Schattenblick → INFOPOOL → NATURWISSENSCHAFTEN → REPORT


INTERVIEW/001: Kernfusion und Plasmaforschung - hoffen, forschen, wünschen ...    Prof. Dr. Thomas Klinger im Gespräch (1) (SB)


Pressereise zur Startvorbereitung für den Wendelstein 7-X & Plasmaphysik im All und auf der Haut

Teil 1 des Interviews mit Prof. Dr. Thomas Klinger, Leiter des Bereichs Stellarator-Dynamik und -Transport des Fusionsreaktors Wendelstein 7-X, am 17. August 2015 im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Greifswald


"In der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU, CSU und SPD wurde verabredet, die Fusionsforschung auf dem festgelegten, begrenzten Niveau fortzuführen", heißt es in der Antwort der Bundesregierung vom 21. Juli 2015 auf eine kleine Anfrage der Grünen zur "Energieaußen- und Klimapolitik in Folge der G7-Beschlüsse von Elmau". [1]

Somit scheint die Finanzierung der Fusionsforschung durch die Bundesregierung zur Zeit noch gesichert. Sie ist sowohl am Bau des Fusionsreaktors ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) im südfranzösischen Kernforschungszentrum Cadarache als auch am Forschungsreaktor Wendelstein 7-X in Greifswald beteiligt. Eine gewisse Unsicherheit über die Dauerhaftigkeit der Finanzierung besteht dennoch. Im Mai dieses Jahres sagte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) gegenüber der Grünen-Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl laut der Süddeutschen Zeitung, Deutschland sei bei ITER an völkerrechtliche Verträge gebunden, aber: "Wir haben 2017 zum ersten Mal die Möglichkeit, aus dem Programm auszusteigen." [2] Das Wissenschaftsministerium macht zwar deutlich, daß Deutschland an die Euratom-Verträge gebunden ist, die für ITER relevant sind, aber die Debatte zeigt, daß hier einiges im Fluß ist.

Nachdem die Europäische Union, die Bundesregierung und das Land Mecklenburg-Vorpommern für den Forschungsreaktor Wendelstein 7-X bislang insgesamt gut eine Milliarde Euro ausgegeben haben, ist eher nicht damit zu rechnen, daß das Vorhaben aufgegeben wird, kurz bevor es seinen eigentlichen Zweck erfüllt hat. Wie wir berichteten [3], soll der Fusionsreaktor Wendelstein 7-X zeigen, ob das über 100 Millionen Grad heiße Plasma durch optimierte Magnetfelder eingeschlossen werden kann und ein Dauerbetrieb prinzipiell möglich ist.

Noch in diesem Jahr könnten die ersten Tests des gesamten Systems beginnen, nachdem bislang die Einzelkomponenten überprüft wurden. Aus diesem Anlaß hat die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) am 17., 18. August 2015 zu einer Pressereise zu drei Greifswalder Instituten, die sich mit Plasmaforschung befassen, dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP), dem Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie (INP) sowie dem Institut für Physik (IfP) der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, eingeladen.


Beim Interview - Foto: © 2015 by Schattenblick

Prof. Dr. Thomas Klinger
Foto: © 2015 by Schattenblick

Prof. Dr. Thomas Klinger ist Direktor des Projekts Wendelstein 7-X des Greifswalder Teilinstituts des IPP und dort Leiter des wissenschaftlichen Bereichs "Stellarator-Dynamik und -Transport". Außerdem hat er seit 2002 den Lehrstuhl für Experimentelle Plasmaphysik an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität zu Greifswald inne. Vor Beginn der Veranstaltung sprach der Schattenblick mit Prof. Klinger über das Projekt "W7-X", wie es verkürzt genannt wird.

Schattenblick (SB): Wie lange ist der Aufbau von Wendelstein 7-X schon in Arbeit?

Prof. Thomas Klinger (TK): Offizieller Projektstart war 1996. Ab 2000 ging es ernsthaft los, der Aufbau als ganzes hat somit gut 15 Jahre in Anspruch genommen. Davon entfielen zehn Jahre auf die Montage, wobei wir schon anfingen zu montieren, als noch gar nicht alle Teile da waren. Die wurden dann "just in time", also rechtzeitig für die Montage geliefert.

SB: Was war dabei technologisch am kniffligsten?

TK: Da war jede Sache knifflig, das ist somit schwer zu werten. An sich waren drei Bereiche besonders anspruchsvoll: Zum einen der Gefäßbau, also die Herstellung der Stahlgefäße mit der notwendigen Präzision. Da hat unser Auftragnehmer, die Firma MAN in Deggendorf, Hervorragendes geleistet. Zum anderen die Montage der Magnete. Denn das sind große, schwere Komponenten, die auf mehr als zwei Millimeter Genauigkeit ausgerichtet werden mußten. Das war Feinmechanikerarbeit in Großformat. Und als drittes die Gefäßeinbauten, also alles Innere des ganzen Plasmagefäßes. Das war wegen der räumlichen Enge, der Vielfalt der Komponenten und der hohen Genauigkeitsanforderungen ebenfalls sehr, sehr aufwendig.

SB: Vielleicht kommt diese Frage jetzt etwas zu früh, weil sowohl das Stellarator- als auch das Tokamak-Konzept noch erforscht wird. Dennoch die Frage: Läßt sich jetzt schon abschätzen, auf welches Fusionsreaktorkonzept es vielleicht hinauslaufen wird?

TK: Nein.

SB: Wo liegen die jeweiligen Vor- und Nachteile der beiden Fusionsreaktorkonzepte?

TK: Der Tokamak hat mehr Symmetrie. Der hat eine Drehsymmetrie um die große Achse herum. Es ist egal, wo Sie den senkrecht durchschneiden, es sieht immer gleich aus. Das macht es von der Berechnung, ebenso wie vom Engineering her etwas einfacher. Der Stellarator hat weniger Symmetrie.

Der Tokamak ist aber weniger stabil. Nicht im Sinne seiner mechanischen Stabilität, sondern hinsichtlich seiner Plasmastabilität. Die ist beim Tokamak inhärent schlechter, weil dieser für seinen Betrieb einen sehr starken Strom braucht, den das Plasma eigentlich gar nicht haben will. Es weicht aus und versucht irgendwie, diese freie Energie loszuwerden.

Wenn man es ganz einfach formulieren will: Der Tokamak ist leichter zu bauen, der Stellarator leichter zu betreiben. Und wenn ich sage, es ist noch nicht entschieden, auf welches Modell es hinausläuft, dann muß man dazu sagen, daß es jetzt echt auf Wendelstein 7-X ankommt. Wenn der gut ist, dann ist der Stellarator im Rennen. Wenn er schlecht ist und die Leistungsdaten nicht vergleichbar oder besser sind als beim Tokamak, dann würde man wahrscheinlich den Weg nicht mehr ernsthaft weiterverfolgen.


Der Stellarator, verborgen hinter zahlreiche Gerüsten und Aufbauten - Foto: © 2015 by Schattenblick

Zehn Jahre Montage ...
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Wenn wir das richtig verstanden haben, werden in diesem Jahr erstmals alle Systeme, die bisher einzeln getestet wurden, zusammen geprüft. Dann haben Sie nach so vielen Jahren der Forschung sozusagen eine Premiere wie beim Theater.

TK: Ja, ganz genau. Die Stellproben haben wir jetzt alle hinter uns, jetzt kommt es zur Premiere.

SB: Ein zukünftiger Fusionsreaktor, der Strom produziert, besteht aus vielen Bauteilen, die mit Energieverbrauch verbunden sind: Die Supraleitung muß bei -270 Grad gekühlt werden, die Schutzwände müssen voraussichtlich alle zwei Jahre ausgewechselt werden, dann hat man die üblichen Verluste bei der Wärmeübertragung, wie sie auch bei jedem Kohle- oder Atomkraftwerk verzeichnet werden. Kann man jetzt schon abschätzen, wieviel Energie in einen zukünftigen Fusionsreaktor, der im Unterschied zu Wendelstein 7-X Strom produzieren soll, hineingesteckt und wieviel herauskommen würde?

TK: Ja, dazu gibt es schon Systemstudien. Wenn man von der jetzigen Technologie ausgeht, wofür man flüssiges Helium braucht, so ist sie aufwendig und stromintensiv. Das zu betreiben frißt schon ganz schön, und für ein paar andere Hilfssysteme brauchen Sie auch noch mal wieder Strom. Hinzu kommen die Konversionsverluste. Insgesamt strebt man den Wirkungsgrad eines normalen Wärmekraftwerks an, das sind so an die 60 Prozent. Das ist einfach ein vernünftiger Wert, sonst wäre so ein Fusionsreaktor wirtschaftlich auch nicht gut zu betreiben.

SB: Das Konzept des Fusionsreaktors weckt Erinnerungen an die Aufbruchstimmung gegen Mitte des letzten Jahrhunderts. Kostenlose Energie für jedermann, lautete das Versprechen. Mit Atomenergie hat es, das kann man wohl sagen, nicht so geklappt, wie es ursprünglich mal versprochen war. Sehen Sie Chancen, daß es bei der Fusionsenergie anders wird?

TK: Ich glaube, man hat auch viel gelernt. Solche Euphorien entstehen immer gerne, wenn etwas gerade entdeckt wurde. Zu jener Zeit ging es darum, daß der Mensch in der Lage ist, an die Bindungsenergie der Kerne ranzukommen und sie in Wärme umzuwandeln. Das war natürlich sehr aufregend, weil man Tausende von Jahren vorher nur die chemische Energie hatte, also alles das, was ganz außen in den Atomen in der Elektronenhülle stattfindet. Und Verbrennen, Feuer machen, da herrschte wahrscheinlich auch eine große Euphorie, als man das Feuer entdeckt hatte - das ist aber schon lange her. (lacht)

Der einfachste Weg zur Nutzung der Bindungsenergie ist in der Tat die Spaltung. Zwar mußte man auch da ein bißchen rumexperimentieren zu der Zeit - damals war das schon eine Leistung -, aber trotzdem ist die Spaltung der schnellere Weg. Man hatte schon sehr früh realisiert, daß es noch einen anderen Weg gibt, die Verschmelzung, und festgestellt, daß das nicht so einfach werden wird. Deshalb ist die Fusionsforschung auch nicht konsequent vorangegangen.

Ich bin kein Kernphysiker, aber wenn man jetzt über die Spaltung redet, da hat man anfangs ein bißchen unterschätzt, was das alles bedeutet. Daß man die Spaltprodukte handhaben und sehr, sehr viel Schutz einbeziehen muß und man damit langfristige Probleme hat.

Ich glaube, das haben wir inzwischen alles viel, viel besser verstanden. Und jetzt ist man auch in der Lage, eine Güterabwägung zu machen vor dem Hintergrund, daß die Fusion fast alle gravierenden Nachteile, die die Kernspaltung hat, nicht aufweist: Das inhärente Sicherheitsproblem ist weg, die Endlagerproblematik ist weg, auch das Problem der Verfügbarkeit des Spaltmaterials - selbst Uran wird irgendwann mal alle - ist letztlich weg.

Die blinde Euphorie gehört ebenfalls zur Vergangenheit, die ist Geschichte. Wobei es ja nicht schlimm ist, euphorisch zu sein, das gehört auch zum Menschen dazu, aber man ist jetzt ein bißchen nüchterner geworden und geht damit nüchterner um. Deshalb, glaube ich, haben wir heute eine bessere technisch-wissenschaftliche Basis.

Das bedeutet nicht, daß bei der Fusion alles gelöst wäre. Wir müssen insbesondere noch allerlei Materialprobleme bewältigen. Das ist harte Arbeit, aber es erscheint mir nicht unlösbar. Insofern ist man jetzt viel, viel weiter gekommen und befindet sich inzwischen in einer Situation, wo man ganz "sine ira et studio" - ganz nüchtern, technologisch und wissenschaftlich basiert - eine Bewertung vornehmen und damit herausarbeiten kann: Ist das wirklich eine vernünftige Option oder nicht?

SB: In den letzten zehn Jahren haben die erneuerbaren Energien einen vermutlich auch für Physiker überraschend rasanten Zuspruch erfahren und sich immer mehr durchgesetzt. Wie sehen Sie die - vielleicht aus Ihrer Sicht - "Gefahr", daß damit Fusionsenergie obsolet werden könnte?

TK: Manchmal wird das Argument auch an uns herangetragen: Es sei ja schön und gut, Fusionsforschung zu betreiben, aber die sei doch von der realen Entwicklung überholt worden und überflüssig.

Ich glaube das nicht. Auch bei der erneuerbaren Energie gibt es Grenzen des Wachstums. Wind und Sonne sind Energiequellen, die ebenfalls ihre Vor- und Nachteile haben. Man kriegt niemals etwas Ideales, so gemein ist die Welt immer. Die Erneuerbaren haben den großen Nachteil, daß ihre Verfügbarkeit nicht a priori dem Bedarf angepaßt werden kann. Der Wind weht, die Sonne scheint, und beides hat erstmal nichts damit zu tun, wo der Bedarf ist. Man kann sie nicht nach Belieben ein- und ausschalten. Oft wird locker gesagt: "Dann speichern wir den Strom eben." Aber nichts ist schwerer zu speichern als Energie im Großformat. Die Leute sagen: "Mit Akkus, kennt doch jeder! Elektrische Zahnbürste!" Aber wir reden hier von Gigawatt. Ein Gigawattspeicher ist etwas anderes als ein Wattspeicher.


Seitenansicht Betontor und -wand - Foto: © 2015 by Schattenblick

Bei Betrieb wird das 1,80 m dicke Betontor geschlossen, um die Neutronen abzufangen. Ein Gutachten des TÜV Süd bestätigt die Sicherheit dieses Schutzes. [4]
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Sie kennen vermutlich Studien von den Grünen oder Umweltorganisationen wie Greenpeace, wonach ab 2050 keine Kernenergie, keine Braunkohle, sondern nur noch erneuerbare Energien produziert werden könnten, um den Strombedarf der Bundesrepublik zu decken. Ganz allgemein gefragt, halten Sie so etwas für illusorisch, weil vielleicht der Grundlaststrom nicht verfügbar wäre oder die Netze das nicht schaffen?

TK: Das "illusorisch" zu nennen, wäre ganz bestimmt übertrieben. Ich habe immer großen Respekt davor, wenn man Visionen hat und eine große Idee verfolgt. Wir verfolgen ja auch eine große Idee. Insofern sehe ich das ein bißchen als einen Wettbewerb der Systeme an. So war das auch immer beim Erkenntnisgewinn in der Menschheit. Das halte ich für ein wichtiges Element, da muß man auch Position beziehen.

Nun kommt das Aber: Ich denke da in Risikokategorien. Eigentlich muß man Risikomanagement betreiben. Energie ist ja etwas sehr, sehr Essentielles für die Menschen. Energie ist alles: Energie ist Nahrung, Energie ist sauberes Wasser, Energie ist Wärme, wenn es einem kalt ist, oder Kälte, wenn es einem zu warm ist. Energie ist Mobilität, Energie ist Licht, wo es dunkel ist, und, und, und. Die Liste ließe sich noch viel länger machen.

Eigentlich ist Energie das friedensbewahrende Element, damit ist nicht gut rumzuspielen. Wenn man jetzt einfach mal so sagt, okay, wir machen den Extremkurs und setzen nur auf erneuerbare Energien, dann nimmt man als unmittelbare Folge davon mehr Risiko auf sich. Nämlich das Risiko, daß man doch nicht da ankommt, wo man hinwollte. Die Natur ist immer gemein (lacht), die denkt sich alle möglichen Dinge aus, die einen steckenbleiben lassen.

Wie ich schon sagte, Energiespeicherung ist noch ein riesiges ungelöstes Problem. Die Max-Planck-Gesellschaft hat nicht zum Spaß extra ein neues Institut für chemische Speicherung von Energie auf die Beine gestellt. Sie sieht da Grundlagenforschungsbedarf. Wenn man dann immer hört: Ja, das ist ein ungelöstes Problem, aber man braucht es nur noch ein bißchen zu optimieren oder den Wirkungsgrad zu verbessern - halte ich das für Unsinn. Wir tasten uns da genauso in eine unbekannte Welt vor, wie wir uns bei der Fusionsforschung immer weiter vortasten. Beides sind langfristige Programme.

Wenn die Max-Planck-Gesellschaft ein Institut gründet, sieht es eine Forschungsperspektive von 50 Jahren, sonst würde es kein Institut gründen. Wir machen dort Grundlagenforschung, wo sie getan werden muß. Sich nur auf ein System zu verlassen, wäre ein Risiko. Wenn man das minimieren will, verfolgt man mehrere Wege. Ich sage ja nicht, daß man am Ende zwingend Fusion nehmen muß. Wenn das alles klappt mit der erneuerbaren Energie und sie besser ist, wenn wir alle damit fröhlicher sind und das auch ökonomischer ist oder was auch immer es für Gründe gibt, dann soll man sie in Gottes Namen auch nehmen. Aber was ist, wenn nicht? Man sollte nicht erst dann anfangen, nach etwas anderem zu forschen. Denn das ist ein dickes Brett, durch das wir hier mit der Fusionsenergie bohren müssen. Das braucht noch eine Forschergeneration und man kann nicht erst dann damit anfangen. Das ist wie in der Waldwirtschaft: Wenn man den Baum nicht pflanzt und nicht begießt, dann kann man ihn auch nicht fällen, wenn man das Holz braucht.

SB: Ein über hundert Millionen Grad heißes Plasma auf der einen Seite und Supraleitungen, die auf -270 Grad gekühlt werden müssen, auf der anderen. Wie dicht kommen sie zusammen und was sind das für Kräfte, die da aufgrund solcher Temperaturunterschiede vorherrschen und kontrolliert werden müssen? Oder machen dann die -270 Grad zu den zig Millionen auch nicht mehr viel aus?

TK: Da haben Sie sogar fast recht. Denn wenn Sie ein Millionen Grad heißes Plasma haben, fällt es nicht so ins Gewicht, ob Sie das dann im Vergleich zur Raumtemperatur oder zur Tiefsttemperatur wahren müssen. Technisch gesehen ist es natürlich wichtig, daß man das voneinander trennt. Die Magnetspulen, die auf -270 Grad runtergekühlt werden, müssen rundherum in eine thermische Isolation gegenüber der Raumtemperatur eingepackt werden. Denn das Gefäß mit dem Plasma hat Raumtemperatur, und der große Sprung von diesen 100 Millionen Grad auf Raumtemperatur geschieht vollständig innerhalb des Gefäßes, also innerhalb dieses super-, super-, superdünnen Gases. Das ist zehn Millionen mal dünner als das Gas, das wir einatmen! Das kann man relativ gut auf hohe Temperaturen bringen, aber nur wenn es keinen innigen Wärmekontakt mit der Wand hat. Dann würde es abkühlen und man könnte noch so viel Energie reinstecken, es würde einfach nicht heiß.

Isoliert werden die Supraleitungen für die Magnetspulen mit einer zwanziglagigen "Steppjacke", bloß daß sie technisch ein bißchen schicker ist. Sie ist genau wie diese Knitterfolie, wie man sie für den Notfall im Auto hat. Das ganze wird nochmals mit einem gasgekühlten Schild versehen, so daß man im Innern die Tiefsttemperaturen ganz gut erreichen kann. Das bedeutet, daß die Magnetspulen gar nicht "wissen", daß da jenseits dieser Stahlwand ein heißes Gas ist, sie sind vollkommen entkoppelt von dem tatsächlichen Plasma.


Detailaufnahme einer folienummantelten Rohrleitung - Foto: © 2015 by Schattenblick

Steppjacken-Technologie ...
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: In der Vergangenheit wurden schon Fusionen für jeweils ganz kurze Zeit hergestellt. Sie wollen das Plasma ungefähr dreißig Minuten aufbauen. Was würde passieren, wenn das Magnetfeld plötzlich zusammenbricht?

TK: Ganz einfach, das Plasma in dem Wendelstein 7-X hat 0,1 Gramm Masse. Das umgebende Stahlgefäß hat etwa 50 Tonnen. Dann können Sie sich vorstellen, wer gewinnt. Wenn das Magnetfeld weg ist, würde sich das Plasma sofort bis an die Wand ausbreiten, denn dann ist es ja nicht mehr zusammengequetscht. Es trabt also fröhlich aus dem Käfig raus, trifft auf die kalte Wand und kühlt sich sofort dramatisch auf Raumtemperatur ab. Das geht ganz fix, innerhalb von Millisekunden, und dann ist es ein normales, neutrales Gas. Dann hat man also diese 0,1 Gramm Gas, das zehn Millionen mal dünner ist als Luft. Es wird von den Pumpen rausgepumpt und ist dann weg. Es löst sich sofort auf wie ein Gespinst.

SB: Würde ein Physiker das so beschreiben, daß das Plasma mit seinen voneinander getrennten Atomen und Elektronen eine irrsinnig hohe Geschwindigkeit hat im Unterschied zu einem normalen Gas?

TK: Ja, die hohe Temperatur von über hundert Millionen Grad ist ein Maß für die mittlere Geschwindigkeit der Teilchen. Das macht die Temperatur aus, weil sie auch verteilt sind. Man sagt, daß sie eine Verteilungsfunktion haben, sie sind thermisch, wie auch unser Gas, in dem wir hier jetzt sitzen, eine thermische Geschwindigkeitsverteilung hat. Nur daß die Teilchen im Plasma viel, viel schneller sind, weil das Gas gleichzeitig sehr viel dünner ist. Dieses ganz verdünnte Gas kann sogar wesentlich weniger Wärme tragen als etwa unser atmosphärisches Gas.

100 Millionen Grad entspricht 10 Kiloelektronenvolt, keV. Das ist die Einheit, die wir in der Physik lieber nehmen für elektrisch geladene Teilchen. Jetzt vergleichen Sie das mal mit den Teraelektronenvolt am Teilchenbeschleuniger CERN. Die Teilchen, die da im Kreis auf immer mehr Tempo gebracht werden wie bei einer elektrischen Eisenbahn, der Sie aber jedesmal einen neuen Schub geben - schneller, schneller, schneller - die sind ungefähr eine Milliarde mal schneller! Insofern ist es keine Hexerei, zehn keV zu erzeugen. Da lachen sich unsere Kollegen aus der Hochenergiephysik schlapp, das ist für die überhaupt nicht schnell.

Bloß wenn man das dann in Temperatur umrechnet, hört sich das ganz beeindruckend an. Weil unser täglicher Temperaturbegriff von Festkörpern geprägt ist. Eine Tasse Tee mit hundert Grad, die kriegt man schon nicht mehr auf die Zunge. Tausend Grad wäre eine heiße Herdplatte und 3000 Grad Lava. Da ist unsere Vorstellung von festen Körpern, von kondensierter Materie geprägt. Wir reden hier jedoch nicht von einem festen Körper, sondern von dem Plasma, einem superdünnen Gas. Über diese Denkhürde muß man rüberkrabbeln.

SB: Den meisten Laien dürfte es Schwierigkeiten bereiten, sich vorzustellen, daß Plasma ein ganz anderes Medium ist. Man denkt dabei eher an Blutplasma oder ähnliches.

TK: Ja, wir leben in kondensierter Materie. Der Plasmazustand ist schon wahnsinnig weit weg davon. Das ist das, was im Weltall stattfindet, und wer kennt sich schon im Weltall aus.

SB: Erklären sich so auch die sehr hohen Temperaturen, wie sie für die Ionosphäre beschrieben werden, während die Schichten unterhalb und oberhalb viel kälter sind?

TK: Genau, dort haben wir ein sehr dünnes, ionisiertes Gas, in dem die Atomverbunde alle aufgebrochen sind und die Atomkerne und Elektronen herumflitzen. Die bekommt man aufgrund der elektrischen Felder, die dort aufgebaut sind, relativ leicht auf Tempo.

SB: Hier am Wendelstein 7-X soll aus der Fusion noch kein elektrischer Strom erzeugt werden. Wozu braucht man dann als Sicherheitsmaßnahme eine 1,8 Meter dicke Betonwand?

TK: Wegen der Neutronen, um die man sich ein bißchen kümmern muß. Zunächst einmal ganz allgemein zu Fusionskraftwerken: Bei einer Deuterium-Tritium-Fusionsreaktion bekommen die Neutronen schon tüchtig Tempo, die werden dann auf 14 Megaelektronenvolt beschleunigt. Das ist eine um den Faktor tausend höhere Geschwindigkeit gegenüber der, die sie im Plasma hatten. Die Neutronen sind elektrisch neutral, werden also vom Magnetfeld nicht aufgehalten und fliegen auf geradem Weg raus. Die bremst man ab, indem man sie in dieses Blanket - die erste, dicke Wand - hineinschickt. Das ist erwünscht, das ist die Art und Weise, wie wir überhaupt die Energie rauskoppeln.

Dort wird die kinetische Energie zu Wärmeenergie, dann erwärmt sich diese Wand und man holt diese Wärme mit einem Kühlschrank raus. Wunderbar. Ein paar Neutronen machen ihren Weg auch darüber hinaus, deswegen muß man für Strahlenschutz sorgen, denn Neutronen will man nicht auf die Umwelt loslassen. Dafür hat man diesen weiteren Betonmantel, in dem man die restlichen Neutronen auch noch abbremst, damit das alles bei Null landet.

Nun zu Wendelstein 7-X. Wir haben hier gar keine Deuterium-Tritium-Reaktion, weil wir keine Wärme- und keine Stromerzeugung wollen. Das ist nicht unser Ziel. Aber trotzdem wollen wir aus wissenschaftlichen Gründen gern Experimente mit dem schwereren Bruder des Wasserstoffs machen, dem Deuterium. Das ist deshalb schwerer als Wasserstoff, weil da auch noch ein Neutron "dranklatscht". Ohne daß wir es wollen, aber auch ohne daß wir es verhindern können, gibt es in einem geringen Umfang solche Fusionsreaktionen, dazwischen auch mit Freisetzung von Neutronen. Wir haben keinen Abbremsmantel für die Wärmeerzeugung, weil das nicht Sinn der Sache bei uns ist, deshalb gehen Neutronen gleich ganz raus. Deshalb haben wir unseren äußeren Betonmantel. Und 1,8 Meter Dicke ist ganz normaler Strahlenschutz, wie man ihn auch bei Beschleunigern und Krankenhauseinrichtungen hat.

(wird fortgesetzt)


Eine aufgestellte, quasi-symmetrische Magnetspule vor dem Eingang zum IPP - Foto: © 2015 by Schattenblick

"Erst mit der Idee, daß man die Form des Magnetfeldes durch die Form der Spulen bestimmen kann, ist der Durchbruch gelungen."
(Prof. Dr. Thomas Klinger, Vortrag am 17. August 2015 am IPP in Greifswald)
Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/056/1805621.pdf

[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/energiepolitik-konfusion-um-die-kernfusion-1.2471558

[3] Unter NATURWISSENSCHAFTEN → REPORT ist bisher zu Wendelstein 7-X erschienen:
BERICHT/001: Kernfusion und Plasmaforschung - Im Spannungsfeld der Vielversprechen ... (SB)
http://schattenblick.com/infopool/natur/report/nrbe0001.html

Ebenfalls in diesem Pool finden Sie einen Bericht zum Besuch des Leibniz-Instituts für Plasmaforschung und Technologie (INP) in Greifswald:
BERICHT/002: Kernfusion und Plasmaforschung - Fortschritts- und Entwicklungsfragen ... (SB)
http://schattenblick.com/infopool/natur/report/nrbe0002.html

[4] http://www.ipp.mpg.de/ippcms/de/presse/pi/08_13_pi

26. August 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang