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VERKEHR/759: Die Zukunft der Mobilität ins Rollen bringen - Grünes Mobilitätsprogramm 2030


Pressedienst von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 28. August 2017

Beschluss des Bundesvorstandes

Die Zukunft der Mobilität ins Rollen bringen
Grünes Mobilitätsprogramm 2030


Der Verkehr braucht eine neue Richtung, wenn wir beim Klimaschutz die Kurve kriegen wollen. Union und SPD verteidigen seit Jahren eine Verkehrspolitik, die schlechte Luft in Städten genauso wie betrogene Dieselbesitzer einfach hinnimmt. Staus werden nur mit noch mehr Straßenbau bekämpft und seit Jahren hat die Große Koalition keinen Plan, wie der Ausstoß von Klimagasen reduziert werden soll. Vier Jahre unter Verkehrsminister Dobrindt waren vier verlorene Jahre. Übrig bleiben eine teure Pkw-Maut für Ausländer und ein bis heute anhaltender Abgasskandal.

Der Dieselskandal offenbart, wie die Kanzlerin und ihre Verkehrs- und Wirtschaftsminister über Jahre die Tricksereien und Manipulationen in der Automobilindustrie mitgetragen haben. Mit verantwortungsloser Steuer- und Ordnungspolitik baut die Regierung Merkel einen Schutzzaun um Spritschlucker und verteidigt eine Autowelt von gestern. Es ist auch kein Schritt nach vorne, wenn die Kanzlerin im Wahlkampf grün blinkt und bekundet, dass Diesel und Benziner ein Verfallsdatum haben. Bisher hat die Bundeskanzlerin im Auftrag der PS- und Diesellobby noch jede umweltpolitische Neuerung abgewehrt oder verwässert.

Die Situation für die Städte mit hohen Luftbelastungen ist dramatisch - der Handlungsdruck für die Regierungskoalition immer größer. Obwohl auch das Umweltbundesamt aufzeigt, dass sämtliche auf dem sogenannten Dieselgipfel vereinbarten Maßnahmen für die Luftreinhaltung nicht ausreichen, versucht die Bundesregierung den Skandal mit dem Vertrösten auf weitere Gipfel weiter auszusitzen.

Wir Grüne wollen neue Antworten für die Mobilität geben und machen uns bei der Wahl für eine moderne Verkehrspolitik stark. Wer in der Zukunft ankommen will, ist grün und intelligent unterwegs. Elektromobilität auf der Basis erneuerbarer Energien wird unsere Züge, Stadtbahnen, Autos und Pedelecs antreiben. Je nach Bedarf und Angebot wählen wir das passende Verkehrsmittel aus, kombinieren miteinander und teilen.

Die Fahrt geht ins Grüne - und das lohnt sich. Städte werden lebenswerter und Regionen stark, wenn wir auf Züge nicht lange warten müssen, Radwege sicher sind und emissionsfreie Autos überall bequem geladen werden können. Die Technologien sind ebenso vorhanden wie das Wissen, dass unser Planet den Umbau des Verkehrssystems braucht.

Wir sichern Wettbewerbsstärke und Arbeitsplätze, wenn wir moderne Mobilität auf Schiene und Straße bringen und unsere Produkte und Dienstleistungen dazu beitragen können, Staus, Abgase und Unfälle auf der ganzen Welt zu vermeiden. Wir brauchen eine Bundesregierung, die die Verkehrswende anpackt und folgende Maßnahmen umsetzt.

Gesundheitsschutz sofort angehen

Nach wie vor ist die Luft in zahlreichen deutschen Städten gefährlich giftig, nach wie vor drohen Dieselfahrern gerichtlich angeordnete Fahrverbote. Auch die heute verkauften Diesel-Autos überschreiten die Grenzwerte teilweise um ein Vielfaches. Gesundheits- und Verbraucherschutz muss endlich wieder Vorfahrt haben. Die Bundesregierung hat dafür zu sorgen, dass in den betroffenen Städten 2018 die Grenzwerte für Stickoxide eingehalten werden. Nur so kann europäisches Recht eingehalten und Fahrverbote noch abgewendet werden.

Dafür muss die Nachrüstung der bestehenden Fahrzeugflotte jetzt ganz vorne auf der To-Do-Liste stehen. Wir wollen, dass alle Autos die Grenzwerte einhalten. Diese dürfen nicht in realitätsfernen Fahrzyklen gemessen werden, in denen unzulässige Abschalteinrichtungen eingesetzt werden, sondern müssen den normalen, alltäglichen Betrieb auf der Straße widerspiegeln. Dafür braucht es unverzüglich ein umfassendes Nachrüstprogramm für alle Diesel-Autos der Kategorie Euro 5 und Euro 6. Softwareupdates werden in aller Regel dafür nicht ausreichen, es braucht auch Umbau-Lösungen. Die Kosten für alle Nachrüstungen müssen vollständig von den Automobilherstellern getragen werden, die den Betrug verursacht haben, und nicht von den Halterinnen und Haltern.

Die Luft in vielen Städten ist auch deshalb gesundheitsgefährdend, weil die Große Koalition sich vor ihrer Verantwortung für saubere Luft gedrückt hat. Statt selbst zu handeln, wurde diese Aufgabe an die Gerichte durchgereicht. Die nächste Bundesregierung muss deshalb schnell für eine Neufassung der Bundesimmissionsschutzverordnung sorgen und die Einführung der Blauen Plakette ermöglichen. Denn die Städte brauchen endlich ein wirksames und bundesweit einheitliches Instrument, um den Straßenverkehr zum Schutze der Gesundheit zu regulieren und generelle Fahrverbote zu vermeiden. Dieselfahrzeuge, die die Schadstoffwerte für die Blaue Plakette einhalten, haben dann weiter freie Fahrt in innerstädtische Bereiche.

Verbraucherrechte stärken

Die Konsequenz aus dem Abgasskandal muss eine Stärkung der Verbraucherrechte sein. Verbraucher haben ein Recht darauf zu wissen, welche Abgas- und Verbrauchswerte ihre Fahrzeuge auf der Straße erreichen. Dazu wollen wir RDE-Tests auch auf den Kraftstoff- und Energieverbrauch ausweiten. Die Kontrollen von auf dem Markt befindlichen Fahrzeugen müssen ausgeweitet und die Testergebnisse staatlicher Prüfbehörden transparent gemacht werden. Wir wollen die Klagerechte erweitern und die Möglichkeiten für Gruppenklagen schaffen, die das Prozessrisiko von Klagen gegen Großkonzerne auf vielen Schultern verteilen.

Umstieg fördern

Die Frage lautet nicht, ob der Abschied vom fossilen Verbrennungsmotor kommt, sondern ob unsere Automobilunternehmen schnell genug die Kurve kriegen und die Autos der Zukunft bauen. Damit sich die Investitionen in neue Technologien und saubere Kraftstoffe rentieren, setzen wir Grüne ein verbindliches Ziel: Ab 2030 sollen nur noch emissionsfreie Autos neu zugelassen werden.

Skaleneffekte bei der Ausweitung der Produktion und Faktoren wie fallende Batteriepreise lassen erwarten, dass emissionsfreie Autos in Zukunft nicht mehr kosten werden als Diesel-Autos oder Benziner. Auf dem Weg dahin wollen wir die Umstellung für die Verbraucher und Industrie unterstützen und die Marktdurchdringung anschieben.

Mobilität und gesellschaftliche Teilhabe dürfen in Deutschland nicht vom Geldbeutel abhängen. Gerade wer umweltfreundlich unterwegs ist, darf nicht mit hohen Kosten bestraft werden. Damit auch in der Übergangsphase ein emissionsfreies Auto nicht mehr kostet als ein Auto mit fossilem Verbrenner, fördern wir emissionsfreie Autos mit 6.000 Euro pro Fahrzeug, bis 1 Million Pkw zugelassen sind. Dazu werden wir Grüne die Kfz-Steuer ökologisch ausrichten. Emissionsarme Autos erhalten eine Steuergutschrift und für Neuwagen mit überdurchschnittlichem Benzin- und Dieselverbrauch führen wir einen höheren Steuersatz ein.

Investitionsprogramm "Mobilität 2030" auflegen

Nicht zuletzt das Rheintalbahndesaster macht erneut deutlich: Wir brauchen eine Investitionsoffensive in klimafreundliche Mobilität. Die Verkehrswende wird nur gelingen, wenn wir in den nächsten Jahren neben der emissionsfreien Automobilität zusätzlich in die Modernisierung von Bahn und ÖPNV, in den Ausbau von Radwegen, in umweltschonende Logistik, in die Entwicklung neuer Batterietechnologien und klimaneutraler Kraftstoffe investieren sowie in die Vernetzung umweltfreundlicher Verkehrsmittel untereinander und mit den Erneuerbaren Energien.

Wir wollen dazu ein Investitionsprogramm "Mobilität 2030" in einem Volumen von 7 Milliarden Euro für die nächste Legislaturperiode auflegen. Es speist sich aus dem Abbau der Dieselsubvention. Außerdem werden wir Strafzahlungen für die Betrügereien der Autokonzerne einführen, die Verkehrsminister Dobrindt bisher blockiert. Auch diese Zahlungen sollen in das Programm fließen und es weiter aufstocken.

Damit sich auch im Unterhalt die Wahl eines Elektroautos stärker rentiert, werden wir die Besteuerung aller Antriebsenergien (Benzin, Diesel, Erdgas, Strom, Wasserstoff) am Gesamt-CO2-Ausstoß ausrichten und Steuerprivilegien für Diesel schrittweise abbauen. Gleichzeitig werden wir die derzeit völlig willkürlich ausgestalteten Kfz-Steuer reformieren.

Dazu streichen wir Privilegien für Spritfresser und koppeln die Besteuerung von Dienstwagen eng an ökologische Kriterien. Denn bisher kommt besonders günstig weg, wer vom Arbeitgeber mit einem Dienstwagen und einer Tankkarte ausgestattet wird - und zwar auf Kosten der Allgemeinheit und der Umwelt.

Aus diesen Mitteln werden wir einen kostengünstigen MobilPass für alle Bahnen und Busse in Deutschland einführen. Mit uns bekommt Deutschland ein öffentliches Mobilitätssystem, in dem man mit einer einzigen Smartcard oder App ans Ziel kommt. Dazu legen wir ein "Zukunftsprogramm Nahverkehr" mit jährlich einer Milliarde Euro auf, um vor allem in Ballungsräumen die Kapazitäten des ÖPNV auszuweiten, und so den kommunalen Klimaschutz voranbringen.

Unsere Vision ist ein Verkehrssystem, in dem die Bahn das Herzstück einer vernetzten Mobilität bildet. Unser Ziel ist eine Bahn, die die Menschen zuverlässig in jede Region unseres Landes bringt und mit modernen Bahnhöfen und Zügen begeistert. Wir Grüne werden beim Ausbau der Infrastruktur deswegen dem "Deutschland-Takt", der Schaffung optimaler Umsteigemöglichkeiten zwischen Fern-, Regional- und Nahverkehr auf der Schiene, Vorrang geben. Mehr Schienenverkehr muss mit einer vollständigen Elektrifizierung und besserem Lärmschutz, auch an Bestandsstrecken, einhergehen.

Große ökologische Potentiale hat Carsharing für die Elektromobilität, denn hier kann es gelingen, batterieelektrische Fahrzeuge stärker auszulasten. Deswegen wollen wir ein Bundesprogramm für den Aufbau von Ladepunkten an Carsharing-Stellplätzen auflegen. Radfahren muss für alle leichter, bequemer und sicherer werden - vom Kindergartenkind bis zur Generation "Siebzig plus". Wir werden deshalb den Bau von Radwegen umfassend fördern. Wir wollen E-Bikes fördern, unter anderem mit einem Zuschuss für Lastenfahrräder von bis zu 500 Euro. Für Flotten- und Fuhrparkbetreiber wollen wir darauf hinwirken, dass die Beschaffungsbedingungen für emissionsfreie Autos verbessert werden. Gleichzeitig starten wir eine Beschaffungsoffensive für Elektrofahrzeuge in öffentlichen Fuhrparks, damit die öffentliche Hand schnellstmöglich vorangeht.

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Quelle:
Pressedienst vom 28. August 2017
Bündnis 90/Die Grünen Bundesvorstand
Sigrid Wolff, Pressesprecherin
Platz vor dem Neuen Tor 1, 10115 Berlin
E-Mail: presse@gruene.de
Tel: 030/28 442-131, -134, Fax: 030/28 442-234
Internet: www.gruene.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. August 2017

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