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THEORIE/041: Auf dem Weg zur Quantengravitation (Spektrum der Wissenschaft)


Spektrum der Wissenschaft 4/12 - April 2012

Auf dem Weg zur Quantengravitation

Von Claus Kiefer



Sie ist die letzte große Lücke im Gebäude der Physik: eine Theorie, welche die Quantenphysik mit Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie vereint. Doch es gibt verschiedene Ansätze, wie das Problem gelöst werden könnte.


AUF EINEN BLICK

Schwierige Suche

1. Seit Jahrzehnten versuchen theoretische Physiker, Einsteins allgemeine Relativitätstheorie mit der Quantentheorie zu verknüpfen - bisher nur mit mäßigem Erfolg.

2. Es gibt mehrere Kandidaten für eine Lösung: Zu den direkten Quantenversionen von Einsteins Theorie zählen Quantengeometrodynamik, Schleifentheorie, dynamische Triangulation sowie asymptotische Sicherheit. Die Stringtheorie versucht, sämtliche Wechselwirkungen in einer Theorie zu vereinen.

3. Eine experimentelle Prüfung der bisherigen Theorien scheint zwar in weiter Ferne zu liegen. Doch erwarten Physiker Aufschluss aus Beobachtungen der kosmischen Hintergrundstrahlung etwa vom Satelliten Planck.

Im Januar 1957 trafen sich Forscher an der University of North Carolina in Chapel Hill zu einer aufregenden Konferenz. Fast alle bedeutenden Gravitationsphysiker jener Zeit hatten sich versammelt, um eine Bestandsaufnahme ihres Fachgebiets zu versuchen. Die eine Hälfte der Tagung befasste sich mit Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie. Das ist die moderne Theorie der Gravitation, in der diese Wechselwirkung nicht mehr als Fernwirkungskraft zwischen Objekten mit Masse, sondern als Geometrie von Raum und Zeit gedeutet wird. Die Relativitätstheorie beschreibt alle mit der Schwerkraft verknüpften makroskopischen Erscheinungen: von unserer direkten Umgebung über Sonnensystem, Sterne und Galaxien bis hin zum Universum als Ganzem.

Die zweite Hälfte der Tagung befasste sich mit Verallgemeinerungen von Einsteins Theoriegebäude unter Einbeziehen der Quantentheorie. Eine solche erweiterte Theorie versehen Fachleute mit dem Etikett Quantengravitation. In gewissem Sinn vereint sie Mikro- und Makrokosmos, da die Quantentheorie hauptsächlich für die Beschreibung von Molekülen, Atomen und Elementarteilchen zuständig ist und die Gravitation für das Große und Ganze, etwa die gegenseitige Anziehung ganzer Galaxien. Doch trotz intensiver, jahrzehntelanger Bemühungen konnte bis heute noch keine allgemein anerkannte Theorie der Quantengravitation entwickelt werden. Allerdings existiert dafür eine Reihe mehr oder weniger aussichtsreicher Kandidaten, von denen ich die wichtigsten im Folgenden vorstellen werde.

Warum sollten wir uns überhaupt mit Quantengravitation befassen? Den vielleicht wichtigsten Grund erläuterte Richard Feynman (1918-1988) auf der Chapel-Hill-Konferenz. Der US-amerikanische Physiker benutzte dazu ein Gedankenexperiment in Anlehnung an den berühmten Stern-Gerlach-Versuch in der experimentellen Atomphysik (siehe Grafik). In diesem erstmals 1922 von Otto Stern und Walther Gerlach durchgeführten Versuch werden Elektronen durch ein Magnetfeld geschickt. Elektronen besitzen einen inneren Drehimpuls, den man Spin nennt und der in ihrem Fall lediglich die Werte +½ oder - ½ in Bezug auf die Richtung des Magnetfelds annehmen kann. Je nach Orientierung des Elektronenspins werden die Teilchen unterschiedlich abgelenkt - etwa nach unten, wenn der Spin parallel zum Magnetfeld zeigt, oder nach oben, wenn der Spin antiparallel zum Magnetfeld orientiert ist. Dies lässt sich im Experiment durch ober- und unterhalb angebrachte Detektoren nachweisen.

Gemäß der etwas merkwürdigen Gesetze der Quantenmechanik kann sich das Elektron anders als klassische Partikel aber auch in einer Überlagerung (»Superposition«) beider Zustände befinden, also von Spin oben und Spin unten. Wie der Formalismus lehrt, entspricht das einem Zustand, in dem der Spin in eine Richtung senkrecht zum Magnetfeld weist. Feynman betrachtete nun einen solchen Überlagerungszustand: Er besteht aus einem Beitrag für den Weg nach oben sowie einem gleich großen Beitrag für den Weg nach unten.

Nun erweiterte der amerikanische Theoretiker den Stern-Gerlach-Versuch: Die beiden Detektoren werden mit einer Kugel makroskopischer Dimension verbunden. Durch einen eingebauten Mechanismus bewegt sich die Kugel im Fall des nach oben weisenden Spins nach oben sowie für den nach unten weisenden Spin nach unten. Bei einer Überlagerung von Spin oben und Spin unten würde sich demnach eine makroskopische Überlagerung ergeben, in der sich die Kugel gleichzeitig nach oben und unten bewegt - vorausgesetzt, die Quantentheorie gilt auch auf diesen Skalen. Da die Kugel stets ein Gravitationsfeld hat, erhält man also eine Überlagerung von messbar verschiedenen Gravitationsfeldern. Ein solcher Zustand, so Feynman, könne jedoch nicht mehr durch Einsteins (klassische) Relativitätstheorie beschrieben werden, sondern erfordere unweigerlich eine Quantentheorie der Gravitation.

Bei seinem Gedankenexperiment handelt es sich um eine Variation von Schrödingers Katze, die, sperrt man sie in einen Kasten, gleichzeitig tot und lebendig sein kann - in Abhängigkeit zu einem radioaktiven Teilchen, das gemäß Quantentheorie als »noch nicht zerfallen« und »bereits zerfallen« zu gelten hat, solange kein Experimentator nachschaut und misst. Feynmans Gedankenexperiment führt uns vor Augen, dass bei universeller Gültigkeit der Quantentheorie die Superposition verschiedener Gravitationsfelder unausweichlich ist. Dass man makroskopische Überlagerungen wie diese aber nicht tatsächlich beobachten kann, liegt an dem Phänomen der so genannten Dekohärenz. Es entsteht durch die unvermeidbare Wechselwirkung des Systems (etwa Schrödingers Katze) mit der Umgebung, wobei die quantenmechanischen Überlagerungen des Zustands aufgehoben werden. Aber auch die Dekohärenz beruht auf dem Superpositionsprinzip der Quantentheorie.

Natürlich erwähnte Feynman die Möglichkeit, dass die Quantentheorie auf diesen Skalen womöglich nicht mehr gültig ist und ein »Kollaps der Wellenfunktion« die Überlagerung vorher zerstört - eine Möglichkeit, die ihm offensichtlich nicht geheuer war. Physiker wie Lajos Diósi vom Forschungsinstitut für Teilchen- und Kernphysik in Budapest oder Roger Penrose von der University of Oxford versuchten solche Theorien für die Gravitation zu entwickeln, in denen die Wellenfunktion kollabiert. Die überwältigende Mehrheit der Physiker, die sich mit diesen Themen befassen, bevorzugt jedoch eine Theorie der Quantengravitation, in der das Superpositionsprinzip uneingeschränkt gilt. Das trifft auch für alle hier diskutierten Ansätze zu.

Das Problem der Quantengravitation treibt die Physiker schon seit dem Ende der 1920er Jahre um. Nachdem die Pioniere der Quantentheorie Werner Heisenberg und Wolfgang Pauli erste Schritte zu einer Quantentheorie des elektromagnetischen Felds unternommen hatten, beauftragte Pauli seinen Assistenten Léon Rosenfeld, eine solche auch für die Gravitation zu konstruieren. »Mit der Quantelung (des Gravitationsfelds) ist Rosenfeld zur Zeit hier beschäftigt. Leider sind noch mathematische Schwierigkeiten ungelöst ... Wir hoffen aber damit noch fertig zu werden«, schreibt Pauli Ende 1929 in einem Brief an seinen Kollegen Pascual Jordan, der damals gerade an die Universität Rostock berufen worden war. Fertig geworden sind die Theoretiker mit diesem Problem bis heute nicht. Warum ist Quantengravitation so schwierig?

Einstein hatte mit seiner allgemeinen Relativitätstheorie unsere Vorstellungen von Raum und Zeit grundlegend verändert. Bildeten beide seit Newton einen starren Rahmen für die Dynamik von Teilchen und Feldern, so sind sie hier in ihrer Vereinigung zur vierdimensionalen »Raumzeit« selbst Akteure im Geschehen geworden. Das neue Konstrukt beschreibt Geometrie und Gravitation gleichzeitig und ist deshalb ein eigenes dynamisches Gebilde.

Verzerrungen der Raumzeit
Eine Quantentheorie der Gravitation wäre dann konsequenterweise auch eine Quantentheorie der Raumzeit, da Gravitation und Raumzeitgeometrie in diesem Rahmen ein und dasselbe sind. Bei den Quantentheorien der anderen Wechselwirkungen (etwa des Elektromagnetismus) konnten die Forscher immer davon ausgehen, dass die Quantenfelder »auf« einer vorgegebenen Raumzeit definiert sind. Diese fungiert mit ihren festen räumlichen und zeitlichen Dimensionen quasi als fester Hintergrund, der für die Formulierung solcher Theorien sogar mathematisch zwingend erforderlich war. Im Gegensatz dazu muss aber eine Quantentheorie der Gravitation »hintergrundunabhängig« sein. Das bedeutet eine große mathematische Herausforderung, die zum Teil neue Methoden für die Entwicklung einer solchen Theorie benötigt.

In einer ersten Näherung kann man schwache Gravitationsfelder allerdings auf einem vorgegebenen Hintergrund behandeln wie die anderen Naturkräfte auch. Eine wichtige Anwendung solcher Näherungen sind die von Einsteins Theorie vorhergesagten Gravitationswellen: Verzerrungen der Raumzeit, die sich wie elektromagnetische Wellen mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Zumindest indirekt haben Astronomen ihre Existenz nachgewiesen, da sie in Doppelsternsystemen die Bahnperiode schrumpfen lassen. Ein direkter Nachweis mit Hilfe von Laserinterferometern wird zwar an mehreren Orten auf der Erde versucht beziehungsweise geplant, unter anderem am GEO600-Experiment in der Nähe von Hannover, ist aber noch nicht geglückt.

Die Quantentheorie lehrt, dass elektromagnetische Wellen auch als Teilchen betrachtet werden können, die man Photonen nennt und die einen Spin mit dem Wert 1 besitzen. Entsprechend gehören zu Gravitationswellen Teilchen mit dem Spin 2 - die so genannten Gravitonen. Solange man die Wechselwirkung der Gravitonen untereinander vernachlässigt, lässt sich eine Theorie der Quantengravitation analog zur experimentell gut bestätigten Quantenelektrodynamik formulieren: der Quantenphysik elektromagnetischer Felder. Ein Problem entsteht jedoch, wenn die Wechselwirkung der Gravitonen ins Spiel kommt. Richard Feynman hat eine allgemeine Methode entwickelt, um damit fertigzuwerden.

Während dies bei Theorien wie der Elektrodynamik gut funktioniert, stößt man bei der Gravitation allerdings auf eine zusätzliche, grundsätzliche mathematische Schwierigkeit, die man als Nichtrenormierbarkeit bezeichnet. Quantentheorien für Felder enthalten in der Regel mathematisch unendliche Größen, die also über alle Grenzen anwachsen können. Fachleute sagen dann: Sie divergieren. Die Unendlichkeiten rühren daher, dass in den Berechnungen beliebig kleine Abstände zwischen den Teilchen sowie beliebig große Impulse auftreten. Da jede physikalische Theorie aber nur endliche Größen enthalten sollte, versuchen Forscher die Unendlichkeiten durch bestimmte mathematische Tricks zu beseitigen. Wenn das klappt, nennen sie die Theorie renormierbar.

Wo die Relativitätstheorie »zusammenbricht«
Wie gehen die Experten dabei vor? Dazu muss ich etwas auf das Handwerk des Feldtheoretikers eingehen. Renormier ab re Theorien sind dadurch gekennzeichnet, dass man alle ihre Unendlichkeiten in eine endliche Zahl von experimentell zu bestimmenden Parametern stecken kann. In der Elektrodynamik sind das Ladung und Masse des Elektrons. Indem sie die Unendlichkeiten absorbieren und so aus den mathematischen Formeln entfernen, werden sie renormiert. Das klingt zwar wie Formelzauberei, klappt aber im Fall des elektromagnetischen Felds ausgezeichnet. Doch bei der Gravitation scheitert dieses Verfahren leider. Die in den Gleichungen auftretenden Unendlichkeiten sind beim Gravitationsfeld derart vielgestaltig, dass man zu deren Beseitigung ebenso unendlich viele Messparameter wie Ladung oder Masse bräuchte.

Ein mögliches Schlupfloch aus der Nichtrenormierbarkeit bietet eine neuartige Symmetrie: die Supersymmetrie, nach der am LHC des CERN in Genf gefahndet wird. Ansonsten gibt es nur die Alternative, eine Quantengravitation direkt zu konstruieren, ohne Bezug auf die divergenten Formeln in der Wechselwirkung von Gravitonen untereinander - mehr dazu unten.

Physik ist eine experimentelle Wissenschaft, und in diesem Zusammenhang fällt auf, dass es bisher noch keine eindeutigen Beobachtungen oder Experimente gibt, die zu ihrer Erklärung zwingend auch eine Theorie der Quantengravitation benötigen. Somit drängt sich die Frage auf, ob wir diese überhaupt brauchen. Reicht es vielleicht einfach aus, Einsteins Theorie in friedlicher Koexistenz mit der Quantentheorie zu betrachten? Leider geht das nicht - ein solches Zusammenleben würde irgendwann zu Widersprüchen führen. Darauf weist schon Feynmans Argument mit dem Stern-Gerlach-Experiment hin. Ein anderer Schwachpunkt ist in Forscherkreisen als das »Problem der Zeit« bekannt.

In der allgemeinen Relativitätstheorie bilden Raum und Zeit eng miteinander verknüpfte, dynamische Objekte. Die Quantenmechanik beruht dagegen auf Newtons absoluter Zeit. Selbst die modernere relativistische Quantenfeldtheorie kommt nicht ohne einen absoluten, unveränderlichen Hintergrund aus. Denn sie definiert die Felder auf dem starren Gerüst der vierdimensionalen Raumzeit der speziellen Relativitätstheorie. Da die Zeit auf fundamentalem Niveau aber nicht gleichzeitig dynamisch und absolut sein kann, können allgemeine Relativitätstheorie und Quantentheorie nicht beide exakt gültig sein. Dabei spielt es keine Rolle, dass unsere derzeitigen Beobachtungsmöglichkeiten noch nicht weit genug greifen, um den Widerspruch beider Theorien experimentell zu belegen.

Mit der Natur von Raum und Zeit verbindet sich noch ein weiteres Argument. Theoretiker haben schon vor Längerem gezeigt, dass Einsteins Theorie unweigerlich, also unter sehr allgemeinen physikalischen Umständen, die Existenz von Singularitäten voraussagt. Darunter versteht man Grenzen in der Raumzeit, hinter denen diese Theorie wegen mathematischer Divergenzen ihre Gültigkeit verliert, sozusagen zusammenbricht. In Singularitäten werden etwa die Krümmung der Raumzeit (ein Maß für die Stärke der Gravitation), die Temperatur oder die Dichte der Materie unendlich groß. Die einschlägigen mathematischen Theoreme haben Roger Penrose, Stephen Hawking von der University of Cambridge und andere in den 1960er Jahren bewiesen.

Anwenden lassen sich diese Resultate auf das Geschehen im Inneren von Schwarzen Löchern sowie auf den Anfang des Universums (und vielleicht auch auf sein Ende). Da die Theorie dort Singularitäten voraussagt, sind Einsteins Gleichungen für diese Ränder der Raumzeit nicht mehr anwendbar. Um solche bedeutsamen Situationen dennoch beschreiben zu können, benötigt man einen umfassenderen Rahmen, etwa die Quantengravitation.

Die Suche nach der Quantengravitation zählt somit zu den größten Problemen der theoretischen Physik. Erschwert wird sie durch das Fehlen eindeutiger experimenteller Hinweise. Doch auf welcher Größenordnung sollte man Effekte einer solchen Theorie überhaupt erwarten? Max Planck (1858-1947) hat 1899 die später nach ihm benannten Einheiten vorgestellt, die heute als Skala der Quantengravitation gelten. Er hat die drei wichtigsten Konstanten der Physik zu fundamentalen Einheiten einer Länge, einer Zeit und einer Masse verknüpft:

- die Planck-Länge mit rund 10-35 Meter,
- die Planck-Zeit mit etwa 10-44 Sekunden sowie
- die Planck-Masse mit zirka 10-5 Gramm, was dem 1019-Fachen der Protonmasse entspricht.

Bei den Konstanten, aus denen sich diese Planck-Einhei­ ten herleiten, handelt es sich um das für die Quantentheorie zentrale Wirkungsquantum (das Planck selbst erst ein Jahr später offiziell einführen sollte), außerdem die Lichtgeschwindigkeit und die Gravitationskonstante. Die Planck-Länge kann mit heutigen Methoden nicht direkt gemessen werden; das Gleiche gilt für die Planck-Zeit. Um ein Teilchen mit der Planck-Masse an einem herkömmlichen Beschleuniger wie dem Large Hadron Collider zu erzeugen, müsste dieser die wenig realistische Größe unserer Milchstraße haben. Die planckschen Skalen liegen also weitab jeder technischen Erreichbarkeit.

Vielleicht lässt sich die Quantengravitation aber über Umwege testen, nämlich über die Schwarzen Löcher (siehe SdW 3/2012, S. 38). Es handelt sich um Gebiete der Raumzeit, in d enen die Gravitation so stark ist, dass nichts, nicht einmal Licht, aus ihnen entweichen kann. Diese Gebiete sind von ihrem Außenbereich »kausal abgekoppelt«, sie werden damit für einen Beobachter im Außenbereich nie Teil seiner Vergangenheit, sehr wohl aber seiner Zukunft sein können: einmal im Schwarzen Loch, immer im Schwarzen Loch. Die Grenze zu ihrem Außenbereich, in dem wir uns aufhalten, nennen Fachleute den Ereignishorizont. Für das Innere wird, wie Hawking und Penrose zeigten, eine Singularität vorhergesagt, ein Bereich unendlich großer Krümmung der Geometrie.

Diese seltsamen Objekte sind, wie Stephen Hawking 1974 verkündete, nicht vollkommen schwarz, sondern geben Wärmestrahlung ab. Insbesondere werden die Gebilde durch Abstrahlung immer heißer. Daher erwartet man am Ende seiner Verdampfung eine gewaltige Explosion mit hochenergetischer Gammastrahlung. Die Details dazu liegen allerdings noch im Dunkeln, da Hawkings »halbklassische Rechnung«, also mit Quantenfeldern auf einer klassischen Raumzeit, in der Endphase eben eine Theorie der Quantengravitation benötigt. Andererseits besteht die prinzipielle Möglichkeit, das Phänomen zu beobachten: Aus kosmischer Urzeit stammende (»primordiale«) Schwarze Löcher mit einer Anfangsmasse von etwa 1015 Gramm (das entspricht der Masse eines kleinen Asteroiden) hätten gerade die passende Lebensdauer, um beim gegenwärtigen Alter des Universums zu verdampfen.

Aus der Thermodynamik wissen wir, dass mit der Temperatur eines Körpers auch eine Entropie verknüpft ist. Etwas salopp als Maß seiner Unordnung bezeichnet, entspricht die Entropie der Zahl der Mikrozustände, die mit demselben Makrozustand verbunden sind. Bei einem idealen Gas etwa wird der Makrozustand durch Druck, Volumen und Temperatur bestimmt, während der Mikrozustand durch die Zahl der Gasmoleküle (typischerweise 1023 pro Kubikzentimeter) gegeben ist. Befinden sich etwa in einem Kasten mit einer gegebenen Zahl von Gasmolekülen alle Teilchen in einer Ecke des Kastens, so liegt ein unwahrscheinlicher Zustand mit niedriger Entropie vor. Sind alle Partikel gleichmäßig über den Kasten verteilt, entspricht das einem wahrscheinlichen Zustand mit hoher Entropie.

Da Schwarze Löcher eine Temperatur haben, sollten sie auch eine Entropie haben. Thermodynamische Betrachtungen haben nahegelegt, dass dieser Wert proportional zu der Oberfläche des Ereignishorizonts wächst; Fachleute sprechen von der Bekenstein-Hawking-Entropie, benannt nach Stephen Hawking und dem israelischen Physiker Jacob Bekenstein, die diese Entropie in der ersten Hälfte der 1970er Jahre als Erste diskutierten. Doch was bedeutet sie bei so einem ungewöhnlichen Objekt? In welchem Sinn könnte ein Schwarzes Loch Mikrozustände aufweisen?

Nach einem mathematischen Theorem der Relativitätstheorie ist der Makrozustand eines Schwarzen Lochs durch maximal drei Parameter gekennzeichnet: Masse, Drehimpuls und elektrische Ladung - wobei in der Natur vorkommende Löcher vermutlich elektrisch neutral sind. Die Relativisten sprechen deshalb gerne auch von der »Haarlosigkeit« der Schwarzen Löcher (»no hair theorem«). Um die zugehörigen Mikrozustände zu kennen, bräuchten wir eine Theorie der Quantengravitation.

Reparatur einer mathematischen Problemzone
Der US-amerikanische Theoretiker John Archibald Wheeler stellte sich die unbekannten Mikrozustände eines Schwarzen Lochs so vor: Er teilte den Ereignishorizont in kleine Parzellen der Größe einer Planck-Länge im Quadrat ein und versah sie mit den Zahlen 0 und 1, also Bits (siehe Grafik S. 37). Die Entropie ist dann ein Maß für die Anzahl der Möglichkeiten, Nullen und Einsen über alle Zellen des Ereignishorizonts zu verteilen. Was sich hinter den Bits verbirgt, wusste freilich auch Wheeler noch nicht. Unterm Strich lässt sich sagen: Wegen der mikroskopischen Interpretation der Entropie Schwarzer Löcher und der möglicherweise beobachtbaren Endphase ihrer Entwicklung kommt diesen Objekten eine Schlüsselrolle bei der Suche nach der Quantengravitation zu.

Auf welche Weise versuchen Physiker nun eine Lösung zu finden? Auf Grund der mathematisch diffizilen Renormierbarkeit bereitet, wie bereits geschildert, auch eine Störungstheorie im üblichen Sinn für die Quantengravitation den Theoretikern Probleme. Welche Alternativen gibt es dazu?

Ein gewöhnliches Teilchen wird in der klassischen Mechanik durch seine Bahn beschrieben, eine Abfolge von Orten in der äußeren Zeit. In der Quantenmechanik gibt es jedoch keine solchen Bahnen mehr; das »Teilchen« wird dort mathematisch durch eine so genannte Wellenfunktion beschrieben, die den einzelnen Orten, wo es sein könnte, nur noch eine Wahrscheinlichkeitsamplitude zuordnet. Zusätzlich hängt diese Wellenfunktion von der äußeren Zeit ab, die sie von der newtonschen Mechanik geerbt hat; ihre zeitliche Entwicklung wird durch die berühmte Gleichung beschrieben, die Erwin Schrödinger 1926‍ ‍aufstellte. Der Teilchenbahn in der Mechanik entspricht in der allgemeinen Relativitätstheorie die vierdimensionale Raumzeit. Letztere kann man sich wie in einem Film als Abfolge dreidimensionaler Räume (den Verallgemeinerungen der Teilchenorte) vorstellen. Diese Auffächerung der Raumzeit in Räume ist in der Grafik links gezeigt; sie kann auf unendlich viele Weisen vollzogen werden. Im Unterschied zur Mechanik gibt es hier aber keine äußere Zeit mehr.

Wendet man den Formalismus der Quantentheorie auf Einsteins Theorie an, so verschwindet die vierdimensionale Raumzeit analog zur Teilchenbahn. Es verbleibt nur eine Wellenfunktion, die auf Basis der Menge aller möglichen dreidimensionalen Räume definiert ist. Die wichtigste Konsequenz: Da es in dieser Theorie keine äußere Zeit mehr gibt, spielt sie in der Quantengravitation auch keine Rolle - ein erstaunliches Resultat.

Der gleiche Weg, auf dem Schrödinger zu seiner Gleichung fand, führt hier zu einer Gleichung für die Quantenzustände des Gravitationsfelds. Nach wichtigen Vorarbeiten durch Paul Dirac (University of Cambridge), Peter Bergmann (Syracuse University), Asher Peres (Technion, Haifa) und andere wurde diese Gleichung 1967 von den damals an der University of Texas in Austin forschenden Physikern John Archibald Wheeler und Bryce S. DeWitt aufgestellt; man spricht deshalb von der Wheeler-DeWitt-Gleichung. Die Gleichung enthält keinen Zeitparameter mehr, sie beschreibt also nichts anderes als eine statische Wellenfunktion bezüglich der Menge aller dreidimensionalen Räume. Da die Vorgehensweise die von Einstein benutzte geometrische Beschreibung in die Quantentheorie überträgt, ist sie auch als Quantengeometrodynamik bekannt.

So paradox es klingt: Das Problem der Zeit hat sich in der Quantengravitation mit ihrem Verschwinden von selbst gelöst. Doch wie kann das sein? Schließlich scheint uns nichts selbstverständlicher als die Zeit. Die Sache verhält sich ungefähr so wie das Lesen dieses Textes. Er liegt gedruckt in zeitloser Form vor, und dennoch stellt sich bei der Lektüre die Illusion eines zeitlichen Vorgangs ein, bewirkt durch die Korrelation des Bewusstseins mit den Sätzen, die nacheinander gelesen werden. Auf ähnliche Art folgt unser üblicher Zeitbegriff aus der Wheeler-DeWitt-Gleichung. Die Schrödinger-Gleichung ergibt sich aus ihr als Näherung, jedoch korrigiert um Terme, welche Effekte der Quantengravitation beschreiben. Solche Effekte versuchen Astrophysiker zu beobachten.

Für den größten Teil der »klassischen« kosmischen Entwicklung, in der Quanteneffekte der Raumzeit kaum eine Rolle spielen, ist die Existenz der Zeit eine gute mathematische Näherung. Insofern ist auch das Standardmodell der Kosmologie in einer Theorie der Quantengravitation als Näherung enthalten. Obwohl die Quantengeometrodynamik sich auf natürliche Weise aus der Kombination von Quantenphysik und Einsteins Relativitätstheorie herleitet, gibt es mathematische Schwierigkeiten, die einem vollen Verständnis der exakten Wheeler-DeWitt-Gleichung im Weg stehen. Forscher haben deshalb nach Alternativen gesucht, welche zwar die grundlegende Struktur dieser Theorie beibehalten, aber andere Variablen benutzen. Die wichtigste Alternative ist heute als Schleifenquantengravitation bekannt (englisch: loop quantum gravity).

Wie der Raum aus Elementarschleifen entsteht
Wie der Name andeutet, spielen hier eindimensionale geschlossene Wege (Loops oder Schleifen), die innerhalb des dreidimensionalen Raums verlaufen, eine Rolle. Statt Variablen, die an jedem Punkt im Raum separat sitzen, benutzt man hier einerseits Größen, die direkt auf einer Schleife definiert sind, und andererseits Größen, die dem Fluss eines Felds durch die von der Schleife umrandete Fläche entsprechen; letztere sind analog zum Fluss des elektrischen Felds in der Elektrodynamik. Das hat den Vorteil, dass die mathematischen Schwierigkeiten, die mit einzelnen Raumpunkten verknüpft sind, hier vermieden werden. Statt ausdehnungsloser Punkte legt man der Theorie jetzt eindimensionale Schleifen und zweidimensionale Flächen zu Grunde. Die neuen Variablen heißen entsprechend »Schleifenvariablen«.

Tatsächlich geht die Vorstellung aber über das Bild von Schleifen in einem vorgegebenen dreidimensionalen Raum weit hinaus. Vielmehr soll - und das ist das Revolutionäre an dem Konzept - der Raum selbst erst aus diesen Strukturen entstehen. Es gibt eben keinen Hintergrund mehr, der als fester Raumzeit-Rahmen für die physikalischen Felder dienen könnte. Es geht darum, den Raum aus einzelnen, voneinander verschiedenen (»diskreten«) Graphen aufzubauen. Graphen sind abstrakte Strukturen, deren Objekte Knoten bilden, die über Kanten in einem Netzwerk miteinander verbunden sind.

Die Idee, Graphen als Ausgangsstruktur zu benutzen, hatte bereits Roger Penrose im Jahr 1971. Der britische Theoretiker schuf dafür so genannte Spin-Netzwerke. Das sind spezielle Graphen, deren einzelne Abschnitte mit ganz- oder halbzahligen Werten charakterisiert werden (siehe Grafik). Solche Gitternetze entwarf Penrose analog zum Spin von Teilchen in der Quantenmechanik. Allerdings handelt es sich dabei nicht um Teilchen im üblichen Sinn, sondern um fundamentale »Freiheitsgrade« des Gravitationsfelds. Die Spin-Netzwerke bilden in diesem Konzept die elementaren Bausteine, aus denen der Raum aufgebaut ist.

Der Charme von Penroses Spin-Netzwerken besteht darin, dass sie sich auf sozusagen natürliche (mathematische) Weise aus der Schleifentheorie ableiten lassen. Wie die Vertreter dieser Theorie gezeigt haben, können die Quantenzustände der Theorie aus solchen Netzwerken aufgebaut werden. Aus der diskreten Struktur dieser Schleifen folgt, dass der daraus entstehende Raum in gewissem Sinn ebenfalls eine diskrete Struktur, und damit eine bestimmte Körnigkeit, aufweist.

Ein Beispiel: Angenommen, eine gewöhnliche (zweidimensionale) Fläche wird von einem Teil eines Spin-Netzwerks durchstoßen (siehe Grafik S. 39‍ ‍unten). Das ordnet ihr einen Flächeninhalt zu, der sich aus der Anzahl der Durchstoßpunkte ergibt und ein Vielfaches eines elementaren Flächenquantums beträgt; der Inhalt dieses Flächenquantums entspricht ungefähr der planckschen Länge im Quadrat, also unglaublich winzigen 10-66 Quadratzentimetern. In einer quantisierten dreidimensionalen Welt hat demnach die kleinste physikalisch sinnvolle Volumeneinheit eine Größe von etwa 10-99 Kubikzentimetern. Physikalisch spürbar ist diese Körnigkeit freilich nur auf kleinsten Maßstäben, eben im Bereich der Planck-Länge - fern jeder direkten Messbarkeit. Für größere Skalen, also etwa schon im atomaren Bereich, liegen die möglichen Werte so dicht beisammen, dass für alle Beobachter der Eindruck eines Kontinuums entsteht.

Bei den Spin-Netzwerken könnte es sich nun um die gesuchten mikroskopischen Freiheitsgrade handeln, aus denen die Entropie eines Schwarzen Lochs folgt. Dazu betrachtet man - wie in dem genannten Beispiel - die Durchstoßpunkte des Netzwerks mit der Horizontoberfläche des Objekts. Durch ein ausgeklügeltes Abzählverfahren lässt sich nun tatsächlich eine Formel finden, die der gesuchten Entropie von Hawking und Bekenstein ähnelt. Im Hinblick auf die Natur der Zeit teilt die Schleifentheorie die entsprechende Eigenschaft der Geometrodynamik: Auch ihre grundlegenden Gleichungen sind zeitlos. Darüber hinaus entwirft die Schleifentheorie das faszinierende Bild einer mikroskopischen Welt, in der es keinen kontinuierlichen Raum mehr gibt, sondern nur eine Vielzahl von diskreten Strukturen. Wie sich hieraus im Einzelnen unsere beobachtete makroskopische Welt ergibt, ist bislang offen. Obwohl sie das gleiche Ziel vor Augen hat, ist die Theorie damit komplementär zur Quantengeometrodynamik. Dort ist der Bezug zur beobachteten Welt klar, die Details ihrer mikroskopischen Beschaffenheit entziehen sich jedoch noch unserem Blick; in der Schleifentheorie ist es gerade umgekehrt.

Richard Feynman hat in den 1940er Jahren einen ausgeklügelten Formalismus entwickelt (das feynmansche Pfadintegral), in dem sich die quantenmechanische Wellen unkf tion als Summe über alle möglichen fiktiven Pfade ausdrücken lässt, welche etwa Elektronen oder Moleküle durchlaufen können. Das ist wohlgemerkt ein mathematischer Trick, denn gemäß der Quantenmechanik gibt es ja keine Bahnen. Feynmans Formalismus ist elegant und erfreut sich einer Vielzahl von Anwendungen, unter anderem in der Festkörper- und Elementarteilchenphysik. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass er auch Eingang in die Quantengravitation findet. Dort summiert man nicht über alle möglichen Teilchenpfade, sondern über alle möglichen vierdimensionalen Raumzeiten, die dann so fiktiv sind wie vorher die Teilchenpfade.

Im Pfadintegralzugang zur Quantengravitation muss man also über alle möglichen Geometrien der vierdimensionalen Raumzeit summieren, um zu dem gewünschten Quantenzustand zu gelangen - selbst für Experten kein einfaches Unterfangen. Im Wesentlichen hat man die Wahl zwischen groben Näherungen und aufwändigen numerischen Rechnungen. Im zweiten Fall gab es in jüngerer Zeit interessante Entwicklungen mit der Methode der »dynamischen Triangulation«, wie sie vor allem in Arbeiten der Theoretiker Jan Ambjørn von der Universität Kopenhagen, Jerzy Jurkiewicz (Universität Krakau) und Renate Loll (Universität Utrecht) entwickelt worden sind. Dabei wird zunächst nicht die Raumzeit, sondern der dreidimensionale Raum in Tetraeder zerlegt, wie in der Grafik S. 35 gezeigt (siehe ihren Artikel in SdW 2/2009, S. 24). Diese dreidimensionalen Teilstücke werden dann von einem diskreten Zeitpunkt zum nächsten verbunden, wodurch vierdimensionale Simplizes (also kleine Stücke der Raumzeit) entstehen. Um aus diesen Teilstückchen den gesamten Quantenzustand zu erhalten, summiert man dann bei festgehaltenen Seitenlängen über alle möglichen Kombinationen der Teilgebilde.

Wie viele Dimensionen hat der dreidimensionale Raum?
Der Haken an der Sache: Wegen möglicher Interferenzen in dieser Summe ist es denkbar, dass im klassischen Grenzfall eine Raumzeit herauskommt, deren Dimension von vier abweicht. Doch Entwarnung! Bei der dynamischen Triangulation ergaben die Berechnungen makroskopisch tatsächlich die gewohnten vier Dimensionen - drei für den Raum und eine für die Zeit. Dennoch erlebten die Forscher eine herbe Überraschung: Sobald sie sich mathematisch den kleinen Skalen näherten, zumal der Planck-Länge, wurde der Raum effektiv eindimensional.

Das klingt verwirrend. Doch das gleiche Ergebnis ergibt sich auch in einem anderen Zugang zur Quantengravitation, den die Erfinder »asymptotische Sicherheit« nannten. Er wurde in den 1970er Jahren vom US-Physiker Steven Weinberg (University of Texas in Austin) entworfen und im letzten Jahrzehnt hauptsächlich von Martin Reuter und seinen Mitarbeitern von der Universität Mainz ausgearbeitet. Nimmt man noch die Indizien aus der Schleifentheorie hinzu, so ergibt sich ein erstaunliches Bild der Raumstruktur im Mikrokosmos: Von den drei klassischen Raumdimensionen auf makroskopischer Ebene bleibt dann nur noch eine übrig.

Die erwähnten Vorgehensweisen gehen in der Regel von Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie aus. Die jeweilige Quantengravitation ist also zunächst einmal eine Quantentheorie des Gravitationsfelds. Weitere Felder und Materie kommen zwar auch vor, werden aber nicht grundlegend anders beschrieben als in den gängigen Quantentheorien. Insbesondere führen diese Zugänge, und das ist ihr großes Manko, noch nicht zu einer Vereinheitlichung aller Wechselwirkungen inklusive der Schwerkraft.

Eine grundsätzlich andere Sichtweise bietet die Stringtheorie (siehe SdW 12/2010, S. 34). Hier geht man nicht von den bekannten Wechselwirkungen aus. Die fundamentalen Freiheitsgrade sind eindimensionale Objekte, also Saiten (englisch: strings), deren Wechselwirkung durch eine Quantentheorie konsistent beschrieben wird. Altbekannte Kräfte wie Gravitation oder Elektromagnetismus folgen erst aus den Anregungen der Strings, gewissermaßen als Obertöne der elementaren Objekte. Das Obertonspektrum liefert eine große Vielfalt an Teilchen, wozu Gravitonen und Photonen, aber auch noch unbekannte Partikel zählen.

Es gibt einen weiteren Unterschied zu den bisher besprochenen Theorien der Quantengravitation. Während sich diese direkt in vier Raumzeitdimensionen formulieren lassen, benötigt die Stringtheorie der mathematischen Konsistenz halber sechs oder sieben zusätzliche Raumdimensionen; die Raumzeit wäre dann fundamental zehn- oder elfdimensional. Unter günstigen Umständen erwarten die Experimentatoren, dass sich am LHC in Genf Hinweise auf die Existenz dieser zusätzlichen Dimensionen ergeben. Es ist zwar spekulativer, doch zumindest denkbar, dass dort sogar winzige Schwarze Löcher entstehen und verdampfen könnten. Aber auch darauf gibt es bis jetzt keine Hinweise.

Die Stringtheorie bietet zumindest im Prinzip die Möglichkeit, eine vereinheitlichte Beschreibung aller Wechselwirkungen zu liefern. Sie dürfte dafür nur wenige freie Parameter enthalten, woraus sich dann alle wesentlichen Eigenschaften unserer Welt ergeben sollten (deshalb häufig auch »Weltformel« genannt). Leider wird sie diesem Anspruch bisher nicht gerecht, obwohl Forscher nun schon seit mehreren Jahrzehnten daran arbeiten. Die Theorie enthält drei dimensionsbehaftete Parameter: Zu Lichtgeschwindigkeit und Wirkungsquantum gesellt sich noch die fundamentale Stringlänge. Alle anderen Größen (etwa die Massenwerte der beobachteten Teilchen), ja selbst die planckschen Einheiten, sollten sich daraus berechnen lassen.

Dass dies bisher nicht funktioniert, liegt vor allem an den zusätzlichen sechs oder sieben Raumdimensionen. Die Möglichkeiten, von der höherdimensionalen Welt zu den beobachteten und uns vertrauten vier Raumzeitdimensionen zu gelangen, sind ziemlich willkürlich und derart vielgestaltig, dass jede Vorhersagekraft zu entschwinden scheint. Stringforscher haben abgeschätzt, dass es mindestens 10500 Kandidaten für unser Universum gibt, eine Zahl, die unvorstellbar viel größer ist als selbst die Gesamtzahl der Protonen im sichtbaren Universum von 1080.

Der Urknall als Quantenzustand
Obwohl ursprünglich nur auf Strings basierend, hat sich gezeigt, dass die Stringtheorie auch höherdimensionale Objekte postuliert, für die sich der Begriff »Branen« eingebürgert hat (inspiriert vom Beispiel der Membran). Vielleicht etwas unerwartet, bieten gerade die Branen die ersehnten mikroskopischen Freiheitsgrade für die Berechnung der Entropie Schwarzer Löcher. In speziellen Fällen führt das Abzählen dieser Mikrozustände tatsächlich zur gewünschten Formel von Bekenstein und Hawking. Das betrifft allerdings nur gewisse exotische Schwarze Löcher, wie sie von der Stringtheorie ebenfalls vorausgesagt werden. Die im Weltall beobachteten Schwarzen Löcher, darunter das im Zentrum unserer Milchstraße, zählen nicht dazu.

Einen weiteren Prüfstein für jede Quantentheorie und ihrenSonderzweig, die Quantenkosmologie, liefert die kosmische Hintergrundstrahlung - ein Überbleibsel des heißen, frühen Universums. Sie hat sich etwa 380.000 Jahre nach dem Urknall von der Materie gelöst und breitet sich seither ungehindert im All aus. Dabei hat sie sich bis auf etwa drei Kelvin abgekühlt. Die kosmische Hintergrundstrahlung ist annähernd isotrop, das heißt, sie besitzt in jeder Richtung dieselbe Temperatur. Es gibt nur kleine Unregelmäßigkeiten (Anisotropien) von der Größenordnung hunderttausendstel Kelvin. Sie entsprechen Dichtefluktuationen zur Zeit der Strahlungsfreisetzung und bildeten nach allgemeiner Auffassung die Keime heutiger Galaxien und ihrer Haufen.

Was hat das mit Quantengravitation zu tun? Wenn sie tatsächlich gültig ist, sollte sie auch für das Universum als Ganzes gelten. Dort ist aber die Schwerkraft die dominierende Wechselwirkung. Kosmologen benötigen also eine Theorie der Quantengravitation, um Quantenkosmologie zu betreiben. Sowohl Geometrodynamik als auch Schleifen- und Stringtheorie lassen sich auf das gesamte Universum anwenden. Idealerweise könnten sich daraus Vorhersagen für die Anisotropien der Hintergrundstrahlung ergeben, die von den Vorhersagen ohne Quantengravitation abweichen. Dies betrifft vor allem die Strukturen auf großen Skalen. Die vorhergesagten Abweichungen sind naturgemäß winzig klein, und ihr Nachweis stellt eine große Herausforderung für die Beobachter dar. Deren Hoffnung ruht derzeit auf dem Satelliten Planck. Der Trabant, den die Europäische Weltraumbehörde ESA im Mai 2009 startete und der im Januar 2012 seine Messungen abschloss, hatte die Aufgabe, die Hintergrundstrahlung mit bisher unerreichter Genauigkeit zu erfassen. Die Auswertungen werden noch bis 2013 dauern. Ob sie für die Theorie einen Durchbruch bringen werden, bleibt abzuwarten.

Die Quantenkosmologie dient freilich nicht in erster Linie dazu, kleine Effekte im Anisotropiespektrum aufzuspüren. Sie soll vor allem die Anfangsbedingungen des Universums und seine großräumige Struktur erklären. Wir haben ja gesehen, dass Einsteins Theorie bei der Beschreibung des kosmischen Anfangs notgedrungen zu einer Singularität führt, sie jenen Anfang also gar nicht selbst erklären kann. Die Singularität bedeutet zum Zeitpunkt null einen Zustand unendlich großer raumzeitlichen Krümmung. Gelingt es der Quantengravitation, diese Probleme zu vermeiden? Die Antwort ist derzeit ein vorsichtiges Ja. Das heißt, es gibt zumindest einfache Modelle, in denen das bereits gelingt.

Welche der hier diskutierten Zugänge zur Quantengravitation der richtige ist, wissen die Forscher noch nicht. Sie wissen nicht einmal, ob der richtige schon darunter ist - ja ob es einen solchen überhaupt gibt. Klar ist aber, dass eine Quantengravitation zu einem tieferen Verständnis von Zeit und Universum führt - mit aufregenden Konsequenzen.


DER AUTOR

Claus Kiefer studierte Physik und Astronomie an den Universitäten Heidelberg und Wien und promovierte 1988 in Heidelberg über den Begriff der inneren Zeit in der kanonischen Quantentheorie der Gravitation. Nach Aufenthalten an den Universitäten Heidelberg, Zürich und Freiburg, wo er 1995 habilitierte, wurde er 2001 Professor für theoretische Physik an der Universität zu Köln. Seine Arbeitsgebiete betreffen Quantengravitation, Kosmologie, Schwarze Löcher und Grundlagen der Quantentheorie.


QUELLEN

Kiefer, C.: Der Quantenkosmos. Fischer, Frankfurt am Main 2008 Reise durch das Quantenuniversum. Spektrum der Wissenschaft, Dossier 2/2010

Zeh, H.-D.: Feynman's Interpretation of Quantum Theory. Online unter http://arxiv.org/abs/arXiv:0804.3348


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www.thp.uni-koeln.de/gravitation
Informationen zum Autor und seiner Arbeitsgruppe

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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 35:
Die Raumzeit könnte unter dem Mikroskop eine Quantenstruktur enthüllen, die sich aus winzigen Raumzeitstücken zusammensetzt.

Abb. S. 36 oben:
Einen Schlüssel zur Quantengravitation stellen womöglich Schwarze Löcher dar (hier in einer Computeranimation).

Abb. S. 36 unten:
Der Stern-Gerlach-Versuch in der Variante von Richard Feynman: Eine Kugel bewegt sich nach oben oder unten, je nachdem, durch welchen Detektor ein »Teilchen« fliegt - ein Fall für die Quantentheorie der Gravitation.

Abb. S. 37 oben:
Der Theoretiker Stephen Hawking erprobte 2007 auf einem Parabelflug, wie es sich anfühlt, schwerelos zu sein.

Abb. S. 37 unten:
Ein Maß für die Entropie eines Schwarzen Lochs: Bits, die symbolisch auf seinem Ereignishorizont verteilt sind - ein Bit pro Planck-Fläche

Abb. S. 38 oben:
Vierdimensionale Raumzeiten lassen sich in eine Folge von dreidimensionalen Teilräumen auffächern. Der Quantenzustand des Universums wird auf solche »Raumschnitte« bezogen.

Abb. S. 38 unten:
Die Erfinder einer berühmten Gleichung: John Archibald Wheeler (1911-2008, links) und Bryce S. DeWitt (1923-2004)

Abb. S. 39 oben:
Was sind die Urelemente der Raumzeit? Vielleicht bestehen sie aus »Spin-Netzwerken«. Als »Atome« des Raums könnten sie unser bekanntes Universum in einer Näherung ergeben.

Abb. S. 39 unten:
Aus Netzen wird Raum: Mit den Punkten P1 bis P4, wo die Linien des Spin-Netzwerks die Fläche durchstoßen, wird ein »Quantum« herausgeschnitten.

Abb. S. 40:
Zusammenbau von quantisierten Zellen zu Raumzeiten in der Theorie der dynamischen Triangulation: Die elementaren Tetraeder müssen nach bestimmten Regeln zusammengesetzt werden, damit die Überlagerung (Superposition) den Beobachtungen entspricht.

Abb. S. 41:
Der Physiker Martin Reuter von der Universität Mainz befasst sich mit einer Theorie der Quantengravitation, die »asymptotische Sicherheit« genannt wird und auf den amerikanischen Physiker Steven Weinberg zurückgeht. Die Idee: eine Quantentheorie zu konstruieren, die auch noch bei kürzesten Längen ihre Vorhersagekraft behält.

Abb. S. 42:
Im Nachleuchten des Urknalls, der kosmischen Hintergrundstrahlung (hier in einer Aufnahme des Satelliten WMAP), könnten Forscher auf Spuren von Quanteneffekten stoßen. So sollten bestimmte Anisotropien der Strahlung (gelbe und blaue Flecken), wie sie aktuell vom Satelliten Planck vermessen werden, als Test für die Quantengravitation dienen.

© 2012 Claus Kiefer, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Spektrum der Wissenschaft 4/12 - April 2012, Seite 34 - 43
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2012