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PRESSEKONFERENZ/406: Regierungspressekonferenz vom 20. April 2012 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Mitschrift der Pressekonferenz - Freitag, 20. April 2012
Regierungspressekonferenz vom 20. April 2012



Themen: Termine der Bundeskanzlerin in der kommenden Woche (Hannover Messe 2012, Treffen mit dem chinesischen Ministerpräsidenten, Besuch der Volkswagen AG in Wolfsburg, Gespräch mit Großherzog Henri von Luxemburg, Konferenz zum Demografischen Wandel, Kabinettssitzung, Empfang von Schülerinnen im Bundeskanzleramt anlässlich des Girls' Day, dritter Rohstoffkongress der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Festakt der genossenschaftlichen Verbände zum "Jahr der Genossenschaften", Plenarsitzungen des Deutschen Bundestages)
weitere Themen: Ansiedlung des Sekretariates der Vereinten Nationen für Biodiversität in Bonn, Frindte-Studie, Schengen-Reform, Benzinpreise, Interview der Bundeskanzlerin zum Thema "Energiewende", Konjunkturprognose, Langstreckenraketentest Indiens, Schutz der Verbraucherrechte im Internet, Unterstützung für das griechische Gesundheitswesen

Sprecher: StS Seibert, Stamer (BMU), Lörges (BMI), Schäfer (AA), Schlienkamp (BMWi), Kothé (BMF), Mertzlufft (BMJ), Eichele (BMELV), Klaus (BMG)

Vorsitzender Leifert eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert und die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

StS Seibert: Guten Tag, meine Damen und Herren. Entschuldigen Sie bitte die kleine Verspätung.

Ich würde Ihnen gern berichten, dass schon an diesem Sonntag - wir hatten das in der letzten Woche schon gesagt; ich kann es in etwas größerem Detail ausführen - die Bundeskanzlerin in Hannover zusammen mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao die Hannover Messe eröffnen wird. Sie hält um 19 Uhr die Eröffnungsrede. Gegen 19.45 Uhr wird sie dann ein Abendessen mit Ministerpräsident Wen einnehmen und dabei ein ausführliches Gespräch führen.

Am Montag, 23. April, machen die beiden dann zusammen zwischen 9 und 11‍ ‍Uhr den traditionellen Messerundgang. Sie werden gemeinsam zunächst den China-Pavillon eröffnen und dann einige deutsche wie auch chinesische Unternehmen besuchen. Gegen 11 Uhr nehmen beide, die Bundeskanzlerin und der chinesische Ministerpräsident, an einem deutsch-chinesischen Wirtschaftsforum auf der Hannover Messe teil und halten dort jeweils kurze Reden.

Sie reisen dann anschließend gemeinsam nach Wolfsburg weiter, wo sie gegen 13.30 Uhr die Volkswagen AG besuchen. Es wird dort unter anderem um Kooperations- und Investitionsprojekte von VW in China gehen.

Am Dienstag, den 24. April, empfängt die Bundeskanzlerin um 9.15 Uhr den luxemburgischen Großherzog Henri, der sich vom 23. bis 25. April zu einem Staatsbesuch in Deutschland aufhält, zu einem Gespräch im Bundeskanzleramt.

Gegen 11 Uhr eröffnet sie - ebenfalls im Kanzleramt - eine Konferenz zum Demografischen Wandel mit einer Rede. Diese Konferenz steht in einem engen Zusammenhang mit der Demografiestrategie, die die Bundesregierung am kommenden Mittwoch, am 25. April, im Kabinett beschließen wird. Nach der Rede der Bundeskanzlerin finden zwei Fachforen sowie ein Podiumsgespräch mit Bundesinnenminister Friedrich statt, dessen Ministerium federführend für diese Strategie ist. Das ist zugleich der Auftakt für einen Dialogprozess zwischen Bundesregierung auf der einen Seite und Ländern, Kommunen, Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und allen möglichen zivilgesellschaftlichen Akteuren und Organisationen auf der anderen Seite. Zu der Veranstaltung im Kanzleramt sind etwa 160 Vertreter aus diesen Bereichen als Gästen eingeladen.

Am Mittwoch findet dann, wie immer um 9.30 Uhr, die Sitzung des Bundeskabinetts unter Leitung der Bundeskanzlerin statt.

Am Mittwochmittag um 12 Uhr empfängt sie 24 Schülerinnen aus neunten Klassen von Berliner Schulen. Das ist dann ein Tag vor dem Girls´ Day. Dennoch ist es die offizielle Girls' Day Veranstaltung im Kanzleramt, die ja schon eine schöne Tradition ist. Es wird ein Unternehmensparcours geben, aufgebaut von der "Initiative D 21", bei dem die Mädchen technische Berufe kennen lernen und spielerisch Aufgaben aus Naturwissenschaft und Technik lösen. Die Bundeskanzlerin wird ein kurzes Statement abgeben und sich anschließend selber diesen Unternehmensparcours anschauen.

Wir sind immer noch am Mittwoch: Um 14.30 Uhr nimmt sie am dritten Rohstoffkongress der CDU/CSU-Bundestagsfraktion teil. Sie hält dort eine Rede. Dieser Kongress steht unter dem Motto "Werte und Wertschöpfung: Rohstoffsicherheit für Deutschland und Europa". Das ist eine presseöffentliche Veranstaltung.

Am Mittwochabend um 18 Uhr wird die Bundeskanzlerin dann beim Festakt der genossenschaftlichen Verbände zum "Jahr der Genossenschaften" hier in Berlin in der DZ-Bank eine Rede halten. Dieses Jahr der Genossenschaften haben die Vereinten Nationen für 2012 ausgerufen, um die Rolle der Genossenschaften für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung vieler Länder zu betonen.

Am Donnerstag und Freitag kann ich Ihnen nur sagen, dass die Kanzlerin an beiden Tagen jeweils morgens ab 9 Uhr an den Plenarsitzungen des Deutschen Bundestages teilnehmen wird.

Stamer: Meine Damen und Herren, ich wollte Ihnen kurz mitteilen, dass die internationale Staatengemeinschaft gestern in Panama die weitere Ansiedlung eines Sekretariates der Vereinten Nationen in Bonn beschlossen hat, und zwar ist es das Sekretariat des neuen internationalen Wissenschaftlergremiums für Biodiversität. Diese Entscheidung ist aus Sicht des Bundesumweltministers ein Riesenerfolg. Zum einen hat damit die Staatengemeinschaft unser langjähriges Engagement für den weltweiten Schutz der biologischen Vielfalt gewürdigt. Die Entscheidung bedeutet auch eine weitere Stärkung des UN-Standortes in Bonn. Wie Sie wissen, sind dort bereits 18 verschiedene UN-Organisationen am UN-Campus angesiedelt. Das war auch einer der Gründe, warum am Ende auch das deutsche Angebot bei den Delegierten überzeugt hat. Die Aufgabe dieses neuen Sekretariates wird es sein, wissenschaftliche Informationen über den weltweiten Zustand und die Entwicklung der biologischen Vielfalt zu liefern, gewissermaßen als unabhängige Informationen für politische Entscheidungen. - Weitere Einzelheiten können Sie einer Pressemitteilung entnehmen, die wir dazu schon herausgegeben haben. Vielen Dank.

Frage (zur Begegnung der Bundeskanzlerin mit dem chinesischen Ministerpräsidenten): Herr Seibert, eine Pressekonferenz gibt es da nicht, also weder am Sonntag noch am Montag? Habe ich das richtig verstanden?

StS Seibert: Ich kann Ihnen das jetzt hier nicht ankündigen. Vergessen Sie nicht: Das ist ja kein politischer Besuch in Berlin. Es ist ein Besuch auf der Messe und bei einem Unternehmen, und insofern (sind die Voraussetzungen) nicht unbedingt gegeben.

Frage: Ich habe eine Frage an das Bundesinnenministerium, und zwar mit Bezug auf die Meldung heute in der "Süddeutschen Zeitung": "Bundesinnenministerium gesteht Falschauskunft im Bundestag ein." Ich wüsste gern, wie es dazu kommen kann, dass das Pressereferat des BMI ein Vorabexemplar einer Studie herausgibt, ohne dass der Minister davon Kenntnis hat?

Lörges: Ich kann an dieser Stelle nur auf unsere Antwort gegenüber dem Bundestag verweisen. Darin steht, dass uns nicht bekannt ist, woher die Redaktion der "Bild"-Zeitung über Teile der Studie oder eine Zusammenfassung verfügt. Zur Vorbereitung eines Interviews, das am 3. März erscheinen sollte und auch erschien, wurde der Redaktion der "Bild"-Zeitung vom Presseferat des BMI ein Vorab-Exemplar der gesamten Studie übersandt, gerade um eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Studie zu ermöglichen.

Zusatzfrage: Aber - das wäre meine nächste Frage gewesen - das verstehe ich dann nicht. Wenn das Pressereferat ein Vorab-Exemplar der Gesamtstudie übersandt hat, wie Sie jetzt gerade gesagt haben, wie kann dann im Satz davor stehen, dass der Bundesregierung nicht bekannt ist, wie die Redaktion an diese Studie gekommen ist?

Lörges: Sie müssen sehen: Es gibt die gesamte Studie, und es gibt eine Kurzzusammenfassung oder auch Teile. Das kann ich Ihnen von uns aus nicht sagen. Aber es war wohl so, dass die "Bild"-Redaktion über Teile der Studie oder eine Zusammenfassung verfügte und wir dann im Vorfeld zur Vorbereitung des Interviews die gesamte Studie übersandt haben, um eine differenzierte Auseinandersetzung zu ermöglichen.

Zusatzfrage: Und wann haben Sie die Studie übersandt? Also hat die "Bild"-Zeitung sie dann von Ihnen vor der eigentlichen Veröffentlichung gehabt oder nicht?

Lörges: Nach meiner Kenntnis war es wie folgt: Es stand ein Interview an. Die "Bild"-Zeitung ist vorab auf uns zugekommen und hat gesagt: "Wir haben von dieser Frindte-Studie gehört. Bekommen wir dazu ein Zitat?" Dann haben wir gesagt: "Okay. Wir sprechen in dem Interview über die Frindte-Studie. Aber Ihr müsst die Studie insgesamt betrachten. Sie ist differenzierter." Dann haben wir ein Vorabexemplar der gesamten Studie vor der Veröffentlichung übersandt.

Zusatzfrage: Ohne Kenntnis des Ministers?

Lörges: Der Minister hatte offensichtlich keine Kenntnis davon, als er das an dem Tag so geäußert hat.

Frage: Ich habe auch eine Frage an das Innenministerium. Die "Süddeutsche Zeitung" berichtet über eine gemeinsame Forderung des deutschen und französischen Innenministers über die befristete Wiedereinführung von Grenzkontrollen innerhalb von Schengen. Können Sie das bestätigen? Können Sie das näher erläutern, warum gerade jetzt diese Forderung kommt?

Und zum gleichen Thema wüsste ich gern vom Sprecher des Außenministeriums, was das Außenministerium davon hält.

Lörges: Ich erläutere das sehr gern. Die ganze Angelegenheit ist nicht neu, wie es jetzt erscheinen mag. Lassen Sie mich noch anmerken, dass die Schlagzeile "Berlin und Paris wollen Grenzkontrollen zurück" in dieser apodiktischen Form nicht zutrifft. Die Kommission hat im Herbst letzten Jahres Vorschläge zur Reform des Schengen-Systems unterbreitet, die derzeit im Ministerrat diskutiert werden. Wir haben - ich habe noch einmal kurz recherchiert - zu dem Themenkomplex im September letzten Jahres eine Pressemitteilung herausgegeben, die vermutlich auch ganz viele von Ihnen erreicht hat.

Kurz zum Inhalt: Alle Innenminister der Schengen-Mitgliedstaaten sind sich einig, dass die europäische Reisefreiheit ein herausragendes Gut des europäischen Einigungsprozesses ist, das es auch möglichst beizubehalten gilt. Aber man muss wissen, dass das Schengen-System bereits jetzt Ausnahmen von dieser Reisefreiheit - das heißt "die temporäre Wiedereinführung von Grenzkontrollen" - vorsieht, nämlich insbesondere bei der Gefahr drohender Terroranschläge oder dem Schutz von herausragenden politischen oder sportlichen Ereignissen. Ich erinnere zum Beispiel an den Nato-Gipfel in Kehl und Straßburg, wo es auch nach meiner Kenntnis eine temporäre Wiedereinführung von Grenzkontrollen gab.

Die vergangenen Jahre haben allerdings gezeigt, dass der Schengen-Vertrag einer weiteren Ausnahme bedarf, nämlich der Möglichkeit der vorübergehenden, also temporären Wiedereinführung von Grenzkontrollen für den Fall, dass ein Schengen-Mitgliedstaat seine Pflichten nicht erfüllen kann. Es gibt im Moment kaum Möglichkeiten zu reagieren, wenn ein Schengen-Mitgliedstaat die im Schengen-Vertrag festgelegten Standards nicht einhält. Daher der gemeinsame Vorschlag des deutschen und des französischen Innenministers als Ultima Ratio und für einen begrenzten Zeitraum, die Binnengrenzkontrollen temporär wieder einführen zu dürfen. Wenn ein Mitgliedsstaat trotz Hilfe nicht in der Lage ist, seinen Verpflichtungen zum Außengrenzschutz nachzukommen, dann soll es eben diese weitere Ausnahme geben.

Schäfer: Wenn Sie mir diese Abweichung von der Tagesordnung gestatten, erlaube ich mir, mich der Freude anzuschließen, die die Kollegin aus dem Bundesumweltministerium eben über die Ansiedlung des Sekretariats für Biodiversität (IPBES) in Bonn geäußert hat, und im Namen des Außenministers Westerwelle dazu zu sagen, dass diese Entscheidung nicht nur eine Stärkung des UN-Standortes Bonn, sondern auch eine Anerkennung des internationalen Engagements Deutschlands ist. Der Standort Bonn wird für die Vereinten Nationen nicht nur immer größer, er wird auch immer wichtiger für die entscheidenden globalen Zukunftsfragen nachhaltiger Entwicklung. Die von Frau Stamer angesprochenen 18 VN-Institutionen sind nämlich überwiegend in diesem Bereich tätig, und die Bundesregierung wird alles tun, um auch bei den anstehenden Standortentscheidungen in den nächsten Monaten dafür Sorge zu tragen, dass wir dieses Profil der Stadt Bonn und damit auch des Landes Deutschland weiter schärfen.

Jetzt komme ich gern zu der Frage zur Schengen-Reform. Ich möchte dazu sagen, und zwar im Namen des Außenministers, dass die Reisefreiheit eine der wichtigsten Errungenschaften des europäischen Integrationsprozesses ist, die unbedingt erhalten werden muss. Die Reisefreiheit und der freie Personenverkehr stehen ganz vorn bei den für die Menschen in Deutschland und Europa täglich erlebbaren spürbaren Fortschritten bei der Einigung Europas. Die Bundesregierung will die Reisefreiheit gemeinsam mit ihren europäischen Partnern erhalten und mit allem Nachdruck verteidigen.

Ich möchte hinzufügen, dass es die feste Überzeugung des Außenministers Westerwelle, aber auch die gemeinsame Haltung der Bundesregierung ist, dass es bei den anstehenden Gesprächen in Brüssel über eine mögliche Reform des Schengen-Regimes in erster Linie und ganz entscheidend darauf ankommt, den Schutz der Außengrenzen Europas - gemeint sind in diesem Fall die Außengrenzen des Schengen-Raumes - zu verbessern. Dort, nämlich an den Außengrenzen des Schengen-Raumes, liegt der Schlüssel für wirkliche Fortschritte bei der Bekämpfung der illegalen Migration, und auch dafür wird sich die Bundesregierung weiter in Brüssel einsetzen.

Aus Sicht des Außenministers und auch der Bundesregierung - wir sind uns darüber einig; da möchte ich vier Punkte erwähnen - ist erstens wichtig, dass nationale Maßnahmen zur Einschränkung der Reisefreiheit und des freien Personenverkehrs allenfalls Ultima Ratio sind, also nur das äußerste Mittel sein dürfen, um eine akute Notlage zu kontrollieren, dass zweitens solche Maßnahmen nur unter klar definierten engen Voraussetzungen getroffen werden dürfen, dass sie drittens zeitlich eng begrenzt werden und dass schließlich viertens - und auch das ist wichtig - die europäischen Institutionen, namentlich die Europäische Kommission, bei allen diesen Fragen eine wichtige Rolle spielen müssen.

Lassen Sie mich noch abschließend dazu sagen: Das alles wird die Bundesregierung in den aktuellen und laufenden Verhandlungen über eine Reform des Schengen-Regimes in Brüssel sehr aktiv einbringen und vertreten.

Zusatzfrage: Ich würde gern von beiden noch einmal hören: Auf der einen Seite sprechen Sie von Einigkeit, Herr Schäfer, auf der anderen Seite sagen Sie, Sie wollen die Reisefreiheit mit allem Nachdruck verteidigen. Inwieweit gibt es da möglicherweise einen wie auch immer gearteten Dissens zwischen den Häusern?

Lörges: Das ist auch unsere Auffassung. Da ist ja kein Widerspruch, sondern die Reisefreiheit soll möglichst erhalten werden. Aber wir sehen eine weitere Ausnahme für einen bestimmten Extremfall als Ultima Ratio vor. Das hatte ja auch Herr Schäfer genannt.

Schäfer: Ich kann das nur ergänzen und bekräftigen. Das, was Herr Lörges Ihnen gesagt hat, ist auch unsere Sicht. Es gibt da gar keinen Widerspruch, sondern es gibt womöglich aufgrund der Zuständigkeiten der unterschiedlichen Ressorts unterschiedliche Akzente. Aber die vier Prinzipien, die ich Ihnen gerade vorgetragen habe, sind absolut gemeinsame Haltung der Bundesregierung. Darüber gibt es zwischen beiden Häusern keinen Dissens. Genau das sind die Grundlagen, die wir heranziehen und die für die Verhandlungen in Brüssel entscheidend sein werden. Wenn im Laufe der Verhandlungen in Brüssel noch Fragen aufkommen über die konkrete Ausgestaltung der geplanten Reformen, so werden wir uns auf der Grundlage dieser vier Prinzipien zusammensetzen, und dann wird es eine gemeinsame Haltung der Bundesregierung geben.

Frage: Wie steht das Bundesinnenministerium zu der vierten Voraussetzung, die Herr Schäfer eben genannt hat, dass solche Entscheidungen auch von europäischen Organen mitgetragen werden sollen, von der Europäischen Kommission zumindest? - Das ist die eine Frage.

Die zweite Frage ist, ob dieses Schreiben mit dem Bundeskanzleramt und der Bundeskanzlerin abgestimmt worden ist. Teilt die Bundeskanzlerin diese Meinung?

Drittens. Was ist momentan die akute Gefahr für die innere Sicherheit in Europa? Denn wir haben in der letzten Zeit weder von Terrordrohungen noch von Sportereignissen in Europa etwas gehört. Was ist die aktuelle Gefahr? Hat das mit der aktuellen Situation der illegalen Einwanderung in Griechenland zu tun?

StS Seibert: Wenn ich vielleicht etwas dazu sagen darf, weil das Kanzleramt angesprochen war: Seit dem letzten Sommer wird in Europa diskutiert, wie das Schengener Abkommen reformiert werden kann und wie Schwächen verbessert werden können, und zwar mit dem Sinn, das ganze Schengen-System zu stärken. Die deutsche Position dazu ist nicht neu. Sie ist bekannt. Sie ist in vielen Interviews und natürlich auch innerhalb Europas geäußert worden. Insofern bringt der Brief auch inhaltlich nichts Neues, und deswegen muss auch nicht jeder Brief über das Kanzleramt laufen.

Das Entscheidende ist, das sich diese Bundesregierung absolut einmütig zu Schengen, der Reisefreiheit und der Freizügigkeit als einer der großen europäischen Errungenschaften bekennt. Die Grenzen ohne Schlagbäume und ohne Kontrollen überqueren zu können - das ist eine Art und Weise, auf die der europäische Gedanke auf das Allerschönste gelebt werden kann. Das wollen wir verteidigen. Ansonsten beteiligen wir uns an der europäischen Diskussion, die im letzten Sommer durch den Beschluss des Europäischen Rates über die Verbesserungsmöglichkeiten des Schengen-Regimes in Gang gekommen ist.

Lörges: Soweit ich angesprochen war, kann ich Ihnen ganz kurz die Rolle der Kommission skizzieren, wie sie in dem deutsch-französischen Vorschlag, also dem der Innenminister, vorgesehen ist: Die Kommission soll zunächst eine Früherkennung vornehmen und darauf aufbauende Unterstützungsmaßnahmen koordinieren. Das heißt, wenn erkannt wird, dass ein Schengen-Mitgliedstaat seinen Verpflichtungen, also seinem Außengrenzschutz, nicht nachkommt, dann soll die Kommission das überwachen oder eben die Früherkennung vornehmen und auch aufbauende Unterstützungsmaßnahmen koordinieren. Erst dann, wenn es nicht zu einer Verbesserung der Lage kommen sollte, sollen die Mitgliedstaaten als Ultima Ratio eben die Möglichkeit haben, für einen Zeitraum von bis zu 30 Tagen die Binnengrenzkontrollen wieder einzuführen. Nach Ablauf dieser Frist soll dann die Kommission dem Rat einen Vorschlag zur Weiterführung oder Beendigung der Binnengrenzkontrollen vorlegen. Das vielleicht zu Ihrer Frage nach der Rolle der Kommission. Sie bekommt damit also aus unserer Sicht eine starke Position.

Aber ganz klar ist - der Minister hat sich im Interview am Mittwoch im Übrigen auch dazu geäußert - aus unserer Sicht: Wenn man zu der Ansicht kommt, dass es um die öffentliche Sicherheit zum Beispiel in Deutschland geht, dann muss letztlich auf nationaler Ebene entschieden werden, ob es zu dieser temporären Wiedereinführung der Grenzkontrollen kommt oder nicht.

Frage: Herr Lörges, Sie sagten "maximal 30 Tage". Was heißt das denn? Heißt das, man kann das 30 Tage lang machen, dann gibt es wieder einen Tag Reisefreiheit, und dann kommen die nächsten 30 Tage, oder heißt das, dass es um maximal 30 Tage im Jahr geht? Was heißt also "höchstens 30 Tage"?

Zur anderen Frage: Ich kann mich gut daran erinnern, dass Dänemark im letzten Sommer gar keine offiziellen Grenzkontrollen, sondern vermehrte Stichproben wieder eingeführt hat. Damals hat es einen allgemeinen Aufschrei in Europa gegeben. Es ging sogar so weit, dass ein FDP-Landespolitiker zum Boykott von Reisen nach Dänemark aufrief. Ihr Außenminister, Herr Schäfer, hatte wortstark vor einer Renationalisierung in Europa gewarnt, das sei ein abgrundfalscher Weg. Meine Frage: Wo liegt denn jetzt der qualitative Unterschied? Ist man damals vielleicht ein bisschen zu streng mit den Dänen umgegangen? Das erinnert ja sehr stark daran. Wo liegt also der Unterschied?

Schäfer: Ich kann gerne etwas zu Dänemark sagen, da Sie ja meinen Außenminister und auch Ihren Außenminister explizit angesprochen haben. Bei Dänemark war es anders. Bei Dänemark ging es darum, dass die damalige dänische Regierung permanente Grenzkontrollen - und zwar feste Bauten - an der deutsch-dänischen Grenze errichten wollte, die nicht nur nach Auffassung der Bundesregierung, sondern auch nach Auffassung der Europäischen Kommission und vieler anderer eindeutig Schengen-widrig gewesen sind. Diese Frage hat sich nach den Regeln der Demokratie jetzt in Luft aufgelöst, weil die neue dänische Regierung eine ganz andere Haltung zu einem Grenzregime zwischen Deutschland und Dänemark sowie innerhalb des Schengen-Raums eingenommen hat und es deshalb auch nicht zum Rechtsstreit und einer weiteren politischen Auseinandersetzung gekommen ist.

Richtig ist in der Tat, und das kann ich auch für die hier und heute geführte Diskussion nur bekräftigen, dass der Außenminister allergrößten Wert darauf legt, dass es - und zwar weit über das Thema Schengen und den Schutz der Grenzen hinaus - nicht zu einer Renationalisierung in Europa kommt. Das, so glaube ich auch guten Gewissens sagen zu können, ist die feste, gemeinsame Haltung der Bundesregierung. Das gilt insbesondere und ganz explizit auch für den Bereich der Reform des Schengen-Raums. Worüber wir diskutieren, ist nämlich in der Tat die Erweiterung von engen Voraussetzungen in einem engen zeitlichen Rahmen, innerhalb dessen Nationalstaaten nicht mehr als 30 Tage lang bestimmte Maßnahmen ergreifen können. Gleichzeitig sind wir uns einig darüber, dass Europa, vertreten durch die europäischen Institutionen, daran in vollem Umfang beteiligt wird. Darüber haben wir im Grunde eine Einigung erzielt. Deshalb sind die Debatte, die wir hier führen, und der Versuch, dabei Meinungsverschiedenheiten zwischen Ministerien und innerhalb der Bundesregierung zu finden, glaube ich, nicht wirklich aussichtsreich.

Lörges: Vielleicht noch eine Anmerkung zum Vergleich mit Dänemark: Wir bemühen uns eben um eine Änderung auf rechtlicher Ebene, um dann entsprechend handeln zu können. Im Übrigen haben die Dänen damals auch nicht behauptet, dass Deutschland etwa seinen Schengen-Pflichten nicht nachkomme. Insofern ist also auch kein inhaltlicher Zusammenhang gegeben.

Zusatzfrage: Meine Frage war noch, wie es mit den 30 Tagen aussieht. Kann man eine Serie von jeweils 30 Tagen starten, oder muss erst einmal ein bestimmtes Intervall dazwischen liegen?

Lörges: Diese Frage kann ich Ihnen jetzt nicht beantworten. Es gibt eben einen Vorschlag, der besagt, dass, sofern die Maßnahmen, die die Kommission dann ergreift, zu keiner Verbesserung der Lage in dem betroffenen Mitgliedstaat führen oder das Funktionieren des Schengen-Raums in Gefahr geriete, die anderen Mitgliedstaaten als Ultima Ratio die Möglichkeit einer auf 30 Tage befristeten Wiedereinführung der Binnengrenzkontrollen haben sollten. Sie denken jetzt schon auf einer Detailebene tiefer darüber nach, die im Moment noch nicht im Raum steht. Es geht im Moment um einen Vorschlag an die dänische Ratspräsidentschaft in Bezug darauf, ob man überhaupt eine Neufassung des Schengen-Regimes in dieser Richtung hinbekommt. Einzelheiten dessen, wie der Rechtstext dann auszugestalten ist, werden, wenn Bereitschaft besteht, noch zu erörtern sein.

Frage: Herr Lörges, kann man nach dem Schengen-Abkommen ein Land ausschließen?

Für den Fall, dass festgestellt werden sollte, dass ein Land X seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, führten dann alle anderen Schengen-Staaten nur gegenüber diesem einzigen Land Kontrollen ein, oder gilt diese Grenzkontrolle dann für alle Länder?

Lörges: Zunächst einmal: Ich bin im Schengen-Recht nicht so firm, dass ich Ihnen sagen könnte, ob ein Ausschluss möglich ist. Ich vermute, dass es das nicht ist, aber das ist eine Vermutung, und deshalb muss ich auch das nachreichen. Es ist mir nicht bekannt, dass das überhaupt diskutiert worden wäre, und das ist insofern ein starkes Indiz dafür, dass das im rechtlichen Text nicht vorgesehen ist.

Zu der anderen Frage: Aus unserer Sicht wird es dann jedem Mitgliedstaat überlassen sein, ob er in diesem ganz extremen Fall seine Grenzen wieder kontrolliert oder nicht.

Zusatzfrage: Können Sie das wiederholen? Das habe ich jetzt nicht verstanden.

Lörges: Nach unserem Vorschlag wäre es dann jedem Staat überlassen, ob er seine Grenzen schützt oder nicht. Das heißt, jeder Staat entscheidet dann für sich.

Frage: Herr Schäfer, Sie haben gerade noch einmal darauf hingewiesen, dass es aus Ihrer Sicht keinen Widerspruch gebe. Mir scheint aber schon ein Widerspruch durchaus kategorischer Art darin zu bestehen, dass das Innenministerium sagt "Im Zweifel entscheiden die Nationalstaaten" und Sie sagen "Das letzte Wort hat dann die EU-Kommission". Diesen Widerspruch hätte ich doch gerne aufgelöst. Was gilt nun? Diese Frage richtet sich auch an Herrn Seibert.

Schäfer: Ich fürchte, es ist auch in dem bereits existierenden Schengen-Regime nicht einfach so schwarz-weiß, wie Sie es ausdrücken - entweder nur Reisefreiheit oder nur die fiesen Mitgliedstaaten, die ihre nationalen Grenzen wieder hochziehen -, sondern bereits das bisherige Schengen-Regime sieht unter dort vorgesehenen, sehr engen Voraussetzungen das Recht der Mitgliedstaaten vor, übergangsweise das Schengen-Regime an den eigenen, nationalen Grenzen auszusetzen. Die Debatte, die derzeit in Brüssel geführt wird, und die Verhandlungen, an denen sich die Bundesregierung engagiert beteiligt, drehen sich um die Frage, ob dieser Kanon von Voraussetzungen um den von Herrn Lörges und seinem Minister vorgetragenen Punkt ergänzt wird oder nicht. Das sind laufende Verhandlungen. Wir wissen nicht, was dabei herauskommen wird.

Dass für Außenminister Westerwelle und auch für die ganze Regierung die überragende Bedeutung der Integrationsleistung Europas - nämlich der Reisefreiheit, der Personenverkehrsfreiheit, der Freizügigkeit - dabei nicht grundsätzlich infrage gestellt werden darf, ist so richtig wie völlig unbestritten. Deshalb ist diese Schwarz-Weiß-Frage, wie Sie sie stellen, eigentlich nur mit Verweis auf die Grautöne zu beantworten, wie ich sie anhand des bereits gegenwärtigen Schengen-Regimes zu erläutern versucht habe.

Zusatzfrage: Ich muss sagen, das stellt mich jetzt nicht zufrieden. Das ist schon eine Frage, die man klar beantworten kann: Wer hat das letzte Wort, die EU-Kommission oder die Nationalstaaten?

Schäfer: Innerhalb der eng begrenzten Frist, über die wir jetzt reden, also diese 30 Tage, sind es die Nationalstaaten. Danach - das werden wir dann bei den Verhandlungen sehen - werden sich die Kommission oder der Rat, jedenfalls die europäischen Institutionen, an diesen Entscheidungen beteiligen und dabei einbringen. Was als Ergebnis dabei herauskommen wird, werden wir sehen. Aber genau das ist die Verhandlungsposition der Bundesregierung bei den Gesprächen, die jetzt - ich glaube, am Donnerstag, Herr Lörges - im Justiz- und Innenministerrat und darüber hinaus in den nächsten Monaten fortgesetzt werden.

Frage: Ich habe ein paar Fragen zum Thema der Benzinpreise an das Wirtschaftsministerium. Herr Schlienkamp, in der "Süddeutschen Zeitung" ist ein Artikel mit den Kern zu lesen, dass sich eine sogenannte Markttransparenzstelle, die es für Strom und Gas schon gibt, künftig auch mit der Registrierung von Benzinpreisveränderungen beschäftigen soll. Ist das so richtig beschrieben?

Schlienkamp: Vielen Dank für die Frage. Ich versuche einmal, das Thema einzuordnen.

Sie wissen, dass sich die Bundesregierung - und auch Bundeswirtschaftsminister Rösler - intensiv dafür einsetzt, die Transparenz und auch den Wettbewerb am Benzinmarkt zu stärken. Das sind aus Sicht des Bundeswirtschaftsministers entscheidende Instrumente für Preisstabilität.

Dazu dient zum einen unsere Initiative im Wettbewerbsrecht, die mittelständischen Mineralölunternehmen zu stärken; darüber haben wir bereits vor Wochen informiert. Genau dazu dient eben auch diese Initiative, eine Markttransparenzstelle beim Bundeskartellamt einzurichten.

Zur Frage, was diese Regelungen genau vorsehen: Es geht konkret darum, dass Sprithersteller an diese Stelle erstmals die An- und Verkaufspreise melden sollen. Die Tankstellenhändler und auch die Raffinerien müssen erstmals ihre Preise, zu denen sie Sprit ein- und verkaufen, melden, und zwar flächendeckend und zeitnah. So kann das Bundeskartellamt künftig viel besser Missbräuche aufdecken. Es geht also um Missbräuche, die aufgedeckt und verfolgt werden sollen.

Ziel ist es, damit natürlich auch das Bundeskartellamt zu stärken. Die neuen Regeln des Wettbewerbsrechts werden so viel besser ihre Wirkung entfalten, und zwar zum Vorteil der Verbraucherinnen und Verbraucher.

Einige weitere Details zu den vorgesehenen Regelungen: Die Markttransparenzstelle kann genau vorgeben, in welcher Form die Angaben gemacht werden müssen. Für die Eingabe der Angaben soll eine Internetplattform eingerichtet werden, um den Aufwand für die Unternehmen so gering wie möglich zu halten.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal auf den Begriff "Staatsaufsicht" eingehen, der auch heute in der Berichterstattung eine Rolle gespielt hat. Es geht bei unserer Initiative darum, den Wettbewerb und die Transparenz zu stärken. Insofern ist der Begriff "Staatsaufsicht" sehr irreführend. Ziel der Regelung ist es, die Preisbildung bei Kraftstoffen auf ihre Wettbewerbskonformität zu beobachten. Eine staatliche Preisregelung ist gerade damit nicht verbunden. Durch die Marktbeobachtung soll die Aufdeckung und Sanktionierung von Kartellrechtsverstößen erreicht werden. Das ist die ureigene staatliche Aufgabe, die das Bundeskartellamt auch wahrnimmt.

Zum weiteren Verfahren einige Hinweise: Es gibt ein ursprüngliches Markttransparenzstellengesetz. Dies war ursprünglich für Strom und Gas gedacht. Dieses wurde nun um eine Regelung, wie ich Sie Ihnen vorgetragen habe, zu den Benzinpreisen ergänzt. Dieser Referentenentwurf befindet sich im Augenblick in der Ressortabstimmung. Es wird angestrebt, dass der Gesetzentwurf Anfang Mai vom Bundeskabinett verabschiedet werden soll.

Ich habe zwischenzeitlich auch mitbekommen, dass seitens der großen Konzerne viele Einwände gekommen sind. Die Konzerne klagen über angebliche Bürokratie. Dazu möchte ich an dieser Stelle nur sagen, dass der Vorwurf für uns nicht nachvollziehbar ist. Das scheint mir der übliche Reflex der großen Konzerne zu sein. Ich habe Ihnen ja eben berichtet, dass der Aufwand so gering wie möglich gehalten werden soll, indem wir eine solche Internetplattform einrichten. Im Übrigen der Hinweis, dass es bei den großen Tankstellen heute schon so ist, dass sie ihre Preise den Konzernzentralen melden müssen.

Zusatzfrage: Eine Ergänzung dazu: Gibt es diese Markttransparenzstelle auf Basis des Gesetzes schon? Arbeitet sie schon? Sie wird jetzt ergänzt?

Schlienkamp: Nein. Es gibt einen Gesetzentwurf, was die Großhandelspreise für Strom und Gas betrifft. Dieser Entwurf wird jetzt um das ergänzt, was ich Ihnen vorgetragen habe, nämlich um die Markttransparenzstelle für den Benzinmarkt.

Zusatzfrage: Das muss man sich dann konkret so vorstellen, dass im Prinzip jede Tankstelle, wenn sie den Liter Benzin um einen Cent verteuern will, ins Internet geht und das dort eintippt?

Schlienkamp: Genau.

Frage: Ab wann soll diese Stelle arbeiten?

Zweitens. Wie tief könnte der Benzinpreis sinken, wenn der Wettbewerb funktionieren würde?

Schlienkamp: Zu der letzen Frage: Ich habe am Anfang gesagt, dass diese Regelung aus Sicht des Bundeswirtschaftsministeriums ein entscheidendes Instrument für Preisstabilität ist. Aber ich kann Ihnen an dieser Stelle hier natürlich keine Preisangaben machen.

Zur zweiten Frage, wann das in Kraft treten soll: Dazu habe ich eben auch etwas gesagt, was das Verfahren betrifft. Der Gesetzentwurf soll jetzt möglichst Anfang Mai im Kabinett beraten werden. Sobald das Verfahren abgeschlossen ist, soll es sehr zügig in Kraft treten. Ich kann Ihnen an dieser Stelle kein genaues Datum nennen.

Frage: Genau zu diesem Thema eine Frage an Herrn Seibert: Was hält denn die Bundeskanzlerin von diesem Vorstoß aus dem Bundeswirtschaftsministerium?

Herr Schlienkamp, es gibt unter anderem die Mutmaßung - ich formuliere das einmal so -, dass Ihr Vorstoß zeitlich zumindest durchaus mit dem Landtagswahlen zusammenhängt. Was sagen Sie denn dazu?

Schlienkamp: Vielleicht fange ich an: Das weise ich natürlich zurück. Sie wissen auch, dass es schon vor einigen Wochen zu dem Thema eine Berichterstattung gegeben hat. Es ist insofern auch nicht neu.

StS Seibert: Die Bundeskanzlerin unterstützt diese Pläne, weil sie ihrer Grundüberzeugung entsprechen, dass das beste Mittel, gegen Preisexzesse an den Tankstellen vorzugehen, wettbewerbsrechtliche Mittel sind. Eine Maßnahme hat das Kabinett schon vor einiger Zeit beschlossen, nämlich das Verbot der Preis-Kosten-Schere zu verlängern. Eine andere Maßnahme deutet sich jetzt hier an. Beides kann eine positive Wirkung im Interesse der Autofahrer erreichen.

Frage: Ich habe ein paar Nachfragen zu dem Interview, das die Bundeskanzlerin der "Rheinischen Post" zum Thema Energiewende gegeben hat. Dort deutet sie an, dass sie sich persönlich an zwei Stellen einschalten will. Das eine ist der Netzausbauplan, das andere ist die Endlagerfrage. Ist diese aktive Positionierung der Bundeskanzlerin so zu verstehen, dass sie sich Sorgen um den Zustand der Energiewende macht? Sie spricht davon, dass da viel Arbeit ist und dass man viel Kraft da hineinstecken müsse.

Bekannt ist ja auch, dass - zumindest ist das auf meinem Schreibtisch so - jede Woche eine Stellungnahme von einem Wirtschaftsverband landet, wonach die administrative Umsetzung der Energiewende wahlweise als "Desaster" oder "Katastrophe" beschrieben wird. Dass etwas passieren müsste, geht quer durch die ganze Bank. Auch der ehemalige Umweltminister Töpfer, der die Ethik-Kommission geleitet hat, spart an dem Management der Energiewende auch nicht mit Kritik. Ist das der Hintergrund dieser Intervention? Sind weitere Stellen und Bereiche bekannt, wo die Bundeskanzlerin möglicherweise intervenieren wird? Ich meine nicht nur die Punkte Netzausbau und Atomendlager. Die Baustellen sind ja groß. Ich nenne einmal ein paar: energetische Gebäudesanierung, der unterfinanzierte Energie- und Klimafonds und die Frage der Energieeffizienz, wo man in Europa nicht recht vorankommt. Ich hätte gerne dazu eine Antwort.

StS Seibert: Auf eine lange Frage. Ich gehe einmal auf den Anfang Ihrer Frage zurück. Sie sagen, die Bundeskanzlerin werde jetzt aktiv - so ähnlich haben Sie das ausgedrückt. Darin liegt meiner Meinung nach bereits das erste Missverständnis. Die Bundeskanzlerin war im Zusammenhang mit der Energiewende nie etwas anderes als aktiv. Sie war immer eine aktive Betreiberin dieser Umsetzung einer neuen Energiepolitik hin zu den erneuerbaren Energien.

Sie hat auch immer gesagt - das ist die Haltung, die diese ganze Bundesregierung einnimmt -, dass das eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, dass Bund und Länder und viele Organisationen der Zivilgesellschaft - die Wirtschaft ohnehin -, aber auch die Gewerkschaften und die Bürger ihre Rolle zu spielen haben. Nun ist ein Punkt gekommen, an dem es sinnvoll ist, dass die Bundeskanzlerin wiederum - das ist auch nicht das erste Mal, sondern mindestens das dritte Mal - mit den Ministerpräsidenten aller Bundesländer zusammentrifft, um zu erörtern: Wo stehen wir bei der Umsetzung? Wo sind wir so weit, wie wir gerne schon wären? Wo müssen wir noch nachlegen? Das ist ein ganz normaler Vorgang.

Ein zentrales Thema bei diesem Treffen mit den Ministerpräsidenten wird tatsächlich der Netzausbau sein, denn da kommt es ja entscheidend darauf an, dass in den Ländern die Planungs- und Genehmigungsverfahren zügig vorangehen.

Zusatzfrage: Ich würde gerne noch einmal nachfragen. Ich fragte auch, ob weitere Punkte geplant sind, bei denen die Bundeskanzlerin sich aktiv äußern wird.

StS Seibert: Wie ich schon sagte, äußert sich die Kanzlerin - Sie haben ja selber das Interview zitiert - immer wieder aktiv. Sie ist vor allem - und das ist das Wichtigste - mit den Ressorts, die beteiligt sind, in einem ständigen Austausch und ständigen Kontakt. Überall da, wo es notwendig ist, sich auch als Bundeskanzlerin in der Öffentlichkeit aktiv einzubringen, wird sie das tun. Aber das muss ich hier nicht ankündigen. Das werden die Wochen und Monate bringen.

Zusatzfrage: Dann frage ich noch einmal etwas konkreter: Die Kanzlerin sprach auch das Thema energetische Gebäudesanierung an. Sie bedauert, dass das im Argen liegt. Sie spricht mit den Ministerpräsidenten. Wird es Vorschläge von ihr geben, wie man im Vermittlungsausschuss weiterkommt, um die steuerliche Förderung doch noch zu bekommen?

StS Seibert: Sie spricht ja mit den Ministerpräsidenten am 23. Mai, vielleicht auch über dieses Thema. Ich glaube nicht, dass man das bei einer Regierungspressekonferenz vorwegnimmt.

Frage: Eine Frage an das Finanzministerium: Die führenden Forschungsinstitute prognostizieren eine gute Konjunktur. Gleichzeitig mahnen sie den Sparwillen des Finanzministers an. Werden das Sparen und die Haushaltskonsolidierung hintan geschoben?

Kothé: Ihre Frage ist für mich etwas unverständlich in dem Sinne, da wir eigentlich einen sehr konsequenten und andauernden Konsolidierungskurs in der Haushaltspolitik fahren. Diesen werden wir auch so fortsetzen mit, nebenbei bemerkt, auch mit ganz erfreulichen Ergebnissen.

Zusatzfrage: Wie erfreulich sind die Ergebnisse?

Kothé: Sie wissen ja, dass wir zum Beispiel die Vorgaben des strukturellen Defizits und der Schuldenbremse früher als eigentlich vorgesehen erfüllen werden und anderes mehr. Wir sind, was die Neuverschuldung, den Schuldenstand und diese ganzen Parameter anbetrifft, deutlich besser gewesen als geplant, und zwar trotz Mehrbelastungen an anderer Stelle. Ich erinnere zum Beispiel an die Einzahlungen in Sachen ESM usw.

StS Seibert: Ich empfehle zur genaueren Lektüre den Stabilitätsbericht 2012, den das Kabinett an diesem Mittwoch beschlossen hat, über den wir hier auch berichtet haben und der in großer Ausführlichkeit darlegt, wie wir sowohl nationalen als auch europäischen Vorgaben auf unserem Konsolidierungskurs entsprechen und mehr als entsprechen.

Frage: Herr Schäfer, gibt es schon eine Stellungnahme zu Indiens Langstreckenraketentest?

Schäfer: Ja, die gibt es. Ich trage Sie ihnen vor:

Die Bundesregierung hofft, dass sich alle Staaten der Region ihrer Verantwortung für Frieden und Stabilität bewusst sind. Niemand kann ein Interesse an einer neuen Aufrüstungsspirale in Asien haben.

Frage: Eine Frage an Justiz- und Verbraucherministerium, was den Schutz der Verbraucherrechte im Internet angeht. Das Thema ploppte heute durch eine Meldung der "Berliner Zeitung" auf. Können Sie mir bitte sagen, wie der aktuelle Stand ist? Wie weit ist dieses Gesetzesverfahren?

An das Verbraucherministerium die Frage: Frau Aigner ist offenbar sehr einverstanden mit diesem Gesetzentwurf. Es gibt aber Kritik aus der Union. Muss sich die Ministerin jetzt irgendwie durchsetzen? Oder läuft das glatt durch?

Merzlufft: Ich kann Ihnen ganz kurz und knapp sagen: Wir sind in der Ressortabstimmung.

Zusatzfrage: Mehr nicht? - Ein Schwerpunkt dieses Gesetzes sind - ich nenne das jetzt einmal so - die Abmahnwellen bei illegalen Downloads. Es geht um Urheberrechtsverletzungen. Es gab diese Grenze von 100 Euro. Ist das zum Beispiel ein Detail, das geändert wird? Oder bleibt das?

Merzlufft: Das kann ich Ihnen in der Tat sagen. Es ist ein umfangreiches Verbraucherschutzpaket. Da geht es unter anderem auch um die Deckelung von Abmahnungen. Wir haben das etwas umgangssprachlich so formuliert, dass wir gesagt haben: Es geht darum, auch das Abmahnunwesen einzudämmen. Das ist ein Bestandteil dieses umfangreichen Verbraucherschutzpakets. Da sind wir in der Ressortabstimmung.

Das Problem an der Sache ist, dass wir üblicherweise zu Abstimmungen zwischen Ressorts - auch dann, wenn es Probleme gibt - hier oder auch öffentlich nichts kommunizieren können.

Zusatzfrage: Ich habe ja gar nicht gesagt, dass es Probleme gibt. Es gibt also Probleme. Was sind denn die Probleme?

Merzlufft: Sie bezogen sich auf den Zeitungsartikel. Der spekuliert ja über Probleme bei der Abstimmung. Darauf habe ich mich bezogen.

Vorsitzender Leifert: Herr Eichele, wollen Sie das noch ergänzen?

Eichele: Das kann ich gerne ergänzen. - Das eine ist die Abstimmung im Parlament, die folgen wird. Es gibt das "Strucksche Gesetz", das greifen könnte. Im Moment aber befinden wir uns in der Ressortabstimmung.

Was die Ressortabstimmung und auch die Stimme aus dem Parlament, die sich dazu gestern geäußert hat, betrifft, so hat die Ministerin klargestellt, dass der Schutz des geistigen Eigentums in einer Wissensgesellschaft eine unverzichtbare Voraussetzung für die Sicherung unseres Wohlstandes und von Wachstum und kultureller Vielfalt ist, dass wir ausdrücklich die Position unterstützen, die Rechte der Kulturschaffenden zu schützen, dass der effektive Schutz des Urheberrechtes in der analogen wie in der digitalen Welt, also im Internet, gewährleistet sein muss und dass die berechtigten Interessen beider Seiten, also der Künstler und der Nutzer, angemessen zu berücksichtigen sind. Deshalb gilt es, hier auch eine effektive Rechtsdurchsetzung zu sichern.

Jetzt kommt das Aber: Das Verbraucherschutzministerium muss aber feststellen, dass es bei der Bekämpfung von Urheberrechtsverstößen besonders im Zusammenhang mit Tauschbörsen teilweise zu einer Pervertierung des Durchsetzungssystems gekommen ist. Abmahnungen dürfen kein eigenständiges Geschäftsmodell sein, mit dem alleinigen Ziel möglichst höher Gebühreneinnahmen. Es gibt aus unserer Sicht viele Anhaltspunkte dafür, dass Abmahnungen in nicht unerheblichem Umfang unberechtigt ausgesprochen werden oder mit unverhältnismäßigen Gebührenforderungen verbunden sind.

Wir begrüßen es deshalb ausdrücklich, dass das BMJ hierzu einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, zu dem wir auch entsprechende Vorarbeiten mit geleistet haben, und dass dieser Gesetzentwurf jetzt in der Bundesregierung beraten wird. Wir unterstützen auch das Anliegen des BMJ, Regelungen gegen unseriöse Inkasso-Tätigkeiten oder unerlaubte Telefonwerbung vorzulegen; auch das ist ein wichtiger Teil in diesem Paket. Im Zusammenhang mit Internet-Abofallen hat sich gezeigt, dass eine Reihe von Inkassounternehmen mit zum Teil völlig inakzeptablen, überzogenen und unzulässigen Methoden unberechtigte Forderungen durchzusetzen versuchen. Noch zur Telefonwerbung: Insbesondere im Bereich der Glücksspielverträge ist diese ein Problem; hier müssen wir eine hohe Anzahl unerlaubter Telefonwerbeanrufe feststellen. Auch hiergegen gilt es mit allem Nachdruck und mit allen Instrumenten, die uns hier für einen aktiven und wirksamen Verbraucherschutz zur Verfügung stehen, vorzugehen.

Somit gibt es von uns unter dem Strich Unterstützung für das Vorhaben des BMJ.

Zusatzfrage: Noch einmal zu den 100 Euro - das würde mich schon interessieren, da es auch viele Bürger betrifft -: Es ist ja die Rede von 600.000 Fällen pro Jahr, jedenfalls war das die Zahl, die Sie für 2010‍ ‍genannt haben. Können Sie das vielleicht noch - auch wenn Sie in der Abstimmung sind - ein bisschen präzisieren? Bleibt es bei dieser Zahl, wird es eher mehr oder wird es eher weniger?

Merzlufft: Es geht darum, finanzielle Anreize zu nehmen. Die Zahlen, die von Verbraucherschutzverbänden genannt wurde, beliefen sich in 2010‍ ‍in der Tat auf ungefähr 575.000 Fälle mit einem Gesamtforderungsvolumen von über 412 Millionen Euro. Für diejenigen, die vielleicht nicht immer wissen, wie das technisch funktioniert: Da gibt es eine IP-Adresse, und dann wird bei dem Internet-Serviceprovider gefragt. Wir wollen das in der Tat deckeln. Erstabgemahnte sollen nur noch unter 100 Euro zahlen, weil dann der abrechenbare Streitwert gedeckelt wird. Wir haben zum Beispiel auch vorgeschlagen, dass im Wettbewerbsrecht der fliegende Gerichtsstand beseitigt werden soll; auch das ist Bestandteil dieses Vorschlages. Des Weiteren ist eben ja schon angeklungen, dass es in der Ressortabstimmung auch um ein umfangreiches Verbraucherschutzpaket geht. Ich bin optimistisch, dass wir auch dieses Verbraucherschutzpaket auf Regierungsseite so beschließen können.

Frage: Eine Frage an das Gesundheits- beziehungsweise Außenministerium: Gesundheitsminister Bahr hat soeben eine Unterstützungsaktion für das griechische Gesundheitswesen angekündigt; in der Pressemeldung ist von einer Taskforce und von weiteren Aktionen die Rede. Ist das griechische Gesundheitswesen in einer derart desolaten Situation, dass das jetzt in Form einer Taskforce sehr schnell möglich ist? Inwieweit spielt ein schon einmal zitierter Massenexodus griechischer Ärzte nach Deutschland dabei eine Rolle? Werden dabei indirekt auch Gelder deutscher Versicherter eingesetzt?

Klaus: Die letzte Frage zuerst: Es werden keine Gelder der deutschen Versicherten eingesetzt.

Das ist ein Prozess, der schon länger andauert. Es gab ja Bemühungen, Griechenland auch wirtschaftlich zu unterstützen. In diesem Zusammenhang gab es Abfragen an die Ressorts, in welcher Form eine Unterstützung durch die jeweiligen Ressorts erfolgen kann. Für das BMG ist eben ein Gespräch aufgenommen worden, um den Griechen im Gesundheitsbereich beratend und unterstützend zu helfen. Es geht zum Beispiel auch darum, zu prüfen, inwieweit die deutsche Abrechnungssystematik in Kliniken, die sich bewährt hat und die auch international sehr anerkannt ist, im griechischen Abrechnungssystem zu etablieren oder einzusetzen ist. Es sind also eher operative Unterstützungen und weniger die finanziellen Unterstützungen im Vordergrund; es geht also eher darum, Bürokratie abzubauen und mehr Effizienz zu erreichen. Das führt letztendlich auch zu Einsparungen, und damit ist es ja auch eine Stärkung der wirtschaftlichen Situation.

Zusatzfrage: Ich hatte noch gefragt, ob die Versorgung in Griechenland jetzt nicht sichergestellt ist, sodass auch eine Unterstützung in dieser Form - also nicht nur administrativ, sondern auch praktisch - notwendig ist.

Klaus: Ich kann Ihnen jetzt nicht im Einzelnen ad hoc darlegen, wie die Versorgungssituation ist. Das müsste ich Ihnen nachreichen. Es gibt aber einige Umsetzungs- und Effizienzmängel, ansonsten würde man diese Unterstützung ja nicht anbieten. Die Griechen würden diese Unterstützung auch nicht anfordern und annehmen, wenn es nicht so wäre.

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Quelle:
Mitschrift der Pressekonferenz - Freitag, 20. April 2012
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2012/04/2012-04-20-regpk.html?nn=391778
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2012