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INTERVIEW/038: Experimentierhalle SHELL - zur Jagd auf die Axionen ...    Prof. Dr. Dieter Horns im Gespräch, Teil 2 (SB)



Horns, Prof. Dr. Erika Garutti (MADMAX) und Prof. Dr. Peter Schleper (Stellv. Sprecher des Excellenzclusters Quantum Universe) auf der Rampe vor dem Eingang zur Experimentierhalle SHELL - Foto: © 2019 by Schattenblick

Prof. Dr. Dieter Horns stellt den Medien und allen Interessierten das Experiment BRASS vor.
Foto: © 2019 by Schattenblick

Am 8. Juli 2019 wurden in der Experimentierhalle SHELL auf dem Campus Bahrenfeld in Hamburg zwei neuartige Experimente zur Suche nach Axionen feierlich eröffnet, MADMAX und BRASS. Der wissenschaftliche Leiter des letzteren ist Prof. Dr. Dieter Horns vom Institut für Experimentalphysik der Universität Hamburg. Im Anschluß an die Eröffnung beantwortete er dem Schattenblick noch einige Fragen zu den Axionen, deren Entdeckung erstmals die Existenz der postulierten Dunklen Materie beweisen würde.

Im folgenden zweiten Teil des Interviews spricht der Experimentalphysiker unter anderem über die Bedeutung der Axionen für weitere physikalische Theorien und Konzepte, das Verstecken von erfundenen Feldern und die fast schon peinliche Schlichtheit seines Experiments.

Schattenblick (SB): Der Physik ist es bisher nicht gelungen, die starke Wechselwirkung, schwache Wechselwirkung, elektromagnetische Kraft und Gravitation widerspruchsfrei zusammenzubringen. Inwiefern könnte Ihre Forschung dazu beitragen, die große Frage der Physik nach der Vereinheitlichung dieser Grundkräfte zu klären?

Prof. Dr. Dieter Horns (DH): Axionen sind eine neue Sorte von Elementarteilchen. Es ist immer unangenehm, wenn man irgendeine neue Elementarteilchensorte dazuerfinden muß. Allerdings geschah das schon vor einiger Zeit, um ein bestimmtes Problem zu lösen, nämlich die sogenannte CP-Verletzung im starken Sektor: Ein Neutron hat kein elektrisches Dipolmoment - aus der Theorie ist das nicht zu erwarten. [1] Um diesen Widerspruch zu klären, wurde in den 70er Jahren vorgeschlagen, ein neues Feld anzunehmen. Zu dem würde dann auch eine neue Symmetrie gehören. Doch ein solches Feld wurde bislang nicht gefunden. Wir wissen aber aus der Theorie heraus, daß es eine gute Erklärung für das Problem des Verschwindens des Dipolmoments eines Neutrons wäre.

Wenn man sich jetzt fragt, ob das Axion vielleicht irgendeinen Hinweis auf eine vereinheitlichende Theorie bietet, dann kann man den umgekehrten Weg gehen und sagen: Ich nehme einfach mal ein elektrisches Dipolmoment des Neutrons an und gehe auch von einem neuen Feld aus, aber habe keine Ahnung, aus welchen anderen Gründen es existieren sollte. Ich habe also nur mein erfundenes Feld als Ad-hoc-Erklärung für ein Phänomen. Dann frage ich mich, ob das nicht auch die Dunkle Materie erklären könnte. Das wäre eigentlich schon ein gutes Argument dafür, daß ein solches Feld sinnvoll ist. Nun kann man aber noch von der Seite der Hochenergiephysik und vereinheitlichenden Theorie kommen und sich überlegen: Kann ich nicht erwarten, daß es weitere solcher Felder zusätzlich gibt? Und tatsächlich ist es so, daß, wenn ich diese ganzen Extradimensionen habe, wie sie von der Stringtheorie angenommen werden - ich selbst bin kein großer Freund der Superstringtheorien -, aber wenn man solche Extradimensionen annimmt, dann muß ich sie kompaktifizieren, damit sie in unserem normalen Universum keine Rolle mehr spielen. [2]

Dabei erzeuge ich also ständig solche neuen Felder, und zwar nicht nur eines, sondern ganz viele. In der Regel muß ich die dann verstecken, was bedeutet, daß ich sie theoretisch so schwer zugänglich machen muß, daß ich sie nicht quasi in jedem Experiment sehen dürfte.

SB: Was bedeutet dann "verstecken"?

DH: Verstecken heißt, daß diese angenommenen Felder nur sehr schwach mit der normalen Materie wechselwirken dürften.

Wenn man jetzt sagt, wir haben die Idee, daß so ein neues Feld nötig ist, um Probleme der starken Wechselwirkung und übrigens auch der Baryogenese, also der Entstehung von Baryonen [3], im Universum zu erklären - wir bestehen ja aus Materie und nicht aus Antimaterie; zwischen beiden Materieformen muß es eine leichte Asymmetrie geben, ansonsten hätten wir heute keinen Überschuß an Materie, sondern alles wären nur noch Photonen -, und auch dieses Problem ließe sich damit lösen, ebenso wie das der Dunklen Materie, so wären das gute Indizien für eine neue fundamentale Wechselwirkung bei einer viel höheren Energieskala. Auch für neue Symmetrien, die in einigen der heute gängigen Theorien durchaus zu erwarten wären, wäre das eine gute Erklärung. Die Axionen bieten also ein sehr interessantes Szenario, in dem man sehr viele Fäden auf einmal zu einem stimmigen Bild zusammenführen kann.


Die beiden Forscher neben der BRASS-Parabolschüssel - Foto: © 2019 by Schattenblick

Die Axionensucher Prof. Dr. Dieter Horns und Prof. Dr. Andreas Ringwald im Gespräch
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SB: Ist die Physik manchmal ein bißchen in Zugzwang, daß sie, immer wenn sie etwas entdeckt, das mit allen anderen Entdeckungen in eine Theorie fassen muß, was daraufhin neue Fragen aufwirft, für die wiederum etwas erfunden werden muß?

DH: Ja, man kann heutzutage nicht hergehen und sich einfach ein neues Teilchen ausdenken. Das müßte dann quasi unsichtbar gewesen sein für alle möglichen Dinge und trotzdem noch die Eigenschaften haben, die ich brauche. Das ist mittlerweile schon sehr, sehr schwer geworden.

Das Axion ist jedoch ein Kandidat, der diese Bedingungen erfüllt und nach dem wir jetzt sinnvollerweise als Dunkler-Materie-Kandidat suchen können. Wir sind da in einer sehr spannenden Zeit angekommen, weil sich nämlich heute das Blickfeld geweitet hat, so daß dieser Kandidat für Dunkle Materie von vielen favorisiert wird. Das ist ja manchmal auch eine Frage des Geschmacks, was einem am besten gefällt. Bei der Suche nach Dunkler Materie ist vieles, das noch vor vielleicht 20 Jahren als attraktiv empfunden wurde, nicht gefunden worden.

SB: Gibt es schon Computerprogramme, in die man Parameter eingibt, die man für ein Teilchen braucht, das noch nicht entdeckt wurde?

DH: Berechnen kann man eigentlich alles, nur daß sich aufgrund einer Theorie nicht vorhersagen läßt, was die Eigenschaften des Teilchens sind. Es kann sich keiner hinstellen und sagen, das Teilchen muß diese Masse und jene anderen Parameter haben und so weiter. Diese Vorhersage kann keiner treffen.

Aber wenn man von der Kosmologie kommt, dann muß Dunkle Materie in einem sehr frühen Universum entstanden sein. Sie muß die richtigen Eigenschaften haben, damit sich Galaxien bilden konnten, und sie muß die richtigen Eigenschaften haben, daß sich heute all die vielen kosmologischen Beobachtungen mit ihr erklären lassen. Wenn man das alles modelliert, landet man in einem relativ schmalen Bereich der Masse. Das ist das, was unsere Kollegen von DESY-Theorie hauptsächlich gemacht haben. Sie haben sich überlegt, in welchem Massebereich nach Dunkler Materie gesucht werden muß. Das gibt dann den Frequenzbereich vor, in dem Axionen zu erwarten sind. Denn in diesem Frequenzbereich findet die Umwandlung von den massiven Teilchen in ein Photon statt. "Massiv" bedeutet nicht, daß sie eine große Masse haben - Axionen haben sogar eine sehr kleine Masse -, sondern daß sie überhaupt eine Masse haben.

Dieser Umwandlungsbereich konnte jetzt auf einen vergleichsweise schmalen Bereich eingeschränkt werden. Er liegt zwischen rund zehn Gigahertz, das ist der untere Frequenzbereich, in dem wir mit der Suche anfangen, bis hin zu etwas über 100 Gigahertz. Würden wir dort Teilchen finden, wäre das ideal, um alle Phänomene zu erklären. Sollte sich das Axion hingegen bei einer deutlich niedrigeren Frequenz zeigen, bedeutete das, daß es nicht genügend Dunkle Materie im Universum gibt. Würde es sich umgekehrt in einem höheren Frequenzbereich zeigen, gäbe es zu viele Axionen.

SB: Werden noch ganz andere Forschungsansätze zur Suche nach Dunkler Materie verfolgt?

DH: Man kann versuchen, die Dunkle Materie nicht so nachzuweisen, wie wir das in unserem Experiment machen, sondern man kann sie selbst erzeugen. Das ist ein Experiment unserer Kollegen bei DESY. Sie nehmen einen sehr leistungsfähigen Laser, lassen ihn zwischen zwei Spiegeln hin und her flitzen, bauen einen Resonator auf, und wenn man jetzt ein äußeres Magnetfeld anlegt, flitzen einige Photonen durch das Magnetfeld, werden dabei in Axionen konvertiert und können durch den Spiegel hindurchfliegen, weil sie nicht mehr reflektiert werden. Auf der anderen Seite des Spiegels wandeln sie sich wieder in Photonen um, die dann nachgewiesen werden.

SB: Meinen Sie damit das Experiment von Prof. Ringwald?

DH: Genau, das ist das Experiment ALPS [Anm. d. SB-Red.: ALPS steht für "axion-like particles"]. Damit könnte ich dann sogar nachweisen, was nicht Dunkle Materie ist. Aber für den Dunkle-Materie-Nachweis von BRASS habe ich den Vorteil, daß ich nicht zweimal konvertieren muß. Das Photon muß nicht zu einem Axion und das Axion wieder zu einem Photon werden. Die Wahrscheinlichkeit, daß es konvertiert, ist so irre klein, daß, wenn ich jetzt eine Wahrscheinlichkeit von, ich sage mal, 10-10 habe, was statistisch bedeutet, daß von zehn Milliarden Photonen eins konvertiert, dann muß ich von diesen konvertierten Photonen wiederum zehn Milliarden haben, damit daraus ein Photon wird. Die beiden Wahrscheinlichkeiten muß ich miteinander multiplizieren.

Wenn ich dagegen Dunkle Materie habe, brauche ich nur diesen einen Faktor einmal zu multiplizieren. Damit ist ein Experiment wie BRASS natürlich einfacher. Andererseits hänge ich dann davon ab, daß Dunkle Materie aus Axionen besteht.


Der Forscher hat seine Brille abgenommen und zeigt mit der Hand auf die Gläser - Foto: © 2019 by Schattenblick

Prof. Horns erläutert das Schichtenprinzip am konkreten Beispiel
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SB: Frau Prof. Garutti hat vorhin erklärt, daß ihr Experiment MADMAX von BRASS profitieren kann, weil Sie mit Ihren Messungen eher anfangen als sie, und daß, wenn Sie einen interessanten Frequenzbereich festgestellt haben, MADMAX gleich dort mit der Suche einsteigen könnte. Kann auch umgekehrt BRASS von MADMAX profitieren?

DH: Ja, das sind zwei Experimente, die nach ähnlichen Effekten suchen. Aber BRASS ist fast schon - ein Physiker würde dazu "embarassing" sagen - zu einfach. Wenn man moderne physikalische Grundlagenforschung betreibt, sind die Experimente normalerweise äußerst komplex. Wir jedoch brauchen nur zwei Flächen und einen Radioempfänger. Das ist alles. Das ist eigentlich schon fast vernichtend leicht und man fragt sich, warum das sonst noch keiner gemacht hat. Natürlich gibt es im Detail viele komplizierende Dinge, aber nichts, was wir neu entwickeln müßten.

MADMAX ist viel komplizierter. Es muß auf vier Kelvin runtergekühlt werden, und man hat ein Magnetfeld von zehn Tesla. Ich habe selber schon mit Vakuumanlagen unter großen Magnetfeldern gearbeitet und würde mich nicht trauen, das Experiment zu machen. Aber das ist halt anders. Wir können davon profitieren, daß sie eine Methode benutzen, bei der sie nicht nur eine einzige Spiegelfläche haben, sondern daß sie da Dielektrika [4] vorschichten, ähnlich einer Brille. Die Brille hat ja zig Schichten aufgetragen, um sie antireflektierend zu machen.

Ich kann aber auch einen Spiegel nach derselben Art und Weise anfertigen, wenn ich die Dicke der Schichten so anpasse, daß die Wellen, die an den einzelnen Grenzschichten reflektiert werden, sich positiv überlagern, also konstruktiv interferieren. Damit kann ich einen super Spiegel bauen, der zu 99,99 Prozent und noch besser reflektieren kann. Dieses Prinzip verfolgen sie bei MADMAX.

Ich denke, wir können davon profitieren, daß wir möglicherweise irgendwann versuchen werden, unsere Grenzschicht, die bislang einfach nur eine reflektierende Schicht ist, mit dielektrischen Schichten zu versehen, um mehr Grenzschichten zu erzeugen und den Effekt dann positiv überlagern zu lassen. Das ist ein Gebiet, auf dem wir eng zusammenarbeiten.

Wir profitieren sogar heute schon von MADMAX. Die Gruppe von Erika Garutti hat gerade eine Doktorarbeit abgeschlossen, bei der sich sehr viel Mühe gegeben wurde, theoretisch genau zu berechnen und zu simulieren, was an zusätzlichen Effekten noch alles eine Rolle spielt. Wir können gemeinsam mit den Kollegen überlegen, ob wir da nicht auch noch etwas verbessern können. Nicht unbedingt, indem wir die Fläche vergrößern, sondern indem wir störende Randeffekte reduzieren.

SB: Vielen Dank, Herr Horns, für das ausführliche Gespräch.


Schild über dem Eingang zum Experimentierraum mit der Aufschrift BRASS und Symbolen für Parabolschüssel, Welle und Empfänger - Foto: © 2019 by Schattenblick

BRASS - für die Elementarteilchenforschung ein relativ einfaches Experiment
Foto: © 2019 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] Das C steht für engl. "charge" (Ladung) und P für "parity" (Parität). Die Physik nimmt an, daß das Universum eigentlich aus genauso vielen Teilchen wie ihren Gegenstücken, den Antiteilchen, bestehen müßte und daß in einer gespiegelten Welt eigentlich alle Gesetzmäßigkeiten gelten müßten, wie wir sie aus diesem Universum kennen. Wird diese Symmetrie "verletzt", hat die Physik ein Problem, denn ihr Weltmodell ist nicht schlüssig. Eine Lösung könnte darin bestehen, neue Teilchen zu erfinden, welche dann genau die Eigenschaften haben müßten, daß sie die Lücke im Modell schließen.

[2] Kompaktifizieren: Das Universum wird mit drei Raumdimensionen beschrieben. Wenn man wie in der Stringtheorie Extradimensionen annimmt, müssen sie irgendwo sein. Eine Vorstellung dazu lautet, daß sie aufgerollt und winzig klein sind. Kompaktifizieren wäre dann die Beschreibung solch einer theoretisch "kompakt gemachten" Extradimension oder, in diesem Beispiel, eines weiteren Feldes.

[3] Baryonen: Subatomare Teilchen von vergleichsweise großer Masse.

[4] Bei MADMAX werden Platten aus sechseckigen, stoßseitig miteinander verklebten Lanthanaluminat-Einkristallen als Dielektrika verwendet. Diese Kristalle sind elektrisch nahezu nichtleitend, aber elektrisch polarisierbar.

Bisher sind zur Einweihung der Experimentierhalle SHELL auf dem Campus Bahrenfeld in Hamburg am 8. Juli 2019 im Schattenblick unter
INFOPOOL → NATURWISSENSCHAFTEN → REPORT erschienen:

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17. Juli 2019


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