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BUNDESTAG/5097: Heute im Bundestag Nr. 298 - 11.06.2015


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 298
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Donnerstag, 11. Juni 2015, Redaktionsschluss: 09.40 Uhr

1. De Maiziére belastet Hartmann
2. Europäische Sozialcharta
3. UN-Vertreter: Lage in Irak dramatisch


1. De Maiziére belastet Hartmann

2. Untersuchungsausschuss (Edathy)

Berlin: (hib/PST) Die Aussage von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vor dem 2. Untersuchungsausschuss am Mittwochabend hat neue Fragen zur Rolle des SPD-Abgeordneten Michael Hartmann in der Edathy-Affäre aufgeworfen. Demnach hat Hartmann den Minister zu einem Zeitpunkt über die Durchsuchung bei Edathy unterrichtet, als noch nirgends darüber berichtet worden war. De Maizière berichtete, Hartmann habe ihn am 10. Februar 2014 unmittelbar vor einer für 18 Uhr anberaumten Besprechung mit den Innenpolitikern der Koalitionsfraktionen abgepasst, um ihm dies mitzuteilen. Die Ausschussmitglieder hatten bisher keinen Anhaltspunkt dafür, dass Hartmann zu einem so frühen Zeitpunkt, rund drei Stunden nach Beginn der Durchsuchung von Edathys Wohn- und Büroräumen, schon davon wusste. Der erste Bericht darüber erschien am nächsten Morgen in der örtlichen Lokalzeitung "Die Harke", erst danach gab es auch Agenturmeldungen. Zwar wusste Edathy selbst zu diesem Zeitpunkt durch seinen Anwalt Bescheid, aber die vorliegenden Erkenntnisse deuten nicht unbedingt auf Edathy als Quelle dieser Information hin.

De Maizière schilderte dem Ausschuss, Hartmann habe ihn unmittelbar vor der anstehenden Sitzung "vor der Tür abgefangen" und ihm von der Durchsuchung berichtet. Auf seine Frage, was Edathy vorgeworfen wird, habe Hartmann geantwortet: "Kinderpornografie". Der Minister berichtete zudem von einem Gespräch mit Hartmann am 14. Januar 2014, bei dem er diesen gefragt habe, warum "aus dem jungen, begabten Edathy" bei der Koalitionsbildung nichts geworden sei. Hartmann habe geantwortet, dass dieser "ein persönliches Problem" habe, er aber dazu nicht mehr sagen wolle. Hartmann hatte selbst als Zeuge vor dem 2. Untersuchungsausschuss ausgesagt, frühzeitig von der Sorge Edathys gewusst zu haben, dass gegen ihn wegen des Verdachts auf Besitz kinderpornografischen Materials ermittelt werden könnte. Allerdings hatte Hartmann vehement bestritten, eigene Erkenntnisse über solche Ermittlungen gehabt zu haben. Außerdem habe er, wenn er auf die längere Abwesenheit des damaligen SPD-Abgeordneten angesprochen worden sei, immer gesundheitliche Probleme genannt.

Eigentlich hatte der Ausschuss de Maizière als Zeugen geladen, um eine Unklarheit in der Zeugenaussage des früheren Präsidenten des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, aufzuklären. Dabei ging es um eine Presseerklärung des SPD-Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann vom 13. Februar 2014, mit der der Fall Edathy endgültig zu einer politischen Affäre geworden war. Oppermann hatte ihn, so de Maizières Aussage, am frühen Abend des 12. Februar 2014 angerufen: Er wolle in einer Pressemitteilung den "ganzen Sachverhalt" darstellen, denn es komme "sowieso alles raus". Dabei ging es vor allem um den Informationsfluss wenige Tage nach Beginn der Ermittlungen gegen Edathy vom BKA über den damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) an die SPD-Spitzenpolitiker Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und ihn, Oppermann, selbst. Er habe Oppermann daraufhin empfohlen, mit Friedrich darüber zu sprechen, was dieser dann auch sofort zugesagt habe, berichtete de Maizière.

In besagter Pressemitteilung stand auch, Ziercke habe Oppermann in einem Telefonat im Oktober 2013 die gerade eingeleiteten Kinderporno-Ermittlungen gegen Edathy bestätigt. Ziercke hatte daraufhin einen solchen Geheimnisverrat bestritten, später nahm auch Oppermann diese Aussage zurück. Als die Presseerklärung erschien, war Ziercke gerade bei de Maizière. Vor dem Untersuchungsausschuss hatte Ziercke zunächst sehr bestimmt gesagt, bei dieser Unterredung sei nicht über Edathy gesprochen worden, und von Oppermanns Presseerklärung habe er erst danach erfahren. Auf Nachfragen hin hatte er dann seine Aussage dahingehend geändert, dass er sich nicht erinnern könne, mit de Maizière darüber gesprochen zu haben, dies aber auch nicht ausschließen könne. De Maizière berichtete nun, in diesem Gespräch sei "am Rande auch Edathy Thema" gewesen. Ziercke habe ihm die Rolle des BKA bei den Ermittlungen erläutert. Ob auch die Presseerklärung, die ihm Oppermann am Vorabend angekündigt hatte, in dem Gespräch eine Rolle gespielt habe, sei ihm "nicht mehr erinnerlich", sagte der Bundesinnenminister.

Intensiv wurde de Maizière schließlich zum Verhalten des beamteten Staatssekretärs Klaus-Dieter Fritsche befragt. Dieser hatte, nachdem er von BKA-Chef Ziercke von den Ermittlungen gegen Edathy erfahren hatte, umgehend seinen damaligen Minister Friedrich informiert, nicht aber nach der Amtsübergabe am 17. Dezember 2013 den Nachfolger de Maizière. Dieser wies nun darauf hin, dass Fritsche schon kurz danach ins Bundeskanzleramt gewechselt sei. Außerdem sei der Zweck zu verhindern, dass Edathy ein hervorgehobenes Amt bekommt, mit der Regierungsbildung entfallen. Die befragenden Abgeordneten wiesen demgegenüber darauf hin, dass Fritsche die Information Friedrichs damit begründet habe, ihn für den Fall einer unverhofften Journalistenanfrage zu wappnen. Dieses Risiko habe auch nach dem Amtswechsel weiter bestanden.

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2. Europäische Sozialcharta

Europaausschuss

Berlin: (hib/JOH) Die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland die 1999 revidierte Europäische Sozialcharta (RESC), das Turiner Änderungsprotokoll von 1991 sowie das Kollektive Beschwerdeprotokoll ratifizieren sollte, wird von Sachverständigen kontrovers beantwortet. In einer öffentlichen Anhörung des Europaausschusses des Bundestages sprachen sich am Mittwochnachmittag zwei Experten dafür und einer dagegen aus.

Der Vorsitzende der Stiftung Marktwirtschaft, Professor Michael Eilfort, begründete seine Vorbehalte gegen eine Ratifizierung mit den bereits sehr hohen Sozialstandards in Deutschland. Deutschland verfüge über ein einmalig ausdifferenziertes Sozialsystem und gebe "Rekordsummen" für Transfers in die Sozialsysteme aus. Es gebe daher keinen Grund, die RESC "auf die Schnelle" zu ratifizieren, bevor nicht offene Fragen, etwa mögliche Auswirkungen auf das in Deutschland geltende Streikverbot für Beamte, geklärt seien. Eilfort verwies darauf, dass es viele Staaten in Europa gebe, die die Europäische Sozialcharta (ESC) von 1991 zwar ratifiziert hätten, aber deren Regeln "systematisch und flächendeckend" missachteten. Als Beispiele nannte er Russland und Aserbaidschan. Außerdem kritisierte Eilfort den Europäischen Ausschuss für soziale Rechte, der die Einhaltung der in der Europäischen Sozialcharta beziehungsweise in der revidierten Sozialcharta festgelegten Rechte durch die Mitgliedstaaten kontrolliert. Er sei "intransparent" und "nicht demokratisch legitimiert", zudem sei er zu über 50 Prozent mit Juristen besetzt.

Dem widersprach Helga Nielebock, Leiterin der Abteilung Recht beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Die 15 Mitglieder des Gremiums würden von den Regierungen berufen, betonte sie, die Juristen im Ausschuss hätten die Aufgabe, Verstöße gegen die Charta festzustellen und Umsetzungslücken anzumahnen. "Das muss sich Deutschland gefallen lassen", urteilte Nielebock. Sie sprach sich klar für eine Ratifizierung der RESC sowie beider Zusatzprotokolle noch in dieser Legislaturperiode aus, um die Durchsetzung der in der Charta niedergelegten Rechte, etwa die Stärkung des Diskriminierungsverbots und die Verbesserung des Mutterschutzes und des sozialen Schutzes der Mütter, auf nationaler Ebene zu befördern. "Die Sicherung materieller sozialer Rechte für Arbeitnehmer ist in Zeiten des strukturellen Umbruchs und der Sparpolitik der öffentlichen Haushalte mehr denn je notwendig", begründete Nielebock die Haltung des DGB. Auch in Deutschland sei die Situation schließlich nicht ganz so positiv, wie von Professor Eilfort behauptet. Vielmehr gebe es auch hier eine wachsende Schere zwischen Arm und Reich und Probleme mit zunehmender Altersarmut.

Klaus Lörcher, ehemals Justitiar des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB), bezeichnete die Europäische Sozialcharta als "das wichtigste soziale Menschenrechtsinstrument auf europäischer Ebene" und forderte die Bundesregierung ebenfalls auf, die Charta und beide Zusatzprotokolle durch eine Ratifizierung weiter zu stärken. Nachdem bereits 33 Staaten die revidierte Fassung ratifiziert hätten, gehöre Deutschland inzwischen zu den Schlusslichtern, bedauerte Lörcher. Seiner Ansicht nach gibt es keine gravierenden Hinderungsgründe für eine Ratifikation. "Wenn überhaupt, dann sind sie durch eine Anpassung der innerstaatlichen Gesetzgebung zu beheben", urteilte er. Die Sorge, dass sich aus der Sozialcharta ein Streikrecht für Beamte ableiten lasse, bezeichnete Lörcher allerdings für begründet. Der Europäische Ausschuss für Soziale Rechte habe das umfassende Streikverbot für Beamte in Deutschland jedoch schon seit Beginn seiner Tätigkeit als nicht vereinbar mit der ESC angesehen. Sie sei daher mit der Ratifizierung bereits Teil des nationalen Rechts geworden, weshalb diese Frage vollkommen unabhängig von der Frage der Ratifizierung der RESC sei.

Anlass der einstündigen Anhörung im Europaausschuss war ein Antrag der Linksfraktion (18/4092), in dem die Abgeordneten die Bundesregierung 50 Jahre nach Inkrafttreten der Europäischen Sozialcharta auffordern, die daraus resultierenden Verpflichtungen einzuhalten und die RESC sowie die Zusatzprotokolle zu ratifizieren. "Der Eindruck ist, dass Deutschland, anders als vor 50 Jahren, heute Bremser bei der Frage der sozialen Rechte ist", urteilte Andrej Hunko (Die Linke).

Auch Wolfgang Strengmann-Kuhn von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bezeichnete es als "peinlich", dass Deutschland die revidierte Version der Charta bis heute nicht ratifiziert habe und damit zu einer Minderheit in Europa gehöre. Er äußerte die Erwartung, dass dies noch vor Ende der aktuellen Legislaturperiode nachgeholt werde.

Von Seiten der SPD-Fraktion gab es ebenfalls Unterstützung für diese Forderung. So betonte Angelika Glöckner, "eine Ratifizierung würde uns gut zu Gesicht stehen". Norbert Spinrath verwies darauf, dass die Bundesrepublik die RESC bereits 2007 unterschrieben habe und es seither "ausreichend Möglichkeiten" gegeben hätte, deutsche Gesetze entsprechend anzupassen. "Es ist ein fatales Signal, dass wir zum letzten Drittel derer in Europa gehören, die nicht ratifiziert haben", urteilte Spinrath.

Martin Pätzold (CDU) betonte, dass eine Ratifizierung noch in dieser Wahlperiode geplant sei, jedoch müssten die offenen Punkte, die aus Sicht der Bundesrepublik Deutschland noch bestünden, weiter diskutiert werden. So sei der Diskriminierungsbegriff in der RESC "sehr weit gefasst". Außerdem müsse geklärt werden, wie man damit umgehe, dass auch Beamte ein Streikrecht bekommen sollen. Das könne man aus dieser Sozialcharta ableiten.

Auf die Europäische Sozialcharta hatten sich 1961 die Mitgliedstaaten des Europarats bei einem Treffen in Turin geeinigt. Sie führt 19 Grundrechte auf, darunter das Recht auf Arbeit, das Recht auf soziale Sicherheit und auf gesetzlichen, wirtschaftlichen und sozialen Schutz der Familie. Auch der Jugend- und Mutterschutz, das Recht auf erschwinglichen Wohnraum, kostenlose Schulbildung und ein Verbot der Zwangsarbeit sind enthalten. Bis heute haben 43 der 47 Staaten des Europarats die Charta ratifiziert. 1999 trat eine novellierte Fassung in Kraft, in der unter anderem das Recht auf würdiges Altern hinzugefügt wurde. Die Bundesregierung hat die revidierte Fassung 2007 zwar unterzeichnet, aber bis heute nicht ratifiziert.

Das "Turiner Änderungsprotokoll" von 1991 stärkt die Rechte des Europäischen Ausschusses für Soziale Rechte. Das Zusatzprotokoll über Kollektivbeschwerden aus dem Jahr 1995 soll es nationalen und internationalen Arbeitnehmer- und Arbeitgeber organisationen ermöglichen, Beschwerden über eine nicht zufriedenstellende Anwendung der Charta beim Europäischen Ausschuss für Soziale Rechte vorzubringen.

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3. UN-Vertreter: Lage in Irak dramatisch

Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

Berlin: (hib/AS) Die Vereinten Nationen haben die schwierige Menschenrechts- und Versorgungslage in Irak angemahnt. "Die Situation ist extrem dramatisch", sagte der stellvertretende Humanitäre Koordinator der Vereinten Nationen für den Irak, Dominik Bartsch, am Mittwochnachmittag im Menschenrechtsausschuss des Bundestages. Es sei den Vereinten Nationen momentan nicht ausreichend möglich, dem Land "unter die Arme zu greifen", sagte er. So müssten aus finanziellen Gründen etwa 67 Gesundheitsstationen geschlossen werden. Nachdem die Gegenoffensive gegen den Islamischen Staat (IS) ins Stocken geraten sei, wäre erneut eine große Zahl von Zivilisten vertrieben worden. In der Vergangenheit seien viele Hilfsmaßnahmen in dem Land durch eine Großspende von Saudi-Arabien in Höhe von 500 Millionen Dollar finanziert worden. In Zukunft müssten ohne weitere finanzielle Hilfen eine Vielzahl von Programmen etwa zur Nahrungsmittelversorgung heruntergefahren werden.

Der Vertreter der SPD erkundigte sich nach der Zahl der Binnenvertriebenen, die von Bartsch mit rund drei Millionen angegeben wurde. Die Linke thematisierte das Problem der Gewalt gegen Frauen und Kinder. Bartsch sagte, dass dabei "unglaubliche Menschenrechtsverletzungen" stattfinden würden, die für die Opfer auch später langwierige Konsequenzen zur Folge hätten. Der Vertreter der CDU fragte unter anderem danach, wie lange die Hilfsorganisationen bräuchten, bis sie reagieren könnten. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen machte darauf aufmerksam, dass von allen an dem Konflikt Beteiligten schwere Menschenrechtsverletzungen begangen würden und fragte, wie groß der Bedarf an Hilfsleistungen sei. Bartsch nannte als Größenordnung ein "Minimalpaket von 500 Millionen Euro", bei dem es jedoch um "das schiere Überleben" gehe. Maßnahmen für Bildung wären darin nicht enthalten. Momentan würden nur zehn Prozent der Kinder zur Schule gehen können.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 298 - 11. Juni 2015 - 09.40 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juni 2015

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