Schattenblick →INFOPOOL →PARLAMENT → FAKTEN

PRESSEKONFERENZ/429: Statements von Kanzlerin Merkel und dem russischen Präsidenten Putin, 1.6.12 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Mitschrift der Pressekonferenz in Berlin - Freitag, 1. Juni 2012
Pressestatements von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)



BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, ich begrüße heute ganz herzlich den russischen Präsidenten Wladimir Putin bei uns in Berlin. Nach seiner Wiederwahl ist er heute zu einem der ersten Auslandsbesuche nach Berlin gekommen. Wir freuen uns darüber sehr. Dies deutet auch auf die sehr intensiven und guten freundschaftlichen Beziehungen mit Russland hin.

Wir haben natürlich über die bilateralen Beziehungen gesprochen und haben miteinander vereinbart, dass wir im Oktober in Kasan die deutsch-russischen Regierungskonsultationen fortsetzen werden.

Die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern entwickelt sich sehr gut; das ist allgemein von beiden Seiten festgestellt worden. Deutschland möchte Russland vor allen Dingen auch im Rahmen der Modernisierung der Industrie unterstützen, während wir natürlich auch sehr enge Beziehungen im Rohstoffbereich haben - das Projekt Nord Stream steht beispielhaft dafür.

Wir haben uns auch über Zivilgesellschaft in Russland und über die Entwicklungen, die es dort gibt, unterhalten. Ich habe von meiner Seite aus deutlich gemacht, dass wir alles Interesse daran haben, dass sich die demokratische Vielfalt in Russland auch weiter entwickeln kann; denn nur so kann meiner Erfahrung nach eine wirklich kräftige Zivilgesellschaft, die die Entwicklung des Landes unterstützt, entstehen.

Wir haben in den Jahren 2012/2013 das Deutschlandjahr in Russland und das Russlandjahr in Deutschland. Deutschland wird sich bei über 1000 Veranstaltungen in über 50 russischen Städten präsentieren, und es wird ein großes gemeinsames Ausstellungsprojekt geben: "Deutsche und Russen - 1000 Jahre Kunst, Kultur und Geschichte". Ich glaube, dass dies ein großer Höhepunkt sein wird; auch unsere Regierungskonsultationen werden sich da einordnen.

Ich will vielleicht noch eine Zahl zu den Wirtschaftsbeziehungen nennen: Das Handelsvolumen hat gegenüber dem Jahre 2010/2011 um 29 Prozent zugenommen. Das zeigt, wie dynamisch sich hier die Beziehungen wirklich entwickeln.

Russland wird im nächsten Jahr wieder die G20-Präsidentschaft innehaben, das heißt, auch im internationalen Bereich werden wir in diesem Rahmen ganz besonders zusammenarbeiten.

Wir haben auch über die Situation im Euroraum gesprochen. Ich habe noch einmal betont, dass die Bundesrepublik Deutschland alles daransetzt, dass der Euro eine stabile Währung ist und dass wir die Krise, die wir im Augenblick bezüglich der Staatsverschuldung und auch der Wettbewerbsfähigkeit haben, schnellstmöglich überwinden.

Im außenpolitischen Bereich haben wir angesichts der schwierigen Situation natürlich über Syrien gesprochen. Das jüngste Massaker in Al-Hula hat uns noch einmal vor Augen geführt, wie schrecklich die Lage für die Menschen und die Menschenrechtslage in Syrien ist. Wir haben beide deutlich gemacht, dass wir auf eine politische Lösung setzen und dass der Annan-Plan ein Ausgangspunkt sein kann, aber dass mit aller Kraft und mit allem Nachdruck gerade auch im UN-Sicherheitsrat daran gearbeitet werden muss, dass dieser Plan auch umgesetzt werden kann und gegebenenfalls ergänzende politische Aktivitäten entfaltet werden müssen. Wir waren uns darüber einig, dass jedes Land - ich habe das für die Bundesrepublik Deutschland gesagt - alles daransetzt zu verhindern, dass es dort zu einem Bürgerkriegt kommt und dass noch mehr Menschen leiden. Das heißt, wir müssen politisch alles daransetzen, hier voranzukommen.

Wir begrüßen, dass die nächsten Iran-Gespräche der E3+3 in Moskau stattfinden und haben uns auch darüber ausgetauscht. Wir sind froh, dass die Transnistrien-Initiative im Sinne des Meseberg-Prozesses auch mit dem Präsidenten Putin weitergeführt werden kann.

Insgesamt waren wir also, gemessen an der Zeit, mit all diesen Themen gut beschäftigt und hatten einen sehr intensiven Austausch. Wir werden uns auf dem G20-Gipfel in Los Cabos wiedersehen und dann im Laufe des Jahres auch weitere Gelegenheiten zum Gespräch haben, um die deutsch-russischen Beziehungen weiterzuentwickeln.

Noch einmal herzlich willkommen!

P Putin: Meine sehr verehrten Damen und Herren, gerade eben ist mein sehr ausführliches Gespräch mit Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Ende gegangen. Wie immer war dieses Gespräch produktiv, offen und freundschaftlich.

Bekräftigt haben wir den gegenseitigen Willen, den intensiven politischen Dialog zu führen, der darauf angelegt ist, die Zusammenarbeit zwischen Russland und Deutschland in allen Bereichen zu verstärken. Ausgetauscht haben wir uns über viele Fragen. Die Frau Bundeskanzlerin hat so gut wie alle Fragen bereits skizziert, etwa die Entwicklung von humanitären Beziehungen und die regionalen Probleme.

Eines der wichtigsten Verhandlungsthemen war die Wirtschafts-Tagesordnung zwischen Russland und Deutschland. In diesem Zusammenhang möchte ich festhalten, dass der gegenseitige Warenumsatz kontinuierlich ansteigt. 2011 lag er auf dem Rekordhoch von 71,9 Milliarden US-Dollar und war damit um ein Drittel höher als der Warenumsatz 2010.

Erfolgreich entwickeln sich auch die Energiekontakte. Gerade eben wurde von der Bundeskanzlerin angesprochen, dass der Bau der Nord-Stream-Pipeline umgesetzt wird. Der erste Strang und der Seeabschnitt des zweiten Stranges sind bereits gelegt worden. Dadurch wird das Gas bereits im vierten Quartal dieses Jahres an die Endabnehmer in Deutschland geliefert. Das wird ohne Zweifel einen Beitrag zur Energiesicherheit in ganz Europa leisten.

Besonderes Augenmerk richteten wir auf die Vorbereitung der 14. Regierungskonsultationen. Gerade eben haben wir uns geeinigt, dass dieses Treffen in Kasan im Herbst dieses Jahres stattfindet.

Natürlich stimme ich mit der Frau Bundeskanzlerin überein, dass die sogenannten Kreuzjahre unter der Schirmherrschaft beider Staatsoberhäupter, also das Russlandjahr in Deutschland und das Deutschlandjahr in Russland, ein wichtiges Ereignis in der bilateralen Tagesordnung darstellen werden. Ich habe die Einladung bereits an Herrn Gauck übermittelt und ich hoffe, dass ich heute die Gelegenheit haben werde, diese Einladung auch persönlich an Herrn Gauck zu übermitteln. Diese Veranstaltungen sollen mit einem Galakonzert im Sommer 2013 in Berlin abgeschlossen werden. In unseren Ländern werden in diesem Rahmen, wie gesagt, Hunderte verschiedenartige Veranstaltungen durchgeführt, die - dessen bin ich mir sicher - sehr leuchtend und positiv für die Deutschen und die Russen sein werden. Eine wichtige Rolle bei der Stärkung der bilateralen Beziehungen wird vom Zivilgesellschaftsforum "Petersburger Dialog" gespielt. Diese Struktur ist zu einem gewaltigen Generator gesellschaftlicher Initiativen geworden.

Gesprochen haben wir auch über die Zusammenarbeit auf internationalem Parkett; auch das hat die Frau Bundeskanzlerin bereits auf den Punkt gebracht. Wir haben über die Probleme gesprochen, mit denen die internationale Staatengemeinschaft in Syrien konfrontiert wird, über die ansteigende Gewalt in diesem Land. Wir haben auch über das iranische Nuklearprogramm gesprochen.

In einigen Tagen soll in Sankt Petersburg der EU-Russland-Gipfel stattfinden. Wir rechnen sehr damit, dass die Bundesrepublik als unser langjähriger und konstruktiver Partner eine konstruktive Rolle bei der Entwicklung der Beziehungen zwischen der russischen Föderation und der Europäischen Union insgesamt spielen wird.

Ich möchte der Frau Bundeskanzlerin für das sehr gute, freundschaftliche und sachgerechte Klima der heutigen Gespräche danken.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Frage: Frau Bundeskanzlerin Merkel, Sie standen in letzter Zeit mehrfach in der Kritik, und zwar in der Hinsicht, dass die Abhängigkeit Deutschlands von russischen Energielieferungen immer weiter zunimmt. Glauben Sie das wirklich? Präsident Putin möchte ich auch bitten, diese Meinung zu kommentieren.

BK'in Merkel: Ich weiß nicht, was ich glaube, ob ich in der Kritik oder in Abhängigkeit stehe. Was die russischen Gaslieferungen anbelangt, so glauben wir, dass Russland ein zuverlässiger Lieferant ist. Wir haben das über Jahrzehnte hinweg erlebt. Es gibt viele deutsche Unternehmen, die langfristige Verträge mit Russland unterzeichnet und beschlossen haben. Das Projekt Nord Stream ist im Übrigen von einem deutsch-russischen Projekt zu einem wirklich deutsch-europäischen Projekt geworden, und immer mehr Partner in Europa haben sich diesem Projekt angeschlossen.

Ich komme gerade von der Diskussion "20 Jahre Ostseerat", bei der wir in Stralsund mit allen Anliegern der Ostsee gesprochen haben. Wenn ich diese Diskussion mit der Situation vor fünf Jahren vergleiche, dann haben sich, glaube ich, viele Vorbehalte auch ein Stück weiterentwickelt. Es ist jetzt ein Projekt, das weniger Kritik oder fast gar keine Kritik mehr bekommt. Europa hat natürlich andere Möglichkeiten, Gas zu bekommen, auch von anderen Ländern wie zum Beispiel von Norwegen. Aber Norwegen ist auch Teil des Ostseerats. Es gab hier eine völlig entspannte Diskussion, und wir setzen auf einen zuverlässigen Lieferanten Russland.

P Putin: Meine Antwort wird absolut depolitisiert sein. Ich möchte an dieser Stelle sagen, dass das Volumen der russischen Gaslieferungen in die Bundesrepublik im Vergleich zu den Vorkrisenjahren nicht zugenommen hat. Die Struktur des deutschen Verbrauchs der primären Energieträger weist kein Wachstum des russischen Anteils auf. Wenn wir das mögliche Wachstum ansprechen, so glauben wir, wegen der zunehmenden Abnahme in der Bundesrepublik sowie in anderen europäischen Staaten zeigen europäische Staaten zunehmendes Interesse daran, sich Nord Stream anzuschließen. Dieses Projekt ist in der Tat international und gesamteuropäisch geworden. Sie wissen, dass Gas über diesen Transitkorridor nicht nur an die Bundesrepublik, sondern auch an andere europäische Staaten geliefert werden soll. Skandinavische Länder und Großbritannien wenden sich bereits an uns. Deshalb glaube ich nicht, dass es hierbei irgendeine einseitige Abhängigkeit gibt. Wenn schon, denn geht es hierbei um eine gegenseitige Abhängigkeit. Ich glaube, das ist ein wichtiges Element, das die Energiesicherheit im gesamteuropäischen Kontext steigert. Ich halte das für sehr richtig.

Heute haben wir uns natürlich mit anderen Projekten auseinandergesetzt, mit South Stream, mit Nabucco. Heute haben wir auch die Zusammenarbeit Russlands und Norwegens besprochen. Ich habe der Frau Bundeskanzlerin davon erzählt, wie wir uns in diesen russisch-norwegischen Projekten vorarbeiten. Hier soll es keine Horrorszenarien geben. Das sind alles Fragen, die im Interesse Russlands und Deutschlands sowie im Interesse der ganzen europäischen Staatengemeinschaft sind.

Frage: Die US-Außenministerin Hillary Clinton hat Russland gestern vorgeworfen, das Regime Assad zu stützen und einen politischen Wandel in Syrien so zu verhindern. Frau Bundeskanzlerin, teilen Sie diese Kritik?

Herr Präsident, halten Sie diese Kritik für gerechtfertigt? Sehen Sie die Möglichkeit, dass sich Russland für den Fall, dass der Annan-Friedensplan scheitert, im UN-Sicherheitsrat unter bestimmten Umständen doch zu Sanktionen gegen Syrien bereit erklären könnte?

BK'in Merkel: Wir haben heute die Situation in Syrien analysiert. Was die Situation gerade auch für die Menschen in Syrien anbelangt, ist die Beurteilung nicht unterschiedlich. Es herrschen dort zurzeit schreckliche Zustände. Ich kann nur sagen: Ich habe den Eindruck, niemand hat ein Interesse an einem Bürgerkrieg, sondern es muss alles dafür gemacht werden, dass ein solcher Bürgerkrieg verhindert wird. Jeder muss versuchen, seinen Beitrag dazu zu leisten. Wir setzen dabei auf eine politische Lösung. Das ist das Thema, über das wir gesprochen haben.

Dann geht es darum, wie man innerhalb der Uno bestimmte weitere Arbeiten durchführen kann, um zu schauen, dass der Annan-Plan sozusagen nicht im Chaos versinkt, und wie man versuchen kann, so darauf einzuwirken, dass sich die politische Lage dort verbessert. Über diese Dinge haben wir sehr ruhig gesprochen, und ich hatte den Eindruck, dass wir in dieser Hinsicht auch aus Gründen der Stabilität der gesamten Region dasselbe Interesse haben, wenngleich es ab und an auch Unterschiede hinsichtlich des Wegs gibt. Aber auf der Basis dieses gemeinsamen Interesses müssen die Arbeiten fortgesetzt werden. Das ist aus meiner Sicht die Botschaft von heute.

P Putin: Diejenigen, die darüber sprechen, dass Russland irgendein Regime unterstützt - in diesem Fall geht es um Präsident Assad - und einseitige Unterstützung leistet, irren sich. Zu Syrien haben wir gute, langjährige Beziehungen. Dennoch unterstützen wir keine der Konfliktparteien, die eine Gefahr eines Bürgerkriegs mit sich bringen. Ich stimme mit der Frau Bundeskanzlerin überein: Unsere gemeinsame Aufgabe liegt darin, dass wir dieses ungünstige Szenario unterbinden sollten. Heute beobachten wir gerade die keimenden Elemente eines Bürgerkriegs, was äußerst gefährlich ist.

Was den Annan-Plan und seine Mission anbelangt, so glaube ich, darf man nicht davon sprechen, dass diese Mission scheitern kann. Man darf dieses schlechte Ende der Mission nicht prognostizieren. Annan ist ein sehr erfahrener Mensch, und ich glaube, wir sollten uns alle darauf konzentrieren, ihn zu unterstützen. Unsere Aufgabe besteht darin, die Gewalt zu unterbinden, von wo sie auch kommt. Die Frau Bundeskanzlerin und ich haben uns geeinigt, alle Möglichkeiten zu nutzen, sowohl in Deutschland als auch in Russland als auch gegenüber all unseren anderen Partnern, um die Eskalation der Gewalt zu verhindern. Wir wollen Herrn Annan helfen, positive Ergebnisse zu erzielen.

Frage: Herr Präsident, vor dem Hintergrund der schwierigen Situation in Europa bleibt die Bundeskanzlerin die einzige kontinuierliche Anhängerin des Stabilitätspaktes, und sie spricht sich gegen Euro-Bonds aus. Andere Staats- und Regierungschefs in Europa vertreten andere Standpunkte, insbesondere der französische Präsident, den Sie heute Abend treffen werden. Meine Frage an Sie: Auf welcher Seite liegen denn Ihre Sympathien in diesem Streit? Was glauben Sie, inwieweit sich die Situation in der Eurozone auf die Situation in Russland auswirken könnte? Würden wir dann nicht unsere Währungsreserven austauschen müssen? Was erwartet die russische Währung denn in dieser Situation?

P Putin: Wissen Sie, Sie bringen mich im Vorfeld meiner Reise nach Paris in eine Bredouille. Wenn es um Sympathie geht, so liegen meine Sympathien auf der Seite des russischen Volkes und auf der Seite des Interesses des russischen Staates. Gemessen an dem, was die Frau Bundeskanzlerin sagt und tut, liegen ihre Sympathien auf der Seite der Interessen des deutschen Volkes und des deutschen Staates.

Was diese Euro-Bonds angeht, so wissen wir noch nicht, was sie genau darstellen. Wir wissen nicht, was in diesem Sinne angeboten wird, von wem sie emittiert werden sollen und zu welchen Bedingungen sie herausgebracht werden sollen. Ich könnte mir vorstellen, dass derartige Instrumente genutzt werden könnten, doch erst, nachdem die Stabilität und die Ordnung in der Wirtschaft vollständig garantiert worden sind. Diese Frage haben wir nicht ausführlich besprochen, aber gemessen an dem, was Deutschland bisher geleistet hat, gehe ich davon aus, dass die deutsche Führung nicht möchte, dass es zu weiteren und neuen Problemen in der Eurozone kommt.

Wir können zu Recht sagen, dass die Interessen Deutschlands und Russlands vollständig zusammenfallen und übereinstimmen. Wir wollen ein intaktes Funktionieren unserer Wirtschaften gewährleisten. Wir haben auch ein Interesse daran, dass die europäische Wirtschaft intakt funktioniert. 40 Prozent unserer Reserven - es sind weltweit die Drittgrößten - werden in Euro gehalten. Ein Großteil davon - das habe ich Frau Bundeskanzlerin heute gesagt - liegt in den deutschen Staatsanleihen. Sie sind zwar nicht so lukrativ, aber sie sind sehr stabil.

Was die Euro-Bonds anbelangt, so weiß ich nicht, was das genau ist. Aber ich weiß, dass sie von jemandem emittiert und dann von jemandem gekauft werden müssen. Wenn Deutschland dahinter stehen würde, dann würden sie auch gekauft.

Von hier aus wird man die Schulden der Staaten finanzieren, die in eine schwierige Situation geraten sind. Wenn diese Länder ihren Verpflichtungen nicht nachkommen werden, wer wird dann für diese Staatsanleihen aufkommen? Anscheinend wird das Deutschland sein. Aber das ist nicht meine Frage. Das ist eine Frage der politischen Wahl, der französischen und der deutschen Führung und der Europäischen Union insgesamt.

Das wirkt sich natürlich auf die russische Wirtschaft aus. Über 50 Prozent des Warenumsatzes entfallen auf die europäischen Staaten. Natürlich haben wir ein großes Interesse daran, dass die Eurozone so schnell wie möglich stabilisiert wird. Da stimmen unsere Interessen völlig mit denen von Deutschland und Frankreich überein. Welche Instrumente dafür genutzt werden, bleibt unseren europäischen Kolleginnen und Kollegen vorbehalten. Dennoch gehen wir davon aus, dass ein optimaler Lösungsweg gefunden wird.

BK'in Merkel: Lassen Sie mich ein paar Fakten zur Bewertung hinzufügen: Sie wissen vielleicht, dass von den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union 25 den neuen Fiskalpakt unterschrieben und immerhin schon 5 Länder den Fiskalpakt ratifiziert haben. Gerade gestern waren es die zwei Länder Dänemark und Lettland. Wir warten jetzt auf das Ergebnis des irischen Referendums. Also es ist nicht so, dass in Europa nicht völlig klar wäre, dass Wachstum der Wirtschaft und solide Finanzen sozusagen zwei Seiten einer Medaille sind oder zusammengehören. Das sieht man im Übrigen auch an Russland und der Politik, die dort betrieben wird.

Zweitens darf ich Sie darauf hinweisen, dass es in einem Land wie Deutschland, das jetzt schon mehr als 60 Jahre ein föderales Land ist, keine Deutschland-Bonds gibt. Es gibt die Emissionen der föderalen Ebene, und es gibt die Emissionen der Länderebene. Man hat noch nicht einmal diese Emissionen zusammengefügt. Es gibt in den Vereinigten Staaten von Amerika keine Amerika-Bonds. Es ist ein sehr stabiles Gebilde. Aber trotzdem haben die einzelnen Staaten ihre eigenen Emissionen, und die föderale Ebene hat auch ihre eigenen Emissionen.

Wenn wir über Euro-Bonds sprechen, dann sage ich nur: In einem Land wie der Bundesrepublik Deutschland gibt es keine Deutschland-Bonds. Das wird manchmal diskutiert, weil die Länder, die eine hohe Verschuldung haben, zusammen mit dem Bund gern etwas emittieren würden. Aber es geht vor allen Dingen darum, dass wir gemeinsam Europa so gestalten, dass in Zukunft die ganzen Verletzungen der Stabilitätsregeln nicht wieder passieren können und wir ordentliche Reformen machen - Reformen, die die Wettbewerbsfähigkeit Europas verbessern. Wir können unsere Waren international nur verkaufen - das gilt für jedes Land -, wenn wir wettbewerbsfähig produzieren können. Das erlebt Russland; das erlebt jedes Land in Europa, und da müssen wir besser werden. Daran arbeiten wir.

Frage: Herr Präsident Putin, ich habe vorhin vielleicht nicht verstanden, was Sie in Sachen Syrien unternehmen wollen, Sie als Weltmacht. Wie wollen Sie Ihren Einfluss geltend machen, um die Situation dort zu verbessern? Amnesty International fordert zum Beispiel ein Waffenembargo, seitens Russland im Besonderen. Können Sie uns ein bisschen konkreter sagen, wie Sie Ihre Haltung zu verändern gedenken, sodass es vielleicht nicht wieder zu Massakern kommt?

An Sie, Frau Bundeskanzlerin - ich bitte um Verzeihung -, noch einmal die Frage nach Schlecker, wenn ich darf. Das soll heute abgewickelt werden. Vielleicht können Sie dazu noch zwei Worte sagen, ob es da Rettungsbestrebungen gibt.

P Putin: Apropos mögliche Instrumente, die wir bei der Lösung des Syrien-Problems einsetzen könnten: Wir wollen keine Instrumente im Alleingang einsetzen. Natürlich werden wir einen Dialog mit unseren Partnern führen, vor allen Dingen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit der Bundesrepublik und anderen Staaten, die ein Interesse an der Lösung des Konflikts haben.

In Kontakt mit Präsident Assad und der syrischen Führung werden wir bleiben. Wir bleiben in Kontakt mit regionalen Mächten, mit den arabischen Staaten, die in diesem Konflikt auf der einen oder anderen Seite einbezogen werden, und wir werden alles daran setzen, um diesen Konflikt zu lösen und auf politische Instrumente umzusteigen. Genau das haben wir heute in unserem Gespräch erörtert, ob eine politische Lösung gefunden werden kann.

Im Großen und Ganzen, glaube ich, ist das möglich. Das verlangt einen gewissen Professionalismus und Geduld. Man darf nichts mit Gewalt erwirken und Lösungen von jetzt auf gleich erzielen. Im Konflikt sind sehr viele Interessen eingebunden. Man muss den Punkt finden, wo diese Interessen übereinstimmen und alle Parteien an einen Tisch bringen.

Was die Waffenlieferungen anbelangt, so liefert Russland keine Waffen, die in einem Bürgerkonflikt zum Einsatz kommen könnten.

BK'in Merkel: Was Ihre Frage anbelangt, so müssen wir die Entscheidung zur Kenntnis nehmen, die die Gläubiger gefällt haben. Wir werden über die Bundesagentur für Arbeit und natürlich vor allen Dingen über die regionalen Arbeitsämter alles daran setzen, dass die Beschäftigten die Chance bekommen, schnell wieder eine Arbeit zu bekommen. Ich glaube, es geht jetzt vor allen Dingen um die Menschen - insbesondere sind es Frauen -, die darauf hoffen, wieder eine Arbeit zu bekommen. Da ist im Augenblick sicherlich vieles möglich, und darum wird sich die Bundesarbeitsministerin in Absprache mit der Arbeitsagentur kundig machen und alles versuchen, um hier Hilfe zu leisten.

*

Quelle:
Mitschrift der Pressekonferenz vom 1. Juni 2012
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2012/06/2012-06-01-merkel-putin.html?nn=391778
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Dorotheenstr. 84, 10117 Berlin
Telefon: 030 18 272-0, Fax: 030 18 10 272-0
E-Mail: internetpost@bpa.bund.de
Internet: www.bundesregierung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juni 2012