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PRESSEKONFERENZ/593: Kanzlerin Merkel und der italienische Ministerpräsident Letta, 30.04.2013 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Mitschrift Pressekonferenz in Berlin - Dienstag, 30. April 2013
Pressestatements von Bundeskanzlerin Merkel und dem italienischen Ministerpräsidenten Letta

(Hinweis: Die Ausschrift des fremsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)



Bundeskanzlerin Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, heute Abend den neuen Ministerpräsidenten Italiens, Herrn Enrico Letta, bei uns zu seinem Antrittsbesuch in Berlin empfangen zu können. Ich heiße ihn ganz, ganz herzlich willkommen! Ich gratuliere zu den gewonnenen Abstimmungen und freue mich, dass Ihr Weg Sie gleich nach Berlin geführt hat.

Die Freude ist nicht nur darauf begründet, dass wir uns persönlich kennenlernen - das allein ist natürlich schon Grund zur Freude, sondern auch weil dies zeigt, dass aus deutscher Sicht die deutsch-italienischen Beziehungen bilateral, aber auch für Europa von außerordentlicher Wichtigkeit sind. Ich sage von meiner Seite, dass ich mich auf eine freundschaftliche, auf eine gute und auf eine intensive Zusammenarbeit freue und dies in einer Zeit, in der wir in Europa eine Vielzahl von Aufgaben zu erledigen haben.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, auch noch einmal danke schön für die Zusammenarbeit mit Mario Monti zu sagen und meine große Hochachtung gegenüber dem Präsidenten Italiens, Herrn Napolitano, auszudrücken, der das Land durch eine schwierige Phase geführt hat. Wir haben das von Deutschland aus mit großem Engagement beobachtet und freuen uns, dass es jetzt zu einer solchen Regierungsbildung gekommen ist. Ich sage deshalb auch als Chefin der Bundesregierung: Alle unsere Minister werden gerne mit der neuen italienischen Regierung so zusammenarbeiten, wie wir das heute auch schon beginnen.

Wenn ich sage, dass wir in Europa in einer schwierigen Situation sind, dann sage ich dies aus dem Bewusstsein heraus, dass wir Europa stärker aus der jetzigen Krise herausbringen wollen als Europa in diese Krise hineingegangen ist. Dazu gehört, dass jedes Land seine eigenen Aufgaben erledigen muss. Italien ist hier schon einen beträchtlichen Weg gegangen. Der Ministerpräsident hat gestern in seiner Antrittsansprache im Parlament auch deutlich gemacht, wie die weiteren Schritte aussehen werden.

Wenn ich dies sage, so sage ich dies im Blick auf die europäischen Institutionen, auf die Weiterentwicklung der Europäischen Union. Auch hier haben wir in den letzten Jahren einiges geschafft vom Fiskalpakt als Element der Konsolidierung hin zum ESM als ein Element der Solidarität. Wir arbeiten an einer gemeinsamen Bankenaufsicht. Wir sind von deutscher Seite überzeugt, dass wir eine engere wirtschaftspolitische Koordinierung brauchen und dass wir auch unsere politischen Institutionen in Europa stärken müssen.

In der augenblicklichen Lage ist für uns vor allen Dingen wichtig, dass wir wieder Vertrauen in das europäische Agieren herstellen und jeder Zuhause bei sich Vertrauen herstellt. Für uns in Deutschland sind Haushaltkonsolidierung und Wachstum zwei Elemente, die nicht gegeneinander stehen, sondern die sich miteinander entwickeln müssen und die insgesamt zu mehr Wettbewerbsfähigkeit und damit auch zu mehr Arbeitsplätzen führen. Wir haben mit unserem Vorschlag für die mittelfristige finanzielle Vorausschau, der jetzt im Parlament beraten wird, auch deutlich gemacht, dass das Thema der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit ein zentrales Thema ist. Dazu müssen wir in unseren Ländern dazu kommen, dass viel investiert wird, dass Unternehmen frei atmen können, dass die Bereitschaft, Menschen Arbeit zu verschaffen, wieder zunimmt. Dazu muss sicherlich in allen Ländern und auch in Europa insgesamt Bürokratie abgebaut werden und müssen private Investitionen wieder vorangehen. Natürlich muss der Staat auch die jeweiligen Rahmen bedingungen dafür setzen.

Wir glauben, dass wir mit der neuen italienischen Regierung eine gute und intensive Zusammenarbeit haben werden. Ich freue mich auf diese Zusammenarbeit. Ich sage Ihnen auch in der nicht ganz einfachen Situation, in der Sie Premierminister geworden sind - Sie haben sich ja nicht monatelang darauf vorbereitet, sondern es ist eine neue Situation - , dass ich Ihnen eine wirklich glückliche Hand zum Wohle Italiens, zum Wohle unserer bilateralen Beziehungen, aber auch zum Wohle Europas wünsche.

Ministerpräsident Letta: Zuerst einmal mein ganz herzlicher Dank an die Frau Bundeskanzlerin für diese Gelegenheit und für die so warmherzigen und freundlichen Worte, die sie mir gewidmet hat und die ich wirklich sehr gerne annehme!

Heute Vormittag haben wir auch die letzte Vertrauensfrage seitens der zweiten Parlamentskammer nach einer intensiven Aussprache mit überwältigender Mehrheit gewonnen, und das, nachdem wir in Italien zwei Monate lang praktisch keine Regierung hatten und es mit einer sehr mühsamen politischen Krise zu tun hatten. Ich glaube, wir gehen aus dieser Krise gestärkt hervor - vor allen Dingen mit einer festen Verpflichtung, einem festen Engagement, weiterhin auf der Straße der Haushaltssanierung und der Straße des In-Ordnung-Bringens der öffentlichen Finanzen voranzuschreiten. Wir haben in all diesen Monaten angesichts der Verpflichtungen, die jedes Land gegenüber der EU eingegangen ist, immer gesagt: Wir haben unseren Teil gemacht.

Die neue italienische Regierung ist ja, wie unser Staatsoberhaupt, Herr Napolitano, gesagt hat, eine politische Regierung. Es handelt sich dabei um eine Regierung, die wirklich ihre ganze politische Stärke - die sie dank des Parlaments ja hat - nutzen will, um sich vor allen Dingen in zwei Richtungen zu bewegen: Erstens wollen wir - das ist die Richtung, von der ich gestern Abend und heute Vormittag vor unseren beiden Parlamentskammern gesprochen habe - das Vertrauen in die Politik und in die Institutionen, das die italienischen Bürgerinnen und Bürger ja verloren haben, wieder herstellen. Zweitens wollen wir denjenigen Italienern, die ihre Beschäftigung verloren haben und die größte wirtschaftliche und finanzielle Schwierigkeiten haben - vor allen Dingen den Unternehmerinnen und Unternehmern - das Vertrauen wiedergeben.

All das zusammen hat einen einzigen Gesamtkontext und einen einzigen Rahmen: Auf die Krise, die wir nun seit fünf Jahren durchmachen, haben wir bis jetzt noch nicht ausreichende Lösungen gefunden, weil es nicht genug Europa gegeben hat. Es hat nicht genug Europa gegeben! Genau das ist die stärkste Verpflichtung meiner Regierung überhaupt. Das wollen wir im höchsten Einverständnis, im höchsten Einvernehmen mit der deutschen Bundesregierung erreichen. Europa hat immer dann großartige Leistungen und Ergebnisse gezeitigt, wenn Deutschland und Italien gemeinsam voranschritten - Seite an Seite. Dadurch waren große Erfolge möglich. Das wird das Hauptziel der Regierung sein, der vorzustehen ich die Ehre habe.

Ich habe der Bundeskanzlerin die Charakteristik meiner Regierung erläutert und auch dargelegt, dass es eine Regierung sein wird, die eine starke europäische Ausrichtung hat. Das heißt, dass Italien in den Jahren 2013 und 2014 - ein Jahr, in dem wir die Präsidentschaft in der EU haben werden - dafür Sorge tragen will, dass Europa auch seitens Italiens die Ziele erreicht, die es sich gesetzt hat: Bankenunion, Wirtschaftsunion, Fiskalunion und politische Union. Das sind ja die vier Grundsäulen, die für uns die Hauptverpflichtung, die Hauptaufgabe darstellen. Dafür wollen wir arbeiten. Nur, wenn wir diese vier Ziele erreichen werden, können wir Antworten auf unsere hausgemachten Probleme finden; ansonsten wird alles noch viel schwieriger werden.

Wir haben dabei absolut nicht die Absicht, den deutschen Bürgerinnen und Bürgern zu sagen, was sie zu tun haben, so wie die Deutschen auch nicht die umgekehrte Absicht haben, uns zu sagen, was wir zu tun haben. Wir müssen alle gemeinsam als europäische Bürgerinnen und Bürger mehr Europa schaffen. Denn nur als Europa sind wir fähig, Antworten auf Probleme in einer so globalisierten Welt zu finden, in der sich neue Mächte herauskristallisieren, die uns ganz klar vor eine Tatsache stellen: Entweder wir bilden eine kritische Masse oder wir werden nicht überleben. Das ist die starke Botschaft, die ich von hier ausgeben möchte.

Wir werden noch weitere Begegnungen haben. Wir haben übrigens anschließend noch ein Abendessen. Da werde ich die Frau Bundeskanzlerin um Rat fragen, wie man denn eine Große Koalition führt. Anschließend werde ich Ihnen dann berichten, welche Ratschläge sie mir gegeben hat.

BK'in Merkel: Es gibt heute keine zweite Pressekonferenz!

Frage: Eine Frage an die Frau Bundeskanzlerin: Fühlen Sie sich nach den jüngsten Erklärungen des EU-Kommissionspräsidenten Barroso, von Kommissar Olli Rehn und von François Hollande, aber auch seitens der französischen Sozialisten, die fordern, Spanien einen längeren Zeitraum einzuräumen, in Europa nicht etwas isoliert, was Ihre strenge Haushaltslinie angeht?

Eine Frage an Ministerpräsident Letta: Wenn man in Europa neu verhandeln will, will man dann auch wirklich neu über den Fiskalpakt verhandeln? Denn ab 2015 wird es ja ein Damoklesschwert auf die italienische Volkswirtschaft geben, weil die Schulden dann wirklich massiv zurückgeführt werden müssen.

BK'in Merkel: Erstens möchte ich in Anwesenheit des italienischen Ministerpräsidenten noch einmal sagen, dass ich mich mit ihm zusammen sehr wohl fühle.

Zweitens haben wir, wann immer es darauf ankam, in Europa gute gemeinsame Beschlüsse gefasst. Ich gehe davon aus, dass das auch weiter so passieren wird.

Wenn wir uns noch einmal an den Beginn der Krise erinnern, da gab es Elemente, die Griechenland, Portugal und Irland, aber auch andere Länder betroffen haben, dann wissen wir: Wenn wir nicht ein klares Bekenntnis zu soliden Haushalten abgegeben hätten, wären wir heute nicht einmal da, wo wir jetzt sind. Es war eine unbedingte, notwendige Voraussetzung, dass wir den Fiskalpakt vereinbart haben, über den der Ministerpräsident eben ja auch gesprochen hat. Das ist eine Botschaft des Vertrauens.

Natürlich ist Fiskalpolitik nicht alles. Vielmehr machen wir Politik für Menschen. Die Menschen wollen Arbeit haben. Deshalb muss Europa es genauso schaffen, Beschäftigung zu kreieren und Anreize für Investitionen zu schaffen. Auf diesem Gebiet haben wir noch viel Arbeit vor uns. In diesen Bereich fallen Strukturreformen - Strukturreformen, die dringend notwendig sind, um Wettbewerbsfähigkeit wiederzuerlangen. Darüber sprechen wir gerade auch in diesen Zeiten mit unseren europäischen Kollegen. Herman Van Rompuy hat dazu eine Gruppe eingesetzt, und wir wollen dazu im Juni Vorschläge vorlegen. Jeder, der in seinem Lande arbeitet, macht solche Strukturreformen. Dadurch ist Europa auch stärker geworden. Wir brauchen des Weiteren die Arbeit an der Bankenaufsicht, die von ganz wesentlicher Bedeutung ist, um wieder Vertrauen hinzuzugewinnen.

Ich glaube, dass Haushaltskonsolidierung - die jetzt interessanterweise mit dem ansonsten in Deutschland gar nicht gebrauchten Wort der Austerität bezeichnet wird; dieses Wort haben wir in Deutschland vor der Krise gar nicht gekannt - und Wachstum keine Gegensätze sein dürfen. Der Präsident der Europäischen Zentralbank hat uns beim letzten Rat gesagt, dass es, damit die Wirtschaft finanziert werden kann, auch dringend notwendig ist, dass Defizite verringert werden. Insofern muss das Hand in Hand gehen.

Das Ziel sind im Übrigen nicht bestimmte Defizit- oder Wachstumszahlen, sondern das Ziel ist, dass Menschen wieder Beschäftigung haben, dass Unternehmen sich entfalten können, dass wir innovativ sind und dass wir Produkte auch außerhalb Europas verkaufen können. Das muss unser Ziel sein. Angesichts dessen, dass 90 Prozent des Wachstums der Welt außerhalb Europas stattfinden und dass andere Länder sich auch entwickeln und Wettbewerber werden - so wie es eben gesagt wurde - müssen wir ein Kontinent sein, der vorne mit dabei ist. Unsere Stärke sind die 500 Millionen Menschen, die zusammenhalten, die sich im Übrigen über Manches streiten, die sich aber nie darüber streiten, ob sie Demokratie wollen, ob sie Meinungsfreiheit wollen, ob sie Religionsfreiheit wollen, ob sie Reisefreiheit wollen, ob sie Pressefreiheit wollen. Das ist unsere Stärke, und die müssen wir wieder zur Geltung bringen. Deshalb werden wir dafür auch gemeinsame Lösungen finden.

MP Letta: Wir wollen kein Europa, dass es allen, die Schulden machen wollen, auch erlaubt - das wollen wir nicht. Wir wollen ein Europa, das neben der Entschlossenheit, mit der es die Regeln für die geringere Verschuldung eingeführt hat, die gleiche Entschlossenheit in Bezug auf Wachstum zeigt. Das ist das, was wir wollen. Das ist das Grundthema. Wir wollen hier nichts gegeneinander ausspielen. Wir haben bis jetzt das Erforderliche getan. Wir werden in Zukunft auch weiterhin das tun, was erforderlich ist, um unsere Finanzen in Ordnung zu bringen und zu erhalten.

Aber wir sind der Auffassung, dass Europa auch Wachstumspolitik betreiben muss. Deswegen ist ganz klar, dass die Entscheidungen des Europäischen Rates vom Juni letzten Jahres umgesetzt werden, und zwar vor allen Dingen, was das Wachstumspaket angeht. Wir wollen insgesamt zusammen mit unseren europäischen Partnern - zuerst mit Deutschland - über weitere Möglichkeiten diskutieren, die uns in die Lage versetzen, eine positive Wachstumspolitik europaweit durchzusetzen, und zwar natürlich absolut in dem gesetzten Rahmen der vier Grundsäulen, von denen ich vorhin gesprochen habe: Bankenunion - das ist bereits eine beschlossene Sache, und deswegen dürfen wir jetzt keine Zeit vergeuden und müssen sie umsetzen - ,Wirtschaftsunion, Fiskalunion und Politische Union. Das ist unsere Verpflichtung, unsere Aufgabe. Hier fühlen wir uns gefordert.

Das werde ich morgen Abend in Paris, dann in Brüssel und anschließend in Madrid auch genauso sagen. Ich werde genau das Gleiche sagen. Auch in diesen Hauptstädten werde ich die Grundlinien der künftigen italienischen Regierungspolitik darlegen. Auch dort werde ich mit denselben Worten die Verpflichtungen Italiens für die nahe Zukunft auf europäischer Ebene beschreiben. Das heißt, es muss auch europäische Institutionen geben, die zu Akteuren für das Wirtschaftswachstum werden. Ein Wirtschaftswachstum, das unbedingt erforderlich ist, damit unsere Bürger Europa nicht als etwas Negatives, sondern als etwas Positives sehen. Das ist der Sinn der Sache. Das liegt uns auch zuvorderst am Herzen. Wenn Sie gestern meine Rede vor dem Abgeordnetenhaus gehört haben, ist das wirklich mein Hauptaugenmerk.

Frage: Herr Ministerpräsident, in Ihrer Rede haben Sie ja gesagt, dass einseitige Sparprogramme Italien töten. So ein drastischer Satz hat ja seinen Grund und seinen Kontext. Wenn Sie den noch einmal erläutern könnten.

Frau Bundeskanzlerin, werten Sie so einen Satz nicht doch als Kritik am bisherigen Kurs und als gewisse Abkehr von dem bisherigen Kurs?

MP Letta: Nein, nein. Da geht es um etwas ganz Einfaches; ich habe es vor ein paar Minuten bereits gesagt. Wenn Europa unsere Dimension, unser Kontext ist, unsere Route, unseren Kurs bestimmt, dann haben wir den Eindruck, dass Europa sich wirklich verpflichten muss, auf der Straße der Haushaltsanierung und der strengen Haushaltspolitik zu gehen - aber nicht nur auf dieser Straße. Es geht darum, dass man genauso viel Verve darauf verwendet, was Wachstum und Wachstumsimpulse angeht. Das war der Sinn meiner gestrigen Rede. Das war die Forderung, dass Europa nicht nur als Politik der Austerität gesehen wird. Das sollte eigentlich die politische Botschaft gewesen sein, die ich auch hier vermitteln will.

Wenn Europa nur als Politik der Austerität gesehen wird - das ist in Italien bereits geschehen, aber es wird in Zukunft vielleicht auch anderswo der Fall sein - wird es zu Bewegungen kommen, die anti-europäisch sind. Es wird zu Anti-Europa-Bewegungen kommen, wenn Europa nur unter diesem Blickwinkel gesehen wird. Wenn Europa aber wirklich in der Lage ist, sozusagen Garantie für eine sichere und schuldenfreie Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder zu sein - das ist für einen Familienvater eigentlich das Wichtigste - ,wenn wir die Sicherheit geben, unseren Kindern und Kindeskindern Beschäftigung zu geben, wenn wir ihnen den Eindruck vermitteln, dass wir uns wirklich für Wachstum anstrengen, dann verstehen sie den Sinn meiner gestrigen Worte. Es geht wirklich um eine enorme Anstrengung, die wir aber unternehmen wollen.

Ich glaube, wir haben hier eine optimale Grundlage mit den Beschlüssen des Europäischen Rates vom letzten Sommer, wo es um das Wachstumspaket ging. Die Botschaft der italienischen Wählerschaft an uns, die vor allen Dingen eine Botschaft ist, die nicht unterbewertet werden darf, war ja folgende: Wenn die Italiener und Italienerinnen so gewählt haben und wenn es eine Tendenz gibt, nach Europa als etwas zu schauen, was immer nur negative Nachrichten mit sich bringt - das hat ja die italienische Wählerschaft teilweise dazu gebracht, so wie bei den letzten Wahlen abzustimmen - ,dann müssen wir wirklich die Aufforderungen auch so verstehen, dass Europa in Zukunft wirklich wieder als etwas Positives dargestellt wird, als etwas, was Positives produziert: zum Beispiel globale Wettbewerbsfähigkeit. Das habe ich gestern gesagt und das denke ich auch heute noch.

BK'in Merkel: Ich glaube, wir müssen uns doch davon befreien - ich sage es gerne noch einmal - ,dass solide Finanzen und Wachstum in irgendeiner Weise Gegensätze sind. Wachstum erlaubt es, solide Finanzen zu schaffen, und zwar sehr viel einfacher. Solide Finanzen sind auch die Voraussetzung für Wachstum. Deshalb müssen wir die Dinge zusammen denken. Wir haben uns für einen Fiskalpakt entschieden. Der Ministerpräsident sagt genauso wie ich, dass wir zu diesem Fiskalpakt stehen. Aber gleichzeitig brauchen wir natürlich auch Wachstum. Wir haben uns auch für einen Wachstumspakt entschieden.

Ich glaube, da können wir an vielen Stellen noch besser werden. Wir haben das Kapital der Europäischen Investitionsbank aufgestockt. Es ist vielleicht noch nicht überall dort angekommen, wo es jetzt vielleicht wichtig wäre, auch der Wirtschaft eine vernünftige Kreditversorgung zu geben. Wichtig ist für mich, dass wir Wachstum nicht nur als etwas verstehen, wofür wir Staatsgelder ausgeben, sondern Wachstum ist etwas, wo die Wirtschaft - die mittelständischen, die großen Unternehmen - sich sozusagen Zuhause fühlen, um zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Dazu brauchen wir Strukturreformen, dazu brauchen wir zum Teil weniger Bürokratie. Das kann auf der Brüsseler Ebene sein, das kann bei uns Zuhause sein. Dazu brauchen wir gut ausgebildete Jugendliche, dazu brauchen wir vernünftige Schulen, dazu brauchen wir vernünftige Universitäten, dazu brauchen wir gute Forschung in Europa. Wir haben uns vor vielen Jahren verpflichtet, dass jeder drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Innovation ausgibt. Wir haben das oft nicht getan und sind deshalb in vielen Fällen auch zurückgefallen.

Das alles muss sozusagen wieder in Ordnung gebracht werden. Das sind keine Gegensätze, sondern das ist der gemeinsame Wunsch. Da fühle ich mich sehr ermutigt, dass wir diesen Weg gemeinsam fortsetzen werden.

Frage: Herr Ministerpräsident, werden Sie heute beim Abendessen der Bundeskanzlerin erklären, woher Sie angesichts der teilweisen Aussetzung und Abschaffung der Immobiliensteuer in Italien das Geld eigentlich hernehmen wollen? Da hat sich ja eine Lücke aufgetan. Es gibt seitens Italiens ja auch entsprechende haushälterische Zusagen für 2013 gegenüber der EU.

Frau Bundeskanzlerin, wie sehen Sie denn die Rückkehr von Silvio Berlusconi in die italienische Regierung? Was ihn betrifft, waren sie ja nicht besonders zartbesaitet.

MP Letta: Ich bestätige noch einmal, was ich gestern gesagt habe: Wir werden sämtliche Verpflichtungen absolut einhalten und wir werden die entsprechenden Mittel zur Gegenfinanzierung dieser teilweisen Abschaffung der Immobiliensteuer finden. Wenn ich hier sage, dass wir unsere Verpflichtungen honorieren, muss ich hier nicht gleichzeitig die nationalen politischen Entscheidungen begründen - die habe ich vielmehr in Italien zu begründen.

BK'in Merkel: Es gibt jetzt eine Regierung in Italien, die einer Großen Koalition entspricht. Ich glaube, das ist eine gute Botschaft. Ich glaube auch, dass alle, die direkt oder indirekt an dieser Regierung beteiligt sind, um ihre Verantwortung wissen. Insofern habe ich gar keinen Zweifel daran, dass sich eine gute Zusammenarbeit mit allen Teilen dieser Regierung ergeben wird.

Frage: Herr Premierminister, aus Deutschland gab es ja große Erwartungen an Ihre Wahl, verbunden mit einem deutlichen Aufatmen, dass es jetzt zu dieser Koalition gekommen ist. Deswegen darf man, glaube ich fragen: Was sind Ihre Erwartungen an die Wahl in Deutschland im September? Glauben Sie, dass das auch eine Abstimmung über die Europapolitik wird?

MP Letta: Ich glaube, dass ich von den italienischen Problemen so überwältigt bin, dass ich Ihnen darauf keine Antwort geben kann. Ich denke auf jeden Fall, dass Deutschland seine Probleme lösen wird - und zwar selbst lösen wird.

BK'in Merkel: Das denke ich auch.

Damit wir gut weiterdiskutieren können und unsere Partnerschaft ausbauen können, ziehen wir uns jetzt zurück. Danke schön, dass Sie alle dabei waren!

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Quelle:
Mitschrift der Pressekonferenz vom 30. April 2013
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2013/04/2013-04-30-merkel-letta.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Mai 2013