Higgs'scher Phantasie möglicherweise einfach gar nicht herzustellen ist?

"Wir müssen irgendetwas finden!"

Wissenschaftler sind sich sicher, dass sie mit den gewaltigen Kollisionen am LHC in Sachen Higgs-Feld weiterkommen. "Wir müssen irgendetwas finden", sagt Wolfgang Mader von der TU Dresden, der eine Detektorkomponente am "Atlas"-Experiment betreut und schon seit Monaten am LHC in Genf arbeitet. Das Standardmodell der Teilchenphysik sei bei Energien, die man bisher bei Experimenten erreicht habe, gültig.
(SPIEGEL ONLINE Wissenschaft 7. September 08, SUPERBESCHLEUNIGER LHC - Die Jagd nach dem Gottesteilchen beginnt)

Die Frage ist nur, wie?

Über weitere simulationstechnische oder andere mathematische oder physikalische Kniffe einem per se unwahrscheinlichen Gottes-Teilchen doch noch irgendwie zur Existenz zu verhelfen und über seine erste Begegnung mit ATLAS, dem Gott des Nachweises, lesen Sie in der nächsten Folge ...

22. Oktober 2008