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WERKSTOFFE/837: Schallisolierung mithilfe von Quantenphysik (idw)


Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich) - 02.07.2015

Schallisolierung mithilfe von Quantenphysik


Dass der Weg von der abstrakten Theorie zur handfesten Anwendung nicht immer weit sein muss, zeigten Sebastian Huber und Kollegen. Ihre mechanische Umsetzung eines quantenmechanischen Phänomens könnte schon bald in der Schallisolierung zum Einsatz kommen.


Doughnuts, Strom und Quantenphysik - was für Laien wie eine absurde Aneinanderreihung von Begriffen aussieht, ist für Sebastian Huber eine Art Beschreibung seines Arbeitsgebiets. ETH-Professor Huber beschäftigt sich als theoretischer Physiker seit Jahren mit so genannten topologischen Isolatoren, also mit Materialien, deren Fähigkeit, elektrischen Strom zu leiten, einen topologischen Ursprung hat.

Was dabei «topologisch» bedeutet, kann man sich am einfachsten anhand eines Doughnuts vorstellen, der durch Ziehen, Dehnen und Verformen in eine Kaffeetasse verwandelt werden kann - ohne dass man ihn zerschneiden muss. Doughnut und Kaffeetasse sind in diesem Sinne topologisch gesehen identisch, und wendet man dasselbe Prinzip auf die quantenmechanischen Wellenfunktionen von Elektronen in einem Festkörper an, so kommt man auf das Phänomen des topologischen Isolators. Das ist Quantenphysik für Fortgeschrittene, hoch kompliziert und weit von der Alltagswelt entfernt. Dennoch ist es Professor Huber und seinen Mitarbeitern jetzt gelungen, diese abstrakten Ideen sehr konkret zu machen und, sozusagen auf dem kurzen Dienstweg, mit Kollegen aus verschiedenen Fachbereichen quer durch die ETH bis hin zu möglichen Anwendungen im Ingenieursbereich zu kommen.


Von den Quanten zur Mechanik

Am Anfang stand dabei für Huber eine simple Frage: Kann man das Prinzip eines topologischen Isolators auf mechanische Systeme übertragen? Eigentlich sind die Quantenphysik und die Mechanik zwei verschiedene Welten. In der Quantenwelt können Teilchen durch Barrieren «tunneln» und sich gegenseitig als Wellen auslöschen oder verstärken, wogegen es die alltägliche Mechanik eher mit fallenden Körpern oder der Statik von Brücken zu tun hat. Huber und seine Kollegen erkannten allerdings, dass man die mathematischen Formeln, welche die Quanteneigenschaften eines topologischen Isolators beschreiben, so umformen kann, dass sie aussehen wie die eines wohlbekannten mechanischen Systems - nämlich einer Reihe von schwingenden Pendeln.

Insbesondere sagten die mechanischen Formeln genau wie ihr quantenmechanisches Pendant sogenannte Randzustände voraus. Bei diesen Anregungszuständen fliesst entlang der Ränder des Materials elektrischer Strom (beziehungsweise eine mechanische Schwingung), wogegen das Innere des Systems vollkommen unbeteiligt bleibt. «Theoretisch war das ein schönes Ergebnis», sagt Huber, «doch am ehesten kann man die Leute natürlich überzeugen, wenn man das praktisch umsetzt».

Gesagt, getan. Gemeinsam mit ETH-Technikern bauten Huber und sein Student ein mechanisches Modell aus 270 in einem rechteckigen Gitter angeordneten Pendeln, die über kleine Federn miteinander verbunden sind. Zwei der Pendel können dabei mechanisch angeregt, also mit einer bestimmten Frequenz und Stärke hin und her geschüttelt werden. Durch die Federkopplungen werden nach und nach auch die anderen Pendel in Schwingung versetzt. Bei einer bestimmten Anregungsfrequenz sahen die Physiker schliesslich, was sie sich erhofft hatten: Die Pendel innerhalb des Rechtecks standen still, wogegen diejenigen am Rand rhythmisch schwangen und so eine Art «Welle» um das Rechteck herum floss. Die gekoppelten Pendel verhielten sich also tatsächlich wie ein topologischer Isolator.


Roboterarme und Schall-Linsen

Schon bald könnte sich das, was für ETH-Professor Huber zunächst ein Hirngespinst und dann eine nette Spielerei war, als nützliches Werkzeug erweisen. Die mechanischen Randzustände der gekoppelten Pendel sind nämlich sehr robust - «topologisch geschützt», wie es in der Fachsprache heisst - und bleiben auch dann bestehen, wenn man Unordnung in die Reihe der Pendel bringt oder sogar einen Teil des Rechtecks einfach entfernt. Solche Eigenschaften wären beispielsweise für die Schall- und Vibrationsisolierung interessant, etwa in der industriellen Produktion, wo Roboterarme exakt und zitterfrei Bauteile platzieren müssen. Zudem sind Materialien denkbar, die Schall nur in eine Richtung transportieren oder wie eine optische Linse bündeln.

«Solche Anwendungen sind eine grosse Herausforderung, aber durchaus realistisch», meint Chiara Daraio, ETH-Professorin für Mechanik und Materialien. Dazu freilich müssen die mechanischen Systeme zunächst einmal kompakter werden - Hubers Pendel sind immerhin einen halben Meter lang und wiegen je ein halbes Kilo. Die Ingenieure sind bereits dabei, ein Gerät zu bauen, das ohne die vielen Pendel auskommt und zudem nur wenige Zentimeter misst.

Literaturhinweis
Süsstrunk R, Huber SD:
Observation of phononic helical edge states in a mechanical topological insulator.
Science 2015, 349: 47-50,
doi: 10.1126/science.aab0239
[http://dx.doi.org/10.1126/science.aab0239]



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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich),
News und Medienstelle, 02.07.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juli 2015

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