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WERKSTOFFE/562: Defekte Kunststoffe reparieren sich selbst


Fraunhofer-Gesellschaft - 03.03.2011

Defekte Kunststoffe reparieren sich selbst

Unkaputtbare Dinge sind eine Erfindung der Werbung. Sogar Kunststoffbauteile, die hohe mechanische Belastungen aushalten müssen, können brechen. Ursache dafür sind Mikrorisse, die in jedem Bauteil vorhanden sein können. Um das Risswachstum zu stoppen, haben Forscher jetzt elastische Polymere entwickelt, die sich selbst heilen.


Völlig unerwartet kann es passieren: Autoreifen platzen, Dichtungsringe versagen, auch der viel geliebte Panton Chair, der freischwingende Kunststoffstuhl, wird rissig und das Material ermüdet. Ursache ist oftmals plötzliches, unvorhergesehenes Materialversagen - ausgelöst durch Mikrorisse, die in jedem Bauteil vorhanden sein können. Diese Risse wachsen langsam oder schnell, sie sind jedoch kaum zu erkennen. Dies gilt auch für Brüche in Bauteilen aus elastisch verformbarem Kunststoff. Dichtungsringe oder etwa Reifen bestehen aus solchen Elastomeren, die hohen mechanischen Belastungen besonders gut standhalten.

Um das Risswachstum bereits in der Anfangsphase zu unterbinden und spontanes Materialversagen zu vermeiden, haben Forscher des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT in Oberhausen jetzt im BMBF-Projekt »OSIRIS« selbstheilende Elastomere entwickelt, die sich autonom reparieren können. Inspirationsquelle waren der Kautschukbaum Hevea brasiliensis und milchsaftführende Pflanzen wie die Birkenfeige. Der Milchsaft enthält Kapseln, die mit dem Protein Hevein gefüllt sind. Wird der Kautschukbaum verletzt, so tritt der Milchsaft aus, die Kapseln brechen auf und setzen Hevein frei. Das Protein vernetzt dann die ebenfalls im Milchsaft enthaltenen Latexpartikel zu einem Wundverschluss.

Dieses Prinzip übertrugen die Wissenschaftler auf Elastomere. »Um in Kunststoffen einen Selbstheilungsprozess anzuregen, haben wir Mikrokapseln mit einem klebenden Material, Polyisobutylen, beladen und in Elastomere aus synthetischem Kautschuk eingebracht. Wird Druck auf die Kapseln ausgeübt, platzen diese und sondern dabei das zähflüssige Material ab. Dieses vermischt sich mit den Polymerketten des Elastomers und verschließt so die Risse«, erläutert Dr. Anke Nellesen, Wissenschaftlerin am UMSICHT. »Es ist uns gelungen, produktionsstabile Kapseln herzustellen, allerdings brachten diese nicht den gewünschten selbstreparierenden Effekt.« Gute Ergebnisse erzielten die Forscher hingegen, indem sie die Selbstheilungskomponente, also das Polyisobutylen, unverkapselt in das Elastomer einbrachten. So zeigten verschiedene Probekörper aus unterschiedlichen synthetischen Kautschuken ein deutliches Selbstheilungsverhalten: Nach einer Heildauer von 24 Stunden betrug die wiederhergestellte Zugdehnung 40 Prozent.

Noch bessere Ergebnisse erreichten die Experten jedoch, indem sie Elastomere mit Ionen ausstatteten. Auch bei dieser Methode diente der Kautschukbaum als Vorbild: Die bei einer Verletzung freigesetzten Hevein-Proteine verbinden sich durch Ionen miteinander und verkleben bei diesem Prozess - der Riss schließt sich. Wird also das Material des Elastomers beschädigt, so suchen sich die gegensätzlich geladenen Teilchen einen neuen Bindungspartner - ein Plus-Ion zieht ein Minus-Ion an und entfaltet so eine klebende Wirkung. »Durch das Beladen der Elastomere mit Ionen sorgen wir für einen stabilen Wundverschluss. Der Heilungsprozess kann beliebig oft stattfinden«, betont Nellesen den Vorteil gegenüber dem Mikrokapsel-Verfahren. »Duromere mit Selbstheilungsfunktion gibt es bereits. Sie kommen etwa in Form von sich selbst reparierenden Lacken im Automobilbereich zur Anwendung. Elastomere, die ihre Risse ohne Eingriff von außen verschließen können, wurden bislang noch nicht entwickelt«, sagt die Wissenschaftlerin.

Von der neuen Entwicklung könnte unter anderem die Automobilbranche profitieren. Der Prototyp einer sich selbst reparierenden Auspuffaufhängung ist auf der Hannover Messe vom 4. bis zum 8. April am Biokon-Gemeinschaftsstand in Halle 2 zu sehen.


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Fraunhofer-Gesellschaft, Britta Widmann, 03.03.2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. März 2011