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RECHT/863: 50 Jahre nach der Liberalisierung des § 175 StGB


Pressemitteilung der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 30. August 2019

50 Jahre nach der Liberalisierung des § 175 StGB


Zum 50. Jahrestag nach der Entschärfung des § 175 StGB erklären Ulle Schauws und Sven Lehmann, Sprecherin und Sprecher für Queerpolitik:

Dass es heute - 50 Jahre nach der Liberalisierung des § 175 StGB - politische Kräfte im Bundestag gibt, die ein Programm der Entrechtung von Lesben und Schwulen fordern - wie die Abschaffung der gleichen Rechte beim Heiraten - ist nicht nur ein Skandal, sondern eine Mahnung zu lautem Protest gegen diese Art der Menschenfeindlichkeit.

Der beispiellosen Verfolgung von Homosexuellen im Nationalsozialismus folgte nach Kriegsende keine Abkehr von der Strafverfolgung. Der von der Nationalsozialisten verschärfte § 175 bestand in der Bundesrepublik bis 1969 unverändert fort. Zwischen 1945 und 1969 gab es auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ca. 50.000 bis 60.000 Verurteilungen. Am 1. September 1969 trat ein Strafrechtsänderungsgesetz in Kraft, das den § 175 StGB liberalisierte, aber nicht aufhob. Auch die moralische Verurteilung verschwand nicht. Völlig gestrichen wurde der § 175 erst am 11. Juni 1994, obwohl die grüne Bundestagsfraktion dies erstmals 1985 gefordert hatte.

Die Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer des § 175 StGB kam viel zu spät. Nur wenige in der BRD beziehungsweise in der DDR verfolgten Homosexuellen erlebten noch das Inkrafttreten des Gesetzes zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen. Viel zu lange haben die CDU/CSU aber auch die SPD und die FDP mit ihren verfassungsrechtlichen Bedenken eine Rehabilitierung und Entschädigung im Parlament blockiert und mehrere grüne Gesetzesinitiativen abgelehnt. Als sie 2017 endlich ihre Meinung änderten, war es für die große Mehrheit der Opfer schon zu spät.

Gleichzeitig versuchen politische Kräfte im Bundestag, die hart und lange erkämpfte Gleichberechtigung von Lesben, Schwulen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen abzuwickeln und die Fortschritte der letzten Jahre wieder rückgängig zu machen. Damit verrohen sie nicht nur die öffentliche Debatte. Vielmehr wollen sie zurück zu der Zeit, als Lesben, Schwule, trans- und intergeschlechtliche Menschen unsichtbar waren, ausgegrenzt wurden und in vielen Bereichen unter eklatanter Diskriminierung gelitten haben. Wer heute die gleichgeschlechtlichen Ehen abschaffen will, versucht die Uhr zurück zu drehen und unsere Gesellschaft mit alten Ressentiments zu vergiften. Dem muss nicht nur im Bundestag mit aller Deutlichkeit widersprochen werden.

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Quelle:
Pressemitteilung vom 30. August 2019
Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
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Pressestelle
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. August 2019

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