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THEORIE/058: In Berlin vollendete Albert Einstein seine revolutionären Theorien (verbundjournal)


verbundjournal - 100/Januar 2015
Forschungsverbund Berlin e.V.

In Berlin vollendete Albert Einstein seine revolutionären Theorien

Von Dieter Hoffmann


"Im Sommer gehe ich nämlich nach Berlin als Akademie-Mensch ohne irgendwelche Verpflichtungen, quasi als lebendige Mumie. Ich freue mich auf diesen schwierigen Beruf." Dies schrieb Albert Einstein seinem Freund Jakob Laub im Herbst 1913. Einstein hat fast zwei Jahrzehnte in der Stadt gewirkt, die damals nicht nur Hauptstadt und politisches Zentrum, sondern auch der intellektuelle und wissenschaftliche Mittelpunkt Deutschlands war. Dies endete 1933 mit der Übernahme der Macht durch die Nationalsozialisten, die Einstein zusammen mit anderen jüdischen Wissenschaftlern als eine Symbolfigur sogenannter "jüdischer Wissenschaft" und intellektuellen Repräsentanten der verhassten Weimarer Republik in die Emigration zwangen.


In den Jahrzehnten zuvor glänzte die Stadt namentlich in der Physik mit einer Fülle weltberühmter Gelehrter und exzellenter Forschungsinstitutionen. Diese hatten die allgemeine Entwicklung der Physik aufs engste mit der physikalischen Forschung in Berlin verknüpft. Einstein hat zu dieser wissenschaftlichen Hochkultur maßgeblich beigetragen. Zu nennen wären in diesem Zusammenhang seine Forschungen zur Quantentheorie, die u.a. die theoretischen Grundlagen für das Prinzip des Lasers formulierten oder die Bose-Einstein-Statistik begründeten, aber auch die experimentellen Arbeiten zum gyromagnetischen Effekt. In den Schatten gestellt werden diese herausragenden Arbeiten aber durch die Vollendung der Allgemeinen Relativitätstheorie, was ihm vor 100 Jahren hier in Berlin gelang. Im November 1915 legte er der Berliner Akademie eine Arbeit vor, in der er nach jahrelanger intensiver Suche die korrekte Formulierung der Feldgleichungen der Gravitation liefern und damit die moderne Gravitationstheorie begründen konnte. Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie wurde zum Ausgangspunkt der relativistischen Kosmologie und ihrer Weltmodelle. Obwohl damit die Revolution der klassischen Physik von Raum und Zeit zum Abschluss gebracht war, hielt sich die Begeisterung seiner Kollegen über diese physikalische Großtat zunächst in Grenzen, denn sie war ihrer Zeit voraus. Erst als Jahre später eine britische Sonnenfinsternis-Expedition Konsequenzen der Theorie experimentell bestätigen konnte, trat ein grundsätzlicher Wandel in der Rezeption der Theorie ein und Einstein fand nicht nur Akzeptanz unter seinen Fachkollegen, sondern wurde in den zwanziger Jahren plötzlich auch zu einer Person der Öffentlichkeit, zu einer wissenschaftlichen Kultfigur des anbrechenden Medienzeitalters.

Dass man auch schon zuvor vom physikalischen Genie Einsteins überzeugt war, hatte nicht zuletzt die Berufung Einsteins nach Berlin deutlich gemacht. Nachdem Einstein mit einer Fülle herausragender Arbeiten auf sich aufmerksam gemacht hatte, wollten die damaligen Mandarine der Berliner Physik den aufstrebenden Star der Physik unbedingt nach Berlin holen - nicht nur heute gilt: bright people attract bright people. Um dies zu erreichen, wurden ihm außerordentliche Arbeitsbedingungen eingeräumt. Als hauptamtliches Mitglied, d.h. Angestellter der Berliner Akademie sollte er sich quasi als (gut) "bezahltes Genie" frei von Lehrverpflichtungen und anderen akademischen Pflichten allein den eigenen Forschungsinteressen widmen können. Die Grundlage für solch hohe Wertschätzung hatte Einstein insbesondere im Jahre 1905 gelegt. Dieses wird heute nicht nur als sein "Annus mirabilis" bezeichnet, sondern es war auch ein Wunderjahr für die Physik schlechthin. Innerhalb eines guten halben Jahres wurden von Einstein vier Arbeiten publiziert, die man alle als revolutionär charakterisieren kann, denn sie gaben wichtige Anstöße für eine tiefgreifende Revolution in den Grundlagen der Physik. Eine in der Physik-, ja der Wissenschaftsgeschichte überhaupt einzigartige Dichte wissenschaftlicher Schaffenskraft und Kreativität.

Vergleichsweise unspektakulär lauten die Aufsatztitel: "Über einen die Erzeugung und Verwandlung des Lichtes betreffenden heuristischen Gesichtspunkt" (fertig gestellt am 17. März 1905), "Über die von der molekularkinetischen Theorie der Wärme geforderte Bewegung von in ruhenden Flüssigkeiten suspendierten Teilchen" (11. Mai), "Zur Elektrodynamik bewegter Körper" (30. Juni) oder "Ist die Trägheit eines Körpers von seinem Energieinhalt abhängig?" (27. September).

So enthielt der Aufsatz zur Elektrodynamik die Grundlagen der Speziellen Relativitätstheorie, die vom Gesetz der Konstanz und Unerreichbarkeit der Lichtgeschwindigkeit ausgeht und einen neuen Raum- und Zeitbegriff begründete. Da sich damals viele Physiker mit den Schwierigkeiten bzw. Widersprüchen der klassischen Mechanik beschäftigten, aber keine schlüssige Lösung finden konnten, wurde Einsteins Problemlösung von den Zeitgenossen als bahnbrechend, ja revolutionär empfunden. Die Konsequenzen dieser Arbeit führten wiederum zur wohl berühmtesten physikalischen Formel E = mc². Sie drückt die Äquivalenz zwischen Masse und Energie aus und wurde in einem ergänzenden Aufsatz im Herbst 1905 dargelegt. Einstein machte sich in diesem Zusammenhang auch Gedanken um eine experimentelle Prüfung der Beziehung und verwies dabei auf das Phänomen der Radioaktivität. Heute spielt die Formel insbesondere in der Kernphysik - Massendefekt bei der Kernspaltung und -fusion -, aber auch in der Elementarteilchenphysik, Teilchenbeschleunigung und -umwandlung, eine zentrale Rolle. Ansonsten wird die Einsteinsche Relativitätstheorie immer dann entscheidend, wenn sich die Geschwindigkeit der betrachteten Vorgänge der Lichtgeschwindigkeit annähert.

Im Vergleich zur Elektrodynamik bewegter Körper blieb Einsteins Abhandlung über die Erzeugung und Verwandlung des Lichts zunächst weitgehend unbeachtet und stieß vielfach sogar auf vehemente Ablehnung, obwohl sie heute wohl als die wichtigste und folgenreichste Arbeit Einsteins anzusehen ist. Sie griff die bislang praktisch unrezipiert gebliebene Plancksche Quantenhypothese auf und behauptete die Existenz sogenannter Lichtquanten - d.h. das Licht sollte im Gegensatz zur damals fest etablierten und überaus erfolgreichen elektromagnetischen Wellentheorie Teilcheneigenschaften besitzen. Dies war eine damals kühne und revolutionäre Hypothese, die Max Planck, Doyen der Berliner Physiker und Vater der Quantentheorie, noch 1913 anlässlich der Aufnahme Einsteins in die Akademie mit den Worten abqualifizierte, dass hier Einstein "in seinen Spekulationen gelegentlich auch einmal über das Ziel hinausgeschossen habe... wird man ihm nicht allzu schwer anrechnen dürfen, denn ohne einmal ein Risiko zu wagen, lässt sich auch in der exaktesten Naturwissenschaft keine wirkliche Neuerung einführen". Die Entwicklung der Physik mit den vielfältigen quantentheoretischen Anwendungen des Lichtquantenkonzepts hat Plancks Bedenken glänzend widerlegt, zugleich aber auch dessen Maxime bestätigt: "Dem Anwenden muss das Erkennen vorausgehen."

Last but not least, Einsteins Studie vom Mai 1905 über die Bewegung von mikroskopisch kleinen, in einer Flüssigkeit schwebenden Teilchen lieferte nicht nur das Gesetz der sogenannten Brownschen Bewegung, sondern bestätigte eindrucksvoll den atomaren Aufbau der Materie und trug ganz wesentlich zur endgültigen Durchsetzung des damals noch umstrittenen Atomismus in der Physik bei. Damit in engem Zusammenhang steht im Übrigen noch eine fünfte Arbeit Einsteins, die im April 1905 abgeschlossen wurde und den Titel "Eine neue Bestimmung der Moleküldimensionen" trägt. Sie ist zwar nicht so bedeutsam bzw. revolutionär wie die anderen vier Aufsätze und steht daher in deren Schatten, doch war sie für lange Zeit die Arbeit Einsteins mit der höchsten Zitierrate. Verantwortlich hierfür ist die von Einstein entwickelte neuartige Methode zur Bestimmung der wahren Größe und Anzahl von Atomen und Molekülen. Sie bildete die Grundlage für eine Fülle praktischer Anwendungen namentlich in der physikalischen Chemie von Lösungen und nicht zuletzt in der chemischen Industrie. Für Einstein selbst war sie nicht zuletzt deshalb von großer Bedeutung, weil er damit endlich den Doktorgrad erwerben konnte. Im Januar 1906 wurde er mit dieser Arbeit an der Universität Zürich promoviert und legte damit die Grundlage für seine akademische Karriere. Deren erste Station war ebenfalls die Universität Zürich, die ihn nach seiner Habilitation (1908 an der Universität Bern) im Jahre 1909 zum außerordentlichen Professor für theoretische Physik berief. Über Prag und nach zwei weiteren Jahren in Zürich führte ihn sein akademischer Lebensweg schließlich im Frühjahr 1914 nach Berlin.


Prof. Dr. Dieter Hoffmann ist Wissenschaftshistoriker. Er lehrt an der Humboldt Universität zu Berlin und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte.

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Quelle:
verbundjournal Nr. 100, Januar 2015, Seite 6-7
Herausgeber: Forschungsverbund Berlin e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. März 2015

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