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PRESSEKONFERENZ/409: Regierungspressekonferenz vom 27. April 2012 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Mitschrift der Pressekonferenz - Freitag, 27. April 2012
Regierungspressekonferenz vom 27. April 2012

Themen: Termine der Bundeskanzlerin in der kommenden Woche (Kabinettssitzung, Preisverleihung zum Unternehmenswettbewerb "Erfolgsfaktor Familie", internes Gespräch zur Zukunft des Kraftwerkbaus, Gespräch mit Nato-Generalsekretär Rasmussen, Deutscher Seniorentag in Hamburg), Entwicklung im Fall Julia Timoschenko
weitere Themen: Herabstufung Spaniens durch die Ratingagentur Standard & Poor's, Sondersitzung des Ecofin-Rats, europäischer Fiskalpakt, Bürgerbeteiligung zur Neuregelung des Flensburger Punktesystems und des Verkehrszentralregisters, Todestag von Osama bin Laden/Sicherheitslage, Situation von Muslimen in europäischen Ländern, Vorratsdatenspeicherung, Speicherung von Fluggastdaten, Betreuungsgeld, Klage von Dieter Bohlen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Sprecher: StS Seibert, Schäfer (AA), Lörges (BMI), Blankenheim (BMF), Rudolph (BMVBS), Mertzlufft (BMJ)



Vorsitzender Mayntz eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

StS Seibert: Guten Tag, meine Damen und Herren! Wir beginnen mit den öffentlichen Terminen der Bundeskanzlerin in der kommenden Woche:

Am Mittwoch findet, wie üblich, die Kabinettssitzung um 9.30 Uhr statt.

Um 11 Uhr wird die Bundeskanzlerin dann im Humboldt-Carré in Berlin zusammen mit Familienministerin Schröder die Preisverleihung zum Unternehmenswettbewerb "Erfolgsfaktor Familie" besuchen. Sie ist Schirmherrin des Wettbewerbs und hält eine Rede. Das Familienministerium hat diesen Wettbewerb gemeinsam mit der deutschen Wirtschaft und dem DGB durchgeführt. Es gibt Preise in den Kategorien "kleine, mittlere und große Unternehmen". Es geht um Kategorien wie "familienbewusste Arbeitszeiten" sowie "Beruf und Pflege".

Am Mittwochnachmittag um 16.30 Uhr findet im Kanzleramt ein internes Gespräch zur Zukunft des Kraftwerkbaus statt. Das ist ein wichtiger Punkt im Energiekonzept der Bundesregierung. Eingeladen sind Vertreterinnen und Vertreter aus der Energiewirtschaft und der Wissenschaft. Auch das BMWi und das BMU nehmen teil - sowie der Präsident der Bundesnetzagentur.

Am Freitag, den 4. Mai, empfängt die Bundeskanzlerin um 11 Uhr den Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen im Kanzleramt. Das Treffen dient vor allem der Vorbereitung des kommenden Nato-Gipfels in Chicago am 20. und 21. Mai. Übrige Themen sind mit Sicherheit der Afghanistan-Einsatz sowie militärische Fähigkeiten und Partnerschaften des Bündnisses. Es gibt um 11.45 Uhr eine gemeinsame Pressekonferenz.

Am Nachmittag, zwischen 16 und 17 Uhr, besucht die Kanzlerin in Hamburg den Deutschen Seniorentag 2012. Sie hält dort eine Rede. Die Tagung steht diesmal unter dem Motto "Ja zum Alter".

Frage: Herr Seibert, können Sie noch sagen, an welcher Kundgebung zum 1.‍ ‍Mai die Bundeskanzlerin in diesem Jahr teilnimmt?

StS Seibert: Ich hätte Ihnen einen öffentlichen Termin der Bundeskanzlerin an dem Tag, wenn es einen gegeben hätte, vorgetragen.

Zusatzfrage: Das heißt, sie nimmt an keiner Mai-Kundgebung, weder als CDU-Vorsitzende noch als Bundeskanzlerin, teil? Gibt es dafür einen Grund?

StS Seibert: Sie nimmt an keiner Mai-Kundgebung teil.

Zusatzfrage: Meine Frage war: Gibt es dafür einen Grund?

StS Seibert: Ich glaube, die Bundeskanzlerin muss grundsätzlich nicht begründen, warum sie an Kundgebungen teilnimmt oder nicht teilnimmt.

Frage: Herr Seibert, es gab mindestens einen Medienbericht, die Kanzlerin habe der Ukraine gedroht beziehungsweise über Herrn Heusgen drohen lassen, sie werde der EM fernbleiben. Ist das richtig? Hat die Kanzlerin das getan?

StS Seibert: Die Interpretation, die Kanzlerin habe irgendjemandem gedroht, kann ich ganz sicherlich nicht teilen. Es hat ein Gespräch des außenpolitischen Beraters der Bundeskanzlerin mit dem stellvertretenden Außenminister der Ukraine gegeben. Gegenstand dieses Gesprächs war vor allem der Fall Julia Timoschenko. Sie wissen, die Bundesregierung setzt sich mit allen Mitteln, die sie hat, dafür ein, dass Frau Timoschenko endlich die notwendige gründliche medizinische Behandlung bekommt. Das deutsche Angebot, dass diese Behandlung auch hier in Deutschland vorgenommen werden kann, steht.

Von einer Drohung kann nicht die Rede sein. Die Kanzlerin hat noch keine konkreten Reisepläne zur EM gemacht. Der Zeitraum der EM ist hier in Deutschland ein politisch sehr aktiver, kurz vor der Sommerpause des Bundestages. Es wird also kurzfristig entschieden werden. Natürlich fließt auch die weitere Entwicklung in der Ukraine rund um den Fall Timoschenko in diese Entscheidung ein. Aber das Wichtigste ist wirklich, dass Frau Timoschenko - und dafür setzen wir uns politisch ein -, jetzt die nötige Behandlung bekommt.

Darüber hinaus wollen wir uns auch politisch dafür einsetzen, dass sich in anderen Fällen, in denen die Strafjustiz instrumentalisiert worden ist, um die Demokratie zu behindern, die Lage dieser Menschen bessert. Die Ukraine muss wissen: Europa ist eine Wertegemeinschaft. Eine Annäherung an Europa kann es nur geben, wenn man sich auch zu diesen Werten bekennt und ihnen im eigenen Land auch zur Durchsetzung verhilft.

Frage: Gestern hat Innenminister Friedrich gesagt, er könne sich vorstellen, einen Besuch bei der EM mit einem Besuch bei Frau Timoschenko zu verknüpfen. Gibt es ähnliche Überlegungen der Kanzlerin?

StS Seibert: Wie ich Ihnen gesagt habe, hat die Kanzlerin noch keine Reisepläne zur EM getroffen.

Zusatzfrage: Dann könnte man die Frage zuspitzen. Sie könnte ja auch Frau Timoschenko schon vor Beginn der EM besuchen. Also dass es keine konkreten Reisepläne gibt, ist schon klar.

StS Seibert: Genau.

Zusatzfrage: Aber wie steht sie zu einem möglichen Besuch bei Timoschenko, und gibt es dazu diplomatische Bemühungen? Das hätte ja auch Thema des Treffens von Herrn Heusgen sein können.

StS Seibert: Für die Bundesregierung ist das Wesentliche, dass wir uns politisch dafür einsetzen, dass Julia Timoschenko eine bessere Behandlung und eine gründliche medizinische Behandlung bekommt. Die Bundeskanzlerin ist am Rande einer internationalen Veranstaltung vor einigen Wochen der Tochter von Julia Timoschenko kurz begegnet. Sie ist sehr informiert über den Fall Timoschenko. Sie hält sich da auf dem Laufenden. Das Auswärtige Amt ist ebenso involviert. Der Außenminister hat sich ebenso dazu geäußert. Auch im Auswärtigen Amt gab es, glaube ich, eine Begegnung mit dem stellvertretenden Außenminister der Ukraine. Das ist für uns das Entscheidende.

Schäfer: Ich ergänze das gerne: In der Tat ist der Vizeaußenminister der Ukraine, Herr Klimkin, gestern zu einem Besuch in Berlin gewesen. Dieser Besuch war schon längerfristig vereinbart worden. Er hat im Auswärtigen Amt mit Staatssekretärin Haber intensiv über die bilateralen Beziehungen und einige andere Themen gesprochen. Die Staatssekretärin hat dem Kollegen aus der Ukraine klare Hinweise zur Haltung der Bundesregierung gegeben. Eine Annäherung der Ukraine an die Europäische Union - etwa auf dem Wege des Assoziationsabkommens - ist aus Sicht der Bundesregierung nur dann vernünftig, wenn es glaubwürdige und ernsthafte Schritte der Ukraine in Richtung von mehr Rechtsstaatlichkeit gibt.

Ich kann nur das bekräftigen, was Ihnen Herr Seibert gerade schon gesagt hat: Das Thema geht weit über den Fall Timoschenko hinaus, aber es geht auch um den Fall Timoschenko, auf den gerade Sie und andere Medien - im Übrigen nicht nur in Deutschland - ein starkes Schlaglicht werfen. Es gibt auch andere oppositionelle Häftlinge in ukrainischen Gefängnissen. Insgesamt geht es der Bundesregierung darum, jetzt dazu beizutragen, dass es in der Ukraine wirklich glaubwürdige Schritte in Richtung von mehr Rechtsstaatlichkeit gibt. Die Europäische Union verstehen wir und versteht die Bundesregierung nämlich als eine Wertegemeinschaft, und in dieser Wertegemeinschaft gilt es, diese Werte dann auch einzuhalten.

Zusatzfrage: Konnte denn aus dem Gespräch mit Herrn Heusgen oder aus dem Gespräch beim Auswärtigen Amt irgendein Signal des Entgegenkommens der ukrainischen Seite gezogen werden? Haben Sie das bemerkt?

Schäfer: Ich spreche für das Auswärtige Amt und möchte sagen, dass wir Ihnen aus den vertraulichen Gesprächen zwischen den Regierungen jetzt nichts unmittelbar berichten möchten. Wir bleiben weiter guter Hoffnung, dass die Botschaft, die nicht nur von uns, sondern auch von anderen in die Richtung Kiews gesendet worden ist, verstanden worden ist und dass die Schritte, um die es uns geht, jetzt auch tatsächlich ins Werk gesetzt werden.

Frage: Herr Seibert, Sie sagen, die Planung für die EM-Termine sei noch nicht gemacht. Sie behalten sich vor, das kurzfristig zu regeln. Halten Sie sich denn die Termine frei, an denen die deutsche Nationalmannschaft spielen wird, um gegebenenfalls kurzfristig reagieren zu können?

Meine zweite Frage: Ist es vorstellbar, dass die Kanzlerin in Polen Präsenz zeigt und in der Ukraine nicht?

StS Seibert: Wenn ich sage "Die Kanzlerin hat noch keine konkreten Reisetermine für die EM gemacht", dann bezieht das beide Länder ein, in denen gespielt wird. Ich möchte Ihnen jetzt keinen weiteren Einblick in den Terminplan der Kanzlerin geben. Wenn es einem Besuch bei einem der Spiele geben wird, dann werden wir das rechtzeitig bekannt geben. Diese Entscheidung fällt sicherlich noch nicht Ende April.

Frage: Ich will die Frage gerne ein bisschen erweitern, nämlich auf den Sportminister: Gibt es innerhalb der Bundesregierung Abstimmungen darüber, ob andere Minister unter bestimmten Voraussetzungen nicht in die Ukraine fahren werden?

Die zweite Frage richtet sich entweder an Herrn Seibert oder an Herrn Schäfer: Gibt es eigentlich innerhalb der EU eine Abstimmung darüber, dass die EU-Regierungen bei diesem Thema gemeinschaftlich agieren, oder ist das eine alleinige deutsche Diskussion, die wir hier erleben?

Lörges: Man befindet sich natürlich innerhalb der Bundesregierung darüber im Gespräch, wer zu der EM fahren wird oder nicht. Mehr kann ich dazu jetzt eigentlich nicht beitragen.

Wir haben Vorüberlegungen hinsichtlich eines Besuchs des Spiels Deutschland-Niederlande am 13. Juni angestellt. Der Minister ist eben Sportminister und großer Fan der deutschen Nationalmannschaft. Er möchte - wie seine Vorgänger auch - die Mannschaft bei dem Turnier und auch in der Vorrunde gerne unterstützen, aber natürlich ist ihm auch die Situation in der Ukraine, wie sie hier eben geschildert wurde, mit all ihren Problemen sehr bewusst. Er hat eben gestern erklärt: Sollte Frau Timoschenko zu dem Zeitpunkt noch in Haft sitzen, möchte er gerne mit ihr sprechen.

StS Seibert: Ich kann Ihnen nicht über eine Abstimmung auf europäischer Ebene beziehungsweise darüber berichten, wer Spiele der EM besuchen wird oder nicht besuchen wird. Was ich Ihnen sagen kann, und das halte ich politisch für sehr viel wichtiger, ist, dass sich die europäischen Mitgliedstaaten darin einig sind, dass es in der Ukraine erhebliche Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit und Defizite hinsichtlich der Demokratie gibt und dass sich dies ändern muss, wenn es eine Annäherung der Ukraine an Europa geben soll.

Schäfer: Ich kann ergänzen, dass es selbstverständlich ist, dass es bei dem Thema des Umgangs der Europäischen Union mit der Ukraine einen ständigen und sehr intensiven Austausch zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gibt, im Übrigen auf allen Ebenen. Die Ukraine ist der zweitgrößte Flächenstaat Europas, ein Staat mit nahezu 50 Millionen Einwohnern im Südosten Europas und für die Europäische Union ein ganz wichtiger Partner. Deshalb liegt es auf der Hand, dass die Beziehungen, die die Europäische Union als Ganzes mit der Ukraine pflegt, sehr weit oben auf der Tagesordnung der verschiedenen Institutionen der Europäischen Union stehen. Das gilt ausdrücklich auch für die Außenminister.

Vielleicht noch ein Wort zu den Reiseplänen des Außenministers, da diese Frage aufgekommen ist: Es ist gute Übung, dass die Reisepläne des Außenministers nicht mit großem Vorlauf kommuniziert werden. Sie erleben es hier regelmäßig, dass Besuchsankündigungen am Tag vor dem Antritt einer Reise stattfinden. Außenminister Westerwelle wird das im Hinblick auf seine möglichen Reisepläne in die Ukraine auch so halten. Im Übrigen ist es ja so, dass die Bundesregierung weiterhin darauf setzt, dass die politischen Signale, die von uns kommen, die aber auch von anderen kommen, in Kiew vernommen werden und dass sich die Situation mit Beginn der Europameisterschaft nicht mehr so darstellen wird, wie sie sich heute Morgen darstellt. Das ist ein wichtiger europa- und außenpolitischer Vorgang, der uns in tiefe Sorge versetzt, hinsichtlich dessen wir aber davon ausgehen, dass, wie gesagt, die Signale verstanden werden.

Vielleicht noch ein Wort dazu, ob es auch außerhalb Deutschlands eine entsprechende Diskussion gibt: Sie verfolgen womöglich die Medienlage auch in anderen europäischen Staaten. Dort ist es ganz ähnlich, nämlich so, dass das Thema des Schicksals von Frau Timoschenko und anderer oppositioneller Häftlinge Gegenstand der Berichterstattung ist. Auch andere unserer europäischen Partner teilen unsere tiefe Sorge über das, was derzeit in der Ukraine geschieht.

Frage: Ich habe es nicht ganz verstanden. Zur abgestimmten oder nicht abgestimmten deutschen Besuchshaltung: Steht es jedem Minister frei, in eigener Angelegenheit darüber zu befinden, ob er aus fachspezifischen oder sonstigen Interessen zur EM fährt - in diesem Fall in die Ukraine -, oder wird ein abgestimmtes Verhalten der Regierungsmitglieder angestrebt? Ist davon auszugehen, dass, wenn einer fährt, er das im Namen der Bundesregierung tut, oder tut er das im Namen seines Ressorts?

StS Seibert: Das eine schließt das andere ja nicht aus. Wenn ein Minister irgendwohin fliegt, dann vertritt er sein Ressort, und er vertritt im Ausland auch immer die Bundesregierung. Die Bundesregierung hat eine abgestimmte und einheitliche Haltung zur Lage in der Ukraine und zum Fall Timoschenko.

Zusatzfrage: Wird eine abgestimmte Besuchshaltung angestrebt oder nicht?

StS Seibert: Das würde ich jetzt einfach abwarten. Wir haben Ende April, und die Spiele werden, glaube ich, Mitte Juni oder Anfang Juni beginnen. Bis dahin ist noch einige Zeit.

Frage: Herr Seibert oder Herr Schäfer, wenn ein Mensch krank ist, dann spielt der Faktor Zeit eine große Rolle, denn ohne Behandlung wird es ja nicht besser. Wenn jetzt nichts passiert, gibt es dann Überlegungen innerhalb der Bundesregierung oder auf EU-Ebene, den Druck auf die Ukraine zu erhöhen? Gibt es womöglich sogar einen zumindest gefühlten Zeitplan? Als Laie würde ich sagen: Bis zur EM wird man so, wie es aussieht, nicht warten können.

Schäfer: Das Schicksal von Frau Timoschenko und ihr Gesundheitszustand unterliegen ganz eindeutig der Verantwortung der ukrainischen Regierung und der dortigen Strafvollzugsbehörden. Sie sind dafür verantwortlich, dass Frau Timoschenko so behandelt wird, wie es sich gehört, und dass die medizinisch korrekten Maßnahmen getroffen werden, damit sich der Gesundheitszustand von Frau Timoschenko wieder verbessern kann.

Sie wissen darüber hinaus, dass es eine Anfrage der ukrainischen Regierung zur Beteiligung von deutschen Ärzten an genau diesem Behandlungsprozess gibt. Die Bundesregierung wird darauf so schnell wie möglich eine Antwort finden. Wenn ich richtig informiert bin, dann gibt es derzeit parallel eine Information der Öffentlichkeit vonseiten der Ärzte, die für eine solche mögliche Behandlung infrage kämen und die vor allen Dingen sehr viel besser als wir, die wir hier sitzen, über den tatsächlichen Gesundheitszustand von Frau Timoschenko Bescheid wissen.

Was darüber hinaus von der Bundesregierung getan werden wird, können wir Ihnen selbstverständlich jetzt noch nicht sagen, weil das von der Art und Weise abhängt, auf die sich der Fall weiterentwickelt, insbesondere davon, wie die ukrainische Regierung mit diesem Fall weiter umgeht.

StS Seibert: Ich würde gerne zwei Dinge ergänzen. Das, was wir über den Zustand von Frau Timoschenko wissen und erfahren, macht klar: Es kann hierbei von der ukrainischen Regierung kein Spiel auf Zeit geben. Das ist ganz klar eine Position, die wir vertreten.

Zum anderen würde ich gerne die Gelegenheit nutzen, um namens der Bundesregierung den deutschen Ärztinnen und Ärzten der Charité, die selbst in die Ukraine gereist sind, um sich ein eigenes Bild von Gesundheitszustand und vor allem auch von den Behandlungsmöglichkeiten zu machen, Dank für diese Tätigkeit auszusprechen.

Frage: Ich würde gern noch einmal auf die gestrigen Äußerungen von Herrn Friedrich zu sprechen kommen. Verstehe ich es richtig, dass der Innenminister nur in die Ukraine fahren wird, wenn sichergestellt ist, dass er sich auch mit Frau Timoschenko treffen kann?

Lörges: Er hat, wie gesagt, geäußert, dass er sie gerne treffen möchte, wenn sie zu diesem Zeitpunkt noch in Haft sein sollte. Dass ist derzeit eine hypothetische Frage. Aber wenn das so sein sollte und es nicht dazu käme, dann würde das sicherlich in unsere Entscheidung darüber, ob wir reisen oder nicht, einfließen.

Frage: Schließt die Bundesregierung Wirtschaftssanktionen gegen die Ukraine aus?

Schäfer: Diese Frage stellt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht.

Frage: Herr Seibert, Herr Blankenheim, ich hätte gerne zwei Fragen zum Thema Spanien gestellt. Die Ratingagentur Standard & Poor´s hat Spanien herabgestuft, gleich um zwei Punkte. Sind Sie besorgt, dass das den Konsolidierungs- und Reformprozess in Spanien torpedieren könnte? Finden Sie das Rating angemessen?

StS Seibert: Wir halten es dabei so wie in anderen Fällen: Die Bundesregierung kommentiert keine Einzelentscheidungen von Ratingagenturen.

Unabhängig davon würde ich gerne die Gelegenheit ergreifen, um zu sagen, dass die Bundesregierung Zutrauen zu Spanien und Vertrauen in Spanien hat, in seine Entschlossenheit, das Nötige zu tun, um die Herausforderungen der Krise zu bewältigen. Das kann man an zahlreichen Maßnahmen sehen, die in den vergangenen Monaten von der spanischen Regierung ergriffen worden sind: Arbeitsmarktreformen, Sparhaushalt für dieses Jahr 2012, Reform des Haushaltsrahmens und Reformen im Bankensektor. Das alles sind Maßnahmen, hinsichtlich derer wir davon überzeugt sind, dass sie in Spanien, aber eben auch international Respekt und Zustimmung verdienen.

Vorsitzender Mayntz: Möchten Sie das ergänzen?

Blankenheim: Ich habe dem nichts hinzuzufügen.

Zusatzfrage: Ich möchte noch einmal nachfragen, da Sie gerade die Banken angesprochen haben. Es gibt ja auch den Vorschlag, dass der ESM speziell für Hilfen an die Banken geöffnet werden sollte. Hat sich die Position der Bundesregierung geändert? Wären Sie dazu bereit, dass die EFSF und der ESM solche Hilfen nur an Banken, ohne den Weg über die Regierungen zu gehen, ermöglichen sollten?

StS Seibert: Die Position der Bundesregierung hat sich nicht geändert. Diesen Weg hält sie nicht für geeignet. Das Prinzip muss weiter ein Stufenverfahren sein. Zuerst einmal muss die Bank, die in Schwierigkeiten gerät, selbst versuchen, ihre Probleme zu lösen, dann müssen ihre Eigentümer versuchen, sie zu lösen, und dann ist der jeweilige Mitgliedstaat der Eurozone oder ein anderer Staat gefragt. Erst dann, wenn das nicht möglich ist, gibt es die Möglichkeit, sich - allerdings als Regierung - an die EFSF oder in Zukunft an den permanenten Rettungsschirm ESM zu wenden, um sich von dort die entsprechenden Mittel mit den dementsprechenden Konsequenzen, also Auflagen, zu besorgen. An diesem Prinzip halten wir fest. Eine Aufweichung dieses Stufensystems lehnen wir ab. Wir glauben, dass es wirklich wichtig ist, dass Europa in diesem Punkt seinen eigenen Grundsätzen treu bleibt.

Frage: Herr Blankenheim, können Sie ein bisschen zu dem Ecofin-Sondergipfel am 2. Mai sagen? Was wird dabei im Mittelpunkt stehen?

Blankenheim: Bei dem Ecofin-Sondergipfel am 2. Mai wird es im Wesentlichen um das Thema der Umsetzung von Basel III gehen. Die Befassung dient dem übergeordneten Ziel einer rechtzeitigen Umsetzung des Basel-III-Dossiers auf EU-Ebene mit dem international vereinbarten Startdatum 1. Januar 2013.

Zusatzfrage: Herr Seibert, nachdem es, wie man fast sagen könnte, einen kleinen Schlagabtausch zwischen Frau Merkel und Herrn Hollande gegeben hat - "Der Fiskalpakt ist nicht verhandelbar" -, kann der Fiskalpakt möglicherweise, um das hier vielleicht noch einmal öffentlich klarzumachen, in einzelnen Punkten noch einmal aufgeschnürt werden?

StS Seibert: Ich habe überhaupt nicht wahrgenommen, wo es einen Schlagabtausch hätte geben sollen. Die Bundeskanzlerin war ganz sicherlich an keinem Schlagabtausch mit Herrn Hollande beteiligt. Sie ist in einem Interview gefragt worden, ob es möglich ist, beim Euro-Fiskalpakt nachzuverhandeln beziehungsweise ihn neu zu verhandeln, und sie hat den Sachstand referiert. Der Sachstand ist, dass zwei Länder diesen Fiskalpakt so, wie er beschlossen wurde, bereits ratifiziert haben, nämlich Portugal und Griechenland. Der Sachstand ist ferner, dass ein weiteres Land Ende Mai, also in wenigen Wochen, den jetzt beschlossenen Fiskalpakt einem Referendum unterziehen wird. In allen anderen Staaten - unter anderem auch in der Bundesrepublik Deutschland - befindet sich der Fiskalpakt im parlamentarischen Prozess. In dieser Phase ist eine Nach- oder Neuverhandlung nicht möglich; das hat die Bundeskanzlerin sehr klar gesagt.

Frage: Herr Seibert, dennoch sind die Äußerungen der Kanzlerin in Deutschland und in Frankreich ja als Wahlkampfhilfe für Präsident Sarkozy aufgefasst worden. Schickt es sich für die Bundeskanzlerin, so massiv in den Wahlkampf einzugreifen, wie es jetzt schon mehrfach geschehen ist?

Zweite Frage: Ist das Verhältnis zum französischen Präsidentschaftskandidaten Hollande damit nicht schon jetzt zerrüttet?

StS Seibert: Ich kann mich keiner Ihrer Interpretationen anschließen. Die Bundeskanzlerin hat nicht in den französischen Wahlkampf eingegriffen, sondern eine Frage, die ihr von deutschen Zeitungsjournalisten gestellt wurde, beantwortet. Sie hat ferner lediglich referiert, was der Sachstand in der Europäischen Union ist: 25‍ ‍von 27 Staaten haben den Fiskalpakt gemeinsam beschlossen. 25 Staats- und Regierungschefs haben ihn unterzeichnet. Zwei Länder haben ihn bereits ratifiziert, und in den anderen befindet er sich im parlamentarischen Verfahren. Das ist lediglich die Feststellung, die im Übrigen nicht allein von der Bundeskanzlerin, sondern von vielen europäischen Partnern geteilt wird, dass der Fiskalpakt in dieser Phase nicht neu verhandelt oder aufgestellt werden kann. Damit greift sie in keinen Wahlkampf ein.

Zum Verhältnis: Da ist überhaupt nichts gestört. Wir stehen vor dem zweiten Wahlgang in Frankreich und werden alle gemeinsam sehen, welchen Präsidenten dieser Wahlgang erbringen wird. Welcher Präsident auch immer es sein wird - es sind beides Pro-Europäer; das ist schon einmal gut -, die Bundesregierung und die Bundeskanzlerin werden gut und verlässlich mit ihm zusammenarbeiten. Das ist der Charakter der ganz besonderen deutsch-französischen Freundschaft und Partnerschaft.

Frage: Monsieur Hollande hat aber in dem Interview, das er gestern gegeben hat, zumindest einmal bei seinen Zuschauern den Eindruck erwecken wollen, als würde sich Frau Merkel selbst in der Position sehen, die Geschicke Europas in dieser Hinsicht zu steuern oder zu lenken. Deutschland entscheide das nicht alleine. Das erweckte den Eindruck, als würde er die Wahl zu einer Abstimmung darüber machen, ob das französische Volk der Verabredung zwischen Sarkozy und Merkel noch folgt oder mit seiner Wahl nicht doch eine Nachverhandlung für möglich hält. Wie bewerten Sie die Äußerung von Herrn Hollande?

StS Seibert: Die bewerte ich überhaupt nicht.

Zu der Frage, ob Deutschland etwas alleine entscheidet, genügt es, glaube ich, darauf hinzuweisen, dass 25 Staats- und Regierungschefs in freiwilliger Art und Weise die Unterschrift unter den Fiskalpakt gesetzt haben.

Zusatzfrage: Wenn ich es richtig notiert habe, sagten Sie vorhin, die Kanzlerin habe in dem Interview den Sachstand beschrieben und in dieser Phase gäbe es keine Veranlassung, irgendetwas zu ändern. Ist es denn nach dieser Phase denkbar, dass neue Personen diesen Fiskalpakt noch einmal in Richtung Wachstumsimpulse erweitern, ergänzen, wie es von Herrn Hollande gefordert wird?

StS Seibert: Nach dieser Phase ist der Fiskalpakt hoffentlich von allen Ländern, deren Regierungschefs ihn unterzeichnet haben, ratifiziert, tritt in Kraft und wird seine gute Wirkung entfalten.

Über das Thema Wachstum ist hier schon mehrfach gesprochen worden. Wachstum ist seit geraumer Zeit die zweite Säule der deutschen Krisenbewältigungspolitik. Ich habe mich hierzu neulich sehr ausführlich geäußert; das will ich gar nicht alles noch einmal wiederholen. Wachstumsimpulse waren der Arbeitsauftrag des Europäischen Rates im Januar und des Europäischen Rates im März. Um Wachstums- und Beschäftigungsimpulse wird es auch ganz massiv beim Europäischen Rat im Juni gehen. Deutschland wird sich, wie in den vergangenen Monaten auch, mit seinen Partnern sehr aktiv an der Suche nach den geeigneten Maßnahmen beteiligen.

Frage: Direkt dazu: Wenn man sieht, wie der Werdegang des Fiskalpakts war, hat es im letzten Jahr die Überlegung gegeben, dass man die Regeln ohne einen neuen Vertrag verschärfen muss. Es gibt von Mario Draghi den Vorschlag, einen Wachstumsvertrag zu beschließen. Herr Steinmeier hat das heute im "Hamburger Abendblatt" auch noch einmal gefordert. Ist die Bundeskanzlerin der Meinung, dass man diese zweite Säule, die Sie erwähnt haben, auch in Form eines Vertrags stärken sollte?

StS Seibert: Ich kann den Besprechungen der Staats- und Regierungschefs nicht vorgreifen. Es gibt eine Einladung von Herrn Van Rompuy, möglicherweise ein informelles Vortreffen der Staats- und Regierungschefs vor dem Europäischen Rat zu dessen Vorbereitung durchzuführen. Da wären solche Fragen zu besprechen. Ich kann dem nicht vorgreifen. Das Entscheidende ist: Die Bundesregierung hat sich in den vergangenen Monaten massiv dafür eingesetzt, dass in Europa sehr konkret anhand von konkreten Maßnahmen über Wachstumsimpulse gesprochen wird. Sie wird sich dafür einsetzen, dass dieser Prozess weiter geht. Das ist die zweite Säule unserer Krisenbewältigungspolitik. Das wird man dann hoffentlich auch beim Europäischen Rat im Juni spüren.

Ansonsten kann ich bezüglich der Vorschläge von Herrn Draghi nur das wiederholen, was ich am Mittwoch gesagt habe: Herr Draghi hebt sehr zu Recht und ganz in Übereinstimmung mit unserer Position darauf ab, Wachstum durch Strukturreformen zu schaffen. Das ist die Art von nachhaltigem Wachstum, von dem die Menschen dauerhaft etwas haben.

Frage: Am 6. Mai finden in Griechenland Wahlen statt. Ich bitte um einen Kommentar zu der Frage: Was hofft die Bundesregierung?

StS Seibert: Den Kommentar muss ich Ihnen leider verweigern. Natürlich gebe ich nicht schon vorweg Kommentare zu Wahlen in europäischen Partnerländern ab. Die Bundesregierung hofft, dass sich möglichst viele griechische Wähler der Überzeugung anschließen, dass das, was zwischen Griechenland und seinen Euro-Partnern beschlossen wurde und umgesetzt wird, tatsächlich auch auf Dauer segensreich für das Land ist.

Frage: Herr Blankenheim, eine Frage zur Öffnung des ESM für einzelne Banken. Die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, es gebe darüber bereits Verhandlungen auf höchster europäischer Ebene, unter anderem im Rahmen der Euro-Länder. Sind Ihnen diese Verhandlungen bekannt? Oder laufen sie an Deutschland vorbei? Wie ist der Stand?

Blankenheim: Es gibt keine Verhandlungen. Es gibt keine Arbeitsgruppe. Es gibt keinen Auftrag für eine derartige Arbeitsgruppe. Es gibt nichts, was die Prüfung irgendwelcher neuer Instrumente angeht. Das Einzige, woran natürlich gearbeitet wird, ist die Eins-zu-eins-Übertragung der EFSF-"guidelines" auf den ESM. Aber das ist kein neues Instrument. Das ist im Grunde genommen nur eine juristische Anpassung der bereits vorhandenden "guidelines" an den dauerhaften Rettungsschirm.

Frage: Herr Seibert, wenn ich Sie richtig verstanden habe, gibt es eine Einladung von Herrn Van Rompuy zu einem Vorbereitungstreffen. Gibt es schon einen Termin? Mir ist er nicht bekannt; aber das muss nichts heißen.

StS Seibert: Mir ist er auch nicht bekannt. Mir ist bekannt, dass es eine Einladung gibt. Aber mir ist nicht bekannt, für welchen Termin. Die Bundesregierung würde es begrüßen, wenn es zu einem solchen Vortreffen der Staats- und Regierungschefs käme, um den Europäischen Rat am 28./29. Juni vorzubereiten.

Frage: Eine Frage in Richtung Bundesverkehrsministerium. Herr Rudolph, die Punktereform wird am 1. Mai gestartet. Ich meine die Internetplattform, um über die Nachfolgereform des Flensburger Punktesystems zu sprechen. Die Bürger sollen daran beteiligt werden. Dazu habe ich drei Fragen: Wonach werden die Bürger konkret gefragt? In welchen Schritten oder Stufen läuft diese Befragung ab? Ich habe gehört, es soll auch ein Chat eingerichtet werden. Was wird mit den Eingaben der Bürger am Ende gemacht?

Rudolph: Ich versuche, die Frage hintereinander abzuarbeiten. Wenn eine übrig bleibt, schieben Sie diese einfach nach.

Die Bürger haben die Möglichkeit, in vier Kategorien konkret Vorschläge, Ideen, Anregungen zu machen. Die eine ist die Kategorie "einfacher", die zweite die Kategorie "gerechter", die dritte die Kategorie "transparenter´" und die vierte die Kategorie "mehr Verkehrssicherheit".

Warum diese vier? Die Punktereform haben wir praktisch mit einer bestimmten Konzeption versehen. Genau diese vier Kategorien sollen der Kern dieser Punktereform sein.

Man muss einen Benutzernahmen, ein Passwort und eine gültige E-Mail-Adresse eingeben. Dann kann man diese Vorschläge auf der Internetseite posten. Es gibt bestimmte Öffnungszeiten, und zwar von 7 bis 22.30 Uhr. Am Ende - Sie haben das gerade angesprochen - gibt es die Möglichkeit, mit Fachleuten zu diskutieren. Das ist jeweils am Ende einer sogenannten Themenwoche vorgesehen. Die erste Themenwoche zur Kategorie "einfacher" beginnt am 1. Mai und läuft bis Sonntag, dem 6. Mai. Es wird am Abend des 6. Mai von 19 bis 22 Uhr diesen Chat geben. Die zweite Themenwoche unter dem Stichwort "gerechter" startet unmittelbar im Anschluss und geht bis Freitag, dem 11. Mai. Auch hier findet wieder von 19 bis 22 Uhr ein Chat statt. Der dritte Block "transparenter" läuft bis Mittwoch, dem 16. Mai, an dem sich wieder von 19 bis 22 Uhr ein Chat anschließt. Am Schluss, wenn es um Verkehrssicherheit geht, ist am Dienstag, dem 22. Mai, ebenfalls von 19‍ ‍bis 22 Uhr ein Chat geplant.

Zusatzfrage: Wie werden die Ergebnisse ausgewertet und verwendet?

Rudolph: Wichtig ist, dass die Benutzer, die sich an diesem Forum beteiligen, inhaltsbezogene Beiträge stellen. Es werden nur solche Beiträge aufgenommen, die auch tatsächlich etwas mit der Punktereform zu tun haben. Diese werden inhaltlich ausgewertet und, sofern von Interesse und Relevanz, in diesen Gesetzgebungsprozess mit eingebunden. Es kann sich um Vorschläge handeln, die wir bereits im Blick hatten. Es kann sich aber auch um Vorschläge handeln, die wir noch nicht im Blick hatten. Das fließt praktisch in die Konzeption dieser gesamten Neuregelung des Punktesystems und des Registers mit ein.

Zusatzfrage: Was erhoffen Sie sich, wenn Sie die Bürger auf diese Weise beteiligen?

Rudolph: Man spricht in diesen Zeiten viel von mehr Bürgerbeteiligung und Transparenz. Vor nicht allzu langer Zeit hat hier Minister Ramsauer zusammen mit seinem Kollegen Friedrich eine entsprechende Vorstellung vorgenommen. Das Handbuch für eine gute Bürgerbeteiligung kam aus unserem Haus. Nun muss man schauen, wie man das in der Praxis auch tatsächlich mit Leben füllen kann. Diese Punktereform geht 53 Millionen Autofahrer an. Insofern ist die Idee, diese Leute, sofern sie möchten, zu Wort kommen zu lassen und diese Ideen einmal mit einzubinden. Dann schauen wir einmal, was dabei herauskommt. Am Ende kann man sagen: Das war sinnvoll, um die Debatte zu befruchten. Man kann auch sagen: Das war sinnvoll, und es hat die Debatte befruchtet. Aber wir hatten Vorschläge im Blick. - Wir sind hoffnungsfroh, eine lebendige Debatte zu erleben.

Frage: Herr Rudolph, Sie sprechen gerade von konstruktiven Vorschlägen. Es könnte ja auch heftige Kritik geben. Es gab schon im Vorfeld an den Eckpunkten des Ministers vereinzelt Kritik. Kann es auch passieren, dass bestimmte Vorhaben, was die Neuregelung des Punktesystems angeht, über Bord geschmissen werden?

Rudolph: Spekulieren, ob etwas über Bord geworfen wird oder nicht, möchte ich im Vorfeld nicht. Sie haben es eigentlich schon sehr richtig ausgedrückt: Wenn heftige Kritik kommen sollte, muss man sie aushalten. Dass es an den Eckpunkten des Ministers, auch von der Wortwahl her, allerdings vereinzelt Kritik gab, ist richtig. Diese vereinzelte Kritik haben wir im Vorfeld schon mit aufgenommen. Wir sind auch im Gespräch. Verbände- und Ressortanhörungen stehen aus. Wir stellen uns der Diskussion, so heftig sie auch sein mag. Was dabei herauskommt, müssen wir beurteilen, wenn wir wissen, was auf uns zukommt.

Frage: Herr Rudolph, es ist aber schon so, dass zunächst alles zur Disposition gestellt wird? Sonst macht das ja keinen Sinn. Sonst wäre es ja ein Preisausschreiben, und Sie müssten für die ersten drei Teilnehmer eine Dienstreise, zwei Dienstreisen oder drei Dienstreisen mit Herrn Ramsauer verlosen. Es macht ja nur Sinn, wenn theoretisch alles zur Disposition gestellt ist, und zwar unter der Voraussetzung, dass sachlich begründet und überzeugend eine andere Idee vorgetragen wird als die, die Herr Ramsauer in seinen Richtlinien bisher verankert hat. Sehe ich das so richtig?

Rudolph: Folgendes ist richtig: Alles, was in diesem Forum diskutiert werden kann, bezieht sich auf die Punktereform. Im Umkehrschluss heißt das: Jedes Detail der Punktereform kann diskutiert werden. Wir haben das in vier Blöcke geteilt, um es ein bisschen übersichtlicher zu machen und ein bisschen zu kanalisieren. Dann muss man einmal schauen, welche Teile der Punktereform diskutiert werden. Da wir praktisch alle Teile zur Diskussion stellen, erwarten wir auch zu allen Bereichen diskussionsfähige Aspekte. Der Fortgang - ob dann alles über Bord geworfen werden kann, ob dann alles zur Disposition gestellt werden kann - ist mit Stand heute ein hypothetischer. Wir stellen aber alles zur Diskussion. Wir haben uns natürlich bei dem, was wir da zur Diskussion stellen, schon gründlich etwas gedacht.

Zusatzfrage: Meine Frage war: Zur Diskussion stellen heißt, es kann sich auch alles verändern? Oder sagt man: Schön, dass wir diskutiert haben, morgen machen wir den alten Gesetzesvorschlag? Das wäre ja eine - nehme ich einmal an - von Ihnen nicht beabsichtigte Wirkung einer solchen piratenähnlichen Internetoffensive. Wenn, dann muss es doch heißen: Zur Diskussion gestellt heißt auch, bei überzeugenden Argumenten zur Disposition gestellt?

Rudolph: Ich wehre mich nur ein bisschen gegen die Formulierung "zur Disposition stellen". Es geht darum, dass wir alles offen zur Diskussion stellen und sinnvolle Vorschläge auch in den Gesetzgebungsprozess mit aufnehmen. In welcher Form das geschieht, muss man abwarten; denn ich weiß nicht, was für Vorschläge kommen. Im Vorfeld - das hat Ihre Kollegin ja auch schon gesagt - gab es vereinzelte Kritikpunkte; die sind schon mit in die Gespräche aufgenommen worden und werden auch in den parlamentarischen Prozess einfließen. Insofern gehen wir da sportlich heran, ohne im Vorfeld gleich Hürden aufzubauen oder irgendwelche Gräben zu schaufeln, indem wir etwas zur Disposition stellen oder über Bord werfen. Man muss das sportlich sehen. Man muss auch sagen: Es kann natürlich auch sein, dass ein Punkt diskutiert wird und es am Ende in dem diskutierten Punkt so bleibt, wie es ist. Auch das gehört zu einer Demokratie dazu. Man muss das also in allen Facetten auf sich zukommen lassen.

Frage: Eine Frage an das Innenministerium: In der kommenden Woche jährt sich der Todestag von bin Laden. Deswegen hätte ich ganz gerne gewusst, ob geplant ist, die Sicherheitsstufe für Deutschland irgendwie anzuheben. Erwartet man eine erhöhte Anschlagsgefahr?

Lörges: Nach meinem Kenntnisstand gibt es derzeit keine erhöhten Erkenntnisse hinsichtlich irgendwelcher Anschlagspläne. Insofern gibt es keine Änderung der Sicherheitslage.

Frage: Auch eine Frage an das Innenministerium: Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat sich in einem Bericht kritisch zur Situation von Muslimen in europäischen Ländern geäußert und speziell auf steigende Islamfeindlichkeit und Diskriminierung in Europa hingewiesen. Gibt es darauf aus Ihrem Hause eine Reaktion?

Lörges: Ich muss gestehen, dass mir dieser Bericht gerade nicht präsent ist; das müsste ich insofern nachliefern. Ich kann nur allgemein darauf hinweisen, dass innerhalb der Deutschen Islamkonferenz auch dieses Thema eine Rolle spielt, dass es insbesondere im Nachgang der letzten Sitzungen in den Arbeitsgruppen der Deutschen Islamkonferenz zur Sprache gekommen ist und dass es im kommenden Jahr bei der Plenarsitzung erörtert wird.

Frage: Eine Frage an den Regierungssprecher: Das Büro Malmström hat nun bestätigt, dass die deutsche Stellungnahme zur Vorratsdatenspeicherung eingegangen ist. Heute gibt es gleichzeitig eine Äußerung des Innenexperten der Unionsfraktion, Uhl, der davon spricht, dass die Bundeskanzlerin jetzt doch endlich ein Machtwort sprechen solle, damit drohende Strafzahlungen abgewendet und nicht verschärft werden. Sieht die Kanzlerin Anlass für ein Einschreiten in dem internen Streit zwischen Justiz- und Innenministerium in dieser Frage?

StS Seibert: Wie Sie richtig sagen, hat Deutschland fristgemäß seine Stellungnahme gegenüber der EU-Kommission abgegeben, eine Stellungnahme, auf die sich beide Ressorts, Innen- und Justizministerium, geeinigt haben. Jetzt ist es Sache der EU-Kommission, über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Die Haltung der Bundesregierung und vor allem der Bundeskanzlerin in dieser Sache ist sehr oft dargelegt worden. Wir arbeiten daran, einen gemeinsamen Weg zu finden.

Zusatzfrage: Es gibt also keine Reaktion im Sinne der Äußerungen von Herrn Uhl, die Kanzlerin sieht nach wie vor keinen Anlass für ein Eingreifen in diese Diskussion zwischen den Ressorts?

StS Seibert: Die Kanzlerin weiß - und verfolgt das auch genau -, dass die beiden Ressorts miteinander im intensiven Gespräch sind.

Frage: In dem Brief ist die Rede von der zeitnahen Kabinettsbefassung. Gibt es eine nähere Eingrenzung für diesen Begriff?

StS Seibert: Nicht von mir.

Merzlufft: Wir sind ja gegenüber der Kommission in diesem Verfahren um Stellung gebeten worden und sind - das habe ich hier gesagt, das ist ja nichts Neues - dieser Bitte auch nachgekommen. Das einzig Neue ist, dass jetzt jemand die Stellungnahme offensichtlich der AFP zugespielt hat. Wir haben einfach den Verfahrensstand der Meinungsbildung innerhalb der Bundesregierung abgebildet.

Zusatzfrage: Gibt es eine nähere Bestimmung für den Begriff "zeitnahe Kabinettsbefassung"?

Merzlufft: Nein. Wir haben den Verfahrensstand abgebildet.

Frage: An das Innenministerium zu den Passagierdaten: Die EU-Innenminister haben grünes Licht für Verhandlungen mit dem Parlament gegeben. Deutschland enthält sich aus datenschutzrechtlichen Gründen, wie es heißt. Ist das eine allgemeine Haltung der Bundesregierung oder macht sich das Innenministerium diese Bedenken zu eigen? Könnten Sie die vielleicht noch einmal nennen? Wie geht es weiter?

Lörges: Vom Grundsatz her können aus unserer Sicht auch Fluggastdaten für die Bekämpfung von Terrorismus und schwerer Kriminalität nützlich und erforderlich sein. Das setzt natürlich auch eine vorherige Speicherung voraus. Der Vorschlag der Kommission aus dem Februar letzten Jahres, der gestern auch im JI-Rat diskutiert wurde, geht allerdings sehr weit. Es gab innerhalb der Bundesregierung zu verschiedenen Regelungen Bedenken, insbesondere wurden die Ausweitung auf nationale Flüge und die Speicherdauer als unverhältnismäßig angesehen. Es gibt also keine grundsätzliche Ablehnung, aber es gibt zu verschiedenen Regelungen Ablehnung, weil diese Regelungen als unverhältnismäßig erachtet wurden. Deswegen haben wir uns innerhalb der Bundesregierung darauf geeinigt, dass wir uns in den Beratungen in Brüssel der Stimme enthalten.

Merzlufft: Ich würde an dieser Stelle gerne kurz ergänzen: Das ist eine sehr alte Diskussion, das wissen Sie ja. Im Koalitionsvertrag wurde damals vereinbart, dass für den Fall eines EU-Rechtsaktes über die Verwendung von Fluggastdaten das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union wegen der unterschiedlichen Rahmenbedingungen nicht als Maßstab dienen soll. Wir haben uns als Justizministerium - das ist eben ja auch zum Ausdruck gekommen - dafür eingesetzt, ein möglichst hohes Datenschutzniveau zu erreichen, und das ist eben bei dem vorgelegten und jetzt abgestimmten Entwurf von Kommissarin Malmström aus unserer Sicht eben nicht erfolgt.

Frage: Zum Thema Betreuungsgeld: Herr Mertzlufft, treffen denn die Meldungen zu, wonach das Justizministerium da sehr grundlegende neue verfassungsrechtliche Bedenken geäußert hat?

Merzlufft: Ich rätsele ein bisschen, woher diese Informationen kommen beziehungsweise wie die aufgeschlagen sind - ich habe es nicht der Presse gegeben und ich kenne den Vermerk nicht. Ich habe an dieser Stelle schon öfter gesagt: Es ist ja so, dass natürlich erst dann verfassungsrechtlich geprüft werden kann, wenn auch über die Ausgestaltung entschieden worden ist. Das ist ja auch das, was Herr Seibert und auch das Familienministerium hier immer wieder gesagt habe. Insofern kann ich Ihnen dazu überhaupt keine Einschätzung geben, sondern kann nur sagen: Ich kann diese Meldungen nicht nachvollziehen.

Zusatzfrage: Das heißt also, im Justizministerium liegt zum derzeitigen Zeitpunkt auch gar nichts vor, was geprüft werden könnte?

Merzlufft: Da müssten Sie mich jetzt in die Mithaftung für, ich glaube, 550 Mitarbeiter nehmen; ich weiß nicht, ob in einem Fachreferat zum Beispiel einmal per E-Mail oder mündlich irgendetwas diskutiert wurde. Ich kann Ihnen nur sagen: Aus Sicht der politischen Leitung ist es völlig selbstverständlich, dass eine verfassungsrechtliche Prüfung erst dann vorgenommen werden kann, wenn auch die Ausgestaltung, sprich ein Referentenentwurf, vorliegt.

Frage: Es gibt heute eine große Berichterstattung über den sogenannten Pop-Titanen Dieter Bohlen. Dabei geht es offensichtlich um einen schon seit Jahren verlaufenden Rechtsstreit, in dem Herr Bohlen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegangen ist und die Bundesregierung verklagt, weil ein Gericht in Deutschland eine Zigarettenwerbung mit seinem Konterfei erlaubt hat. Angeblich ist von den EU-Richtern schon eine Stellungnahme Deutschlands zu diesem Fall eingefordert worden. Können Sie dazu etwas sagen? Gibt es diese Stellungnahme schon, was steht da drin und was ist der Stand des Verfahrens?

Merzlufft: Über den Gegenstand kann ich Ihnen nichts sagen. Ich kann Ihnen kurz - aber wirklich nur kurz; ich gehe zu dem Bericht jetzt nicht "unter drei" - etwas zu dem Hintergrund sagen: Hintergrund ist eine Klage von Ernst-August Prinz von Hannover und Herrn Bohlen. Der Bundesgerichtshof hatte 2008 entschieden, dass beiden kein Anspruch auf Schadensersatz zusteht. Es geht dabei - Sie haben es angesprochen - um eine satirische Zigarettenwerbung. Wie Sie wissen, ist es jedem freigestellt, sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu wenden, wenn man sich in seinen Menschenrechten verletzt sieht. Das haben beide gemacht. Es ist richtig, Deutschland ist jetzt der Prozessgegner. Das Bundesjustizministerium vertritt die Bundesrepublik, und wir sind vom EGMR gebeten worden, eine Stellungnahme abzugeben. Es geht jetzt konkret um die Frage der Zulässigkeit, also um die Frage: Befasst sich der EGMR mit dieser Klage der beiden? Zum Zeitplan konnte ich auf dem Weg hierher nur in Erfahrung bringen, dass die Schlussabstimmung läuft und die Frist für unsere Stellungnahme am 5. Mai abläuft. Mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen.

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Quelle:
Mitschrift der Pressekonferenz - Freitag, 27. April 2012
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2012/04/2012-04-27-regpk.html?nn=391778
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Mai 2012