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BUNDESTAG/6422: Heute im Bundestag Nr. 174 - 21.03.2017


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 174
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Dienstag, 21. März 2017, Redaktionsschluss: 09.45 Uhr

1. Kontroverse zum Familiennachzug
2. Fußfessel für Terrorunterstützer umstritten
3. Debatte über den Hochwasserschutz


1. Kontroverse zum Familiennachzug

Inneres/Anhörung

Berlin: (hib/WID) Die Forderung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, allen Flüchtlingen in Deutschland den Familiennachzug wieder ohne Einschränkung zu ermöglichen, ist unter Sachverständigen umstritten. In einer Anhörung des Innenausschusses war am Montag auf der einen Seite die Warnung zu hören, dass eine weitere erhebliche Zuwanderung die Aufnahmefähigkeit von Staat und Gesellschaft überlasten könnte. Dagegen stand der Hinweis, dass eine auch nur zeitweilige Verweigerung der Zusammenführung mit den Angehörigen die Betroffenen nicht nur psychisch in hohem Maße belaste, sonder auch ihre Integration in die deutsche Gesellschaft gefährde.

Das vor einem Jahr verabschiedete sogenannte "Asylpaket II" enthält unter anderem die Bestimmung, dass subsidiär Schutzberechtigte zwei Jahre lang, also noch bis zum März 2018, keinen Anspruch auf Nachzug ihrer Angehörigen geltend machen können. Dagegen richten sich ein Gesetzentwurf der Grünen (18/10044) und ein Antrag der Linken (18/10243), die beide darauf abzielen, die Aussetzung des Familiennachzuges unverzüglich rückgängig zu machen.

Als subsidiär schutzberechtigt gelten Flüchtlinge, die anders als in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) vorgesehen nicht aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität oder politischen Überzeugung verfolgt werden, aber darlegen können, dass ihnen im Herkunftsland Gefahr für Leib und Leben droht. In Deutschland wurden im vorigen Jahr 166.000 Syrer als GFK-Flüchtlinge und 121.500 als subsidiär schutzberechtigt anerkannt.

In der Anhörung äußerte der Konstanzer Völkerrechter und Leiter des "Forschungszentrums für internationales und europäisches Ausländer- und Asylrecht", Kay Hailbronner, Unverständnis dafür, dass eine erst seit einem Jahr gültige Regelung schon wieder zur Debatte gestellt werden solle. Er betonte, dass syrische Bürgerkriegsflüchtlinge keinen zwingenden Anspruch auf Anerkennung nach der Genfer Konvention hätten. In Deutschland sei ihnen dieser Status lediglich aus Gründen der Verfahrensvereinfachung eine Zeit lang pauschal zuerkannt worden. Mittlerweile sei die Behörde wieder zur rechtlich korrekten Praxis der Einzelfallprüfung zurückgekehrt. Aus diesem Grund steige die Zahl der nur subsidiär Schutzberechtigten an. "Es gibt keinen Rechtsanspruch auf Familiennachzug, weder im Völkerrecht noch aufgrund der UN-Charta," sagte Hailbronner. Eine Abwägung der Interessen des Staates gegen die des Flüchtlings sei daher zulässig.

Der Vertreter des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Uwe Lübking, wies darauf hin, dass die zeitweilige Aussetzung des Familiennachzug "dringend notwendig" gewesen sei, um eine "Überforderung" der Kommunen zu "vermeiden". Bereits die Integration der jetzt in Deutschland lebenden Flüchtlinge sei ein "Riesenproblem". Lübking nannte Schätzungen, denen zufolge die Kommunen deswegen 60.000 zusätzliche Kita-Plätze vorhalten und 200.000 Kinder und Jugendliche in den Schule unterbringen müssten. Er wies darauf hin, dass die Gleichstellung von Konventionsflüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten im Hinblick auf den Familiennachzug erst 2015 erfolgt sei, und empfahl, zum vorherigen Rechtszustand zurückzukehren.

Der Vertreter des Auswärtigen Amtes, Philipp Schauer, schilderte die Anstrengungen der deutschen Vertretungen im Nahen Osten, um den Andrang zu bewältigen. Personal sei aufgestockt, Räumlichkeiten seien erweitert worden, doch die Kapazitäten seien begrenzt. Bisher seien 75.000 Visa für nachziehende Angehörige ausgestellt worden, weitere 110.000 Antragsteller warteten noch auf einen Termin. Die Terminvergabe für Angehörige subsidiär Schutzberechtigter solle schon im Januar 2018 beginnen.

Der Vertreter des Deutsche Anwaltvereins, Tim Kliebe, und der Repräsentant der Deutschen Bischofskonferenz, Prälat Karl Jüsten, stellten Erfahrungen mit verzweifelten Flüchtlingen in Kanzleien und kirchlichen Beratungsstellen, mit Menschen, "die vollständig zusammenbrechen und sich fragen, warum Deutschland ihnen so etwas antue", in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen. Kliebe wies darauf hin, dass derzeit 50.000 Klagen von Flüchtlingen gegen ihre Einstufung als subsidiär schutzberechtigt anhängig seien, zu denen es ohne die Einschränkung des Familiennachzugs nie gekommen wäre. Die geltende Regelung führe also zur Überlastung der Justiz.

"Wir können gar nicht als katholische Kirche in irgendeiner Weise akzeptieren, dass Familien auf der Flucht getrennt werden", sagte Jüsten. Der Vertreter des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Hendrik Cremer, geißelte die Aussetzung des Familiennachzugs als Verletzung der UN-Kinderrechtskonvention.

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2. Fußfessel für Terrorunterstützer umstritten

Recht und Verbraucherschutz/Anhörung

Berlin: (hib/PST) Die Pläne der Großen Koalition, die sogenannte Elektronische Fußfessel vermehrt bei Haftentlassenen einzusetzen, denen terroristische Taten zugetraut werden, stoßen bei Fachleuten auf ein geteiltes Echo. Dies zeigte eine öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses am Montag zu einem Gesetzentwurf (18/11162) der Fraktionen CDU/CSU und SPD zur "Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern".

Bisher kommt die "elektronische Aufenthaltsüberwachung" nur bei Personen infrage, die wegen Terrorakten verurteilt worden waren und nach ihrer Haftentlassung weiterhin als gefährlich eingestuft werden. Nach dem Gesetzentwurf soll sie auch bei Haftentlassenen möglich sein, die wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, der Terrorismusfinanzierung, des Unterstützens einer in- oder ausländischen terroristischen Vereinigung sowie des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer einer in- oder ausländischen terroristischen Vereinigung verurteilt waren. Bei einem Teil dieser Delikte soll auch die Sicherheitsverwahrung verhängt werden können.

Karl Greven vom Hessischen Justizministerium begrüßte den Gesetzentwurf. Er ist zuständig für die gemeinsame Einrichtung der Länder in Bad Vilbel zur Überwachung der Träger elektronischer Fußfesseln. Diese seien ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte, der aber gerechtfertigt sei, wenn eine erhebliche Gefährdung potentieller Opfer durch neue Delikte bestehe. Dies werde sorgfältig geprüft. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern seien die Zahlen, in denen die Fußfessel in Deutschland zum Einsatz komme, "fast verschwindend".

Ganz anders bewertete Jörg Kinzig, Direktor des Kriminologischen Instituts der Universität Tübingen, den Gesetzentwurf. Die Überwachung von Verbotszonen, bei deren Betreten Alarm ausgelöst wird, bringe wenig, da ein entschlossener Terrorist leicht auf andere Ziele ausweichen könne. Und selbst wenn ein Alarm ausgelöst würde, käme die Polizei wahrscheinlich zu spät, meinte Kinzig. Insofern unterschieden sich Terroristen von Sexualstraftätern, für die die Elektronische Fußfessel zunächst gedacht gewesen sei. Er sehe jedenfalls keinen Sicherheitsgewinn, der die Nachteile aufwiege.

Der Berliner Rechtsanwalt Stefan König, Mitglied im Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, stimmte Kinzig zu. Er kritisierte die Ausweitung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung auf Verurteilte wegen Delikten, die "weit in die Vorbereitungsstraftaten hineinreichen". Es werde unterschätzt, wie tief das Tragen einer Fußfessel in die Persönlichkeitsrechte eingreift. Da sie für Dritte nicht immer zu verbergen sei, bedeute sie eine Stigmatisierung.

Der in der Bewährungshilfe tätige Münchener Richter Andreas Maltry verwies darauf, dass in der Rechtspraxis "sehr besonnen und zurückhaltend" von der elektronischen Aufenthaltsüberwachung Gebrauch gemacht werde. Sie sei "nur eine in einem Bündel von Maßnahmen zur Führungsaufsicht". Das Entdeckungsrisiko könne durchaus einen Teil der potentiellen Täter von einer Tat abhalten, denn nicht jeder sei zu allem entschlossen. Angesichts der derzeitigen terroristischen Bedrohung sei "die maßvolle Ausweitung zu begrüßen".

Für und Wider äußerte der Rostocker Richter Dirk Manzewski, Behördenleiter des Landesamtes für ambulante Straffälligenarbeit in Mecklenburg-Vorpommern. Bei einem Teil der extremistischen Täter könne das Instrument helfen, urteilte er, aber man solle "bei den hier genannten Tätergruppen nicht zu hohe Erwartungen an die Wirksamkeit stellen". Grundsätzlich seien seine Erfahrungen mit der Fußfessel positiv, berichtete Manzewski. Von 18 Probanden in seinem Verantwortungsbereich sei ein einziger rückfällig geworden. Er sei "der festen Überzeugung, dass die Fußfessel bei uns Straftaten verhindert hat", auch wenn sich das natürlich nicht belegen lasse. Skeptisch beurteilte er allerdings die Verhängung von Verbotszonen, die ein potentieller Terrorist nicht betreten darf. Dazu gebe es in Städten zu vielfältige potentielle Anschlagsziele.

Der Bremer Strafverteidiger Helmut Pollähne kritisierte die Bundesregierung dafür, dass sie eine vom Bundesjustizministerium selbst in Auftrag gegebene Studie ignoriert habe. Diese habe sich einerseits gegen eine Ausweitung des Einsatzbereichs von Fußfesseln ausgesprochen und andererseits für den bereits geltenden Einsatzbereich strengere Verfahrensregeln gefordert. Als die Fußfessel vor sechs Jahren eingeführt worden sei, sei dies für "ganz wenige Fälle" geschehen. Damals schon sei vor einem Dammbruch gewarnt worden, und der geschehe mit diesem Gesetzentwurf. Ein "starkes Stück" sei die darin ebenfalls vorgesehene Ausweitung der Sicherungsverwahrung. Auf diesem Aspekt gingen die anderen Teilnehmer der Anhörung nicht weiter ein.

Die Münchener Richterin Barbara Stockinger, Präsidiumsmitglied des Deutschen Richterbunds, hob hervor, dass die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes der Fußfessel immer vom Richter geprüft werden müsse. Deshalb werde es "nur sehr wenige Fälle" geben, in denen die Neuregelung zur Anwendung kommt. Es sei aber gut, dass die Richter ein weiteres Instrument in die Hand bekämen, um "auf solche Täter zu reagieren". Wer wegen Taten im Vorfeld des Terrorismus verurteilt war, gehöre in der Regel "gerade nicht zu den zu allem entschlossenen Tätern". Deshalb könne sich die Fußfessel bei dieser Tätergruppe als wirksam erweisen, urteilte Stockinger.

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3. Debatte über den Hochwasserschutz

Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit/Anhörung

Berlin: (hib/EB) Die Einführung neuer Gebietskategorien im Bereich des Hochwasserschutzes stößt bei Experten auf ein geteiltes Echo. Dies wurde am Montag bei einer Sachverständigen-Anhörung des Umweltausschusses deutlich. Die Gebietskategorien "Risikogebiete außerhalb von Überschwemmungsgebieten" sowie "Hochwasserentstehungsgebiete"sind Teil eines Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur "Verbesserung des Hochwasserschutzes und zur Vereinfachung von Verfahren des Hochwasserschutzes" (18/10879). In "Risikogebieten" sollen unter anderem Neuregelungen für ein "hochwasserangepasstes Bauen" sowie ein Verbot neuer Heizölverbrauchsanlagen gelten. Für Hochwasserentstehungsgebiete legt der Entwurf neue Genehmigungsauflagen für Bauvorhaben fest.

Die Gesetzesnovelle zielt darauf ab, die Planung, Genehmigung und Durchführung von Hochwasserschutzmaßnahmen zu erleichtern und zu beschleunigen. So soll etwa für Grundstücke, die für bestimmte Hochwasserschutzmaßnahmen benötigt werden, ein Vorkaufsrecht für die Länder eingeführt werden. Zudem sollen Gerichtsverfahren gegen genehmigte Hochwasserschutzmaßnahmen beschleunigt werden, indem die erste Instanz der Verwaltungsgerichte wegfällt.

Gerhard Spilok vom baden-württembergischen Umweltministerium kritisierte, dass der Entwurf sogenannte "Abwägungsbelange" außerhalb der Risikogebiete vorsehe. Dadurch könnten in einem Genehmigungsverfahren gefährdungsrelevante Punkte wie etwa nachteilige Auswirkungen auf Oberlieger und Unterlieger "weggewogen" werden. Zudem bemängelte Spilok eine Bevorzugung von Infrastrukturprojekten gegenüber privaten Bauvorhaben. Während beim Häuserbau ein Ausgleich für die verbaute Fläche garantiert werden müsse (Retentionsausgleich), sei dies für Straßen und Bahndämme nicht vorgesehen.

Die Juristin Miriam Vollmer warf die Frage auf, "ob sich die grundsätzlich wünschenswerten Änderungen negativ auf den Städtebau auswirken". Das Risikogebiet sei nicht hinreichend abgegrenzt, sagte sie, und verwies auf die Restriktionen für Bauleitplanung und Bauweise in dieser Gebietskategorie. Sie forderte, zwischen Gebieten mit hohem und geringem Hochwasserrisiko zu differenzieren, um Kosten für Bauvorhaben zu reduzieren. Problematisch sei auch, dass die Gebietskategorie "Hochwasserentstehungsgebiet" von den Ländern definiert würde. Eine "Rechtszersplitterung" und Rechtsunsicherheit sei zu befürchten, sagte Vollmer,

Sinnvoller als die geplanten Hochwasserentstehungsgebiete seien gezielte Regenwasserrückhaltemaßnahmen in den Kommunen, kritisierte Steffen Pingen vom Deutschen Bauernverband. Er betonte, dass die Auflagen für Risikogebiete für bereits bestehende landwirtschaftliche Anlagen kaum umsetzbar seien. "Sie wären nur durch eine Umdeichung der Betriebe oder Warften möglich", sagte er. Ein Vorkaufsrecht der Länder für Grundstücke in Überschwemmungsgebieten lehnte er ab. Er forderte, dass Landwirte stärker einbezogen und auch in Überschwemmungsgebieten weiterhin Bewirtschaftsmöglichkeiten haben.

Die Geographin Mareile Evers (Universität Bonn) empfahl, Hochwasserrückhaltemaßnahmen stärker in den Blick zu nehmen. Ziel der Novelle sei es, den Flüssen mehr Raum zu geben. Letztendlich ziele sie aber vor allem auf Hochwassersschutzanlagen ab, sagte Evers. Zudem seien Starkregen und urbane Sturzfluten nicht hinreichend beachtet. Da die Abflusswege der Gewässer bekannt seien, könnten Starkregenkarten zur Risikominderung beitragen. Evers begrüßte die vorgesehenen Bauvorschriften für Risikogebiete. Im Hinblick auf die Schäden, die Heizölanlagen in Ökosystemen und Gebäuden verursachen können, sei ein Verbot beziehungsweise eine Nachrüstpflicht sinnvoll.

"Es gibt keinen absoluten Hochwasserschutz", betonte Ulrich Kraus vom Sächsischen Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft. Die Einführung von Risikogebieten und Hochwasserentstehungsgebiete in der sächsischen Gesetzgebung hätten sich aber bewährt.

Der Jurist Kurt Faßbender (Universität Leipzig) sagte, dass baurechtliche Vorgaben in Hochwassergebieten in der Praxis häufig nicht beachtet würden. Er hoffe, dass die Novelle dieses Vollzugsdefizit beende.

Otto Huter vom Deutschen Städtetag sagte, dass die Gesetzesnovelle den Vorsorgegedanken im Bereich des Hochwasserschutzes stärke. Zudem erlaube sie den Kommunen, langfristige Lösungen umzusetzen.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 174 - 21. März 2017 - 09.45 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2017

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