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WERKSTOFFE/543: Moderne Betons werden immer leistungsfähiger (mundo - TU Dortmund)


mundo - Das Magazin der Technischen Universität Dortmund, Nr. 12/10

Es kommt vor allem darauf an, wie man ihn macht!
Moderne Betons werden immer leistungsfähiger: von traditionellen Beton zu Multifunktionswerkstoff

Von Christian Boris Egbers


Die Kenntnisse und das Wissen um frühgeschichtliche Bindemittel, einer Mischung aus Kalk, Ziegelmehl oder Puzzolanerde, reichen weit in die Vergangenheit zurück. Schon vor 14.000 Jahren benutzten Handwerker im Osten der heutigen Türkei bindemittelreiche Mörtel, um Ziegelsteine zu mauern. Der Mörtel bestand aus gebranntem Kalk. Die Phönizier vermischten den Mörtel dann vor 3.000 Jahren mit vulkanischer Asche. Sie schufen damit bereits ein Material, das sogar unter Wasser aushärtete. Der Vorläufer des Betons und der Beginn einer legendären Erfolgsgeschichte.

Über die Griechen gelangten diese Erkenntnisse und Techniken ungefähr im dritten Jahrhundert v. Chr. ins damalige Römische Reich. Das Herstellen druckfester Bauteile aus wasserbeständigem Mörtel und Steinbrocken, zusammen in einer Schalung erhärtet, erlebte dann im ersten Jahrhundert n. Chr. seinen Durchbruch und wurde zum Maßstab der späten römisch-kaiserlichen Architektur. Der Römische Beton, heute auch als >Opus Caementitium< bezeichnet, war geboren. In ganz Europa entstanden in dieser Zeit phantastische und monumentale Bauwerke, die auch nach fast 2.000 Jahren noch zu bestaunen sind: Tempel, Theater, Zisternen, Aquädukte, Abwasseranlagen, Thermen, Straßen, Hafenanlagen, Brücken, Tunnel und Wohnhäuser.

Dies alles sind historische Zeugen einer Baustoffqualität, die nach wie vor für Stabilität und Langlebigkeit steht und damit die Ursprünge unserer Baukultur dokumentiert. Auch heute ist Beton noch immer der am meisten verwendete Konstruktionsbaustoff. Unsere moderne Zivilisation ist ohne ihn nicht denkbar. Beton macht die wirtschaftliche Herstellung von Häusern, Verkehrswegen oder Staudämmen erst möglich. Ohne ihn gäbe es weder Stadien noch Kultur- oder Umweltbauten. Pro Mensch auf unserem Planeten wird jährlich rund eine Tonne Beton verarbeitet.

Doch die Zeiten, als Beton noch ein einfaches Drei-Stoff-Gemisch aus Zement, Wasser und Zuschlag war, sind vorbei. So genannter High-Tech-Beton hat ihn abgelöst. Er besteht aus sechs verschiedenen Komponenten, aus Zement, Zuschlag, Wasser, Zusatzmitteln, Zusatzstoffen und in manchen Fällen Luft.

Kaum eine Baustelle auf der Welt kommt heutzutage ohne ihn aus. Er ist vielseitig einsetzbar und leicht zu verarbeiten. Beton kann hohe Traglasten aufnehmen, dafür aber wegen seiner hohen Dichte nur schlecht die Wärme dämmen, weshalb Wohngebäude aus Beton bisher zusätzlich isoliert werden mussten. Bisher! Denn drei Forschern der TU Dortmund ist es gelungen, einen Schaumbeton zu entwickeln, der die isolierenden Eigenschaften von Gasbeton mit der Tragfestigkeit von konventionellem Fließbeton verbindet.

Diese weltweit einmaligen Eigenschaften sind der Grund, dass seine Erfinder, die Dortmunder Wissenschaftler Bernhard Middendorf, Jürgen Neisecke und Armin Just fast andächtig einen kleinen Würfel aus Schaumbeton auf einem Tisch betrachten. Ultraporcrete heißt dieser poröse Stoff. 13 Diplomarbeiten, eine Doktorarbeit und insgesamt rund 500 verschiedene Rezepturen waren nötig, bis der neue Baustoff nach zwölf Jahren endlich serienreif entwickelt war. Das Ergebnis: der weltweit erste Schaumbeton, dessen physikalisch-mechanische Eigenschaften einen Einsatz als Konstruktionsbaustoff für tragende Bauteile zulassen. Die bis dato hergestellten leichten und gut Wärme dämmenden Poren- oder Schaumbetons werden bislang in aufwändigen und energieintensiven Prozessen unter hohem Druck und hoher Temperatur in Autoklaven gehärtet oder sind aufgrund ihrer geringen Festigkeiten in den technischen Anwendungsmöglichkeiten stark eingeschränkt.

»Konventioneller Porenbeton muss wie in einem Schnellkochtopf bei ca. 200 Grad Celsius und 16 bar Druck >gebacken< werden. Unserem Schaumbeton reicht Umgebungstemperatur und ein atmosphärischer Luftdruck auf Meereshöhe völlig aus«, erklärt Bernhard Middendorf, Inhaber des Lehrstuhls für Werkstoffe des Bauwesens stolz. »Das spart Energie und damit Baukosten. Dabei ist er auch noch deutlich fester und kann wie Fließbeton flexibel in jede gewünschte Form gegossen werden.«


Der neue Baustoff kann universell eingesetzt werden

Die Idee für den hochfesten mineralischen Schaumbeton hatte ursprünglich die Fakultät Architektur und Bauingenieurwesen mit dem Maschinenbau gemeinsam. »Wir wollten zusammen Leichtbauteile entwickeln, die aus dünnen Blechhülsen geformt und mit einem mineralischen Schaum gefüllt und stabilisiert werden«, erklärt Jürgen Neisecke. »Leider wurde das Projekt seinerzeit nicht von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt und gefördert. Wir haben aber nicht aufgegeben und weiter geforscht. Heute kann man mit Ultraporcrete Steine oder Wände gießen oder auch metallische Bauteile damit füllen. Und zwar direkt an der Baustelle. Wie universell dieser Baustoff tatsächlich ist, wird wahrscheinlich erst die Praxis zeigen.« Der Dortmunder Schaumbeton besitzt aber noch weitere Vorteile. Durch den hohen Luftporenanteil hat er die gleichen isolierenden Eigenschaften wie Gasbeton aus dem Autoklaven, wiegt dabei aber nur rund ein Drittel von herkömmlichem Beton.

Überhaupt sind die Luftporen das eigentliche Geheimnis von Ultraporcrete. Ihre Größe und Form lässt sich genau einstellen. Damit kann die Druckfestigkeit und Dichte des Betons flexibel an die jeweilige Anforderung eines zu bauenden Objekts angepasst werden. Kostengünstige tragende Dachkonstruktionen zum Beispiel, für die heute häufig noch immer Holz genutzt wird, könnten durch den Dortmunder Schaumbeton problemlos ersetzt werden. Aber die Dortmunder Forscher haben ehrgeizigere Pläne. »Wir sehen eine Einsatzmöglichkeit für diesen Beton im Wohnungsbau beispielsweise in Erdbebengebieten «, prognostiziert Jürgen Neisecke. »Denn durch das geringe spezifische Gewicht des Baustoffs können Menschen einen Hauseinsturz überleben. Durch fallende Trümmer wird niemand mehr erschlagen.«


Der innovative Baustoff lässt sich im Betonmischer anrühren

Besonders Schwellenländer mit schlechter Infrastruktur könnten von Ultraporcrete profitieren. Denn der innovative Baustoff lässt sich in jedem herkömmlichen Betonmischer anrühren und kann in jeder einfachen Verschalung abbinden und aushärten. »Baufirmen in Entwicklungsländern können den Baustoff ganz ohne komplexe Mischtechnik einfach mit ihren heutigen Maschinen herstellen und verarbeiten«, sagt Armin Just. »Sie brauchen nur eine einfache Bohrmaschine mit Quirlaufsatz und ruck zuck ergibt das ein fließfähiges, selbst verdichtendes Material mit der Konsistenz einer Dickmilch«, ergänzt Bernhard Middendorf. »Wohngebäude mit drei Geschosshöhen könnten wir mit Ultraporcrete schon jetzt problemlos bauen.«

Noch ist aber überhaupt nicht klar, in welchem Land der Erde das erste Ultraporcrete-Haus gebaut wird. Die Nachfrage ist groß, aber noch fehlen teure aber notwendige Zertifizierungen. Das Forschertrio nennt aber bereits eine Wunschbaustelle. Das Mbeya Institut of Science and Technology in Tansania, eine Partnerhochschule der TU Dortmund, plant neue Campusgebäude. »Hier könnte unser Schaumbeton erstmalig zum Einsatz kommen«, hofft Bernhard Middendorf: »Wir könnten die Objekte von Anfang an mit Sensoren überwachen und so wichtige Messdaten erhalten.« Ultraporcrete auf dem tansanischen Campus bedeutet Studieren ohne Ventilator oder Klimaanlage, denn der Baustoff sorgt mit seinen hervorragenden Dämmeigenschaften auch bei hohen Temperaturen dafür, dass die Hitze draußen bleibt.

»Wir können das Material jetzt schon so einstellen, wie es gebraucht wird. Entweder mit Fokus auf die Dämmung oder die Tragfähigkeit«, ergänzt Bernhard Middendorf. Aber das reicht den Baustoffforschern nicht. Noch poröser, noch fester, noch isolierender soll er werden. Bei ihrer Arbeit sind sie einem fast olympischen Gedanken verpflichtet, die Dichte ihres Baustoffs bei gleichbleibenden Dämmeigenschaften immer weiter zu reduzieren, und ihn gleichzeitig noch belastbarer zu machen. »Wir wollen in Zukunft mit Hilfe der numerischen Methoden und Informationsverarbeitung und der Statik die optimale Geometrie der Poren und Stege im Baustoff berechnen«, erklärt Bernhard Middendorf. »So können wir dann für jedes Gebäude einen individuell zugeschnittenen Schaumbeton erstellen.« Das Vorbild findet sich wie so häufig in der Natur: ein Beton vergleichbar mit der Struktur und den Eigenschaften eines menschlichen Knochens: außen glatt und geschlossen, innen porös. Es gilt, die optimale Struktur für jeden Anwendungsfall zu finden.

Das Rezept für die Herstellung dieses individuellen Baustoffs ist natürlich geheim und längst zum Patent angemeldet. Doch soviel verrät der studierte Mineraloge: »Es kommt vor allem auf die richtige Wahl der Zutaten an. Wir benutzen ganz normalen Zement. Den gibt es überall auf der Welt in vergleichbarer Qualität. Zum Zement kommt Wasser. Dann geben wir eine feine Gesteinskörnung dazu. Das sorgt für die hohe Festigkeit. Für die Poren nimmt man Aluminiumpulver und schließlich fehlen noch ein paar Zusatzmittel, die aber alle in der Betontechnologie bekannt sind und bereits verwendet werden.«

Gemeinsam mit der Patentverwertungsgesellschaft PROvendis GmbH sucht die Technische Universität Dortmund jetzt für Ultraporcrete einen Lizenznehmer, der den chemischen Cocktail für den neuen Baustoff herstellen und vermarkten will. Das ist nicht ganz einfach. Zwar ist das Interesse der Industrie bereits groß. Aber noch fehlt ein konkreter Partner. »Das liegt an der konservativen Baubranche, die Innovationen traditionell nicht sehr aufgeschlossen gegenüber steht«, erklärt Armin Just. »Darüber hinaus bremst derzeit die Wirtschaftskrise spürbar die Investitionsbereitschaft.«


Traum vom Eigenheim könnte für viele wahr werden

Doch die Baustoff-Wissenschaftler sind optimistisch, dass trotzdem bereits in Kürze ein Investor zugreifen wird und ihr Baustoff schon bald in zahlreichen innovativen Bauprojekten zur Anwendung kommt. Denn der Schaumbeton wird nach Meinung der drei Forscher einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass sich in Zukunft fast jeder den Traum vom Eigenheim leisten können wird. Und auf eine anspruchsvolle individuelle Architektur muss ein Bauherr dabei dank Ultraporcrete auch nicht verzichten.


Zur Person

Prof. Dr.-Ing. Bernhard Middendorf wurde 1962 in Leverkusen geboren. Er studierte von 1983 bis 1989 Mineralogie an der Universität Köln. Im Dezember 1994 promovierte Bernhard Middendorf in Chemie zum Dr. rer. nat. an der Universität Siegen. Direkt im Anschluss übernahm er eine Akademische Rat/Oberratstelle an der Universität Kassel im Bereich Werkstoffe des Bauwesens und war ferner an der dortigen Amtlichen Materialprüfanstalt tätig. Seit Oktober 2005 ist Bernhard Middendorf Professor für Werkstoffe des Bauwesens an der Fakultät Architektur und Bauingenieurwesen der TU Dortmund. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen energieoptimierte und nachhaltige Bindemittel, die Entwicklung und Optimierung von anorganischmineralischen Baustoffen und denkmalgerechte Bauwerksinstandsetzung.
Kontakt: E-Mail: bernhard.middendorf@tu-dortmund.de


Dr.-Ing. Armin Just wurde 1971 im westfälischen Werl geboren. Er studierte von 1991 bis 1998 Bauingenieurwesen an der TU Dortmund. Von 1998 bis 2000 war er in der Industrie im Bereich statischer und dynamischer Bauteillagerungen tätig. Seit 2000 ist Armin Just wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Werkstoffe des Bauwesens an der TU Dortmund. Hier forscht und publiziert er zum Thema Lufterhärtende mineralisch gebunde Schäume, worüber er 2007 promovierte.
Kontakt: armin.just@tu-dortmund.de


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Quelle:
mundo - das Magazin der Technischen Universität Dortmund, Nr. 12/10,
Seite 52-57
Herausgeber: Referat für Öffentlichkeitsarbeit,
Universität Dortmund, 44221 Dortmund,
Redaktion: Angelika Willers (Chefredakteurin)
E-Mail: redaktion.mundo@uni-dortmund.de
Internet: www.uni-dortmund.de

mundo erscheint zwei Mal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. November 2010