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WERKSTOFFE/923: Vom Flachs zu Mako - Segeltuch im Übergang von Natur- zu Kunstfaser (idw)


Deutsches Museum - 19.07.2016

Vom Flachs zu Mako - Segeltuch im Übergang von Natur- zu Kunstfaser


Mast- und Schotbruch! Das Segeln gehört heute weitestgehend in den Sport- und Freizeitbereich. Bis ins 20. Jahrhundert wurde allerdings auch das Gros der Transportschifffahrt mit Wind angetrieben. Dabei hatte sich das Material seit der Antike kaum verändert: Noch nach dem zweiten Weltkrieg wurden Segel aus Baumwolle, Hanf und Flachs genäht. Das änderte sich schlagartig, nachdem Nylon und Polyester in den 1950er-Jahren der zivilen Nutzung im großen Maßstab zur Verfügung standen. Dr. Jörn Bohlmann zeichnet derzeit im Rahmen eines Scholar-in Residence-Stipendiums am Deutschen Museum die Entwicklung des Segeltuchs aus Polyester nach.

Wind und Segeln nahm bis in das 20. Jahrhundert hinein jene Rolle ein, die heute Verbrennungsmotoren und Schweröl zukommt; sie waren der eigentliche Antrieb des internationalen Seeverkehrs. "Egal, ob mit Segelschiffen fremde Küsten entdeckt, Kontinente erobert oder Kriege geführt, Waren verschifft oder Sklaven und Auswanderer über See transportiert wurden - von der Antike bis ins 20. Jahrhundert dienten Wind und Segel als Antrieb des globalen Schiffverkehrs", sagt Dr. Jörn Bohlmann.

Wie umfassend der Bedarf an Segeltuch und Segeln war, wird deutlich, wenn man die Segelfläche der rund 3500 viermastigen Großsegler zusammenrechnet, die um das Jahr 1900 beteiligt waren, den den internationalen Seehandel unter Segeln zu bedienen. "Alleine diese 3500 Schiffe benötigten für ihren Antrieb ca. 14 Millionen Quadratmeter Segeltuch, die hauptsächlich aus Flachs und Hanf gefertigt waren", so Bohlmann.

Während sich die Technik des Segelschiffsbaus und der Takelagen seit der Antike kontinuierlich weiterentwickelt hatte, wurden Segel noch in den 1950er-Jahren, wie in der Antike, im Mittelalter und in der Neuzeit aus Baumwolle, Hanf und Flachs genäht. "Das änderte sich dann schlagartig, als Nylon- und Polyesterfasern endlich auch der zivilen Nutzung im großen Maßstab zur Verfügung standen", sagt Jörn Bohlmann, "und so wurde damals damit begonnen, Segeltuch auch aus Kunstfasermaterial herzustellen." Den Übergang von Flachs und Mako zu Polyester in der Mitte des vorigen Jahrhunderts erforscht Dr. Jörn Bohlmann anhand der Besprechung von Kunstfasersegeln in Yachtzeitschriften der 1950er- und 1960er-Jahre. Mit Hilfe von Interviews mit Zeitzeugen - Segelmachern, Seglern und Tuchherstellern - gelingt es ihm in seinem Projekt, die Entwicklung des Segeltuchs aus Polyester nachzuzeichnen. Am Beispiel des Segelschulschiffes Gorch Fock, welches 1974 sein erstes Stell Polyestersegel erhielt, zeigt Bohlmann auf, welche Unsicherheiten mit dem neuen Segeltuch an Bord von Großsegeln bestanden. "Die Kunstfaser-Segeltuche veränderten mit ihren Eigenschaften die Arbeit der Tuchhersteller, der Segelmacher und nicht zuletzt der Seeleute und Segler umfassend", stellt der Forscher fest. Zugleich zeichnet er in seinem Projekt nach, wie es der Vereinigten Seidenwebereien in Krefeld gelang, von einem in den 1950er-Jahren missglückten Produkt zum heute weltgrößten Segeltuchproduzenten zu prosperieren.

Dr. Jörn Bohlmann ist gelernter Segelmacher und Holzbootsbauer, fuhr mehre Jahre zur See und arbeitete in verschiedenen Werften und Museen, sowohl als Restaurierungshandwerker als auch als wissenschaftlicher Angestellter, zuletzt im dänischen Wikingerschiffsmuseum in Roskilde. Derzeit ist er im Rahmen eines Scholar-In-Residence-Stipendiums am Deutschen Museum beschäftigt. Seine Forschungsergebnisse über Kunstfasersegel werden diesen Herbst in der Schriftenreihe "Deutsches Museum Preprint" veröffentlicht.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Deutsches Museum, Gerrit Faust, 19.07.2016
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E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2016

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