Schattenblick → INFOPOOL → NATURWISSENSCHAFTEN → REPORT


INTERVIEW/003: Kernfusion und Plasmaforschung - Heiße Luft und ihre Ströme ...    Prof. Dr. Klaus-Dieter Weltmann im Gespräch (SB)


Pressereise zur Startvorbereitung für den Wendelstein 7-X & Plasmaphysik im All und auf der Haut

Professor Dr. Klaus-Dieter Weltmann am 18.8.2015 über physikalische Plasmen für die Reparatur diverser Umwelt- und Gesundheitsschäden


Keine falschen Hoffnungen wecken ...

... hat sich das Leibniz Institut für Plasmaforschung und Technologie e.V. (INP) nach eigener Aussage auf die Fahnen geschrieben. Damit setzt es sich wohl nicht ohne Grund selbst unter den Zugzwang, die Hoffnungen, die es tatsächlich durch seine ambitionierten Projekte in Ärzten und Patienten hervorruft, beispielsweise Wunden zu schließen, für die es bislang keine Heilung gab, oder Krebs zu heilen, tatsächlich auch nicht zu enttäuschen.

Das stark an potentiell marktgängige Anwendungen orientierte INP hat derzeit vor allem zwei Zugpferde in den Projektausrichtungen, für die es bereits Kooperationspartner in der Industrie gefunden hat: physikalische Plasmen für die Reparatur der diversen Umwelt- und Gesundheitsschäden zu erforschen. Vor allem letzteres, die Möglichkeiten der Plasmamedizin, die der Direktor des INP, Prof. Dr. Weltmann, zur Chefsache erklärt hat, könnte über die Akzeptanz von Plasmaphysik in der Öffentlichkeit entscheiden, da hier erstmals mit einem direkten Kontakt von dem Medium Plasma an Menschen geworben wird.

Wird man Plasmaphysik, wie die Forschung behauptet, in Zukunft als eine Quelle sanfter, schonender und nebenwirkungsfreier Heilverfahren erster Wahl wahrnehmen? Oder ist ihre absehbare Entwicklung, wie sich der Schattenblick fragt [*], lediglich die Qualifizierung einer weiteren Idee in die gleiche technologiegenerierte Richtung, die zur Zerstörung unseres Planeten bisher nur beigetragen hat?

Was für Physiker 99 Prozent der sichtbaren Materie ausmacht, scheint auf den ersten flüchtigen Blick nicht viel mehr als heiße Luft zu sein. Im Grunde fügen sie den drei Aggregatzuständen, die jeder kennt, "fest" (Kristallgitter, hohe Ordnung), "flüssig" (noch elastisch verbundene Moleküle, verformbarer Zustand), "gasförmig" (einzelne Moleküle, hohe Unordnung) in der Reihenfolge einen vierten Aggregatzustand noch größerer Unordnung hinzu, den sie durch eine weitere Zugabe von Energie erreichen wollen: Plasma. Man findet es in der Kerzenflamme genauso wie in Plasma-Antrieben der Weltraumforschung. Was sie verbindet, müsse man als einen Cocktail aus sechs Komponenten verstehen, meint Prof. Dr. Klaus-Dieter Weltmann (Direktor des INP sowie Leiter des Forschungsbereichs Umwelt und Gesundheit), Ionen- und Elektronengas, Wärmestrahlung, moderate UV-Strahlung, Licht, elektromagnetische Felder und sogenannte "Radikale", mit denen "reaktionsfreudige Atome mit ungepaarten Elektronen" gemeint sind, die aber nur kurz auftreten, um sofort mit anderen Spezies weiterzureagieren. Entscheidend sei die Rezeptur des Cocktails - was voraussetzt, daß die Zufuhr der Einzelkomponenten beliebig steuerbar sein müßte.

Aber lassen sich die sechs potentiell aggressiven Einzelkomponenten, die genaugenommen erst aus der Luft durch Energiezufuhr entstehen, und über die die Forschung im einzelnen noch recht wenig weiß, überhaupt beherrschen, oder könnte sich beim Vollkontakt Plasma-Mensch eine Skepsis herausbilden, die analog zur vermeintlich friedlichen Nutzung von Atomkraft, Biotechnologie, Gen-Tech und vielen anderen umstrittenen HighTechnologien einen neuen kritischen Diskurs in der Zivilgesellschaft hervorruft? Mit diesen Fragen im Gepäck nahm das Schattenblick-Team an einer Pressereise an den Plasmaforschungsstandort Greifswald teil, zu der die Deutsche Physikalische Gesellschaft eingeladen hatte.

Im Anschluß an die Veranstaltung sprachen die Schattenblick-Redakteure mit Prof. Dr. Klaus-Dieter Weltmann, der das Greifswalder Institut seit 2003 leitet und sich in den zwölf Jahren seit seiner Amtsübernahme bereits einen Namen für sein persönliches Engagement in dem Bereich der Plasmamedizin wie auch des Wissenschaftstransfers in die Praxis gemacht hat. Eine C4 Professor für "Experimentalphysik" an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Ernst Moritz-Arndt Universität und seine achtjährige Tätigkeit in einem global agierenden Schweizer Konzern schaffen ihm für die Rolle als Vermittler an der Schnittstelle zwischen Forschung und Industrie die notwendige Expertise.


Professor Dr. Klaus-Dieter Weltmann im Interview - Foto: © 2015 by Schattenblick

Das ist wohl das Schlimmste, das man in der Medizin machen kann, Hoffnungen zu wecken, die hinterher nicht erfüllt werden können.
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Wie wurde eigentlich die Plasmaphysik für die medizinische Anwendung an Zellen und Geweben "entdeckt"?

Prof. Dr. Klaus-Dieter Weltmann (KDW): Also man hat Plasma schon vor hundert Jahren in Form von sogenannten Violet Rays in der Medizin angewandt, doch nur zur Förderung der Durchblutung der Haut. Die Violet Rays haben auch eine gewisse Wirkung. Aber die Firmen, die das damals vertrieben haben, schrieben dem Plasma weitere Wirkungen wie die Heilung von inneren Krankheiten zu, die ein Plasma gar nicht leisten kann. Es gab auch bereits Geräte auf dem Markt, die dann in den 50er und 60er Jahren in den USA wieder vom Markt genommen werden mußten. Doch die Praxis, daß man mit physikalischen Plasmen, wie wir sie verstehen, an den Menschen herangeht, ist schon 100 Jahre alt. Auch mit Hochspannungsentladungen wurden schon zwischen 1912 und 1914 erste Versuche gemacht. Eine daraus entstandene Zeileis-Methode wird heute noch als Therapieform [1] in Österreich angewendet. Auch dabei werden Hochspannungspulse genutzt, um die Durchblutung von Geweben zu verbessern.

Das sind also die ersten relevanten Plasma-Anwendungen, die sich aber auf dem Markt eben aus dem Grund nicht durchgesetzt haben, weil sie keine wissenschaftliche Durchdringung vorweisen konnten. Zum einen basieren sie auf Trial-and-Error-Erkenntnissen und zum anderen wurde aufgrund kleinerer Einzelerfolge angenommen, daß man damit sehr viel mehr heilen kann, als tatsächlich möglich war.

Das ist wohl das Schlimmste, was man in der Medizin machen kann, Hoffnungen zu wecken, die hinterher nicht erfüllt werden können. Deshalb achten wir als Leibniz-Institut insbesondere darauf, keine Versprechungen zu machen, die wir nicht halten können.

Nun hat diese hundertjährige Plasma-Geschichte dann um die Jahrtausendwende herum eine Art Renaissance in Holland erfahren und zwar durch eine Frau Eva Stoffels-Adamovicz. Sie fand in Experimenten und Selbstversuchen heraus, daß sie mit der Plasmanadel [2] kranke Zellen gezielt abtöten kann, ohne gesundes Gewebe drumherum zu schädigen. U.a. entfernte sie erfolgreich Karieskeime von Zähnen. [3]

Ihre Arbeiten sind dann später von russischen Arbeitsgruppen als Grundlage für die Entwicklung der sogenannten Stickstoffoxid-Therapie genommen worden. Dabei kam das weltweit erste Gerät, das ein Stickoxid-Plasma erzeugt, bei der Wundheilung zum Einsatz. Es wird derzeit in der Slowakei hergestellt und von dort vertrieben. Die Geräte, die wir heute als neuere Generation bezeichnen, die stärker mit der Komponente aus reaktiven Sauerstoff-Spezies [allgemein besser bekannt als "Sauerstoffradikale", Anm. d. SB-Red.] arbeiten, sind erst 2013 und 2014 zugelassen worden.

Der Weg unserer Gruppe hat in den 90er Jahren zunächst mit der Dekontamination von toten Oberflächen begonnen. Es ging etwa darum, Primärverpackungen keimfrei zu machen, um keine weiteren Konservierungsmittel oder Arzneimittel verwenden zu müssen, die oft Allergien auslösen. Ein kaltes Plasma herstellen zu können, war dabei der entscheidende Schritt, da es sich um Kunststoffverpackungen handelte. Die bekommen nämlich ein schönes "Colani-Design" [4], wenn sie zu heiß behandelt werden und so mußten wir Mittel und Wege finden, die Temperatur des Plasmas runter zu bekommen. Auf diese Weise wurden die kalte Plasmen entwickelt und eingesetzt, so daß es dann im Prinzip ein logischer Schritt war, zu sagen, mit einem Plasmastrahl von 40 bis 42 Grad kann man auch auf lebende Oberflächen gehen.


Ein seltsames Gerät, einmal mit entzündetem, violett leuchtenden Argonplasma (Bildmitte), einmal außer Funktion abgebildet. Am unteren Rand sieht man das Innenleben des Gerätes mit einem sogenannten Wagnerschen Hammer in der Mitte, dessen mechanische Amplitude durch eine Stellschraube geregelt wird. - Foto: By Karl Bednarik als CC-BY-SA-3.0 Lizenz [(http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons

Plasmaanwendungen waren vor 100 Jahren in der Medizin bereits einmal in Mode.
Foto: By Karl Bednarik als CC-BY-SA-3.0 Lizenz [(http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons

SB: War die Übertragung dieser Erkenntnisse auf lebendes Gewebe dann auch erstmal so eine Art Trial-and-Error-Versuch?

KDW: Nein, das war es in diesem Fall nicht. Wir hatten ja schon die Bilder und Ergebnisse der russischen Kollegen gesehen. Darüber hinaus wurde in den USA gerade wieder eine ziemlich große Kampagne gestartet, in der man über Einzelfälle der erfolgreichen Plasma-Behandlung berichtete, was uns dann natürlich noch mehr motiviert hat, das zu versuchen.

Bereits im Vorfeld hatten wir zahlreiche Anordnungen in vitro [im Reagenzglas Anm. d. SB-Red.] gemacht. Wir hatten damit schon erfolgreich Bakterien abgetötet und Zellen zerstört. Aber Experimente, an denen Menschen beteiligt werden, sind in Europa erst im Rahmen einer klinischen Studie für die Zulassung möglich oder wenn man ein bereits zugelassenes Gerät hat. Daher haben diese Untersuchungen bei uns erst im Jahre 2011 und 2012 angefangen, als wir ein Gerät entwickelt hatten, das wir sorglos oder sorgenfrei in die Hände von Ärzten geben konnten. Sämtliche Vorbereitungen vorher, die ganzen Grundlagen, das waren in vitro-Experimente und bestenfalls ex vivo [Untersuchungen an lebendem Material, das im Reagenzglas oder Petrischälchen kultiviert wird - Anm. d. SB-Red.].

SB: Sie sprachen von weiteren Geräten, kommen diese demnächst auch an menschlichen Patienten in den klinischen Gebrauch?

KDW: Das Gerät für die Zahnmedizin [5] soll im nächsten Jahr (2016) zugelassen werden. Bei dem Gerät für die endoskopische Anwendung sind die Vorbereitungen für die klinische Studie noch nicht abgeschlossen. Neben der Bearbeitung und Auswertung der Protokolle stellt sich hier vor allem die Frage der Probandenzahl und welche Kliniken überhaupt für eine Zusammenarbeit in Frage kommen. Denn das beste Ergebnis ist recht aussagelos und meines Erachtens unseriös, wenn es auf nur fünf oder sechs behandelten Patienten beruht.

SB: Sie haben in Ihrem Vortrag zwei diametral entgegengesetzte Wirkweisen des Plasmas auf der zellulären Ebene beschrieben. Bei der Wundheilung scheint Plasma die Zellteilung zu fördern und zu stimulieren. Das gleiche Mittel soll aber Krebszellen dann zumindest am Wachstum behindern, letztlich also ihre Zellteilung stoppen. Wie erklärt man das und wie läßt sich zum Beispiel bei der Anwendung als Wundheiltherapie ausschließen, daß die angeregte Zellteilung nicht nach hinten losgeht und damit Krebs erzeugt wird?

KDW: Körperzellen und Bakterien sind nicht die gleichen Zellen, die man mit Plasma mehr oder weniger beeinflußt. Beide haben verschiedene Mechanismen, um auf Umweltreize zu reagieren. Bakterien sind zum Beispiel viel weniger gegen die Plasmawirkung geschützt, als unsere körpereigenen Zellen. Gesunde Zellen haben ohnehin einen eigenen Schutzmechanismus. Die können mit Plasmen sehr gut umgehen. Durch die im Plasma erzeugten reaktiven Sauerstoff- und Stickstoffspezies haben wir auch eine Form von Radikalen [6], die unseren Körperzellen durchaus aus ihrer Umgebung vertraut sind. Gesunde Zellen sind dagegen enorm widerstandsfähig, kranke Zellen allerdings sehr viel weniger, und Bakterien und Keime kommen damit überhaupt nicht mehr klar. Auf diese Weise erreichen Sie eine selektive Wirkung.

Eine weitere Selektion wird durch die Behandlungszeit erreicht. Je länger das Plasma auf die Haut einwirkt, um so eher kann es auch zu Schädigungen kommen, das ist ganz klar. Denken Sie einmal an die Laserbehandlungen in der Dermatologie. Das ist ja auch ein Medizinprodukt. Wenn dabei ein Kunstfehler passiert, weil man eine Stelle zu lange mit dem Laser bestrahlt, dann hat man schnell ein Loch in die Haut gebrannt. Selbst mit einer UV-Lampe, die beispielsweise in der Hautklinik für UV- oder PUVA-Bestrahlungen bei Hautkrankheiten verwendet wird, läßt sich Schaden anrichten. Wenn man dabei jemanden zu lange in der UV-Dusche stehen läßt, dann ist der verbrannt und kann seine Haut hinterher abziehen.

Also es gibt überall ein Behandlungsfenster, das man beachten und einhalten muß. Das ist beim Plasma genauso. Hier hat sich gezeigt, daß kurze Behandlungen von wenigen Sekunden auf gesunde Zellen stimulierend wirken und daß längere Behandlungen dann den Zelltod verursachen können.

Und das Schöne ist, bei Krebszellen - das ist unsere jüngste Erkenntnis - scheinen wir mit dem Plasma eine sogenannte Apoptosis auslösen zu können. Ein anderes Wort dafür ist der programmierte Zelltod und bedeutet, die Zelle kann sich selbst abschalten. In der Krebstherapie ist dies ein angestrebtes Ziel, denn der Zelltod hat den Vorteil gegenüber der Nekrose, bei der die entzündete Zelle am Ende platzt und sich die Infektion ausbreitet, daß die Zelle gewissermaßen einfach nur "plopp" sagt: "Schluß, aus, ich will nicht mehr, tschüs, ich gehe", und dann ist sie weg, ohne irgendwelchen Schaden anzurichten. Dafür braucht man eine ganz gezielte Dosis, und das scheint mit Plasmen sehr gut zu funktionieren.


Foto: © 2015 by Schattenblick

Prof. Weltmann demonstriert den am INP entwickelten, bereits zugelassenen Prototyp kINPen(R)MED, ein dicker Aluminiumstift, aus dem eine kleine Plasmaflamme schießt.
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Läßt sich mit dem durch Plasma erzwungenen "Abschalten" der Krebszellen die Gefahr einer Metastasenbildung reduzieren? Die Zellen platzen nicht mehr, vielleicht streuen sie dann auch nicht mehr?

KDW: Das ist eine ganz schwierige Frage. Metastasen heißt, daß der Tumor streut. Das geschieht oft schon vor der Operation und läßt sich durch eine Plasmabehandlung nicht ausschließen. Man macht mit dem Plasma nur eine Nachbehandlung. Der Chirurg hat zuvor alles, was er entnehmen konnte, herausgeschnitten. Und das Plasma wird dort eingesetzt, wo er mit dem Skalpell nicht mehr arbeiten kann, weil er sensible Bereiche wie Hauptschlagader oder Nervenzellen, auch Sehnen oder ähnliches aussparen muß, um keine gefährlichen Verletzungen zu riskieren. Hier kann das Plasma verbliebene Krebszellen zerstören. Es ist aber nicht auszuschließen, daß dort auch Zellen nach der Plasmabehandlung verbleiben, die sich weiter so verhalten, als wenn dort nichts geschehen wäre. Also kann die Frage nicht mit einem klaren "Nein", es metastasiert nicht, beantwortet werden, aber auch nicht mit einem eindeutigen "Ja". Das wäre zuviel versprochen. Dafür fehlen die Untersuchungen.

SB: Geht man auch solchen Fragestellungen noch nach?

KDW: Ja, selbstverständlich. Hier in Greifswald in der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie geht es meist um Tumorzellen. Dort wird alles, was überhaupt untersucht werden kann, im Krankheitsverlauf dokumentiert. Für mich wäre eine durch die Plasmabehandlung geförderte Metastasenbildung auch eine unerwünschte Nebenwirkung.

Wir werden bei der Plasmabehandlung von Krebs- und Tumorerkrankungen vorläufig auch nicht auf systemische Effekte abzielen, sondern sie nur da einsetzen, wo man den Krebs praktisch wirklich greifen kann, wo man genau sehen kann, was geschieht.

SB: Wie tief können denn die Plasmastrahlen in den Hautkrebs zum Beispiel eindringen, denn unter dem sichtbaren Geschwür verbirgt sich ja meist noch krankes Gewebe. Wirkt die Oberflächenbehandlung auch auf diese tiefere Schicht?

KDW: Also das Plasma selbst dringt nur sehr wenig in die Oberfläche der gesunden Haut ein. Wenn das Corneum Stratum, also die Oberhaut weg ist, geht es ein Stück tiefer. Nichtsdestotrotz haben wir Reaktionen beobachtet, auch in tieferen Gewebeschichten, die darauf hindeuten, daß die plasmabehandelten Zellen mit ihren Signalflüssen etwas weitergeben, denn die kommunizieren ja alle miteinander. Also man kann nicht von der direkten Eindringtiefe auch auf die Tiefe der Wirkung schließen. Wie tief also die Wirkung des Plasmas in einen Tumor hineinreicht, ob es fünf Millimeter, zehn oder fünfzehn sind, läßt sich noch nicht beantworten.

SB: Bisher sind keine bekannt geworden, aber suchen Sie noch nach weiteren, unvorhergesehenen Möglichkeiten, bei denen Nebenwirkungen auftreten könnten?

KDW: Wir müssen immer mit Nebenwirkungen rechnen und klären daher jeweils die ganze Frage der Zytotoxizität ab, ebenso der Cancerogenität und die der Mutagenität. Das sind die wichtigsten Kriterien, die man untersuchen muß, und das haben wir in diesem Falle bereits getan. Darüber hinaus kommen bei jeder neuen Produkteinführung immer wieder die sogenannten Langzeituntersuchungen zur Sprache. Doch wann kann man überhaupt von Langzeituntersuchungen sprechen?

Wenn man in Rechnung stellt, daß funktionsähnliche Plasmageräte schon seit über 30 Jahren in der Medizin zur Koagulation oder zur Ablation [7] eingesetzt werden, die in den Randbereichen eine ganz ähnliche Charakteristik aufweisen wie unsere Plasmen und durch deren Einflüsse nach bisherigen Erkenntnissen noch nie negative Wirkungen oder Schäden in benachbarten Gewebebereichen verursacht worden sind, sollte das nicht bereits als ein Indiz dafür reichen, daß sich das bei uns ganz genauso verhält? Dennoch muß das natürlich noch überprüft und nachgewiesen werden.

Des weiteren wurden bei den verschiedenen Studien, die an klinischen Zentren wie am Klinikum Schwabing 2005 oder in Göttingen an der Charité gelaufen sind, ebenfalls keine Nebenwirkungen festgestellt, oder auch nur ein erhöhtes Risiko.

Natürlich gibt es wiederum auch die Einstellung, davon auszugehen, daß es keine Wirkung ohne Nebenwirkung gibt. Und man müßte nun fragen, welcher unangenehme Begleiteffekt noch vertretbar wäre? Aber auch diesbezüglich haben wir von allen Patienten nur positive Rückmeldungen, daß die Plasmabehandlung als angenehm empfunden wird. Das gleiche gilt für die Ärzte, die einhellig mit dem Einsatz des Mittels zufrieden sind und denen bislang nichts Kritisches aufgefallen ist. Dieses Feedback durch die Ärzte, ihre Rückmeldungen und Fallbeschreibungen werden von unserer Ausgründung auch im Sinne von Langzeituntersuchungen verstärkt gefördert. Falls also irgendetwas auftreten sollte, könnte man sofort nachsteuern.

SB: Während des Rundgangs wurde von einem Kollegen der Wellness-Bereich angesprochen. Sie sagten dazu, daß physikalische Plasmen durchaus auch kosmetisch genutzt werden könnten, wenn das auch nicht vom INP verfolgt wird. Wäre denn vorstellbar, daß die Schönheitschirurgie, die ohnehin nur die Ansprüche einer kleinen Elite von Menschen bedient, die es sich leisten kann, Tränensäcke, Falten und vielleicht auch Bäuche wegmachen zu lassen, die Plasmatechnik gewissermaßen als Zusatzleistung anbietet, also eine Art Turboheilung als IGel-Leistung? [8]

KDW: Wir wissen, daß das Interesse der Ärzte an der Plasmatherapie ständig wächst. Die Ärzte, die unsere Ausgründung gewissermaßen schon mit einem Plasmagerät beglückt hat, testen - wie schon gesagt - manchmal sehr gerne auch über die Zweckbestimmung hinausgehende, "Off-Label"-Anwendungen. Von daher überlassen wir solche Überlegungen, ob sich unsere Plasmen als Zusatzleistung für diese oder jene sinnvolle Nutzungsmöglichkeit eignen könnten, den Ärzten, die sich auf die Plasmatherapie spezialisieren. Möglicherweise wäre das auch mit einer weiteren Anpassung der Plasmaquelle verbunden - ich hatte vorhin von diesen sechs Komponenten gesprochen -, vielleicht muß man dann eine davon reduzieren und eine andere erhöhen. Aber die weitere Suche nach neuen Therapiebereichen ist Sache der Mediziner. Wir können da manches anbieten und liefern, aber die Mediziner müssen uns das Feedback geben und sagen, was sie brauchen.

Der umgekehrte Weg ist im übrigen ebenfalls möglich. Es wurde schon das eine oder andere Plasma, das bereits kosmetisch genutzt wird, modifiziert und dann in der Wundheilung angewendet. Und es gibt im Bereich Schönheits- und Gesichtschirurgie sogar Plasmen, die mit thermischer Wirkung arbeiten, daß heißt, welche die Haut direkt verbrennen, etwa vergleichbar mit einem starken Sonnenbrand. Danach ist man ein bis zwei Wochen nicht mehr anschaubar, zumindest nicht von den Leuten, die einen kennen und anschließend hat sich die Haut erneuert und ist wunderschön glatt und faltenfrei. Das ist ein rein thermischer Effekt, der dort ausgenutzt wird. Aber das ist keine Sache, die im Fokus der Forschung liegt.

SB: Greifswald hat sich in den vergangenen Jahren zu einem der international führenden Zentren in der Plasmamedizin entwickelt. Wie würden Sie die Stärken des INP definieren?

KDW: Unser Standortvorteil besteht genau darin, daß wir hier die Grundlagenforschung und die Anwendungsforschung zwischen Plasmaphysikern, Ingenieuren, Pharmazeuten, Biologen und auch Medizinern direkt im Haus unter einem Dach haben. Dazu kommt die direkte Zusammenarbeit mit der Uniklinik, die zwar nicht unter unserem Dach, aber ganz in der Nähe ist. Hier im Haus haben wir praktisch alles, was vor der Klinik gemacht werden kann, auch Mikrobiologie und Zellbiologie gehört zu diesem "physikalischen" Institut dazu.

SB: Wie findet der Austausch praktisch statt, gibt es regelmäßige Treffen?

KDW: Wir arbeiten in Teams direkt zusammen. Da sitzt der Physiker neben dem Pharmazeuten und dem Biologen. Diese Form der Zusammenarbeit ist ein Erfolgsmodell, das inzwischen deutschlandweit, aber auch weltweit kopiert wird. So wissen wir als Physiker inzwischen, was Zellproliferation ist. Und wenn wir von Plasma sprechen und ein physikalisches Plasma meinen, dann wissen die Biologen jetzt auch, was ein physikalisches Plasma ist. Die Mediziner kannten bis dahin nur Blutplasma, die wissen jetzt auch, was so etwas in der Physik bedeutet. Man redet jetzt auch von Radikalen und ähnlichen anderen physikalischen Begriffen, man redet von Strahlung, von Intensitäten, das sind alles Dinge, die in der Welt zwischen Medizin und Physik normalerweise ein kleines bißchen separiert vorkommen. Wir haben ungefähr eineinhalb bis zwei Jahre gebraucht, um eine gemeinsame Sprache zu entwickeln. Weil es wichtig ist, daß wir das Know How, was hier aufgebaut wurde, halten, und wir sind, so wie wir aufgestellt sind, interdisziplinär die größte Einrichtung, die das am intensivsten in dieser Form über die einzelnen Fachrichtungen hinweg betreibt. Es ist nicht einfach, die Leute trotz der Verständnisschwierigkeiten zwischen den einzelnen Fakultäten immer wieder zusammenzubringen, aber wenn man das schafft, dann hat man auch Erfolg.

SB: Herr Prof. Weltmann, vielen Dank, daß Sie sich für uns Zeit genommen haben.


Anmerkungen:

* Zum Forschungsreaktor Wendelstein 7-X und der Pressereise nach Greifswald sind bisher, mit dem kategorischen Titel "Kernfusion und Plasmaforschung" versehen, im Pool NATURWISSENSCHAFTEN → REPORT erschienen:

BERICHT/001: Kernfusion und Plasmaforschung - Im Spannungsfeld der Vielversprechen ... (SB)
http://schattenblick.com/infopool/natur/report/nrbe0001.html

BERICHT/002: Kernfusion und Plasmaforschung - Fortschritts- und Entwicklungsfragen ... (SB)
http://schattenblick.com/infopool/natur/report/nrbe0002.html

INTERVIEW/001: Kernfusion und Plasmaforschung - hoffen, forschen, wünschen ...    Prof. Dr. Thomas Klinger im Gespräch (1) (SB)
http://schattenblick.com/infopool/natur/report/nrin0001.html

INTERVIEW/002: Kernfusion und Plasmaforschung - hoffen, forschen, wünschen ...    Prof. Dr. Thomas Klinger im Gespräch (2) (SB)
http://schattenblick.com/infopool/natur/report/nrin0002.html

INTERVIEW/004: Kernfusion und Plasmaforschung - alte Gefahren im neuen Gewand ...    Prof. Dr. Robert Wolf im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/natur/report/nrin0004.html

[1] Die Zeileis-Methode geht auf Valentin Zeileis zurück, den Erfinder der sogenannten Hochfrequenz-Therapie, der damit 1912 in einer kleinen Privatklinik auf Schloss Gallspach experimentierte. Therapiert werden die betroffenen Körperregionen mit einer Behandlungselektrode, die einem Brausekopf ähnlich sieht und "Hochfrequenzimpulse" aussendet.

siehe auch:
http://www.zeileis.at/index.php?option=com_content&view=article&id=71&Itemid=65&lang=de

[2] Plasmanadel - Die Nadel besteht aus einem 50 Millimeter langen Draht aus Wolfram in einem mit Gas gefüllten Quarzröhrchen. Setzt man die Nadel unter elektrische Spannung, bildet sich an ihrer Spitze ein kleiner Plasmafunke. Eva Stoffels-Adamovicz und ihr Team verwendeten ein Gasgemisch aus Helium und Luft. Dabei wurde ein Stickoxidplasma erzeugt.

[3] siehe auch:
http://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/zaehne/zahnarzt_aid_111143.html
http://www.phschool.com/science/science_news/articles/radiant_plasma.html

[4] Luigi Colani ist ein deutscher Designer, der sich mit aerodynamischen und biomorphen Konstruktionen befaßt, die oftmals aufgeweichtem Plastik ähnlich sehen. Kunststoffverpackungen verformen sich in der Regel auch schon durch heißes Wasser, so daß die üblichen Sterilisationsarten wie "abkochen" oder autoklavieren (Sterilisation mit gespanntem Wasserdampf bei ca. 120 Grad Celsius) dafür nicht in Frage kommen.

[5] Der APPJ (kinPEN) soll für die Zahnwurzelbehandlung in der Zahnmedizin zugelassen werden.

[6] Als Radikale bezeichnet man Atome oder Moleküle mit mindestens einem ungepaarten Elektron, die laut Definition so reaktionsfreudig sind, daß sie nur sehr kurz als Zwischenprodukt auftauchen. Radikale werden mit einem "Punkt" dargestellt, zum Beispiel bei dem Stickstoffmonoxid- (NO·) oder bei dem Hydroxyl-Radikal (HO·), der das freie Elektron symbolisiert.

[7] Beispielsweise gibt es seit den 1970er Jahren den sogenannten Argon-Plasmakoagulator (APC), der zur lokalen Koagulation, zur Verödung, aber auch zum Gewebeabtrag genutzt wird.

[8] IGel - oder auch "individuelle Gesundheitsleistungen" sind häufig von Ärzten empfohlene, gesundheitsfördernde Zusatztherapien oder diagnostische Angebote, die aber nicht von den Krankenkassen übernommen werden, sondern vom Patienten aus eigener Tasche bezahlt werden müssen.

28. August 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang