Schattenblick → INFOPOOL → PARLAMENT → FAKTEN


PRESSEKONFERENZ/1058: Regierungspressekonferenz vom 7. September 2015 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz - Montag, 7. September 2015
Regierungspressekonferenz vom 7. September 2015

Themen: Personalie, Zuwanderung von Arbeitskräften aus den Westbalkanstaaten, Flüchtlings- und Asylpolitik, Lage in Syrien, Kampf gegen ISIS

Sprecher: StS Seibert, Gerhartz (BMVg), Westhoff (BMAS), Jäger (BMF), Neymanns (BMI), Zimmermann (BMJV), Schäfer (AA)


Vors. Welty eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

Gerhartz: Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich von dieser Stelle zu verabschieden. Ich werde den Bereich Presse im Verteidigungsministerium in den nächsten Tagen verlassen und eine völlig andere Aufgabe, aber auch im Verteidigungsministerium, übernehmen. Danke, dass ich hier die letzten zwei Jahre Gast sein durfte. Ich möchte mich auch für das faire Miteinander bedanken. Ich möchte natürlich auch die Gelegenheit nutzen, mich bei meinen Kosprecherinnen und Kosprechern auf der Bühne für die sehr gute Zusammenarbeit zu bedanken. Ich wünsche Ihnen allzeit - wie soll man sagen? - das passende Wort zur richtigen Zeit. - Danke.

Frage: Ich habe ein paar Fragen an das Arbeitsministerium zu den Ergebnissen des Koalitionsausschusses gestern Abend. Könnten Sie ein paar Rahmendaten zu der Verabredung liefern, was die Einwanderung von Arbeitskräften vom Balkan angeht? Also: Welche Staaten genau? Wie viele Personen? 20.000 waren einmal in der Diskussion. Fällt dabei dann für die Leute, die sich hier eine Arbeit suchen wollen, die Vorrangprüfung weg? Müssen die sich ihre Arbeit selbst suchen? - Das wären zunächst meine Fragen an das Arbeitsministerium.

An das Finanzministerium die Frage, auch im Sinne dieses Themas: Werden sich die 6 Milliarden Euro, die nächstes Jahr zusätzlich ausgegeben werden sollen, verändernd auf den Haushaltsansatz, auf den Regierungsentwurf des Bundeshaushaushalts auswirken, der in dieser Woche im Parlament ist?

Westhoff: Die Ministerin hat zum letzten Wochenende hin in der Tat einen Vorschlag unterbreitet, die Zugangsmöglichkeiten im Rahmen der Arbeitsmigration für Bürgerinnen und Bürger der Westbalkanstaaten - das sind die bekannten sechs - zu erleichtern und zu verbessern. Hintergrund ist die Überlegung - ich sage es noch einmal ganz kurz, auch wenn es schon bekannt sein dürfte -, dass der Zugangsweg über das Asylrecht für die Bürgerinnen und Bürger der Westbalkanstaaten der falsche Weg ist. Das ist kein guter Weg. Das ist ein Weg, der allseits zu Frust und zu der Nutzung von Kapazitäten führt, die man besser für anderes einsetzen kann. Daher der Vorschlag, grundsätzlich die Möglichkeiten zur Arbeitsmigration zu verbessern.

Die Ministerin hat kurz angedeutet, wie das aussehen könnte: 20.000 pro Jahr für die nächsten fünf Jahre. Es muss ein Arbeitsvertrag vorliegen. Die Arbeit, die dann angetreten wird, soll eine den deutschen Bedingungen entsprechende sein. Das heißt, der Mindestlohn gilt natürlich. Aber es muss auch eine übliche Bezahlung sein. Wenn in Tarifverträgen bestimmte Löhne festgelegt sind und diese Bürgerinnen und Bürger in eine solche Arbeit gehen würden, dann müssten über den Mindestlohn hinaus selbstverständlich auch die anderen Bedingungen, die tarifvertraglichen Bedingungen gelten. Das hat die Ministerin vorgeschlagen.

Der Koalitionsausschuss hat gestern Abend getagt - das ist eine Veranstaltung der Parteien, wie Sie wissen - und sich auf die Formel geeinigt, wie wir alle sie heute zunächst einmal in dem Beschlusspapier gelesen haben. Ich kann jetzt von dieser Stelle aus sozusagen nicht rückbinden und sagen: So und so ist es genau zu interpretieren; das sind die Einzelheiten. Die Einzelheiten, die dann noch ausgearbeitet werden müssen, müssen wir gemeinsam abwarten. Ob es 20.000 für die nächsten fünf Jahre sind, ob die Vorrangprüfung dabei wegfällt - alle diese Einzelheiten kann ich Ihnen von hier aus zum jetzigen Zeitpunkt leider noch nicht referieren.

StS Seibert: Was wir Ihnen sagen können, ist, welche Länder das betrifft; denn das sind die Staaten des Westbalkans: Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Mazedonien, Serbien, Kosovo und Albanien.

Westhoff: Ich kann vielleicht noch eines ergänzen, was ich gerade vergessen habe: Die Bürgerinnen und Bürger dieser Staaten dürfen zum Teil schon visumsfrei einreisen. Abgesehen davon ist zu früherer Zeit auch einmal darüber gesprochen worden, dass man den Informationsaustausch über Beschäftigungsmöglichkeiten in Deutschland in diese Länder hinein verbessert, verstetigt, ausweitet. Es gibt die ZAV, die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung der Bundesagentur für Arbeit. Es gibt die Auslandsvertretungen, die Goethe-Institute und andere Stellen. Es gibt natürlich das Internet. Es gibt Möglichkeiten, sich zu informieren, wo Arbeitsmöglichkeiten bestehen. Ein Arbeitsvertrag kann dann hier im Rahmen eines visumsfreien oder auch mit Visum belegten Aufenthalts abgeschlossen werden. Ein Arbeitsvertrag kann auch auf anderen Wegen geschlossen werden. Einen Aufenthaltstitel mag es dann über die Auslandsvertretung oder bei entsprechendem Aufenthalt hier in Deutschland bei den hiesigen Stellen, bei den Ausländerbehörden, geben. Es gibt also schon Möglichkeiten, sich um Arbeit zu bemühen, einen Arbeitsvertrag zu schließen und dann eine Arbeit anzutreten.

Die Regelung, die von der Ministerin ursprünglich angedacht war, gibt es auch schon mit diversen anderen Staaten. Möglichkeiten, ohne die Prüfung von Qualifikationen hier in Deutschland im Rahmen von Kontingenten eine Arbeit anzutreten, die gibt es schon.

Zusatzfrage: Können Sie ein, zwei Beispiele für diese Kontingente mit anderen Staaten nennen?

Westhoff: Ich schaue einmal kurz, ob ich die Ländernamen finde, und mache dann direkt nach Herrn Jäger weiter.

Jäger: Sie hatten nach den Auswirkungen auf den Bundeshalt 2016 gefragt. Der Gesetzentwurf für den Haushalt ist in den Bundestag eingebracht worden. Wir haben diese Woche Haushaltswoche. Der Bundesfinanzminister wird diese Haushaltswoche morgen im Bundestag mit seiner Rede eröffnen und dort sicherlich auch einen Hinweis geben, wie wir da jetzt weiter vorangehen wollen.

Sie wissen, dass das Ziel ist, bis zum 24. September ein Gesamtpaket mit allen Einzelheiten zu schnüren. Danach wird man Klarheit auch darüber haben, wie das Ganze in den Haushalt zu übersetzen ist. Dann werden wir sehr zügig voranschreiten, und zwar im Gleichklang mit den anderen Gesetzgebungsverfahren.

Das ist jetzt eine besondere Situation. Wir bringen einen Haushaltsentwurf ein, von dem wir wissen, dass er so nicht Bestand haben wird. Es ist aber gleichzeitig eine normale Situation insofern, als die Verfahren, die wir brauchen, um die entsprechenden Anpassungen zu treffen, natürlich alle da und vielfach erprobt sind. Insofern werden wir jetzt einfach in diese Haushaltsberatungen hineingehen und die entsprechenden Vorkehrungen treffen. Entscheiden - das muss ich jetzt der guten Form halber hinzufügen - wird natürlich der Bundestag als Haushaltsgesetzgeber.

Zusatzfrage: Wenn 6 Milliarden Euro dazukommen, ist es dann plausibel, anzunehmen, dass dann im Haushalt 318 Milliarden Euro Ausgaben und Einnahmen stehen werden, oder wird das irgendwie anders geregelt werden?

Jäger: Nein. Jetzt warten wir doch einfach einmal ab, was am 24. September als Gesamtpaket vereinbart ist. Das, was Sie sagen, hat eine gewisse Plausibilität. Aber ich werde mich jetzt hier auf keine Zahlen festlegen.

Westhoff: Ich kann noch kurz die Staaten ergänzen, mit denen es über die Beschäftigungsverordnung - das ist die maßgebliche Rechtsgrundlage - bereits ein solches Agreement darüber gibt, unabhängig von der Qualifikation die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt vonstattengehen zu lassen. Das sind insgesamt zehn Staaten. Ich habe jetzt fünf beispielhaft aufgezählt. Das sind Australien, die USA, Andorra, San Marino und Monaco.

Frage (zur Flüchtlingspolitik): Herr Seibert, zum gestrigen Maßnahmenpaket: Ist das ein Maßnahmenpaket nach dem Prinzip "Zuckerbrot und Peitsche"?

StS Seibert: Das ist eine umfassende Antwort der Bundesebene auf eine gemeinsame nationale wie auch europäische Herausforderung, eine Antwort, die viele Dimensionen hat, nämlich nationaler Politik, europäischer Politik, und darüber hinausgehend sogar noch die Dimension der Außen- und Entwicklungspolitik. So beschreibe ich das.

Zusatzfrage: Sie haben vorhin getwittert: "Schutzbedürftige sollen Schutz bekommen. Fehlanreize für die anderen müssen abgebaut werden." Könnten Sie einmal die konkreten Fehlanreize benennen, die die Bundesregierung aktuell sieht?

StS Seibert: Auch Sie haben vielleicht die Pressekonferenz der Bundeskanzlerin und des Wirtschaftsministers verfolgt. Da wurden ja die Ergebnisse des Koalitionsausschusses sehr ausführlich besprochen. Ich glaube, insofern muss ich das jetzt hier nicht noch einmal ausführlich tun.

Es gibt konkrete Beschlüsse, die in diese Richtung gehen. Diese betreffen den Bargeldbedarf in Erstaufnahmeeinrichtungen, die Länge des Verbleibs in Erstaufnahmeeinrichtungen, die Art und Weise, wie Geldzahlungen geleistet werden, wie viele Monate im Voraus, die Höchstdauer, wie lange Abschiebungen ausgesetzt werden können. Es gibt eine Vielzahl von Maßnahmen, die da zu nennen sind.

Frage: Erstens eine kurze Nachfrage an das Bundesarbeitsministerium: Ich hätte gerne gewusst, ab wann diese Regelung für die Balkanstaaten gelten soll, ab 1. Oktober, 1. Januar, wie auch immer?

Meine eigentliche Frage richtet sich an das BMI: Ich habe gehört beziehungsweise gelesen, dass es 3.000 Bundespolizisten mehr geben soll. Ich hätte gerne gewusst, wo die dann eingesetzt werden und ab wann das gilt. Die stehen ja nicht auf der Straße, sondern müssen sicherlich erst ausgesucht und ausgebildet werden etc.

Westhoff: Bezüglich des Beginns kann ich nur das wiederholen, was ich gerade schon gesagt habe: Das gehört zu den Details, die nun weiter ausgearbeitet werden müssen. Wir kommen von einem Vorschlag der Arbeitsministerin zu einem Beschluss, wie er dann gestern in relativ knapper Form zunächst einmal formuliert wurde. Dies mag jetzt noch weiterer Beratungen bedürfen. Aber wir sind zuversichtlich, dass man schnell damit loslegen kann; denn ich habe ja die Motivation dahinter deutlich gemacht: Es geht darum, Fehlsteuerungen bei dem Kommen nach Deutschland abzustellen und den Migrationsdruck oder den Wunsch, die Heimat zu verlassen, wenn auch nur vorübergehend, in Bahnen zu lenken, die fruchtbarer sind.

Neymanns: Detailliert - ich bitte Sie um Verständnis; der Beschluss ist gestern Abend gefasst worden - kann auch ich Ihnen keine Auskunft dazu geben. Klar ist nur, dass die Bundespolizei auch in Bezug auf die gestiegenen Flüchtlingszahlen einen deutlichen Personalbedarf hat. Um dem Rechnung zu tragen, sind jetzt 3.000 neue Stellen vorgeschlagen worden. Die Leute müssen ausgebildet und die Stellen dann zügig besetzt werden. Aber wo welche Personen dann konkret eingesetzt werden, kann ich Ihnen derzeit nicht sagen.

Frage: Die EU-Kommission stellt im Moment Überlegungen für eine Opt-out-Klausel für Länder an, die nicht an einem Asylquotensystem teilnehmen möchten. Wie ist die Meinung der Bundesregierung dazu?

StS Seibert: Wir treten jetzt in eine große europäische Debatte über eine Vielzahl von notwendigen Antworten auf die Flüchtlingssituation ein. Dies wird ein Teil davon sein.

Es gibt schon jetzt eine Situation, die mit dem, was Sie ansprechen, nicht zu verwechseln ist, bei der drei Länder, nämlich Großbritannien, Irland und Dänemark, vertragliche Sonderregelungen für den Bereich Asyl und Einwanderung haben. Das ist ein Recht, das diesen Ländern vertraglich zusteht.

Was die Kommission jetzt diskutiert, die Überlegungen, die es dort gibt, würden nur für ein Jahr gelten. Die würden möglicherweise einzelnen Staaten, die jetzt nicht an dem verbindlichen Mechanismus für die Verteilung von Flüchtlingen teilnehmen wollen, für ein Jahr eine Freistellung gegen eine finanzielle Beteiligung geben. Das ist etwas anderes als permanente, vertragliche, abgesicherte Sonderregelungen, wie diese drei Länder sie haben. Insgesamt ist das ein Teil der wichtigen europäischen Debatte, die wir jetzt zu führen haben. Sie wissen, dass Kommissionspräsident Juncker am Mittwoch seine Vorschläge auf den Tisch legen wird. Dann wird darüber zu sprechen sein.

Zusatzfrage: Wie ist Ihre Auffassung dazu?

StS Seibert: Ich werde jetzt keine Festlegungen für die Bundesregierung vornehmen. Unsere Haltung - das wissen Sie - ist klar; sie ist an diesem Wochenende und auch heute Morgen durch die Bundeskanzlerin noch einmal sehr deutlich zum Ausdruck gekommen: Wir sind der Überzeugung, dass kein europäisches Land, kein Mitgliedstaat der EU sagen kann, er habe damit nichts zu tun. Welche Form dann die Beteiligung eines jeden einzelnen Staates annimmt, das wird zu diskutieren sein.

Frage: Herr Jäger, schon am vergangenen Freitag war die Frage entstanden, wie viel echte und gefälschte syrische Pässe vom Zoll, der ja Ihrem Ministerium untersteht, gefunden worden sind und welche Empfänger die möglicherweise gehabt haben. Die Existenz dieser Pakete ist von Ihnen bestätigt worden. Es geht jetzt noch um die Zahl.

Jäger: Ich kann Ihnen über die Aussagen hinaus, die hier am Freitag getroffen wurden, nichts Neues hierzu berichten.

Zusatzfrage: Das Ganze zieht sich ja jetzt schon eine gewisse Zeit hin. Wann glauben Sie denn, wann Sie etwas Konkretes dazu sagen können? Warum zieht sich das so lange hin?

Jäger: Wenn wir Ihnen etwas dazu sagen können, dann werden wir das tun.

Frage: Eine Frage an das Finanzministerium: Herr Jäger, sind die Kosten für die 3.000 Bundespolizisten schon in den 6 Milliarden Euro enthalten?

An das Innenministerium die Frage: Können Sie das vielleicht in eine Gesamtrelation setzen? Wie viele Mitarbeiter hat die Bundespolizei heute, und woher rekrutieren Sie diese 3.000 Beamten?

Jäger: Gestern Abend ist verabredet worden, dass die zusätzlichen Aufwendungen, die den Bundeshaushalt betreffen, in einer Größenordnung von 3 Milliarden Euro liegen. Ich will jetzt aber den Beratungen, die in den nächsten Tagen und Wochen folgen werden, nicht vorgreifen. Wir werden am 24. September ein zwischen dem Bund und den Ländern verabredetes Gesamtpaket haben. Auf dieser Basis wird man dann abschließende Feststellungen für den Bundeshaushalt 2016 und auch für die kommenden Jahre - denn diese Bundespolizisten bleiben natürlich bei der Bundespolizei - treffen können. Insofern will ich dem jetzt hier nicht vorweggreifen.

Neymanns: Ich würde die Antwort auf diese Frage gerne nachreichen. Ich habe die Kollegen gerade gebeten, die aktuellen Zahlen zu ermitteln. Ich melde mich gleich noch einmal dazu.

Frage: Ich würde gerne wissen, wie viele winterfeste Plätze in Erstaufnahmeeinrichtungen schon jetzt bestehen. - Danke schön.

Neymanns: Die Unterbringung ist ja Sache der Länder. Insofern kann ich Ihnen aus dem Stegreif keine abschließende Zahl bezüglich der Unterscheidung zwischen winterfesten und nicht winterfesten Plätzen nennen. Ich kann Ihnen sagen, dass derzeit 45.000 Plätze in Erstaufnahmeeinrichtungen existieren, dass derzeit behelfsweise Zelte in verschiedenen Erstaufnahmeeinrichtungen eingesetzt werden und dass selbstverständlich das Ziel ist, alle diese Unterkünfte bis zum anstehenden Winter winterfest zu machen.

Die Größenordnung ist auch genannt worden, nämlich dass man insgesamt 150.000 Erstaufnahmeplätze in Deutschland braucht, um mit den erwarteten Zahlen von Flüchtlingen zurechtzukommen. Sie wissen, dass die Länder intensiv nach Unterbringungsmöglichkeiten suchen, dies auch mit der Unterstützung des Bundes und der BImA etc. Insofern sind wir ganz zuversichtlich, dass wir das hinbekommen werden.

Frage: Ich würde gerne zu zwei Punkten kommen, die ich nicht in Ihrem Maßnahmenpaket wiedergefunden habe, erstens die Entkriminalisierung von Flüchtlingen. Nach deutschen Gesetzen ist eine Einreise legal nicht möglich. Wann wird sich dieses Problems angenommen? Ist da etwas geplant? Diese Frage richtet sich an das BMJ oder an das BMI. Wann werden Flüchtlinge nicht mehr Kriminelle sein?

Zimmermann: Ich muss ehrlich sagen: Ich verstehe die Frage nicht ganz.

Zusatz: Ein Flüchtling, der hierherkommt, ist nach deutschem Recht ein Krimineller.

Zimmermann: Sie meinen, wenn er gegen das Aufenthaltsgesetz verstößt?

Zusatz: Wenn er hier eingereist ist.

Zimmermann: Es kommt darauf an, wie er einreist. Aber es ist richtig: Die Strafvorschriften im Aufenthaltsgesetz kann man nachlesen. Vielleicht kann der Kollege aus dem BMI dazu ergänzen.

Neymanns: Ich kann nur darauf hinweisen, dass das in den letzten Wochen in die Diskussion gebracht wurde. Gestern hat der Koalitionsausschuss seinen Maßnahmenplan vorgeschlagen. Der wird jetzt in den entsprechenden Runden weiter diskutiert mit dem Ziel 24. September. Das sind jetzt die wesentlichen Aufgaben, auf die sich die Bundesregierung konzentriert und die dazu dienen, mit den gestiegenen Flüchtlingszahlen umzugehen. Darüber hinaus kann ich Ihnen keine Pläne kundtun.

Zusatzfrage: Die Entkriminalisierung von Flüchtlingen ist also nicht in Planung?

Neymanns: Ich kann nur das sagen, was ich gerade schon gesagt habe.

Zusatzfrage: Kann ich noch eine andere Frage stellen? - Herr Seibert, wie sorgt die Bundesregierung dafür, dass die Menschen, die weiterhin ihr Leben riskieren müssen, um nach Deutschland zu gelangen, ihr Leben nicht mehr riskieren müssen, speziell syrische Flüchtlinge?

StS Seibert: Auch ich habe Verständnisschwierigkeiten bei Ihrer Frage. Vielleicht stellen Sie sie noch einmal.

Zusatz: Syrische Flüchtlinge bekommen jetzt ausnahmslos Asyl in Deutschland. Aber sie kommen nicht hierher, ohne einen lebensgefährlichen Weg auf sich zu nehmen. Sie kommen ja nicht mit dem Flugzeug.

StS Seibert: Zunächst einmal: Es gilt das Asylrecht. Das heißt, auch weiterhin wird es natürlich eine Prüfung des Einzelfalls geben. Aber Sie haben recht: Es gibt bei Flüchtlingen, die dem syrischen Bürgerkrieg entronnen sind, eine sehr große Wahrscheinlichkeit, dass sie als Bürgerkriegsflüchtlinge hier im Land bleiben können.

Zweitens - darauf haben wir in den letzten Tagen immer wieder hingewiesen - gelten weiterhin die europäischen Regeln zum Umgang mit Asylbewerbern. Es gilt weiterhin Dublin III, und zwar gilt es für alle Länder.

Das, was am Wochenende im Rahmen einer besonderen Notfallsituation geschehen ist, ist natürlich eine Ausnahmeentscheidung, die Deutschland und Österreich da gefällt haben.

Wir haben ein ganzes Paket von Maßnahmen, die auch auf die Behebung von Fluchtursachen in vielen Ländern zielen. Wir haben den Plan, Einrichtungen in verschiedenen afrikanischen Ländern zu schaffen, wo Informationen an Flüchtlinge oder Menschen, die sich überlegen, den Weg der Migration auf sich zu nehmen, gegeben werden können. Wir geben enorme Mittel für die Betreuung von Flüchtlingen, gerade auch aus Syrien, in die umliegenden Länder Jordanien, Türkei und Libanon. Wir werden das alles noch verstärken. Das ist das, was wir jetzt tun.

Zusatzfrage: Werden eigentlich die Propagandamaßnahmen auf dem Westbalkan finanziell erhöht werden?

Neymanns: Sie meinen die Informationskampagne, die - -

Zusatz: Nein. Ihr Minister selbst spricht von Propaganda; also können wir bei Propaganda bleiben. Werden die Propagandamaßnahmen im Westbalkan finanziell aufgestockt?

Neymanns: Die Informationskampagnen mit Informationen über die Hintergründe und Grundinformationen zum Asyl sowie auch über die Erfolgsaussichten eines Asylantrags von Menschen aus den Westbalkanstaaten werden weiter so publiziert, wie sie derzeit publiziert werden.

Frage: Ich habe eine Frage an Herrn Westhoff zur praktischen Umsetzung der 20.000er-Quote. Ich weiß nicht, ob Sie das alles schon jetzt im Detail wissen. Jemand, der auf dem Bau oder in der Gastronomie arbeiten möchte, kommt jetzt visafrei aus dem Kosovo oder aus Albanien hierher und sucht sich einen Job. Er geht dann mit dem Arbeitsvertrag zur Ausländerbehörde und bekommt einen entsprechenden Aufenthaltstitel. Ist das grundsätzlich das Verfahren, nach dem das läuft, oder braucht er die Erlaubnis zur Suche nach einer Stelle in Deutschland? Kann er sich erst dann einen Vertrag besorgen? Was ist, wenn die 20.000er-Quote innerhalb kürzerer Zeit überschritten ist? Müssen dann diejenigen, die bereits Arbeitsverträge haben, die wieder abgeben und ihren Arbeitgebern sagen: "Es hat jetzt leider doch nicht geklappt"? - Das wären die praktischen Fragen, die sich damit verbinden.

Herr Seibert, wir reden bei dem Betrag von 6 Milliarden Euro im Jahr 2016. Heißt das, dass die 1 Milliarde Euro, die jetzt vom Bund für das Jahr 2015 zur Verfügung gestellt wird, sozusagen den Deckel für dieses Jahr darstellt, oder gibt es möglicherweise im laufenden Jahr auch noch Bedarfe, die über das hinausgehen, was bereits bewilligt ist?

StS Seibert: Darauf würde ich gerne das Finanzministerium zu antworten bitten, wenn es finanzrelevant wird.

Jäger: Ja, das mache ich gerne. Es ist in der Tat so: Wir haben für die Länder in diesem Jahr insgesamt 1 Milliarde Euro bereitgestellt, und für 2016 werden wir über einen Betrag in der Größenordnung von 3 Milliarden Euro reden, wie er gestern vereinbart wurde.

Zusatzfrage: Für 2015 liegt der Deckel also bei 1 Milliarde?

Jäger: So ist unser Verständnis.

Westhoff: Noch einmal zu den technischen Details vorweg geschickt: Der Vorschlag der Ministerin sieht in etwa so aus, dass Bürgerinnen und Bürger der Westbalkanstaaten, die nach Deutschland einreisen - oder ohne Einreise, je nachdem; es gibt auch andere Wege wie Börsen vor Ort, Informationen, den Austausch über das Internet, wie auch immer, aber wir gehen jetzt einmal von der Einreise aus -, mit einem Visum nach Deutschland kommen - das gilt allerdings nur für das Kosovo, soweit ich das weiß; alle anderen fünf Westbalkanstaaten sind visumsfrei, wenn man denn einen biometrischen Pass hat - und sich einen Arbeitsplatz suchen. Das Entscheidende ist in der Tat der Aufenthaltstitel, der von der Ausländerbehörde erteilt werden muss. Dieser Aufenthaltstitel hat dann zur Voraussetzung, dass ein Arbeitsvertrag vorliegt, der bestimmten Bedingungen genügt. Ob dieser Arbeitsvertrag vorliegt und ob er den Bedingungen genügt, prüft die BA. Die muss zustimmen. Das heißt, der Aufenthaltstitel wird dann erteilt, wenn die BA sagt: "Ja, das ist ein Arbeitsvertrag, der den Bedingungen entspricht; das passt so." Das läuft innerhalb von zwei, drei Tagen ab; jedenfalls wird das nicht lange in Anspruch nehmen. Das ist ein behörd eninterner Austausch zwischen der Ausländerbehörde - also des im Regelfall dann hier in Deutschland befindlichen Ausländeramtes oder wem auch immer - und der BA. Damit bekommen die dann ihren Aufenthaltstitel.

Zur zahlenmäßigen Begrenzung auf 20.000: Da muss man sicherlich einmal sehen, wie viele dann in den ersten Monaten zusammenkommen werden. Dann wird man Aufschluss darüber haben, wie schnell sich dieses Kontingent pro Jahr füllen wird. Dann wird man natürlich irgendwann, wenn es denn tatsächlich so sein sollte, dass es relativ schnell oder in absehbarer Zeit gefüllt ist, sicherlich auch darüber informieren, damit sich Leute ohne Aussicht auf Erfolg nicht weiterhin darum bemühen, hier Arbeitsverträge zu schließen und dann gesagt bekommen: "Es tut uns leid, die 20.000 Plätze sind leider schon weg." Man wird also sicherlich Möglichkeiten finden, wie es im bisherigen Verfahren mit den anderen Ländern, in denen es so etwas ja schon gibt, auch passiert, darüber zu informieren, ob es noch eine Chance gibt, oder ob erst wieder im nächsten Jahr die Chance gegeben ist.

Bewusst ist das ja zunächst einmal auf fünf Jahre begrenzt. Das Ganze soll auch wissenschaftlich evaluiert werden, speziell mit Blick auf die Westbalkanländer. Es soll eben auch die Möglichkeit gegeben werden, wenn es in einem Jahr nicht klappt, weil die 20.000 Plätze voll waren, dass es dann im nächsten Jahr eine neue Chance gibt, weil dann wieder 20.000 Plätze zu vergeben sind.

Frage: Noch einmal zu den Gesamtkosten: Kanzlerin Merkel und Vizekanzler Gabriel nannten die Größenordnung von 10 Milliarden Euro im nächsten Jahr durchaus plausibel. Jetzt legt der Bund 6 Milliarden Euro vor. Früher hieß es immer, man wolle sich das zwischen Bund einerseits und Ländern und Kommunen andererseits fifty-fifty teilen. So, wie ich es verstanden habe, kommen die Kosten für die Nutzbarmachung von Bundesimmobilien auch noch hinzu. Reden wir also bei den 10 Milliarden Euro eher von einer Untergrenze? Dürften es am Ende gar mehr werden und in Richtung von 12 Milliarden Euro gehen? Das ist eine Frage an Herrn Jäger und Herrn Seibert.

Jäger: Es ist ja vorhin deutlich geworden, als die Kanzlerin und der Vizekanzler vor die Presse getreten sind, dass das keine belastbaren, endgültigen Zahlen sind. Das sind Annahmen, die allerdings die Leistungen mit einschließen, die die Länder und die Kommunen erbringen. Die Kanzlerin hat gesagt, dass das eine gewisse Plausibilität hat, aber sie hat auch darauf hingewiesen, und das kann ich hier seitens des Finanzministeriums nur noch einmal unterstreichen, dass es viel zu früh ist, hierzu abschließende Aussagen zu treffen.

Ich habe die Berichterstattung am Wochenende, die diese Zahl in die Diskussion eingebracht hat, auch gesehen. Dieser Zahl liegen Annahmen zugrunde, von denen heute kein Mensch weiß, ob sie so zutreffen. Insofern bewegen wir uns hier in einem Raum, der mit Unsicherheiten verbunden ist, und deswegen ist es im Augenblick völlig unmöglich, hierzu belastbare und abschließende Aussagen zu treffen. Wichtig ist, dass wir in einer gemeinsamen Kraftanstrengung das leisten, was jetzt zu tun ist, und zwar gemeinsam zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Dafür hat die Absprache des gestrigen Abends gute Voraussetzungen geschaffen. Das muss jetzt konkretisiert und umgesetzt werden. Das werden wir tun. Am 24. September wird dieses Gesamtpaket stehen, und dann können wir zügig in das Gesetzgebungsverfahren eintreten und all diese Dinge auch umsetzen.

Ich sage es noch einmal: Alles, was getan werde muss, wird auch finanziert werden.

Frage: Herr Seibert, am Wochenende hat die thüringische Landesregierung ihre Bevölkerung aufgerufen, leer stehende Gebäude zu melden, um diese gegebenenfalls als Flüchtlingsunterkünfte zu nutzen. Wie bewertet die Bundesregierung diese Aktion? Kann sich Ihre Bundesregierung vorstellen, das zu einer nationalen Aktion zu machen?

StS Seibert: Da ich den Aufruf nicht genau kenne, kann und werde ich ihn jetzt hier auch nicht bewerten.

Zuruf : Ich habe ihn gerade zitiert!

StS Seibert: Ja, aber man wüsste schon gerne ein bisschen mehr als den halben Satz, den Sie jetzt gerade zitiert haben; dafür müssen Sie bitte Verständnis haben. Ich selbst habe das im Detail nicht vor mir liegen, und deswegen kann ich es hier nicht bewerten.

Was ich gerne sagen möchte, ist, dass wir am Wochenende - deswegen war es ja auch ein wirklich außergewöhnliches Wochenende - in Thüringen wie in München wie in Dortmund und anderen Orten wirklich außergewöhnliche Beispiele von Mitmenschlichkeit gesehen haben. Die Szenen an den Bahnhöfen spiegeln wirklich die Welle der Hilfsbereitschaft in ganz Deutschland wider, und auch in Thüringen hat man wirklich sehr schöne solcher Beispiele gesehen.

Diese Aktion, diese Initiative oder diesen Aufruf kann ich jetzt nicht bewerten. Dazu müsste ich ihn genau kennen.

Frage: Herr Schäfer, Herr Seibert hat ja gerade die Welle der Hilfsbereitschaft der Deutschen erwähnt. Der Bundesaußenminister hat auch immer erwähnt, dass viele der arabischen Nachbarländer Syriens große Hilfsbereitschaft gezeigt haben, was die Aufnahme der Flüchtlinge angeht. Es fällt aber auf, dass eine Reihe von sehr reichen arabischen Staaten, die ja auch in den syrischen Bürgerkrieg involviert sind, bis jetzt keinen einzigen Flüchtling aufgenommen haben, namentlich Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar und Kuwait. Ist das aus Sicht der Bundesregierung nachvollziehbar?

Schäfer: Die Dimension der Flüchtlingskrise - besonders wegen der Konfliktherde in Syrien und im Irak - ist so groß, dass jeder seinen Beitrag dazu leisten sollte. Das lässt sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise tun. Ich weiß, dass auch Staaten in der arabischen Welt - darunter am Golf - bei der humanitären Unterstützung der Unterbringung von Flüchtlingen aus Syrien in der Region einen beträchtlichen Teil der Last getragen haben, und das wollen wir ausdrücklich anerkennen. Dass die Hauptlast der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen immer noch in der Region liegt - trotz der großen Ströme, die auch auf Europa und Deutschland zugekommen sind -, ist angesichts der riesigen Zahlen in der Region unbestreitbar. Jede Form der Unterstützung, die es gibt, um insbesondere die drei großen Aufnahmeländer Türkei, Jordanien und Libanon zu unterstützen, ist uns sehr willkommen.

Lassen Sie mich hinzufügen, dass in dem Paket, das gestern Abend im Koalitionsausschuss vereinbart worden ist, auch Mittel über das hinaus vorgesehen worden sind, was bislang vom Auswärtigen Amt für die Bundesregierung unternommen worden ist, um genau bei dieser Aufgabe noch mehr und noch passgenauer wirken zu können.

Neymanns: Sie hatten nach der Zahl der Bundespolizisten gefragt, und die ist mir gerade übermittelt worden: Es sind 40.310 Mitarbeiter - das ergibt sich aus dem im Juni vorgestellten Jahresbericht -, davon 30.665 Polizeivollzugsbeamte und -beamtinnen ohne die Anwärter.

Wegen der Nachfrage dazu, wie die Stellen jetzt besetzt werden: Insgesamt geht es jetzt darum, dass BMI und Bundespolizei sorgfältig prüfen, wie man eben geeignete Kandidaten findet und trotzdem unter Beachtung aller Sorgfalt natürlich schnell zu einer Stellenbesetzung kommen kann. Aber wie man das genau hin bekommt, wird sich erst in der nächsten Zeit klären.

Frage: Herr Schäfer, Herr Seibert, das Weiße Haus hat am Wochenende durch Obamas Sprecher verlautbaren lassen: Europa hat die Kapazität, dieses Problem - also das Problem mit den Flüchtlingen - alleine zu lösen. Herr Seibert, ist man stolz, dass das Weiße Haus dies Europa alleine zutraut?

StS Seibert: Wir haben eine Situation, in der sich Hunderttausende Menschen auf den Weg nach Europa machen. Wir haben in Europa gemeinsame Regeln zum Umgang mit Asylbewerbern. Jetzt ist es unsere tägliche Aufgabe, das zusammenzubringen, das heißt, uns dieser Aufgabe gewachsen zu zeigen. Deutschland tut dazu das Seinige, und andere Länder tun es auch. Wir werden noch mehr Überzeugung in Europa anwenden müssen, damit sich auch wirklich jeder entsprechend seiner humanitären und rechtlichen Verpflichtungen beteiligt. Darauf liegt unser Fokus.

Ich glaube, dass ein Land wie Deutschland, aber auch andere Länder auf das, was sie in den vergangenen Wochen und Monaten auf die Beine gestellt haben, um Flüchtlinge menschenwürdig zu empfangen, ganz schön stolz sein können - jedenfalls, wenn sie auf ihre Bevölkerung blicken, und auch, wenn sie auf die Leistungsfähigkeit ihrer Verwaltungen blicken.

Zusatzfrage: Dann einmal anders gefragt: Herr Seibert, warum fordert man die europäischen Freunde ständig auf, das Gleiche wie Deutschland zu tun, also den Flüchtlingen zu helfen, aber fordert die amerikanischen Freunde nicht dazu auf?

Herr Schäfer, es gab am Wochenende einen Bericht, der besagt: Wer seit 2011 die meisten Waffen nach Syrien geschickt hat, der nimmt die wenigsten Flüchtlinge auf, also USA, Russland und die arabischen Staaten. Wie bewertet die Bundesregierung das?

StS Seibert: Wir sind einer von 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, und deswegen suchen wir jetzt eine geeinte europäische Antwort auf diese Flüchtlingssituation.

Zusatzfrage : Ohne die Amerikaner?

Schäfer: Soweit ich das in den Medien richtig verfolgt habe, gibt es die Bereitschaft vonseiten der Vereinigten Staaten von Amerika, auch Menschen aus Syrien aufzunehmen. Ich überlasse es Ihnen und allen anderen, darüber ein Urteil abzugeben, ob das aus Ihrer Sicht genug, zu viel oder zu wenig ist. Wir freuen uns - ähnlich wie ich eben auf die Frage von dem Kollegen geantwortet habe - über jeden und jede, über jeden Staat, jede Institution und jeden Menschen, der einen Beitrag dazu leistet, diese Generationenaufgabe zu bewältigen, und das gilt weltweit.

Zu Ihrer zweiten Frage bezüglich der Waffen in Syrien. Ich glaube, man muss ehrlich sein und feststellen: Auch viereinhalb Jahre nach Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien sind eigentlich alle Bürgerkriegsparteien des Kämpfens, des Tötens, des Mordens, des Getötetwerdens nicht müde - das geht weiter da. Richtig ist, dass es bedauerlicherweise auch in diesen letzten viereinhalb Jahren in der internationalen Gemeinschaft kein hinreichendes Maß an Übereinstimmung gegeben hat, um Konzepte zu entwickeln, mit denen diesem Morden durch die Bürgerkriegsparteien ein Ende bereitet werden kann. Das hat dann auch damit zu tun, dass unter der Hand von diesem oder jenem auch Waffen in die Region und in das Land gebracht werden, durch deren Gebrauch Menschen sterben, was wiederum dafür sorgt, dass andere millionenfach auf der Flucht sind.

Ich denke, Sie nehmen es uns hier ab, dass das sicherlich kein Ausdruck deutscher Politik ist; Deutschland hat sich daran auch in überhaupt keiner Weise beteiligt. Wir werden weiter gemeinsam mit den internationalen Partnern, die das wollen und die dazu bereit sind, und gemeinsam mit den Vereinten Nationen im Geleitzug mit der Europäischen Union und anderen Partnern alles in unserer Macht Stehende tun, um diesem Morden, diesem Bürgerkrieg irgendwann ein Ende zu bereiten. Wir sind dabei zutiefst davon überzeugt, dass es keine militärische Lösung gibt. Deshalb arbeiten wir nach Kräften und mit allem Engagement daran, die Pfade für eine solche mögliche politische Lösung weiter auszuloten und dann zu gehen. Die Wahrheit ist allerdings auch - das haben auch die letzten Tage wieder gezeigt, auch ausweislich mancher Medienberichte -, dass die Meinungsverschiedenheit in der internationalen Gemeinschaft über den Umgang mit der Lage in Syrien, die Meinungsverschiedenheiten über das politische Schicksal von Präsident Assad und manches andere mehr die Sache nicht leichter gemacht hat.

Frage: Herr Seibert, am Wochenende ist gesagt worden, dass die Öffnung der Grenze eine Ausnahme gewesen sei. Ich möchte gerne verstehen, ob die Grenzen zwischen Ungarn, Österreich und Deutschland zurzeit noch geöffnet sind und wann man das wieder rückgängig machen wird. Wann werden Deutschland und Österreich also sagen: Wir sind wieder in einer normalen Lage, die Tür ist wieder geschlossen?

StS Seibert: Ich kann Ihnen jetzt - vielleicht kann das einer der Kollegen - keine konkrete Beschreibung des Zustands an der Grenze in diesem Moment geben. Was ich aber ganz sicher sagen kann ist, dass Deutschland am Wochenende gemeinsam mit Österreich in einer humanitären Notsituation gehandelt hat und tausende von Flüchtlingen aus Ungarn hat einreisen lassen. Das war eine Entscheidung, die sich auf die konkrete Situation bezog, die sich in Ungarn ergeben hatte und die für tausende von Flüchtlingen ein unerträgliches Ausmaß angenommen hatte. Es ist also ein Ausnahmefall. In dem wurde rasch entschieden und in dem musste auch rasch entschieden werden. Das ändert nichts daran, dass jeder Mitgliedstaat der Europäischen Union - auch Ungarn - Pflichten humanitärer und rechtlicher Art hat, die auch weiterhin gelten. Genau das war auch Inhalt des Gesprächs, das die Bundeskanzlerin am Samstag telefonisch mit Ministerpräsident Orbán geführt hat. Ich bin aber nicht in der Lage, den konkreten momentanen Zustand an der Grenze zu beurteilen.

Neymanns: Ich kann den momentanen Zustand auch nicht beurteilen, mir ist nur keine Änderung im Vergleich zum vorherigen Zustand bekannt.

Zusatzfrage: Wir sehen zurzeit, dass noch viele Flüchtlinge nach Ungarn kommen, dieser Strom also immer wieder wächst. Was wird Deutschland in dem Fall machen, dass dieses Phänomen, diese Notlage länger andauert? Gibt es zum Beispiel die Möglichkeit, dass der aktuelle Zustand, also dieser Ausnahmezustand, wochenlang andauert?

StS Seibert: Ich möchte nicht spekulieren. Ich gehe noch einmal zurück auf das Telefongespräch der Bundeskanzlerin mit Ministerpräsident Orbán. In dem hieß es ganz klar - das war auch das, worüber wir Sie danach informiert haben -, dass es Einigkeit zwischen beiden Ländern und zwischen beiden Regierungschefs gibt, dass sowohl Ungarn wie auch Deutschland ihren europäischen Verpflichtungen einschließlich der Verpflichtungen aus dem Dubliner Abkommen nachkommen. Das beschreibt einen Katalog von Pflichten für uns wie auch für die Ungarn, und wir gehen natürlich davon aus, dass Ungarn sich dessen dann im Alltag auch erinnert.

Zusatzfrage: Bedeutet das, dass Deutschland ab jetzt die Leute, die aus Syrien direkt nach Deutschland kommen, ohne vorher in anderen Ländern registriert worden zu sein, wieder zurückgeschickt werden?

StS Seibert: Das beantwortet am besten Herr Neymanns.

Neymanns: Ich kann eigentlich nur wiederholen, was Herr Seibert gesagt hat: Deutschland hat in den letzten Wochen und besonders am vergangenen Wochenende große Hilfsbereitschaft gezeigt - sowohl die staatlichen Stellen wie auch die Zivilgesellschaft und die Privatpersonen. Das europäische System kann langfristig aber nur dann funktionieren, wenn sich alle Partner an die gegenseitigen Verpflichtungen halten, also wenn die europäischen Staaten die Asylbewerber registrieren und dort auch die Asylverfahren durchführen. Insofern kann auch ich nicht - so wie auch Herr Seibert das nicht konnte - in die Zukunft schauen. Wir gehen davon aus, dass sich die ungarische Seite und die österreichische jetzt weiter an die Verpflichtungen halten.

Sollte sich grundsätzlich an der Zahl der Menschen, die derzeit nach Deutschland kommen, nichts ändern, dann wird man noch einmal intensivere Gespräche suchen müssen. Sie kennen aber auch - das ist hier ja schon mehrfach ausgeführt worden - die Pläne und Initiativen, die in Richtung der europäischen Ebene stattfinden: Sie wissen, dass Hot Spots gegebenenfalls auch für Ungarn geplant werden; Sie wissen, dass Herr Juncker wohl noch im Laufe dieser Woche einen Vorschlag machen wird; Ihnen ist bekannt, dass die Justiz- und Innenminister am kommenden Montag zusammentreffen werden, um dieses Thema im europäischen Kontext weiter zu diskutieren und auch zügig zu Entscheidungen kommen wollen.

Frage: Ich möchte noch einmal zur Situation in Syrien zurückkommen, Herr Schäfer: Russland hat angekündigt, dass es ab jetzt eine verstärkte Rolle in Syrien im Kampf gegen ISIS spielen wird. Es gab Kritik von der amerikanischen Seite. Wie steht die Bundesregierung dazu?

Schäfer: Wir haben das über das Wochenende sehr aufmerksam mitverfolgt. Ich lese auch von Spekulationen über irgendwie geartetes logistisches, militärisches oder paramilitärisches Engagement der russischen Seite im Nordwesten Syriens. Ich kann das mit eigenen Erkenntnissen weder bestätigen noch dementieren. Was ich sagen kann ist - und da muss ich mich wiederholen -: Es gibt da ganz sicher keine militärische Lösung, und wir wären allesamt gut beraten - das gilt ausdrücklich auch für Moskau -, wenn wir die Meinungsverschiedenheiten der Vergangenheit über das, was geschehen ist und wie die Zukunft Syriens aussehen soll, überwinden würden, damit in wirkliche politische Gespräche über die Zukunft des Landes eingetreten werden kann und damit das gelingt, was wir an dieser Stelle auch schon häufiger besprochen haben, nämlich zu erreichen, dass das syrische Staatswesen nicht total in den Strudel des Bürgerkriegs gerät und unwiederbringlich vernichtet wird. Dass dies geschieht und sozusagen Chaos und Anarchie total übernehmen - und das auch noch mit bösartigen islamisti schen Organisationen wie ISIS und anderen, die sich das Land dann zur Beute machen -, kann weder im Interesse Russlands sein noch ist es in unserem Interesse - und auch nicht im Interesse der Golfstaaten und anderer regionaler Partner. Deshalb spreche ich von hier aus noch einmal die eindringliche Aufforderung an alle Beteiligten aus, jetzt bloß nicht weiter auf irgendeine aus unserer Sicht nicht einlösbare militärische Karte zu setzen.

Frage: Herr Seibert, Sie sagten gerade, man habe zusammen mit Österreich am Wochenende so gehandelt, wie man gehandelt hat, weil es in Ungarn eine Ausnahmesituation gab. Hat man als Bundesregierung nicht Angst, dass Ungarn sich das jetzt als Vorbild nimmt und sagt "Okay, jetzt sorgen wir halt ständig für Ausnahmesituationen, damit Deutschland und Österreich ständig gezwungen sind, so zu helfen"?

StS Seibert: Erstens. Die Bundesregierung ist grundsätzlich nicht angstgeleitet.

Zusatzfrage: Ist man besorgt?

StS Seibert: Zweitens. Ich habe gerade vorgetragen: Die Einigkeit, die im Gespräch der Bundeskanzlerin mit Ministerpräsident Orbán darüber bestand, dass die europäischen Regelungen und die Pflichten, die sich daraus ergeben, für jedes Mitgliedstaat gelten. Natürlich müssen wir davon ausgehen - wie bei jedem anderen europäischen Thema auch -, dass sich die einzelnen Mitgliedstaaten an die Regeln halten. Die Diskussion, wie einzelnen Mitgliedstaaten geholfen werden kann, sich noch besser an die Regeln zu halten, ist in Europa jetzt mit Dringlichkeit zu führen, und daran werden wir uns beteiligen

Zusatzfrage: Herr Schäfer, welche völkerrechtliche Legitimation haben die genannten Staaten wie Russland und die USA, das, was sie da machen, zu machen?

Schäfer: Ich finde, das ist jetzt ziemlich breit formuliert. Eigentlich ist die übliche Antwort auf diese Art von Fragen - und das mögen Sie als Phrase verstehen, das ist es aber nicht -: Das kommt doch sehr auf den Einzelfall an. Die Formulierung "was sie da machen" scheint mir jetzt so allgemein zu sein, dass Sie nicht ernsthaft erwarten können, dass ich Ihnen darauf eine seriöse Antwort auf der Grundlage des Völkerrechts geben kann.

Zusatzfrage : Militärisch?

Schäfer: Ja, natürlich, auch militärisch - natürlich geht es darum.

Montag, 7. September 2015

*

Quelle:
Regierungspressekonferenz vom 7. September 2015
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2015/09/2015-09-07-regpk.html;jsessionid=182DCE5344973E0AF64F1E6CFC087773.s4t2
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Dorotheenstr. 84, 10117 Berlin
Telefon: 030 18 272-0, Fax: 030 18 10 272-25 55
E-Mail: internetpost@bpa.bund.de
Internet: www.bundesregierung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. September 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang