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BERICHT/009: Forschungstechnik neu - weit in die Zukunft planen ... (SB)


Recherche-Reise "European XFEL und DESY" der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) am 7. und 8. August 2017 in Hamburg


Seit über 50 Jahren werden bei DESY, dem Deutschen Elektronen-Synchrotron, in Hamburg Teilchen auf annähernd Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Mittels dieser Methode sollen der Materie ihre innersten Geheimnisse entrissen werden. Entweder indem die Teilchen mit anderen, ebenfalls auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigten Teilchen oder aber mit einem fest installierten Ziel zur Kollision gebracht werden, oder indem die laserartig emittierte Röntgenstrahlung (Synchrotronstrahlung), die immer dann von beschleunigten Elektronen abgegeben wird, wenn man sie bei Höchstgeschwindigkeit in die Kurve zwingt, genutzt wird, um Materialien zu be- oder zu durchleuchten.


Der Referent hält eine 4 mm lange und 0,3 mm durchmessende Kapillare zwischen Daumen und Zeigefinger, den Beschleuniger, und blickt darauf - Foto: © 2017 by Schattenblick

Dr. Andreas R. Maier hält die (mögliche) Zukunft der
Beschleunigertechnologie zwischen zwei Fingern
Foto: © 2017 by Schattenblick

Auf einer von der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) am 7. und 8. August 2017 in Hamburg organisierten Recherche-Reise wurden der Presse einige der bei DESY installierten Teilchenbeschleuniger vorgestellt. Drehte sich der erste Tag ausschließlich um die neue Röntgenlaseranlage European XFEL, einem von elf Ländern betriebenen Linearbeschleuniger, dessen Leistungsfähigkeit die der weltweit installierten Beschleuniger deutlich übertrifft und bahnbrechende Erkenntnisse auf Fachgebieten wie Biologie, Biomedizin, Pharmazie, Physik, Chemie, Materialwissenschaften, Elektronik, Astrophysik und Umwelttechnologien verspricht, wurde am zweiten Tag eine Anlage vorgestellt, aus der möglicherweise in 20 bis 30 Jahren die Nachfolgegeneration der heutigen Beschleuniger entstehen könnte, der Plasmabeschleuniger.

Zunächst stellte Arbeitsgruppenleiter Dr. Andreas R. Maier das Konzept vor, später konnte die Experimentieranlage auch besichtigt werden. Die leistungsstärksten Ring- oder Linearbeschleuniger von heute haben Längen von 2,3 km (PETRA III), 3,4 km (European X-FEL) oder 6,3 km (HERA, seit Ende 2007 nicht mehr in Betrieb). Der Plasmabeschleuniger, den Maier und seine Arbeitsgruppe entwickeln, soll 1000mal kürzer und 1000mal leistungsstärker werden.

Dieses Projekt namens LUX ist dem im Jahr 2008 gegründeten CFEL (Center for Free-Electron Laser Science) zugeordnet. Darin arbeiten DESY und die Universität Hamburg mit der Max-Planck-Gesellschaft zusammen. Seinerseits ist LUX Bestandteil einer übergreifenden Forschungskooperation mit der Bezeichnung LAOLA (Laboratory for Laser- and beam-driven plasma Acceleration), in der verschiedene Arbeitsgruppen mit der Entwicklung neuer Beschleunigertechnologien befaßt sind.

Bei all diesen Ideen, Konzepten, experimentellen Beschleunigern oder bereits im Forschungsbetrieb fest etablierten Anlagen geht es immer um das gleiche, einen möglichst genauen Blick auf Materie zu werfen. Die Qualität der Bilder (oder der zu einem Film zusammengesetzten Bilder) ist von Faktoren wie Dauer, Energieintensität, Taktrate und Sauberkeit (Gleichschwingung der Licht-, bzw. Röntgenwellen) der Beleuchtungsquelle abhängig. Es läßt sich leicht vorstellen, daß die zu untersuchenden verschiedenartigen Materialien unterschiedliche Herangehensweisen erfordern. Ein Virus muß anders bestrahlt werden als ein Goldatom, eine pflanzliche Zelle muß anders präpariert werden, um bestrahlungsfähig zu werden, als eine Silizium-Verbindung für den Bau einer Solarzelle, und so weiter. Also wird das eintreffende Licht über Hilfsmittel gemäß der wissenschaftlichen Anforderungen zubereitet. Nicht weniger aufwendig gestaltet sich auch der Aufbau und die Auslegung der Detektoren, die das erzielte Ergebnis einfangen müssen.

Doch fast alle diese Fragestellungen stehen noch nicht im Mittelpunkt bei der Erforschung des Plasmabeschleunigers. Zunächst einmal geht es darum zu beweisen, daß so eine Anlage saubere Bilder erzeugen kann. Daß das Prinzip funktioniert, konnte bereits dargestellt werden, aber an der Sauberkeit (Brillanz) muß noch gearbeitet werden.


Blick durch eine Scheibe der Vakuumkammer auf den Experimentaufbau - Foto: © 2017 by Schattenblick

LUX Plasmazelle (ohne Kapillare mit Wasserstoff). Von links kommt der Laserstrahl, geht durch das Target hindurch und erzeugt einen Elektronenstrahl, der in den Undulatoren gepulstes Röntgenlicht emittiert.
Foto: © 2017 by Schattenblick

Das LUX-Experiment wurde an einer historischen Stätte auf dem riesigen DESY-Forschungscampus aufgebaut, nämlich in jenem "Bunker", in dem 1964 am ersten DESY-Teilchenbeschleuniger, der dem Forschungscampus den Namen verlieh, unter Leitung von Ruprecht Haensel Synchrotronstrahlung charakterisiert wurde. Die Arbeitsgruppe von Maier benötigt jedoch den ältesten Ringbeschleunigertunnel auf dem DESY-Campus nicht, sondern nur dessen tangential angeschlossenen Gebäude. Unter anderem deshalb, weil dort die Betonwände bereits so gebaut sind, daß sie die ionisierende Strahlung, die bei den Experimenten entsteht, abschirmen.

Im Keller des Bunkers wurde ein eigener, kleiner Beschleuniger aufgebaut. Im Stockwerk darüber hat man ein Lasersystem, bestehend aus mehreren Segmenten, installiert. Dessen Licht wird über 500 bis 600 Spiegel, Linsen, Gitterstrukturen und andere Hilfsmittel so umgelenkt, gestreckt, gebündelt, mittels weiterer Laserstrahlen, die einen speziellen Kristall anregen, energetisch verstärkt und sonstwie "servierfertig" zubereitet, daß eine Etage tiefer - schon längst eine Vakuumröhre durchlaufend - ungefähr zwei Meter vor dem Ziel eine Laserlichtscheibe von 80 mm Durchmesser und 0,008 mm Dicke entsteht.

Diese Lichtscheibe wird nun über Fokussierspiegel Schritt für Schritt auf etwa 30 bis 40 Tausendstel Millimeter Durchmesser verkleinert und trifft auf ein mit Wasserstoffgas gefülltes Glasröhrchen, eine Kapillare. Dort entreißt der Laserstrahl, der über eine sehr kurze Distanz eine Energie von 600 bis 800 Megaelektronenvolt (MeV) entfaltet, den Wasserstoffatomen Elektronen und drängt sie zur Seite "wie ein Schneepflug den Schnee", so Maier. Über eine sehr kurze Distanz wird hier eine extrem starke Ladungstrennung erzeugt, wodurch sehr, sehr starke elektrische Felder generiert werden. Die Elektronen werden beschleunigt und fliegen mit dem Laser mit. Alles im Bereich von 4 mm. Zum Vergleich: Der zu Forschungszwecken bei der DESY eingesetzte Vorbeschleuniger LINAC II, der über ähnliche Leistungsmerkmale verfügt, ist 70 Meter lang. Der Laser des Plasmabeschleunigers hat eine Spitzenleistung von 200 Terawatt - das entspricht der zehnfachen Durchschnittsleistung aller weltweit installierten elektrischen Kraftwerke -, allerdings nur für rund 30 Femtosekunden (1 Femtosekunde = 1 Billiardstel Sekunde) und konzentriert auf 0,05 Millimeter.

Wie bei anderen Beschleunigern auch werden die Elektronen durch sogenannte Undulatoren geschickt, nur daß diese wesentlich kürzer sind. Sind sie beispielsweise bei dem Ringbeschleuniger PETRA III 10 Meter lang und 10 Tonnen schwer, sind sie beim Plasmabeschleuniger nur 0,50 Meter lang und 15 Kilogramm schwer. In den Undulatoren werden die Elektronen mittels starker Magneten, die beim Plasmabeschleuniger alle 2,5 Millimeter ihre Polrichtung wechseln, auf einen engen Slalomkurs gezwungen, so daß sie Röntgenlicht abgeben.


Besuchergruppe mit Doktorand, die Haarnetze, blaue Kittel und Überziehschuhe tragen, vor mehreren brusthohen, orangefarbenen Kästen - Foto: © 2017 by Schattenblick Innerhalb eines der Kästen sieht man mehrere Dutzend Spiegel, Linsen und andere Hilfsmittel zum Lenken des Laserstrahls - Foto: © 2017 by Schattenblick

Links: Besuch im Reinraum. Der Laserstrahl durchläuft auf dem Weg in den Keller sämtliche Kästen des Laserlabors. Rechts: Innerhalb eines jeden Kastens, in denen nichts zufällig angeordnet ist, wird der Laserstrahl auf vielfältige Weise modifiziert.
Fotos: © 2017 by Schattenblick

Ein Arbeitsschwerpunkt ist nun, saubere Laserwellen zu erzeugen, um brillante Elektronenwellen zu erhalten, die wiederum ultrakurze Röntgenpulse abgeben. Solange das nicht gelingt, würde das Ergebnis vermutlich so verschwommen wirken wie das verwackelte Bild von der letzten Geburtstagsfeier: Nett, aber unbrauchbar. Und auf keinen Fall zur wissenschaftlichen Analyse des Verbindungsvorgangs von Atomen zu Molekülen, der Ausweichsbewegung von Materie unter extrem hohem Druck oder der Andockstrukturen von Viren an Zellen geeignet, um einige typische Fragestellungen aus der Forschung mit Teilchenbeschleunigern zu nennen.

Zwei Tage nach der Pressereise wurde am LUX-Plasmabeschleuniger das erste Röntgenlicht erzeugt. Die ultrakurzen Strahlungspulse haben eine Wellenlänge von neun Nanometern - ein Nanometer gleich einem Millionstel Millimeter - und sollen später einmal auf vier Nanometer verkürzt werden. Weltweit sei es erst einer Handvoll Forschungsgruppen gelungen, Röntgenlicht aus einem Plasmabeschleuniger zu liefern, sagte Maier laut einer Pressemitteilung der DESY. [1]

Ihre Anlage habe zwar nicht dieselbe Helligkeit wie die großen Beschleuniger, doch dafür seien die Röntgenblitze mit drei bis fünf Femtosekunden extrem kurz, so daß eben auch sehr schnelle Abläufe in der Welt der Atome und Moleküle eingefangen werden können.

Maier legt Wert auf die Feststellung, daß der Plasmabeschleuniger nicht mit dem neuen Röntgenlaser XFEL, der am 1. September 2017 in die Betriebsphase gehen soll, konkurriert. Erstens stehe sein Projekt noch am Beginn der Experimentierphase und werde voraussichtlich erst in zwei, drei Jahrzehnten ausreichend weit entwickelt sein - so viel Zeit hätten auch frühere Beschleunigergenerationen beansprucht (was eine "coole Sache" sei, denn dadurch habe er einen sicheren Job, meinte Maier verschmitzt ...) - und zweitens können sich die Systeme gegenseitig ergänzen. Eine ähnliche Aussage sollte die Pressegruppe auch beim Besuch des Ringbeschleunigers PETRA III hören, der demnächst vermutlich von XFEL übertroffen wird. Doch dazu an anderer Stelle mehr.


Quader aus aufgeschichteten, ziegelsteinartigen Steinen, durch die von der Stirnseite her ein ca. vier Zentimeter dickes, silbern glänzendes Rohr führt, das an der Längsseite des Quaders wieder rausführt - Foto: © 2017 by Schattenblick Die Leuchtanzeige für Radioaktivität gibt eine Dosis von 0,07 Mikrosievert/Stunde an - Foto: © 2017 by Schattenblick

Links: Am Ende des Plasmabeschleunigers befindet sich der Mülleimer (Dump) für die Elektronenstrahlen. Er besteht aus Schwerbeton und Bleiplatten.
Rechts: Strahlenmeßgeräte sind unverzichtbar bei der Arbeit mit dem Teilchenbeschleuniger.
Fotos: © 2017 by Schattenblick


Fußnote:

[1] http://www.desy.de/aktuelles/news_suche/index_ger.html?openDirectAnchor=1261&two_columns=0

Bisher zur DPG-Recherchereise 2017 im Schattenblick unter INFOPOOL → NATURWISSENSCHAFTEN → REPORT erschienen:

BERICHT/008: Forschungstechnik neu - Rechnung ohne den Wirt? (SB)


14. August 2017


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