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BERICHT/011: Experimentierhalle SHELL - Axione und Begründungen ... (SB)


"Wir sind Forscher. Wir wollen unser Universum verstehen. Am Ende wollen wir eine Erklärung für alles haben, was darin existiert. Deshalb ist es uns wichtig, die Dunkle Materie zu entdecken: Wir werden unser Universum ein kleines Stück weiter verstehen."
(Prof. Dr. Erika Garutti, wissenschaftliche Leiterin des Experiments MADMAX, zur Suche nach der Dunklen Materie)


Die drei Referenten vor dem erhöhten Eingang zur Halle, davor eine Menschengruppe, die zuhört - Foto: © 2019 by Schattenblick

Eröffnungstag der Experimentierhalle SHELL - Prof. Dr. Peter Schleper (mit Mikrofon), Prof. Dr. Dieter Horns und Prof. Dr. Erika Garutti stellen ihre Projekte vor.
Foto: © 2019 by Schattenblick

Die Physik hat ein Problem, und das ist nicht gering. Sie versucht den Zusammenhalt von Galaxien zu erklären, indem sie etwas annimmt, das man weder sehen noch anmessen kann: Dunkle Materie. Ohne eine nach innen gerichtete Kraft müßten die sich drehenden Galaxien eigentlich auseinanderfliegen. Außerdem bietet die postulierte Dunkle Materie auch für andere physikalische Phänomene eine Erklärung, weshalb es nicht verwundert, daß sich Physikerinnen und Physiker weltweit auf die Suche nach ihr begeben haben.

Auf dem Campus Bahrenfeld in Hamburg wurden am 8. Juli 2019 gleich zwei neuartige Experimente, MADMAX und BRASS, feierlich eingeweiht. Beide sind in einem Bunker mit drei Meter dicken Stahlbetonwänden untergebracht, der Experimentierhalle SHELL (Shielded Experimental Hall). Sie war für eine Million Euro umgebaut worden, den größeren Forschungs- und Finanzrahmen dazu bildet der Exzellenzcluster Quantum Universe, einer von vier Exzellenzclustern, den Hamburg im vergangenen Jahr von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in einem Wettbewerb der Forschungsstandorte zugesprochen bekommen hat.

Mit diesen Experimenten soll jene geheimnisvolle Materie aufgespürt werden, von der man bisher eben nur ihre Schwerkraftwirkung kennt. In dem Sinne "kennt", als daß man auf der Grundlage der Allgemeinen Relativitätstheorie Albert Einsteins keine plausiblere Erklärung für bestimmte Beobachtungen hat. Und jene 1915 veröffentlichte Theorie formt das heutige physikalische Weltbild maßgeblich. Außerdem könnten Axionen ein weiteres ungelöstes Grundsatzproblem der Physik lösen, auf das an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden soll, nämlich "die Frage nach der unerklärten Symmetrie zwischen Materie und Antimaterie in der sogenannten starken Wechselwirkung, auch Quantenchromodynamik (QCD) genannt". [1]

BRASS und MADMAX könnten durch elektromagnetische Wellen, die von außen kommen, beispielsweise durch Mobiltelefone oder demnächst durch den 5G-Funkstandard, bei dem höhere Frequenzen in Anspruch genommen werden, gestört werden. Deshalb wurden beide Experimentierräume innerhalb der SHELL nochmals mit Beton sowie durch zwei Schichten Metallgitter abgeschirmt. Wobei die an den Forschungen beteiligten Personen gegenüber der Presse betonten, daß "Abschirmung" eben nicht bedeutet, daß hier wie einst mit radioaktiven Stoffen hantiert wird, von der keine Strahlung nach außen gelangen soll, sondern daß man genau umgekehrt die elektromagnetische Strahlung, die von außen kommt, abhalten muß, damit in den Versuchsanordnungen saubere Ergebnisse produziert werden. Was die durch das Experiment selber erzeugten potentiellen elektromagnetischen Störungen betrifft, sollen diese soweit wie möglich vermieden werden, und von dem, was dann noch übrigbleibt, kennt man die Frequenzen sehr genau und kann sie später aus den Meßergebnissen herausrechnen.


Sich drehendes Kettenkarussell, die teils von Menschen besetzten Sitze zeigen nach außen - Foto: Klaus P. Rausch auf Pixabay

In einem Kettenkarussell werden die Menschen von Ketten darin gehindert, samt ihren Sitzen davonzufliegen, aber was hindert die Sterne von Spiralgalaxien daran, ins All geschleudert zu werden?
Foto: Klaus P. Rausch auf Pixabay

In dieser einst den Zyklotron (Kreisbeschleuniger) der DESY (Deutsche Elektronen-Synchrotron) bergenden Halle wollen Forscherinnen und Forscher die Dunkle Materie nicht direkt nachweisen, sondern nur ihre theoretisch vorhergesagte Wechselwirkung mit sichtbarer Materie. Man nimmt an, daß Dunkle Materie mindestens zum Teil aus Axionen besteht, jenen hypothetischen Elementarteilchen, die sich der Theorie zufolge unter bestimmten Bedingungen zeigen. Nach ihnen wird gefahndet, weshalb BRASS für Broadband Radiometric Axion Searches, (z. Dt.: Breitband-radiometrische Axionensuche) und MADMAX für Magnetized Disc and Mirror Axion Experiment, (z. Dt.: Magnetisierte Scheiben- und Spiegel-Axionenexperiment) stehen.

Nach den Berechnungen und Schlußfolgerungen der Physik besteht das Universum zu 25 Prozent aus Dunkler Materie. Die Sterne und andere sichtbaren Objekte machen nur etwa fünf Prozent aus. Der Rest wird Dunkle Energie genannt. Diese soll das Universum nicht zusammenhalten, sondern mit zunehmender Geschwindigkeit auseinandertreiben. Letzteres zu erforschen ist allerdings ein anderes Kapitel, wenngleich aus demselben Buch.

Die angenommene Dunkle Materie durchdringt die fernen Sterne der Milchstraße und andere Galaxien ebenso wie uns Menschen, augenscheinlich ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Das Axion jedoch ist einer von mehreren theoretisch vorhergesagten Anwärtern, die eine Spur hinterlassen könnten. Es muß ihm allerdings eine sehr spezielle Falle gestellt werden, bei der starke Magneten eine Rolle spielen, und auch dann würde es sich nicht direkt zeigen, sondern seinerseits eine Reaktion auslösen - dann allerdings im sichtbaren Universum. Es würde sich nämlich ein Photon (Lichtteilchen) bilden, für das es aufgrund des Versuchsaufbaus keine andere hinreichend plausible Erklärung geben dürfte, als daß es durch ein unsichtbares Axion ausgelöst worden war.


Der Leiter des Experiments BRASS erläutert mit ausgestreckten Händen Aufbau und Funktion der Parabolschüssel - Foto: © 2019 by Schattenblick

Prof. Dr. Dieter Horns in seinem Element
Foto: © 2019 by Schattenblick

Die wissenschaftliche Leitung von BRASS liegt in den Händen von Prof. Dr. Dieter Horns vom Institut für Experimentalphysik der Universität Hamburg. Der von ihm gewählte Experimentaufbau ist einfach verglichen mit anderen Versuchen aus der Elementarteilchenphysik, für die kilometerlange Tunnel und hausgroße Detektoren unter der Erde angelegt werden. In einem der beiden gut abgeschirmten Räume von SHELL befindet sich eine Radioteleskopschüssel von zweieinhalb Meter Durchmesser, deren Oberfläche in einem Magnetfeld liegen wird. In der gegenüberliegenden Ecke des Raums werden Receiver aufgebaut. Trifft ein Axion auf die Parabolschüssel, könnte es eine elektromagnetische Welle freisetzen, die auf den Receiver gestrahlt und dort als Signal registriert würde.

Das sehr viel aufwendigere Experiment MADMAX ist zwar empfindlicher als BRASS, das heißt, es würde noch schwächere Signale erfassen, aber dafür wird in diesem Versuchsaufbau nicht zeitgleich in einem so breiten Spektrum wie bei BRASS nach Axionen gesucht. Vielmehr scannt MADMAX gewissermaßen den für Axionen vorhergesagten Frequenzbereich Schritt für Schritt ab, berichtete die wissenschaftliche Leiterin dieses Experiments, Prof. Dr. Erika Garutti, ebenfalls vom Institut für Experimentalphysik der Universität Hamburg. Die Versuche können sich über Jahre hinziehen, weswegen sie froh wäre, würde ihr Kollege mit BRASS etwas finden. Dann könnten sie sich genau auf den betreffenden Frequenzbereich stürzen, sagte sie gegenüber der Presse.

Für MADMAX wird hier in SHELL in den nächsten Jahren zunächst ein kleinerer Prototyp gebaut, an dem die verwendeten Materialien, die Spezialmotoren zum mikrometerfeinen Verschieben der 20 Detektorscheiben aus miteinander verklebten Lantanaluminat-Sechsecken und alle weiteren Aggregate wie die starken Magneten, getestet werden. Der Prototyp würde dann bereits unter Vakuumbedingungen, in einem 10 Tesla starken Magnetfeld und bei Temperaturen von vier Kelvin (ca. -269 Grad Celsius) auf dem Campus Bahrenfeld selbst dem Härtetest unterzogen. Anschließend - man schreibt inzwischen das Jahr 2023 - würde er noch vom Teilchenbeschleuniger SPS (Super Proton Synchrotron) am CERN bei Genf auf Herz und Nieren geprüft. Erst danach würde der eigentliche Detektor gebaut, in dem die Detektorscheiben (80 statt 20 an der Zahl) nicht 30 Zentimeter, sondern einen Meter durchmessen. Die größere Fläche soll die Chance erhöhen, ein Axion zu erwischen, und mit einer größeren Zahl an Detektorscheiben hofft man, das Signal verstärken zu können.

Dieser riesige Aufwand wird betrieben, weil angenommen wird, daß Axionen eine extrem winzige Masse haben, selbst verglichen mit Elektronen, die ihrerseits eine winzige Masse im Vergleich zu Atomkernen haben. Veranschaulichen kann man sich das vielleicht mit einem Stück Brot (Atomkern), von dem ein Krume (Elektron) zu Boden fällt und dort in weitere Teile auseinanderbricht. Axionen wären dann dermaßen kleine Brotpartikel, daß sich nicht einmal eine Ameise die Mühe machte, sich danach zu bücken, um sie in ihren Bau zu schleppen. Axionen haben eine etwa ein Milliardstel kleinere Masse als Elektronen und sind damit sogar noch kleiner als Neutrinos, die leichtesten aller bekannten Teilchen, denen eine Masse zugesprochen wird.


Beide beugen sich über einen Tisch, um in den Versuchsaufbau zu schauen - Foto: © 2019 by Schattenblick

Prof. Dr. Erika Garutti und der Techniker Michael Matysek präsentieren den im Bau befindlichen MADMAX-Prototyp
Foto: © 2019 by Schattenblick

Axione gelten nicht als die einzigen Kandidaten für den Nachweis Dunkler Materie, und so stehen die Forschenden des Exzellenzclusters Quantum Universe in einem weltweiten wissenschaftlichen Wettbewerb, wer sie als erstes nachweisen kann. Zudem wird in der Physik sogar nach Alternativen zum Postulat der Dunklen Materie gesucht, beispielsweise hoch aktuell in "Nature" mit dem Bemühen, die Allgemeine Relativitätstheorie zu ergänzen und von einer veränderlichen Gravitation, die mit der Materiedichte zunimmt, auszugehen. Allerdings muß man dann andere Postulate und Beobachtungen neu erklären, was die Angelegenheit keinesfalls einfacher macht. [2]

Jedenfalls hat die Hamburger Teilchenphysik einen ihrer Schwerpunkte auf den Axionennachweis gelegt. BRASS und MADMAX sind nicht die ersten Experimente dieser Art. Der Physiker Prof. Dr. Andreas Ringwald, der den theoretischen Hintergrund für die Suche nach Axionen geliefert hat, führte bereits vor einigen Jahren im Projekt ALPS (Axion-like Particles) "Licht durch die Wand"-Experimente durch und setzt das ursprüngliche Konzept in modifizierter Form weiter fort.

Ringwald ließ es sich nicht nehmen, an der Eröffnung der Experimentierhalle SHELL teilzunehmen, und so bestand für den Schattenblick die Chance, aus erster Hand zu erfahren, wie der Stand der Dinge bei seinen Forschungen ist. Zur Zeit werden auf dem Campus Bahrenfeld auf einer geraden Strecke des Teilchenbeschleunigers HERA die Magnete für das Experiment ALPS IIc aufgebaut, das im Sommer nächsten Jahres fertig sein wird, so daß voraussichtlich ab Herbst oder Winter 2020 die ersten Daten genommen werden können. Die Sensitivität dieser Anlage sei nicht so groß wie bei den neuen Anlagen, sagte Ringwald, aber es gebe einen Überschneidungsbereich.

Ungefähr ab dem Jahr 2024 soll hier auf dem Gelände der DESY des Forschungscampus Bahrenfeld noch eine vierte Anlage zur Suche nach Axionen errichtet werden. Mit babyIAXO (International Axion Observatory) will man nach solaren Axionen forschen.


Ringwald späht in gebückt-aufmerksamer Haltung in Richtung Parabolschüssel, Horns und Garutti freuen sich - Foto: © 2019 by Schattenblick

Prof. Dr. Andreas Ringwald scheint schon ein Photon entdeckt zu haben ...
Foto: © 2019 by Schattenblick

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, das Bundeswirtschaftsministerium und auch die Stadt Hamburg lassen es sich einiges kosten, um in der Axionenforschung vorne an zu sein. Als stellvertretender Sprecher des Exzellenzclusters Quantum Universe dankte ihnen Prof. Dr. Peter Schleper in seiner Begrüßungsansprache zur Eröffnung von SHELL.

Allein die Kosten für den Magneten, der für MADMAX gebraucht wird und den es laut Garutti in dieser Art und Größe bisher noch nicht gibt, dürften im zweistelligen Millionenbereich liegen. Und das ist nur ein kleiner Teil der Finanzmittel, die für diese Art der Forschung gebraucht werden. Vor einiger Zeit sprach der Schattenblick mit einem der führenden Pflanzenforscher und Biochemiker Deutschlands. Dieser wünschte sich, daß in die Sicherung der Welternährung genauso viel Geld gesteckt würde wie in die Erforschung der Schwerkraft, Dunklen Materie und ähnlicher Dinge. Er wandte sich explizit nicht gegen die Förderung der Physik, sondern wünschte sich nur ebensoviele Zuwendungen für eine Reihe "von grundlegenden Fragestellungen in der Biologie, die ähnliche Dimensionen haben". [3] Als Sprecher eines anderen Exzellenzclusters zählte jener Forscher ebenfalls zu den Begünstigten, denen einige Vorteile gegenüber anderen, weniger privilegierten wissenschaftlichen Einrichtungen eingeräumt werden. Dessen ungeachtet verdeutlicht sein Wunsch, was es bedeutet, daß Forschungen stets in einem politischen Umfeld stattfinden und bestimmte Interessen bedienen, die dann zu Gewichtungen in der Mittelvergabe führen.

Manche Menschen mögen ihr eigenes Unverständnis von der Fach- und Formelsprache der Physik als Argument anführen, warum ihrer Ansicht nach die "Eierköppe" nur "abgehobenes Zeugs" reden und tun. Dieser Einstellung wäre zu entgegnen, daß das physikalische Weltbild, das der Suche nach Axionen zugrundeliegt, vielleicht nur wenigen Menschen im Detail bekannt ist, aber daß jeder Mensch, der beispielsweise sein Handy benutzt, am Wochenende den Fernseher für die Fußballbundesliga anschaltet oder sich in ein Flugzeug setzt, um quer über den Atlantik zielgenau nach New York geflogen zu werden, sich darauf verläßt, daß Einstein recht hatte - und damit auch alle, die sich auf ihn berufen. So ungeheuer speziell die Suche nach Axionen zweifellos ist, der tiefe Wunsch, ein schlüssiges Weltbild zu formulieren, hat eine Menge mit den Wünschen jeder und jedes einzelnen zu tun wie auch mit den vorherrschenden Denkweisen, wie diese Gesellschaft funktioniert und wie sich das Individuum darin einfindet.

Nur rund fünf Prozent des Universums sind für uns sichtbar, bekennt die Physik freimütig. Der weitaus größere Teil ist quasi eine Black Box. Den physikalischen Vorstellungen zufolge werden wir Menschen und die Welt um uns herum jeden Moment von Myriaden winziger Elementarteilchen durchdrungen, die zu einer Materieform gehören, die zu erfassen unsere natürlichen Sinne und all die technischen Errungenschaften nicht hinreichen. Zugleich hat diese mysteriöse Materieform fundamentalen Einfluß auf das sichtbare Universum, und ohne sie wäre das Leben, wie der Mensch es definiert, gar nicht erst zur Existenz gelangt.


Schwarzes Rechteck, obere linke Ecke eine Abbildung der berühmten Pioneer-Plakette als Symbol für den einzig sichtbaren Teil des Universums - Bild: NASA, bearbeitet von Schattenblick

Nur fünf Prozent des Universums sind sichtbar, der große Rest bleibt im Dunkeln
Bild: NASA, bearbeitet von Schattenblick


Fußnoten:


[1] https://www.mpp.mpg.de/aktuelles/meldungen/detail/madmax-ein-neues-experiment-zur-erforschung-der-dunklen-materie/

[2] https://www.nature.com/articles/s41550-019-0823-y

[3] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0262.html


11. Juli 2019


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