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PRESSEKONFERENZ/819: Bundeskanzlerin Merkel und Nato-Generalsekretär Rasmussen, 02.07.2014 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz in Berlin - Mittwoch, 2. Juli 2014
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem Nato-Generalsekretär Rasmussen am 2. Juli 2014

Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)



BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, ich möchte ganz herzlich den Generalsekretär der Nato, Anders Fogh Rasmussen, begrüßen. Er hat heute Berlin besucht, ganz speziell, um natürlich über die aktuelle Lage zu sprechen, aber auch, um den Nato-Gipfel in Cardiff vorzubereiten, der ja im September stattfinden wird.

Wir haben sehr intensive Gespräche geführt, zum einen über die Situation der Nato und natürlich auch über die Beiträge der nationalen Mitgliedstaaten zu den Fähigkeiten der Nato. Wir als Bundesrepublik Deutschland wollen unseren Beitrag leisten. Wir sagen, dass ganz besonders wichtig ist - das hat die Nato ausgearbeitet -, in welchen Bereichen es Lücken bezüglich der Fähigkeiten gibt, die aufgefüllt werden müssen. Deutschland versucht auch gerade bei der Modernisierung seiner Bundeswehr den Beitrag so zu leisten, dass damit entweder Lücken der Nato geschlossen oder Fähigkeiten der Nato verbessert werden können. Wir haben noch einmal über das Konzept von "Smart Defense" und in diesem Rahmen auch über die Möglichkeit einzelner Nationen gesprochen, mit anderen sehr eng zusammen zu arbeiten, wie wir es zum Beispiel in Afghanistan auch bereits tun.

Wir haben natürlich darüber gesprochen, dass dieser Nato-Gipfel jetzt in einer allgemeinen Situation stattfinden wird, in der wir doch auch erhebliche Konfliktsituationen mit Russland zu verzeichnen haben. Die Annexion der Krim und auch die jetzigen Vorgänge in der Ukraine ergeben ein durchaus schwieriges Umfeld, was sich auch darin äußert, dass die Kooperationen zwischen der Nato und Russland eingeschränkt beziehungsweise im Augenblick ausgesetzt sind. Wir waren hier schon weiter. Ich sage noch einmal: Ich bedauere das, denn wir haben als Nato-Mitgliedstaaten immer einen sehr konstruktiven Ansatz gegenüber Russland gezeigt, haben uns für eine Zusammenarbeit offen erklärt, und wir würden eines Tages auch gerne zu dieser Möglichkeit zurückkehren.

Wir haben natürlich darüber gesprochen, dass sich einige unserer Nato-Mitgliedstaaten durch die Vorgänge in der Ukraine und durch die Verletzung der territorialen Integrität bedroht oder auch unsicher fühlen. Das betrifft natürlich vor allen Dingen die baltischen Staaten, aber auch Polen. Wir haben darüber gesprochen, wie wir hier Sicherheiten geben können. Der Artikel 5 - das haben wir immer wieder betont, und ich betone es auch hier - gilt nämlich für alle Mitgliedstaaten der Nato. Wir stehen gegenseitig für unsere Sicherheit ein. Deutschland leistet ja zum Beispiel schon einen Beitrag zum Air Policing, also zur Luftraumüberwachung, und wir werden auch darüber sprechen, wie wir weitere Beiträge leisten können, um die Sicherheit unserer Mitgliedstaaten als Bündnis zu verbessern.

Die Situation in der Ukraine besorgt uns alle sehr. Es ist sehr bedauerlich, dass während des zehntägigen einseitigen Waffenstillstands, der durch den ukrainischen Präsidenten ausgerufen wurde - besser gesagt, die Waffenruhe, die durch den Präsidenten ausgerufen wurde -, keine signifikanten Reaktionen auf den Friedensplan erfolgt sind und eine solche Waffenruhe vonseiten der Separatisten bis jetzt nicht akzeptiert worden ist. Wir werden nicht nachlassen - der Bundesaußenminister wird dazu heute den russischen und den ukrainischen Außenminister empfangen -, diplomatische Lösungen für den Konflikt zu suchen, aber wir sind noch längst nicht dort, wo wir gerne sein würden.

Last but not least haben wir natürlich über Afghanistan gesprochen. Ich habe noch einmal deutlich gemacht, dass die Bundesrepublik weiterhin Verantwortung zeigen möchte. Wir brauchen jetzt ein Ergebnis der Präsidentschaftswahlen, werden dann hoffentlich auch ein Sicherheitsabkommen unterzeichnen und daran dann auch unser weiteres Engagement orientieren.

Danke für den Besuch! Danke für die Zusammenarbeit und herzlich willkommen!

GS RASMUSSEN: Frau Bundeskanzlerin, es ist eine sehr schöne Sache, dass ich wieder in Berlin sein kann. Wir haben ein hervorragendes Treffen gehabt. Wir haben uns über sehr viele Themen unterhalten. Wir bereiten ja den Gipfel in Wales im September vor.

Ich darf Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, an dieser Stelle für die entscheidende Rolle danken, die Deutschland in unserem Bündnis spielt und auch weiterhin spielen wird. Ich bin Ihnen, den Deutschen, sehr dankbar dafür, dass Sie in Afghanistan wie auch im Kosovo eine führende Rolle übernommen haben. Sie haben eindeutig gezeigt, dass Sie sich den anderen Mitgliedern im Bündnis verpflichtet fühlen, was die Aufrechterhaltung unserer gemeinsamen Sicherheit vor allen Dingen auch vor dem Hintergrund der Krise zwischen der Ukraine und Russland angeht. Sie haben auch persönlich immer wieder versucht, die gegenwärtige Krise zu deeskalieren und zu entschärfen.

In den letzten 25 Jahren hat sich diese großartige Stadt, die ja in der Vergangenheit durch eine Mauer geteilt war, die den Kalten Krieg förmlich verkörperte, komplett erneuert. Ost und West sind in einer gemeinsamen Stadt zusammengeführt worden. Diese Bemühungen haben dann auch überall in Europa ihren Niederschlag gefunden, einem Europa, das heute geeint, frei und in Frieden lebt. Das, was Russland gegenwärtig tut, bedroht diesen Frieden, bedroht diese Sicherheit, die wir nach dem Fall der Berliner Mauer geschaffen haben. Vielleicht darf ich bei dieser Gelegenheit unterstreichen: Niemand möchte in das Europa des Kalten Krieges zurück. Wir können keine neuen Trennlinien auf unserem Kontinent zulassen. Deswegen rufe ich Russland dazu auf, seinen Kurs zu überdenken, ihn umzustellen und mit dem langen Prozess zu beginnen, das Vertrauen wiederherzustellen, das es verloren hat.

Sinn und Zweck der Nato ist ja, unsere Mitgliedstaaten sicher zu halten, die Welt stabil zu halten und die Verbindung zwischen Europa und Nordamerika stark zu halten. Wir haben ganz entscheidende Maßnahmen ergriffen, um die Verteidigung und Sicherheit all unserer Verbündeten zu garantieren, und wir werden weitere Schritte unternehmen, wenn es nötig sein sollte. Alle Maßnahme, die wir ergreifen, sind verteidigungspolitischer Natur, angemessen und voll und ganz auf der Linie dessen, wozu wir uns international verpflichtet haben.

Bei unserem Gipfeltreffen in Wales werden wir angesichts der Herausforderungen für unsere gemeinsame Sicherheit unsere transatlantische Entschlossenheit demonstrieren. In Afghanistan werden wir unsere längste Mission beenden. Wir werden ein neues Kapitel aufschlagen. Wir werden dafür sorgen, dass die Länder des Nato-Bündnisses auch bereit und in der Lage sind, jede Sicherheitsherausforderung anzunehmen, ob sie traditioneller oder neuer Art ist. Wir leben in einer Welt, die im Vergleich zu vor 50 Jahren jeden Tag gefährlicher und instabiler wird. Das trifft nicht nur auf den Osten zu, sondern auch auf den Süden. Es ist wichtig, dass wir robuste Verteidigungsmaßnahmen ergreifen, um unsere Mitgliedstaaten sicher zu halten, und ich zähle dabei darauf, dass alle Verbündeten ihrer Verantwortung hinsichtlich ihres Anteils der Kosten für diese Sicherheit gerecht werden, um unser Bündnis stark zu halten. - Vielen Dank!

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich würde gerne zu zwei Punkten nachfragen, die Sie genannt haben. Sie haben gesagt, Deutschland solle einen Beitrag leisten, um die Nato-Lücken zu schließen oder die Befähigung zu verstärken. Hieße das, dass Deutschland nach dem ausgeglichenen Haushalt, der jetzt erreicht worden ist, bereit ist, auch wieder mehr Geld für die Verteidigung auszugeben?

Wären Sie auch dafür, dass Nato-Truppen in den Ländern, die Sie genannt haben und die sich durch Russland bedroht fühlen, permanent stationiert werden?

BK'in Merkel: Erstens haben wir heute gerade den Haushalt verabschiedet, und darin gibt es auch eine mittelfristige Finanzplanung. Aus der ist erkennbar, dass wir unsere Verteidigungsausgaben auf keinen Fall senken werden. Wir haben vor allen Dingen auch darüber gesprochen, wie hoch der Anteil der Investitionen - es geht ja auch um Modernisierungen - an den Verteidigungsausgaben sein kann. Angestrebt werden 20 Prozent. Hierbei liegt Deutschland bei 16 Prozent. Wir werden darüber sprechen, wie wir diesen Anteil gegebenenfalls erhöhen können, um die 20 Prozent schrittweise auch zu erreichen.

Zweitens haben wir darüber gesprochen, dass es keinen Zweifel daran gibt, dass die Nato-Russland-Akte weiterhin gültig sein soll. Das steckt auch den Rahmen für die Art von Unterstützung ab, die wir unseren Partnern geben können, die nach mehr Unterstützung verlangen. Die militärischen Spezifikationen werden jetzt ausgearbeitet, und darüber wird dann diskutiert werden.

Frage: Ich hätte eine Frage, die den Nato-Partner Frankreich betrifft. Gestern sind russische Marinebesatzungen an der französischen Küste eingetroffen, die für die beiden Mistral-Hubschrauberträger ausgebildet werden, die an Russland geliefert werden. Halten Sie es noch für opportun, dass diese Verträge in der aktuellen Situation weiterhin gültig bleiben?

BK'in Merkel: Wir haben ja, was die Sanktionen gegenüber Russland anbelangt, bis jetzt die Stufe 2 erreicht. Wir können nicht ausschließen, dass wir weiter gehen müssen. Wir haben das im Zusammenhang mit dem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten auch besprochen. In diesem Zusammenhang wird man dann sicherlich über viele Fragen sprechen müssen - gegebenenfalls auch über diese -, aber da ist noch keine Entscheidung getroffen worden.

Frage: Ich habe eine Frage an den Generalsekretär: Was spricht denn gegen die Frage Polens? Die polnische Regierung hat sagt, dass sie gerne zwei Nato-Divisionen in Polen stationiert haben möchte. Nato-Truppen sind ja im Moment in Italien und in Deutschland. Was spricht denn gegen das Ersuchen für eine mögliche Stationierung in Polen?

GS RASMUSSEN: Es ist ja so, dass wir diesem Themen gegenüber durchaus offen sind. Wie Sie wissen, haben wir bereits Schritte unternommen, um unserer gemeinsamen Sicherheit und Verteidigung durch verstärkte Luftraumüberwachung an der Ostsee wie auch durch die Stationierung bestimmter Marineeinheiten an der Ostsee Rechnung zu tragen. Es werden mehr Manöver stattfinden. Das heißt also, die Nato ist dort bereits deutlich sichtbar präsenter.

Wir denken über mögliche neue Schritte nach, die langfristig unsere kollektive Sicherheit stärken werden. Darüber diskutieren wir im Moment. Das wird dann auch dazu führen, dass bereits bestehende Verteidigungspläne unter Umständen überarbeitet werden, dass neue Verteidigungspläne erarbeitet werden müssen, dass Manöver verstärkt werden und dass dann in angemessenem Rahmen unter Umständen eben auch Stationierungen stattfinden. Ein solcher "Readiness Action Plan" wird dann beim Gipfel vorgestellt und auch diskutiert werden.

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Quelle:
Mitschrift der Pressekonferenz vom 2. Juli 2014
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2014/07/2014-07-02-pk-merkel-rasmussen.html;jsessionid=75680104C3E410FA8DBE45D93F0A0DC8.s1t2
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2014