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INTERVIEW/021: Die DPG stellt vor - bis zum letzten Augenblick ...    Dr. Rolf König im Gespräch (SB)



Grafik der mit Beulen und Dellen versehenen Erdkugel - Bild: NASA/JPL/University of Texas Center for Space Research

Gemessene Abweichungen des Schwerefelds der Erde vom Rotationsellipsoid
Rot = stärkeres Erdschwerefeld
Blau = geringeres Erdschwerefeld
Bild: NASA/JPL/University of Texas Center for Space Research

Vom Weltraum aus sieht die Erde fast so rund wie eine Kugel aus, zumal die Atmosphäre jegliche Höhenunterschiede optisch verdeckt. Mißt man dagegen das Schwerefeld der Erde aus, ergibt sich ein anderer Eindruck. Dann weist der Erdkörper Beulen und Dellen auf, die sich dazu noch im Laufe eines Jahres oder auch von Jahr zu Jahr ändern. Was da im Zeitraum von 365 Tagen um die Sonne taumelt, ähnelt eher einem in Deutschland beliebten Gemüse. Die "Potsdamer Kartoffel" ist inzwischen ein stehender Begriff in der Erdvermessung, nachdem das GFZ (GeoForschungsZentrum) in Potsdam auf Basis der Schwerefeldmessung die Erde als einen kartoffelähnlichen Globus dargestellt hat.

Am dritten Tag der Frühjahrstagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) in Bremen, die vom 13. - 17. März auf dem Universitätscampus veranstaltet wurde, stellte der GFZ-Mitarbeiter Dr. Rolf König das Satellitengespann GRACE vor, mit dem seit nunmehr 15 Jahren das Erdschwerefeld ausgemessen wird. GRACE (Gravity Recovery And Climate Experiment) ist ein Gemeinschaftsprojekt der US-Weltraumbehörde NASA und des GFZ zur genauen Bestimmung des Erdschwerefeldes. Beim GRACE-Konzept fliegen zwei Satelliten hintereinander im Abstand von 200 Kilometern auf einer nahezu polaren Umlaufbahn in etwa 475 Kilometer Höhe um die Erde. Mittels Mikrowellen wird der genaue Abstand zueinander gemessen. Nähert sich der erste Satellit einem Gebiet mit größerer Erdanziehung wie beispielsweise dem Himalayagebirge, wird er davon ein wenig angezogen, so daß sich der Abstand zum Verfolger erhöht. Gerät nun dieser in den Einfluß der Schwereanomalie wird er ebenfalls angezogen, so daß sich der Abstand der beiden Satelliten verkürzt. Hieraus wird das lokale Schwerefeld berechnet.

Die genaue Ausmessung des Erdschwerefeld hat einen militärischen Ursprung, vergleichbar mit der Entwicklung von Satellitennavigationssystemen, deren zivile Nutzung erst später hinzukam. Die USA haben das weltweit erste Satellitennavigationsystem namens Transit, den Vorgänger von GPS, entwickelt, damit ihre Polaris-U-Boote regelmäßig eine exakte Positionsbestimmung vornehmen konnten. Und es waren auch U-Boote, die erstmals genaue Kenntnis vom lokalen Schwerefeld (sowie den Raumkoordinaten) benötigten, damit sie im Kriegsfall ballistische Raketen möglichst zielgenau abschießen konnten.

In der heutigen wissenschaftlichen bzw. zivilen Nutzung der Satellitendaten zum Erdschwerefeld ist ihr Ursprung nicht mehr zu erkennen. An den Messungen von GRACE ist unter anderem die Klimaforschung, Ozeanographie, Geologie, Geodäsie und Hydrologie interessiert. Inzwischen haben die GRACE-Satelliten die dreifache Zeit ihrer ursprünglich auf mindestens fünf Jahr angesetzten Betriebszeit erreicht und werden in absehbarer Zeit abstürzen. Über das Nachfolgesystem GRACE-FO (Follow On) berichtete Dr. König ebenfalls auf der Bremer Tagung. Im Anschluß an seinen Vortrag stellte er sich dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung.


Porträt - Foto: © 2017 by Schattenblick

Dr. Rolf König
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Sie haben in Ihrem Vortrag gezeigt, daß die Erde von den Schwerkraftverhältnissen her der Form einer Kartoffel mit vielen Ausbuchtungen ähnelt. Ist der Mensch fähig, die unterschiedlichen Schwerkraftverhältnisse zu spüren?

Dr. Rolf König (RK): Nein, ein Mensch merkt das nicht. Aber das Wasser merkt das gewissermaßen. Es fließt immer dahin, wo das Potential kleiner ist.

SB: Wie empfindlich sind die Meßinstrumente von GRACE? Kann das Satellitenpaar beispielsweise Flugzeug- oder Schiffsverkehr registrieren?

RK: Nein, so empfindlich ist GRACE nicht. Die beiden Satelliten fliegen in rund 500 Kilometer Höhe über der Erde und haben einen gewissen Abstand zueinander. Das Prinzip ist so, daß ein Satellit vorausfliegt und wenn er sich zum Beispiel dem Himalaja nähert, wird er stärker herangezogen und entfernt sich vom zweiten Satelliten. Wenn sich nun dieser dem Bergmassiv nähert, wird er ebenfalls angezogen, der Abstand verkürzt sich wieder. Diese Entfernungsunterschiede werden ständig gemessen. Das ist aber nicht so empfindlich, daß damit kleine Massen wie Flugzeuge oder Schiffe erfaßt werden könnten. Zumal die Auflösungsgenauigkeit bei rund 150 Kilometern liegt.

SB: Sie sprachen davon, daß mit GRACE unter anderem Eismassen ausgemessen und hydrologische Vorgänge erfaßt werden. Könnten Sie das vielleicht etwas genauer beschreiben?

RK: GRACE ist eigentlich dazu gedacht, die Variabilität im Schwerefeld zu messen. Man weiß zwar, daß beispielsweise in Grönland die Gletscher schmelzen, doch mit GRACE kann man das sehr gut quantifizieren. Man sieht über den Jahresvergleich, wie die Masse immer mehr abnimmt. Und dabei kommt heraus, daß Grönland inzwischen pro Jahr in der Größenordnung von rund 270 Gigatonnen an Masse verliert.

SB: Beruhen solche Angaben, wie sie in den letzten Jahren in den Medien verbreitet wurden, auch auf Messungen des GRACE-Satelliten?

RK: Ja.

SB: Kann man sagen, daß die Datenauswertung von GRACE das in Klimadebatte eingebracht hat?

RK: Sie hat dazu beigetragen. Es gibt noch andere Beobachtungen, zum Beispiel die SAR-Technologie. Das ist eine Radarmessung der Erdoberfläche mit einer Genauigkeit von bis zu rund einem Dezimeter. Dadurch weiß man aber noch nicht, was unter der Oberfläche passiert. Wohingegen GRACE die Massenänderungen mißt. Wenn also Wasser im Untergrund abfließt oder wenn es verdunstet, dann wandert Masse ab. Diese Meßdaten hat man noch mit anderen Messungen verbunden, und dann weiß man ungefähr, wieviel Eis Grönland pro Jahr verloren hat oder wieviel Wasser bei einer Dürre verschwunden ist.

SB: Zeichnen sich auch saisonale Unterschiede mit Sommer- und Winterhalbjahr in den GRACE-Daten ab?

RK: Ja, man kann den Jahresgang manchmal ganz gut erkennen. In meinem Vortrag habe ich erwähnt, wie die Wassermassen im Amazonasbecken von Südamerika langsam kommen und dann zu einer weniger nassen Periode übergehen, und so weiter. Bei solchen ausgedehnten Wassermassen kann man das sehr schön beobachten.

SB: Fließen die GRACE-Daten auch in die Wettervorhersage ein? Da treten ja großräumige Unterschiede von Hoch- und Tiefdruckgebieten auf.

RK: Nicht von den Schwereverhältnissen her. Aber an Bord von GRACE gibt es ein Instrument, das nennt sich Okkultation. Das sind GPS-Antennen, die nach hinten auf den Horizont ausgerichtet sind. Da geht das Signal durch die Thermosphäre, obere Atmosphäre, etc. Auf diese Weise werden Profile von oben nach unten unter anderem mit Brechungswinkel, Temperatur und Wasserdampf erstellt; die werden vom Wetterdienst genutzt. Wir müssen die Daten allerdings sehr schnell übermitteln und haben dazu eigens ein System eingerichtet. Innerhalb von drei Stunden müssen die Daten zur Verfügung stehen, sonst sagt der Wetterdienst, könne er nichts mehr damit anfangen.


Umrißkarte von Südamerika, dargestellt ist in rot (starkes Erdschwerefeld) und blau (weniger starkes Erdschwerefeld) die monatliche Veränderung im Amazonasbecken - Bild: NASA/JPL

Vermessung der Erdschwere im Amazonasbecken im monatlichen Verlauf
Bild: NASA/JPL

SB: Welche Aufgabe haben Sie bei GRACE?

RK: Ich hatte schon viele Aufgaben. Auch in der Zeit vor GRACE hatte ich schon mit Satellitenmissionen zu tun. Wir haben ja ganz früh mit dem GFZ-1 angefangen. Das war ein sehr spezieller Satellit. Mehr oder weniger handelte es sich um eine Reflektorkugel, die von der Raumstation Mir ausgesetzt worden war.

SB: Oh, das liegt schon lange zurück.

RK: Das war 1995. Danach kam der Champ-Satellit. Das war der erste Satellit, der für Schwereverhältnismessungen gedacht war. Der wurde auch vom GFZ gesteuert und ist mit deutschen Mitteln finanziert worden. Damals hatte man im Zuge der Wiedervereinigung versucht, mit einem bißchen Knowhow den Osten zu erhalten, was auch relativ gut gelungen ist.

Das war die erste Schwerefeldmessung, damit konnten die Schwereverhältnisse wesentlich besser erfaßt werden. Champ war jedoch nur ein einzelner Satellit. Der wirkliche Durchbruch erfolgte dann mit GRACE, bei dem eine Intersatellite-Verbindung zwischen den beiden Satelliten bestand, die sehr sensitiv ist. Champ war auch deshalb nicht so berühmt geworden, weil schon zwei Jahre später GRACE nachfolgte.

SB: Und jetzt bewegen sich die GRACE-Satelliten allmählich auf immer niedrigeren Umlaufbahnen?

RK: Ja, die fallen so langsam runter, kann man sagen.

SB: Inwiefern verändert sich dadurch die Meßgenauigkeit? Gibt es vielleicht irgendwann eine Höhe, ab der man sagt, jetzt läßt sich der Abstieg nicht mehr herausrechnen?

RK: Der Gedankengang geht schon in die richtige Richtung, allerdings hat GRACE Akzelerometer an Bord. Die messen die Störkräfte, die von außen kommen. Das betrifft insbesondere den Widerstand der Hochatmosphäre. Je tiefer die Satelliten sinken, desto größer werden diese Störkräfte. Das einzige Problem dabei ist, daß diese Instrumente nicht absolut genau arbeiten, sondern kalibriert werden müssen. Irgendwann stoßen sie an ihre Grenzen. Dann beißt sich die Katze in den Schwanz, da haben Sie recht, dann geht es nicht mehr so gut.

Aber generell kann man sagen, daß, je tiefer die Satelliten absinken, desto höher die Auflösung ist. GRACE wird also sensitiver gegen das Schwerefeld, denn die Satelliten kommen der Erde immer näher. Das ist ein zweischneidiges Schwert. Irgendwann hören die Messungen natürlich auf.

SB: Kann man sagen, daß am Ende von GRACE nochmals Daten gewonnen werden, die von größerem Interesse sind? Wird der Abstieg bis zum letzten ausgenutzt?

RK: Ja, wie ich im Vortrag sagte, hat der zweite Satellit Schwierigkeiten, die Batterien gehen langsam kaputt. Man kann sie zwar überbrücken, aber irgendwann reicht es nicht mehr, um die Instrumente ständig am Laufen zu halten. Dann muß man sich was einfallen lassen. Man muß ständig prüfen, wieviel Kapazität sie noch haben und ob man sie einschalten will. Das ist immer auch so ein Spiel, das man spielt. Solange man das aufrechterhalten kann, ist es okay, aber irgendwann rechnet es sich nicht mehr, und dann muß man die Entscheidung treffen.

SB: Welchen Bezug haben Sie als Wissenschaftler zu solchen Instrumenten, mit denen Sie vielleicht viele Jahre lang gearbeitet haben? Sie hatten erwähnt, daß am Freitag der 15. Geburtstag von GRACE gefeiert wird. Knallen dann die Sektkorken?

RK: Für uns ist das schon ein besonderes Ereignis. Das werden wir feiern, jedoch ist Alkohol bei uns nicht so beliebt.

SB: Und wenn GRACE abstürzt, gibt es dann hier und da lange Gesichter oder stellt man sich darauf ein?

RK: Man stellt sich darauf ein. Sollte dann noch Restgas vorhanden sein, um den Satelliten zu steuern, wird er noch explizit runtergefahren.

SB: Viele Satelliten und Raketenstufen werden in den Südpazifik gesteuert. Kann man das mit GRACE dann noch machen?

RK: Man wird das versuchen. Man hat ja auch zum Beispiel die Raumstation Mir im Pazifik versenkt. Die GRACE-Satelliten sind extrem leicht gebaut. Wir rechnen damit, daß sie auseinanderfliegen und verglühen, wenn sie in 200 oder 180 Kilometer Höhe sind. Aber man ist sich nicht vollkommen sicher, ob nicht trotzdem noch irgendein Kleinteil herabfällt. Darum versucht man es im Pazifik zu versenken.

SB: Sofern man genügend Energie für so ein Manöver hat.

RK: Genau.

SB: Wenn es solche unterschiedlichen Schwereverhältnisse auf der Erde gibt, wie es von GRACE festgestellt worden war, wirkt sich das auf den Bahnverlauf der Erde um die Sonne aus? Haben die unterschiedlichen Schwereverhältnisse Einfluß auf den Jahresumlauf?

RK: Nein, die Erde ist ein ganzes Stück von der Sonne entfernt. Daß da irgendwelche Störungen in der Umlaufbahn der Erde aufgrund solche Massenunregelmäßigkeiten der Erde selbst auftauchen, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Außerdem muß man die Himmelskörper als Punkte betrachten. Theoretisch könnte man sich einen Effekt vorstellen, aber der wäre gigantisch klein.

SB: Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.

Die beiden sargdeckelähnlichen Satelliten fliegen, mit einem feinen Mikrowellenstrahl 'verbunden', auf der gleichen Bahn über Südamerika hinweg - Foto: NASA/JPL

Künstlerische Darstellung der beiden GRACE-Satelliten
Foto: NASA/JPL

Bisher im Schattenblick unter INFOPOOL → NATURWISSENSCHAFTEN → REPORT zur DPG-Frühjahrstagung in Bremen erschienen:

BERICHT/004: Die DPG stellt vor - Verantwortung der Wissenschaft ... (SB)
BERICHT/005: Die DPG stellt vor - Endlichkeit nicht vorgesehen ... (SB)
INTERVIEW/009: Die DPG stellt vor - unzureichend treibt voran ...    Prof. Dr. Claus Lämmerzahl im Gespräch (SB)
INTERVIEW/010: Die DPG stellt vor - Schwingungen und Perspektiven ...    Prof. Dr. Klaus Fredenhagen im Gespräch (SB)
INTERVIEW/011: Die DPG stellt vor - fortschreitendes Verständnis (Teil 1) ...    Prof. Dr. Domenico Giulini im Gespräch (SB)
INTERVIEW/012: Die DPG stellt vor - das Mögliche auch nutzen ...    Prof. Dr. Dr. Claus Beisbart im Gespräch (SB)
INTERVIEW/013: Die DPG stellt vor - die Maßstäbe prüfen ...    Martina Gebbe im Gespräch (SB)
INTERVIEW/014: Die DPG stellt vor - unbekannten Emissionen auf der Spur ...    Dr. Stefan Schmitt im Gespräch (SB)
INTERVIEW/015: Die DPG stellt vor - Zusammenschau ...    Dr. Irena Doicescu im Gespräch (SB)
INTERVIEW/016: Die DPG stellt vor - Vermächtnis der Vergleiche ...    Dipl. Ing. Stefanie Bremer im Gespräch (SB)
INTERVIEW/017: Die DPG stellt vor - fortschreitendes Verständnis (Teil 2) ...    Prof. Dr. Domenico Giulini im Gespräch (SB)
INTERVIEW/018: Die DPG stellt vor - die Sonne im Blick ...    Prof. Dr. Katja Matthes im Gespräch (SB)
INTERVIEW/019: Die DPG stellt vor - Wissenschafts- und Selbsterkenntnis ...    Prof. Dr. Hardi Peter im Gespräch (SB)
INTERVIEW/020: Die DPG stellt vor - Ursuppe der Forschung ...    Dr. Ralf König im Gespräch (SB)


12. April 2017


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