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WERKSTOFFE/941: Trio mit großem Repertoire (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 1/2016

Trio mit großem Repertoire

von Peter Hergersberg


Technischer Fortschritt wird oft erst durch neue Materialien möglich, sei es in der Energieversorgung oder in der Informationstechnologie. Mit den Heusler-Verbindungen hat Claudia Felser, Direktorin am Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden, eine Fundgrube für Stoffe aufgetan, die mit vielversprechenden Eigenschaften für diverse Anwendungen aufwarten.


Ob die Energiewende in Deutschland gelingt, hängt nicht nur von den hiesigen Energieversorgern, Verbrauchern und Politikern ab. Zu einem gewissen Teil muss dafür auch die chinesische Regierung ihren guten Willen zeigen - zumindest beim derzeitigen Stand der Technik. Denn China exportiert rund 90 Prozent der Metalle der seltenen Erden. Diese Metalle tragen so altertümlich klingende Namen wie Promethium, Samarium, Neodym oder Dysprosium und finden zahlreiche Anwendungen in der Hochtechnologie. Einige von ihnen machen etwa die besondere Anziehungskraft der stärksten derzeit bekannten Dauermagnete aus. Mit solchen kräftigen Magneten erzeugen die Generatoren moderner Windräder vor allem auf hoher See den Strom, den Deutschland dem Klimawandel entgegensetzt.

So gerieten auch die Hersteller solcher Windkraftanlagen in Aufregung, als die chinesische Regierung 2010 die Ausfuhr der seltenen Erden drosselte. Auch wenn diese Beschränkung inzwischen wieder aufgehoben ist, sucht die Industrie weltweit nach neuen Quellen. Noch lieber wären ihr Alternativen, um künftig nicht mehr den Launen der Exporteure ausgeliefert zu sein. Zudem sind die Metalle zwar nicht so selten, wie ihr Name nahelegt, aber sie zu gewinnen ist aufwendig und belastet die Umwelt - der offizielle Grund für Chinas Exportschranken.


Kombinieren nach dem Baukastenprinzip

Zumindest was Permanentmagnete aus den umstrittenen Metallen angeht, kann Claudia Felser vielleicht Abhilfe schaffen. Denn starke Dauermagnete ohne seltene Erden zu finden ist ein Ziel, das die Direktorin am Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden mit ihrer Forschung an Heusler-Verbindungen verfolgt. Diese Substanzen enthalten meist drei Metalle, kristallisieren in einer charakteristischen Struktur und sind nach Fritz Heusler benannt. Der deutsche Bergbauingenieur und Chemiker stellte bereits 1903 fest, dass sich eine Verbindung aus Kupfer, Mangan und Aluminium magnetisch, genauer gesagt: ferromagnetisch, verhält, obwohl ihre Bestandteile zumindest diese Form des Magnetismus nicht zeigen.

Danach scherte sich lange kaum jemand um die Verbindungen. Erst in den 1980er-Jahren fanden sie wieder Interesse, weil dann allmählich klar wurde, dass sie viel mehr zu bieten haben als Magnetismus. Inzwischen sind rund 1500 der Verbindungen bekannt, in denen 52 und damit die Mehrzahl der existierenden Metalle auf unterschiedliche Weise zusammengemischt werden.

"Das Gute bei den Heusler-Verbindungen ist, dass man nach dem Baukastenprinzip alle möglichen Elemente kombinieren kann", sagt Claudia Felser. Und weil sich die Eigenschaften der einzelnen chemischen Bausteine zu einem großen Teil schon aus ihrer Stellung im Periodensystem der Elemente ableiten lassen, hängt dieses auch gut sichtbar als Grundgesetz ihrer Arbeit hinterm Schreibtisch der Max-Planck-Direktorin.

Beim Zusammenwürfeln der chemischen Bauklötze kommen Materialien mit diversen Eigenschaften heraus, die sowohl für die Wissenschaft als auch für die Technik interessant sind. Und so spricht Felser genauso oft von Patenten, die sie angemeldet hat oder anmelden müsste, wie von Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften.

Der wissenschaftliche und technische Reiz des metallischen Trios mit wechselnder Besetzung ergibt sich aus seinem großen Repertoire. Das fängt damit an, dass manche Heusler-Verbindungen metallische Leiter sind, andere Halbleiter. Nun ist es ja nicht so, als sei die Industrie verlegen um gute Leiter oder Halbleiter. Immerhin machen Kupfer oder Silicium seit Jahrzehnten einen guten Job. "In der Elektronik sucht man aber nach Materialien mit mehr Einstellmöglichkeiten", erklärt Claudia Felser. Genau diese Einstellmöglichkeiten bieten die Kombinationen aus drei Elementen. Unter ihnen finden sich etwa auch Halbmetalle, die nicht mit Halbleitern zu verwechseln sind und gerade für die Elektronik der Zukunft gefragt sein könnten - doch dazu später mehr.

Die verschiedenen Arten der Leitfähigkeit treten in Heusler-Verbindungen zudem mit anderen interessanten Eigenschaften verbandelt auf. Diverse Ausprägungen des Magnetismus sind nur einige davon. Manche Heusler-Verbindungen verfügen auch über magnetooptische Fähigkeiten, bieten also die Möglichkeit, die magnetischen Eigenschaften mit Licht zu beeinflussen. Andere zeigen thermoelektrisches Verhalten, bei dem eine Temperaturdifferenz an dem Material eine Spannung erzeugt. Bei ein paar der Substanzen handelt es sich auch um Stoffe, die ein Gedächtnis für ihre Form haben: Verbiegt man sie und erwärmt sie daraufhin, nehmen sie wieder die ursprüngliche Gestalt an. Manche Heusler-Verbindungen warten auch mit eher exotischen Eigenschaften auf - auch zu diesem Punkt später mehr.

Claudia Felser hat den chemischen Baukasten der Heusler-Verbindungen für sich entdeckt, als sie in den 1990er-Jahren Supraleiter suchte - und auch unter den Heusler-Verbindungen fand. Supraleiter transportieren Strom ganz ohne elektrischen Widerstand, bislang aber leider nur bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt. Wie Claudia Felser bald feststellte, gilt das auch für die supraleitenden Heusler-Verbindungen, die sie seinerzeit entdeckte.

Eine Perspektive für einen verlustfreien Stromtransport und damit für einen Beitrag zum Energiesparen ergab sich so zwar nicht, für die Chemikerin tat sich aber immerhin ein Forschungsfeld auf, das sie immer noch erfolgreich beackert. "Manchmal frage ich mich auch, ob ich mich in meinem ganzen Forscherleben mit den Heuslers beschäftigen kann", sagt sie. "Aber es gibt da einfach so unglaublich viel zu entdecken." Ihre Kompetenz auf diesem Gebiet hat ihr unter Materialwissenschaftlern auch schon einen Spitznamen eingetragen: Frau Heusler.


Faustregeln für magnetische Materialien

Ihre Gruppe hat die Palette der Fähigkeiten, die sich den Heusler-Materialien verpassen lassen, immer wieder um neue Spezialitäten ergänzt. Mögliche technische Anwendungen hat Claudia Felser dabei immer im Blick. Dabei geht es ihr jedoch weniger um ein konkretes Material, das sie und ihre Mitarbeiter für die eine oder andere Anwendung in Position bringen wollen. "Uns geht es um neue Prinzipien und um ein tieferes Verständnis", sagt die Forscherin. Am liebsten ist ihr, wenn am Ende dann eine einfache Regel steht, die eine Aussage ermöglicht, ob ein Material eine bestimmte Eigenschaft besitzen wird oder nicht.

Für einige Eigenschaften von Heusler-Verbindungen funktionieren die einfachen Faustregeln prima - zum Beispiel für magnetische Materialien. "Für magnetische Heuslers interessieren wir uns seit einigen Jahren besonders", sagt Claudia Felser. Magnetisch heißt hier vieles: ferromagnetisch oder ferrimagnetisch; weichmagnetisch und hartmagnetisch; mal mit kleinem magnetischem Moment, mal mit großem magnetischem Moment.

Allen magnetischen Materialien ist gemeinsam, dass ihre Atome ungepaarte Elektronen besitzen, die wie winzige Stabmagnete wirken. In Ferromagneten, zu denen Stab- und Hufeisenmagnete ebenso gehören wie etwa Magnete für Pinnwände, richten sich die winzigen Stabmagnete der einzelnen Atome mit ihren Nord- und Südpolen alle gleich aus. Auf diese Weise baut sich in ihnen ein magnetisches Feld auf, das sich nach außen bemerkbar macht. So lässt sich mit einem Stabmagneten ein Eisennagel nach dem anderen magnetisieren, bis am Ende eine ganze Nagelkette an dem Dauermagneten baumelt.

Ob eine Heusler-Verbindung ferromagnetisch ist, lässt sich an der Zahl bestimmter Elektronen, der Valenzelektronen, erkennen. Diese sitzen in den Atomen eher außen und bestimmen deren chemisches und physikalisches Verhalten. "Ich bin Chemikerin, ich mag gern Elektronen zählen", sagt Felser. Bei den ferromagnetischen Heusler-Verbindungen müssen es mehr als 24 Valenzelektronen sein. Und je weiter die Zahl der Valenzelektronen über dieser Grenze liegt, desto größer ist ihr magnetisches Moment, desto stärker lässt sich das Material magnetisieren.

In der Praxis enthalten ferromagnetische Heusler-Verbindungen Mangan oder Cobalt, bilden sich jedoch auch mit seltenen Erden. Letzteres hilft allerdings wenig, wenn man von diesen Metallen unabhängig werden will. Der Ferromagnet mit dem größten magnetischen Moment, den das Team von Claudia Felser bislang unter den Heusler-Materialien gefunden hat, heißt Cobalteisensilicid und enthält zwei Teile Cobalt, ein Teil Eisen und ein Teil Silicium.


Ein Weichmagnet ist praktisch für Transformatoren

Allerdings verschwindet die Magnetisierung schon bei einem relativ schwachen magnetischen Feld wieder, das umgekehrt gepolt ist wie das ursprüngliche Feld, und baut sich in entgegengesetzter Richtung auf. Ein solches Material heißt weichmagnetisch. Es ist praktisch für den Kern eines Wechselstromtransformators, weil dieser in schnellem Takt umgepolt wird. Für einen guten Permanentmagneten eignet sich das Material damit jedoch nicht. Denn der muss sich nicht nur stark magnetisieren lassen, sondern muss auch hartmagnetisch sein. Hartmagnetisch werden Stoffe genannt, die sich gerade nicht leicht entmagnetisieren oder umpolen lassen. Bei ihnen ist die Koerzitivfeldstärke groß, wie Physiker sagen.

Eine starke Magnetisierung und eine hohe Koerzitivfeldstärke vereinen die besten bekannten Permanentmagnete in sich: Legierungen von Cobalt und dem Seltenerdmetall Samarium sowie von Eisen und Neodym. Doch in Materialien ohne seltene Erden scheinen sie sich geradezu auszuschließen. "Aus der Stärke der Magnetisierung und der Koerzitivfeldstärke ergibt sich die gesamte Magnetisierungsenergie", erklärt Gerhard Fecher, der in Felsers Abteilung eine Arbeitsgruppe leitet. "Auch wenn das bisher nicht bewiesen werden konnte, scheint ein Material nur eine begrenzte Menge magnetischer Energie aufnehmen zu können." Grenze hin oder her, die Forscher wären bereits froh, wenn sie eine Heusler-Verbindung entdecken würden, die so viel magnetische Energie aufnimmt wie die besten Permanentmagnete mit seltenen Erden.

Während sich die maximal mögliche Magnetisierung durch die Wahl einzelner Elemente beeinflussen lässt - Mangan und Cobalt tun sich da neben ein paar seltenen Erden besonders hervor -, kommt es bei der Koerzitivfeldstärke auf das Zusammenspiel aller Elemente an. Dieses bestimmt nämlich unter anderem, welche Kristallstruktur eine Verbindung bildet. Um einen Hartmagneten zu erhalten, dürfen deren kleinste Baueinheiten, die man sich durchaus auch wie Bauklötze vorstellen kann, nicht würfelförmig sein, was sie leider oft sind. Für einen Hartmagneten müssen diese sogenannten Elementarzellen stattdessen die Form eines lang gezogenen Quaders besitzen. "Dann ergibt sich für die Magnetisierung eine bevorzugte Richtung, was zu einer hohen Koerzitivfeldstärke führt", erklärt Gerhard Fecher.

Genau die passende Struktur für einen Hartmagneten weist ein Material auf, das die Dresdner Forscher kürzlich präsentierten: Es besteht aus Mangan, Platin und Gallium und lässt sich nur sehr schwer entmagnetisieren. Das verdankt es aber nicht nur seiner Kristallstruktur, sondern auch einem anderen Charakteristikum, durch das es sich allerdings auch ein sehr kleines magnetisches Moment einhandelt. Bei der Substanz handelt es sich nämlich um einen Ferrimagneten. In solchen Materialien rühren die elementaren magnetischen Momente entweder von unterschiedlichen Elementen her, oder sie stammen wie im Fall der Mangan-Platin-Gallium-Verbindung von den gleichen Atomen, nämlich jenen des Mangans, die jedoch in der Kristallstruktur verschiedene Positionen einnehmen.

Die Elementarmagnete der unterschiedlich platzierten Atome orientieren ihre Pole nicht in die gleiche Richtung, also parallel. Vielmehr ordnen sie sich entgegengesetzt orientiert an, also antiparallel.


Heusler-Verbindungen für die Spintronik

Da es im Mangan-Platin-Gallium von den Manganatomen mit der einen magnetischen Polung mehr gibt als von jenen mit der anderen Polung, ergibt sich unter dem Strich ein kleines magnetisches Moment. Indem die Forscher das Mischungsverhältnis der drei Elemente variieren, können sie das magnetische Moment allerdings weiter reduzieren und sogar vollkommen verschwinden lassen; die Wissenschaftler sprechen dann von einem vollständig kompensierten Ferrimagneten.

Ob vollständig kompensiert oder nicht, in beiden Fällen geben sich die antiparallel ausgerichteten Elementarmagnete gegenseitig Halt. "Ferrimagnete lassen sich daher meist nur schwer umpolen", sagt Gerhard Fecher. "Sie sind gute Hartmagnete."

Sein kleines magnetisches Moment wirft ein Material wie Mangan-Platin-Gallium zwar aus dem Kandidatenkreis für einen guten Permanentmagneten, prädestiniert es aber für Anwendungen in magnetischen Speichern wie Festplatten. Diese machen in Notebooks zwar allmählich anderen Speichermedien Platz, nehmen aber in der über die ganze Welt verteilten Computercloud immer noch riesige Datenmengen auf.

"Eine starke Magnetisierung stört in magnetischen Speichern nur, weil sie ein großes Streufeld erzeugt, das es erschwert, benachbarte Speicherpunkte auszulesen", erklärt Claudia Felser. "Die einzelnen Speicherpunkte lassen sich bei einer kleinen Magnetisierung daher viel dichter packen." Bis Ferrimagnete wie Mangan-Platin-Gallium in Speichermedien ankommen, wird es aber vermutlich noch eine Weile dauern, und auf dem Weg dorthin müsste sicher noch eine Alternative für das teure Platin her.

Magnetische Heusler-Verbindungen sind aber nicht nur interessant, um Information zu speichern, sondern auch, um sie zu verarbeiten. Das geschieht in der Spintronik - einem zukunftsträchtigen Zweig der Elektronik, der bereits die modernen Leseköpfe für Festplatten hervorgebracht hat.

Spintronische Bauteile nutzen nicht nur die Ladung von Elektronen aus, sondern auch deren Spin. Es handelt sich dabei um eine quantenmechanische Eigenschaft, die man sich hilfsweise als Drehsinn eines Elektrons vorstellen kann. Er macht die Elektronen zu den winzigen Stabmagneten, die im Permanentmagneten in kollektiver Anstrengung das magnetische Feld erzeugen, das auf Eisen und Co eine unwiderstehliche Anziehung ausübt. In der Elektronik schafft der Spin eine weitere Möglichkeit, Information zu speichern: Je nachdem, in welche Richtung der mikroskopische Stabmagnet zeigt, speichert er eine Null oder eine Eins.

Die erste vielversprechende Heusler-Verbindung, die Claudia Felser für die Spintronik ins Spiel brachte, besteht aus vier Elementen, nämlich Cobalt, Chrom, Eisen und Aluminium, kurz CCFA. Das Material, das die Chemikerin bereits entdeckte, als sie noch an der Universität Mainz forschte, ist ebenfalls magnetisch und besitzt vor allem einen kolossalen Magnetowiderstand.

Bereits Ende der 1980er-Jahre entdeckten Peter Grünberg und Albert Fert den Riesenmagnetowiderstand: Dieser baut sich in Sandwiches aus zwei dünnen magnetischen Schichten und einer nichtmagnetischen Zwischenlage auf, wenn die Magnetschichten in entgegengesetzter Richtung polarisiert sind. Da jede einzelne Magnetschicht fast nur Elektronen der Spinrichtung passieren lässt, die zu ihrer Polarisierung passt, bleiben auf dem Weg durch eine entgegengesetzt gepolte Doppelschicht die meisten auf der Strecke.

Für die Entdeckung des Riesenmagnetowiderstands erhielten Grünberg und Fert 2007 den Physik-Nobelpreis. CCFA besitzt bei Raumtemperatur sogar einen vielfach höheren Magnetowiderstand als das Material, an dem Grünberg und Fert den Effekt erstmals nachwiesen. So eignet es sich hervorragend, um Daten magnetischer Speicherpunkte zu lesen. Das dazugehörige Patent kaufte IBM 2001.

Künftig wollen die Dresdner Forscher Materialien vermehrt in der Form erforschen, in der die Elektronikindustrie sie verarbeitet: in dünnen Schichten. Zu diesem Zweck haben sie in einem Seitentrakt ihres Institutsgebäudes bereits den größten Teil einer neuen Anlage aufgebaut, die in kaum einem Wohnzimmer Platz finden dürfte. Sie sieht in etwa aus wie die Internationale Raumstation ISS ohne Solarmodule, dafür aber mit Besuch von einer fliegenden Untertasse, und wird wie die ISS auch immer wieder um neue Komponenten erweitert.


Eine Anlage für viele experimentelle Schritte

Die Maschine steht auf einem Boden, in den mit bunten Farbtafeln ebenfalls das Periodensystem der Elemente eingelassen ist - das Universum, in dem die Forschung von Claudia Felser und ihren Mitarbeitern stattfindet. Die Anlage ist das Prunkstück im Gerätepark von Felsers Abteilung. Denn hier können die Forscher viele experimentelle Schritte in einem geschlossenen System bewältigen, die sonst in separaten Apparaten stattfinden.

In den Vakuumkammern des Gerätes erzeugen sie auf unterschiedliche Weisen ihre Proben aus zahllosen Elementkombinationen in nahezu beliebigen Stärken. So können sie hier die Metalle auch in einzelnen Atomlagen übereinanderschichten und auf diese Weise Heusler-Verbindungen erzeugen, die sich auf gängigen Synthesewegen nicht bilden. Und indem sie die Proben durch ein langes, luftleeres Rohr zu verschiedenen Stationen manövrieren, können sie die neuen Materialien auch gleich mit verschiedenen Kraftmikroskopen und einem Rastertunnelmikroskop inspizieren oder mithilfe der Photoelektronenspektroskopie die genaue Zusammensetzung und die elektronische Struktur des Materials bestimmen.

Die elektronische Struktur, die sich aus der Zusammensetzung und der Struktur eines Materials ergibt, ist für Festkörperforscher so wichtig wie der genetische Code für Biologen. Denn das Verhalten der Elektronen bestimmt die Merkmale eines Materials genauso, wie das Erbgut einen guten Teil unserer Eigenschaften festlegt. Zu wissen und möglichst sogar vorherzusagen, wo und wie sich Elektronen durch ein Material bewegen, gibt Aufschluss darüber, welche Art von Magnetismus ein Stoff zeigt und was er sonst noch so draufhat. Besonders wichtig sind die Wege der Elektronen natürlich in der Elektronik.

Die Dresdner Forscher untersuchen die elektronische Struktur eines Materials möglichst genau, nachdem sie es hergestellt haben. Vorher berechnen sie jedoch bereits mit aufwendigen Computerprogrammen, welches Verhalten sie von den Elektronen und damit der Heusler-Verbindung an sich zu erwarten haben - vor allem wenn einfaches Elektronenzählen nicht mehr weiterhilft. So kreisen sie die eine Substanz mit der gewünschten Eigenschaft zumindest ein und sparen sich den Aufwand, für Tests unzählige Materialkombinationen zu synthetisieren. Da die Rechnungen aber immer nur auf - wenn auch inzwischen ziemlich guten - Annäherungen beruhen und nicht immer ganz richtigliegen, geht es ohne anschließende Experimente auch wieder nicht.

In dem Dreisprung Rechnen, Synthetisieren, Messen sucht Felsers Team etwa nach neuen halbmetallischen Heusler-Verbindungen, die ebenfalls in der Spintronik Anwendung finden können. Halbmetallische magnetische Materialien leiten nur Ladungsträger einer Spinrichtung. Diesem Umstand verdankt etwa CCFA seinen kolossalen Magnetowiderstand. Zu den wenigen halbmetallischen Heusler-Verbindungen gehört zudem Cobalteisensilicid, das sich wegen seines großen magnetischen Moments auch als Ferromagnet in Szene gesetzt hat.

Die Forscher um Claudia Felser suchen aber auch nach Heusler-Verbindungen, die nicht magnetisch sind und deren Leitfähigkeit trotzdem von der Spinrichtung abhängt. Hier trifft das Spezialgebiet der Dresdner Forscher auf ein Forschungsfeld, das Physiker erst vor gut zehn Jahren erschlossen haben: topologische Isolatoren, die in der Physik inzwischen ziemlich angesagt sind. Im Inneren der Kristalle eines solchen Materials können sich Elektronen so wenig bewegen wie in isolierendem Kunststoff. Über deren Oberfläche flitzen sie aber so ungehindert wie durch ein Metall. Dabei bewegen sich die Elektronen der beiden Spinorientierungen immer in unterschiedliche Richtungen. Das macht sie für Rechenoperationen der Spintronik interessant. "Topologische Isolatoren würden in spintronischen Bauteilen viel weniger Energie benötigen als andere Materialien", sagt Binghai Yan: Claudia Felsers Mann für topologische Isolatoren, der am Dresdner Max-Planck-Institut eine Forschungsgruppe genau zu diesem Thema leitet.


Topologische Isolatoren unter Heusler-Verbindungen

Ans Dresdner Institut kam der Physiker, nachdem seine jetzige Chefin 2009 seinen ehemaligen Chef, Shoucheng Zhang von der Stanford University, kennengelernt hatte - auf einer Konferenz zur Spintronik. Während Felser die Perspektiven der Heusler-Verbindungen für diese Technik präsentierte, sprach Zhang über topologische Isolatoren. Schnell waren sich beide anschließend einig, dass es topologische Isolatoren auch unter den Heusler-Verbindungen geben müsse und dass diese gegenüber anderen Stoffen dieser Art praktische Vorteile haben könnten. "Die ursprünglichen topologischen Isolatoren konnte nur eine Forschergruppe synthetisieren, sonst hat das keiner geschafft", sagt Binghai Yan. "Heusler-Verbindungen herzustellen ist dagegen viel einfacher."

Binghai Yans Spezialität ist aber nicht die Synthese topologischer Heusler-Verbindungen, sondern die theoretische Vorhersage, welcher Stoff dafür am ehesten infrage kommt. "Um solche Materialien zu finden, brauchen wir eine Art Schatzkarte", sagt er. "Die Theorie liefert gute Karten." So haben die Dresdner Forscher inzwischen an die 100 Heusler-Verbindungen gefunden, die zu den topologischen Isolatoren gehören. Diese enthalten jedoch immer Metalle der seltenen Erden und meist Platin oder Gold dazu. Dass dies der praktischen Anwendung nicht im Weg stehen muss, wenn ein Material seinen Job nur gut genug macht, beweist die Hochtechnologie von heute, in der seltene Erden und Edelmetalle trotz aller Nachteile an zahlreichen Stellen unverzichtbar sind.

Ob mit oder ohne seltene Erden, das Fernziel, das sich Claudia Felser gesteckt hat, scheint angesichts der fast unbegrenzten Möglichkeiten der Heusler-Materialien und der Vielseitigkeit, die sie bereits bewiesen haben, nicht zu hoch gegriffen: "Ich möchte mindestens noch ein Material, das wir hier entwickeln, in die Anwendung bringen."

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Auf den Punkt gebracht

• In Heusler-Verbindungen werden 52 Metalle in unterschiedlicher Weise miteinander kombiniert. So lassen sich Materialien mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften erzeugen: Halbleiter, metallische Leiter, Halbmetalle, die zudem verschiedene Formen des Magnetismus, aber auch exotischere Charakteristika wie etwa Supraleitfähigkeit, Thermoelektrizität, einen kolossalen Magnetowiderstand oder topologische Eigenschaften zeigen können.

• Heusler-Materialien erweitern somit den Spielraum etwa für die Elektronikindustrie, könnten manche Branchen aber auch unabhängig machen von Stoffen wie den Metallen der seltenen Erden, die nur begrenzt verfügbar oder ökologisch umstritten sind.

• Forscher des Max-Planck-Instituts für Chemische Physik fester Stoffe haben unter anderem bereits einen weichmagnetischen Ferromagneten, der mit seinem hohen magnetischen Moment eine Voraussetzung für einen guten Permanentmagneten erfüllt, und einen hartmagnetischen Ferrimagneten mit kleinem magnetischem Moment für mögliche Anwendungen in der Speichertechnik entwickelt. Die Forscher haben aber auch Halbmetalle mit kolossalem Magnetowiderstand und topologische Isolatoren für die Spintronik gefunden.


Glossar

Ferrimagnet: In ihm orientieren sich die atomaren Elementarmagnete, die man sich als winzige Stabmagnete vorstellen kann, entgegengesetzt, also antiparallel, und nicht parallel wie in Ferromagneten (zum Beispiel Eisen). Da in Ferrimagneten aber die Elementarmagnete mit einer der beiden entgegengesetzten Ausrichtungen überwiegen, üben sie nach außen noch ein kleines magnetisches Feld aus.

Heusler-Verbindungen: Materialien aus üblicherweise drei Metallen. Da insgesamt 52 Metalle in unterschiedlichen Zusammenstellungen zu Heusler-Verbindungen kombiniert werden können, ergeben sich sehr viele Variationsmöglichkeiten. Bislang sind etwa 1500 Heusler-Verbindungen bekannt.

Koerzitivfeldstärke: Die Stärke des magnetischen Feldes, das benötigt wird, um einen magnetisierten Stoff vollständig zu entmagnetisieren.

Spintronik: Eine Form der Elektronik, die nicht nur die Ladung der Elektronen, sondern auch deren Spin nutzt, der Elektronen zu winzigen Stabmagneten macht. Sie ermöglicht es unter anderem, Daten in heutigen Festplatten dichter zu packen.

Topologischer Isolator: Ein Material, dessen Kristalle in ihrem Inneren elektrisch isolierend wirken, auf ihrer Oberfläche jedoch Strom leiten. Da die Richtung des Stroms vom Spin der Elektronen abhängt, sind solche Substanzen für die Spintronik interessant.


Der Artikel ist als PDF-Datei mit Abbildungen zu finden unter:
https://www.mpg.de/10445512/W003_Material_Technik_048-055.pdf

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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-Gesellschaft
Ausgabe 1/2016, Seite 48-55
Herausgeber: Wissenschafts- und Unternehmenskommunikation der
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
Redaktionsanschrift: Hofgartenstraße 8, 80539 München
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Das Heft erscheint in deutscher und englischer Sprache
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. August 2016

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