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GESCHICHTE/022: Barkhausensche Röhrengleichung (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 17 vom 30. Oktober 2007

Fundamental: Barkhausensche Röhrengleichung
Wissenschaftler als Namensgeber in der Geschichte der TU Dresden (9)

Von Dr.-Ing. Rolf Dietzel


Heinrich Barkhausen wurde 1881 in Bremen geboren, besuchte dort das Gymnasium und studierte anschließend Technische Physik an der TH München, dann in Berlin und ab 1903 an der Universität Göttingen, "bei der auf angewandte Wissenschaften und technischen Geist besonderer Wert gelegt wurde." Seine Doktorarbeit von 1906 über "Das Problem der Schwingungserzeugung - mit besonderer Berücksichtigung schneller elektrischer Schwingungen" ist "eigentlich der Angelpunkt meiner ganzen späteren wissenschaftlichen Tätigkeit geworden". Er war danach vier Jahre bei Siemens & Halske in Berlin tätig und habilitierte sich 1910 an der TH Berlin-Charlottenburg.

1911 berief ihn die Technische Hochschule Dresden als Professor und übertrug ihm die Gründung des Instituts für Schwachstromtechnik - heute entspricht dies dem Begriff Informationstechnik.

Während des Ersten Weltkriegs war H. Barkhausen zunächst als Soldat in Flandern und ab 1915 in Kiel bei der Torpedo-Inspektion der Reichs-Marine. Mit systematischen Untersuchungen der Wirkungsweise von Elektronenröhren betrat er jenes Forschungsgebiet, das prägend für sein Lebenswerk wurde. Ab 1923 entstand seine vierbändige Monographie "Lehrbuch der Elektronenröhren und ihrer technischen Anwendungen", die in zahlreichen, ständig verbesserten Auflagen erschien und ins Russische, Japanische, Französische und Bulgarische übersetzt wurde.

H. Barkhausen hat auch wesentliche Beiträge zur Schaltungstheorie, Akustik und Schwingungslehre geleistet. Er fand hohe Anerkennung in In- und Ausland. Er starb 1956 in Dresden.

Während seiner Tätigkeit bei der Torpedo-Inspektion in Kiel untersuchte H. Barkhausen systematisch die Wirkungsweise der wenige Jahre zuvor erfundenen Elektronenröhren.

Elektronenröhren, die zur Verstärkung oder Schwingungserzeugung dienen, enthalten im einfachsten Fall drei Elektroden. Sie heißen Trioden.

Im Vakuum eines kleinen Glaskolbens befindet sich die glühende Katode, aus der freie, negativ geladene Elektronen austreten und eine Raumladungswolke erzeugen. In geringer Entfernung von der Katode ist die Anode angeordnet. Nach Anlegen einer hohen positiven Spannung an die Anode entsteht zwischen beiden ein elektrisches Feld, in dem die freien Elektronen zur Anode hin beschleunigt werden und von dort als Anodenstrom abfließen.

Zwischen Katode und Anode ist als dritte Elektrode ein Gitter angebracht. Solange das Gitter elektrisch neutral ist, können die Elektronen fast ungehindert hindurchfliegen. Sobald an das Gitter eine kleine negative Spannung angelegt wird, kehren die vom Gitter abgestoßenen Elektronen zur Katode zurück. Dadurch verringert sich der Anodenstrom.

Kleine Änderungen der Gitterspannung am Eingang der Schaltung erzeugen erhebliche Anodenstrom-Änderungen am Ausgang. Darauf beruht die Steuerwirkung der Elektronenröhre. Sie ist als Verstärker geeignet und lässt sich als elektrischer Vierpol beschreiben.

In Experimenten ermittelt man die Abhängigkeit des Anodenstroms von der Anodenspannung und von der Gitterspannung. Die Ergebnisse lassen sich in Kennlinienfeldern sehr übersichtlich darstellen. Innerhalb bestimmter Grenzen lassen sich die Kennlinien annähernd als Geraden betrachten.

Barkhausen hat drei Röhren-Kennwerte definiert und benannt, die mit einfachen Messvorschriften aus den Kennlinienfeldern ermittelt werden:

Die Steilheit S ist der Quotient aus Anodenstrom-Änderung und Gitterspannungs-Änderung bei konstant gehaltener Anodenspannung. S beschreibt die erzielbare Verstärkung.

In vergleichbarer Weise definierte und ermittelte Barkhausen den Durchgriff D und den inneren Widerstand Ri.

Diese Kennwerte S, D und Ri beschreiben vollständig das Übertragungsverhalten der Röhre. Das Produkt aus S, D und Ri ergibt 1. Diese fundamentale Beziehung heißt Barkhausensche Röhrengleichung. Sie ist an keine physikalischen Voraussetzungen gebunden und gilt ganz allgemein.

Mit ihr ging selbstverständlich jeder um, der mit solchen Röhren arbeitete. Das waren etwa 50 Jahre lang Ingenieure, die das Bauelement Elektronenröhre zur Erzeugung, Verstärkung und Modulation elektrischer Schwingungen einsetzten sowie als nahezu trägheitslos und leistungsarm arbeitenden Schalter in Logikbausteinen für die Rechentechnik benutzten. Die ersten Computer hießen noch Elektronenrechner.

Während seiner Untersuchungen benutzte Barkhausen zur Messung der Güte des Hochvakuums im Röhren-Inneren eine ungewöhnliche Schaltungsanordnung: An das Gitter legte er eine ziemlich hohe positive Spannung (z.B. 200 V) und an die Anode eine schwach negative Spannung (z.B. -20 V). Damit wollte er erreichen, dass alle aus der Katode austretenden Elektronen zum Gitter fliegen und - bei ausreichendem Vakuum - die Anode stromlos bleibt. Ist das Vakuum ungenügend, stoßen die Elektronen mit den im Röhreninneren verbliebenen Gasmolekülen zusammen. Es entstehen positiv geladene Ionen, die zur Anode fliegen und einen messbaren, aber negativ gerichteten Anodenstrom erzeugen.

Bei derartigen Messungen, die Barkhausen gemeinsam mit Karl Kurz 1917 in Kiel durchführte, trat plötzlich und unerwartet ein kräftiger, entgegengesetzt gerichteter, also positiver Anodenstrom auf. Nach intensiven weiteren Versuchen gelang ihnen der Nachweis, dass im Röhreninneren elektrische Schwingungen mit sehr hoher Frequenz auftraten. Was passierte da?

Die Elektronen fliegen zum positiven Gitter. Nur, ein kleiner Teil trifft darauf, der größere Teil fliegt durch das Gitter hindurch, wird vor der negativen Anode abgebremst, kehrt um in Richtung Gitter, fliegt erneut hindurch und ändert vor der Katode wieder seine Flugrichtung. Die Elektronen pendeln mehrmals um das Gitter hin und her.

Durch komplizierte Vorgänge kommt eine geordnete, phasenrichtig sortierte Pendelschwingung der Elektronen um das Gitter herum zustande. Sie ist als Wechselstrom nachweisbar. Diese Schwingungen heißen Barkhausen-Kurz-Schwingungen. Ihre Frequenz hängt nur von den Elektronen-Laufzeiten zwischen Katode und Gitter bzw. Gitter und Anode ab, ohne dass ein äußeres Resonanzsystem dabei mitwirkt. Die Trägheit der Elektronen ist also ausschlaggebend für die Schwingungserzeugung.

Barkhausen und Kurz erzeugten mit einer solchen Röhre und einem angekoppelten Wellenleiter (zwei parallele Drahtstücke bestimmter Länge) elektromagnetische Wellen mit 0,5 m Wellenlänge. Sie bauten als erste Anwendung eine drahtlose Telefonie-Verbindung über mehrere hundert Meter auf.

Barkhausen hat die Theorie dieser laufzeitbedingten Pendelschwingungen zu einer Zeit (1917) ausgearbeitet, als nur wenige Physiker etwas von Elektronen-Geschwindigkeiten und -Laufzeiten in einer Raumladungsröhre wussten, Darin besteht seine überragende wissenschaftliche Leistung.


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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 18. Jg., Nr. 17 vom 30.10.2007, S. 8
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. November 2007