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PRESSEKONFERENZ/1080: Regierungspressekonferenz vom 9. Oktober 2015 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz - Freitag, 9. Oktober 2015
Regierungspressekonferenz vom 9. Oktober 2015

Themen: Termine der Bundeskanzlerin (Diskussionsveranstaltung mit Schülern zum Thema "25 Jahre deutsche Einheit - Was lehrt uns die DDR?", Treffen des Bundeskabinetts mit dem Richterkollegium des Bundesverfassungsgerichts, Kabinettssitzung, Einweihung des Bosch-Forschungszentrums für Forschung und Vorausentwicklung, Plenarsitzung des Deutschen Bundestages, Europäischer Rat), Verleihung des Friedensnobelpreises 2015, Asyl- und Flüchtlingspolitik, Verhandlungen zur Bildung einer Einheitsregierung in Libyen, Ermittlungen gegen den Automobilkonzern Volkswagen wegen manipulierter Abgaswerte, Garantiezins für Lebensversicherungen, Spekulationen über eine Reise des Bundeswirtschaftsministers nach Moskau, Spekulationen über den Export von U-Booten nach Indien, Bombardierung kurdischer Milizen durch die Türkei, Bürgerkrieg in Syrien, Luftangriff auf Hochzeitsfeier im Jemen

Sprecher: StS Seibert, Plate (BMI), Schäfer (AA), Franke (BMZ), Susteck (BMVI), Zimmermann (BMJV), von Tiesenhausen-Cave (BMF), Modes (BMWi), Nannt (BMVg)


Vorsitzender Szent-Ivanyi eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

StS Seibert: Guten Tag, zu den öffentlichen Terminen der Bundeskanzlerin:

Zunächst nenne ich Ihnen einen Termin am Dienstag, dem 13. Oktober. An diesem Tag wird die Bundeskanzlerin im Kanzleramt Schülerinnen und Schüler aus sieben Bundesländern zu einer Diskussion empfangen. Sie wird mit ihnen als Zeitzeugin über das Thema "25 Jahre deutsche Einheit - Was lehrt uns die DDR?" diskutieren. Es geht um den Alltag in der DDR, die Ausrichtung von Erziehung und Bildung und die Auswirkungen der SED-Diktatur.

Diese Schüler hatten sich in den letzten Monaten mit verschiedenen Aspekten des Lebens in der DDR auseinandergesetzt, zum Beispiel mit der Pressefreiheit und dem Unterrichtsstil. Einige Schulen haben am Bundeswettbewerb "Was war die DDR?" teilgenommen. Insgesamt sind rund 150 Schülerinnen und Schüler aus acht Gymnasien zu der Veranstaltung eingeladen. Sie findet von 11.30 Uhr bis 13 Uhr statt, ist presseöffentlich und wird im Internet unter www.bundesregierung.de und www.bundeskanzlerin.de als Livestream übertragen.

Ebenfalls am Dienstag um 19 Uhr treffen die Bundeskanzlerin und die übrigen Mitglieder der Bundesregierung mit dem Richterkollegium des Bundesverfassungsgerichts zusammen, und zwar im Bundeskanzleramt. Das ist ein Gespräch, ein allgemeiner Gedankenaustausch zwischen diesen beiden Verfassungsorganen mit informellem Charakter. Solche Treffen des Bundeskabinetts mit den Richtern des Bundesverfassungsgerichts finden seit einigen Jahren in unregelmäßigen Abständen statt, 2010 in Berlin und zuletzt 2012 in Karlsruhe.

Der Termin ist nicht presseöffentlich.

Am Mittwoch tagt wie üblich um 9.30 Uhr das Kabinett unter der Leitung der Bundeskanzlerin.

Am Mittwochnachmittag wird die Bundeskanzlerin nach Baden-Württemberg reisen und in Renningen zusammen mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann das Bosch-Zentrum für Forschung und Vorausentwicklung einweihen. Gegen 13.30 Uhr hält die Bundeskanzlerin dort eine Rede.

Am Donnerstag wird die Bundeskanzlerin im Plenum des Deutschen Bundestages eine Regierungserklärung zum Europäischen Rat abgeben, der am Donnerstag und Freitag in Brüssel stattfindet. Der Rat wird am Donnerstagnachmittag beginnen, und das Hauptthema wird die Migrations- und Flüchtlingspolitik sein. Insbesondere werden sich die Staats- und Regierungschefs mit der Umsetzung der Beschlüsse des informellen Europäischen Rates vom 23. September sowie mit den Ergebnissen der vorangegangenen Europäischen Räte befassen, die sich ja bereits im April und Juni intensiv mit dem Migrations- und Flüchtlingsthema befasst haben. Dazu gehören also der verstärkte Dialog mit der Türkei, die Stärkung des Außengrenzschutzes, die rasche Einrichtung der sogenannten Hot Spots, die faire Verteilung der Flüchtlinge und die Bereitstellung zusätzlicher Mittel für die Flüchtlinge in den Nachbarländern Syriens.

Außerdem wird sich der Europäische Rat mit den Ergebnissen der West-Balkan-Konferenz von Wien befassen und wird über die Vorbereitung des Treffens zwischen der EU und den afrikanischen Staatschefs in Valletta auf Malta Mitte November beraten.

Wir machen wie immer ein Briefing zu diesem Europäischen Rat, und zwar am 14. Oktober, also kommenden Mittwoch, hier um 14 Uhr mit Herrn Corsepius, dem Leiter der Europaabteilung im Bundeskanzleramt.

So viel dazu.

Ich würde gerne etwas zur Verleihung des Friedensnobelpreises 2015 sagen. Das ist aus Sicht der Bundesregierung eine ausgezeichnete Entscheidung des Nobelpreiskomitees. Die Bundesregierung gratuliert den Mitgliedern des nationalen tunesischen Dialog-Quartetts herzlich zu diesem Friedensnobelpreis 2015. Dieses tunesische Dialog-Quartett setzt sich aus der Arbeitsunion, dem Bund für Industrie und Handwerk, der Menschenrechtsliga und dem Juristenverband Tunesiens zusammen. Es steht stellvertretend für das Zusammenwirken der Zivilgesellschaft, um demokratische Institutionen, Rechtsstaat und Menschenrechte zu stärken. Es ist der verdiente Lohn für eine Arbeit an der Demokratie, für ein Festhalten an der Idee, dass ein Volk, das eine Diktatur abgeschüttelt hat, etwas Besseres verdient als eine neue Diktatur.

In diesem Sinne haben die Mitglieder dieses Dialog-Quartetts, die in einem langen Prozess an einer beispielgebenden Verfassung mitgewirkt haben, ihrem Volk Hoffnung gegeben und sie haben der Welt Hoffnung gegeben, nämlich dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auch unter den schwierigen Bedingungen dieser Region möglich sind.

Tunesien ist auch ein Land, in dem Terroristen immer wieder versuchen, gerade diesen Weg zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu stören, zu verhindern, weil sie dieses Interesse natürlich nicht haben; wir erinnern uns an die Attentate von Tunis und Sousse. Das neue Tunesien - für das stehen die Friedensnobelpreisträger exemplarisch - weiß, dass Deutschland sowohl beim Aufbau der Demokratie als auch bei der Abwehr seiner Feinde an seiner Seite steht.

Frage (zur Verleihung des Friedensnobelpreises): Herr Seibert, höre ich an der großen Freude auch aus Ihrem Mund vielleicht eine gewisse Erleichterung der Bundeskanzlerin heraus, dass es sie - in Anführungszeichen - nicht getroffen hat?

StS Seibert: Nein, Sie hören Freude über eine sehr gute Entscheidung des Osloer Komitees und großen Respekt vor der Leistung der Preisträger. Das Übrige sind Spekulationen, die ausschließlich Sie und nicht wir betrieben haben. Deswegen muss ich zu denen auch nichts sagen.

Frage: Wo hat denn die Kanzlerin die Verkündung des Nobelpreises mitbekommen?

StS Seibert: Ich gebe hier kein Bewegungsprofil der Bundeskanzlerin ab; das tue ich grundsätzlich nicht.

Frage (zur Diskussionsveranstaltung "25 Jahre deutsche Einheit"): Um welche Bundesländer handelt es sich, die die Gymnasiasten entsenden?

StS Seibert: Es sind jedenfalls Schulen aus fünf oder sechs verschiedenen Bundesländern. Ich hoffe, dass ich Ihnen das nachreichen kann.

Frage (zur Asyl- und Flüchtlingspolitik): Nicht zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin, sondern eine Frage an das Innenministerium. Herr Plate, wir hören und lesen seit einiger Zeit immer wieder, dass der Innenminister oder auch der Präsident des Verfassungsschutzes darauf hinweisen, dass Salafisten sich Flüchtlingsheimen näherten, dass sie Anwerbeversuche machten. Können Sie das einmal ein bisschen präzisieren? Inwieweit liegt da schon eine etwas weitergehende Statistik vor? Welche Erkenntnisse haben Sie? Zum Teil wird das ja von den Bundesländern erfasst.

Zweitens eine Frage, die unmittelbar damit zusammenhängt, was ansonsten das Eindringen etwa von Kriminalitätsstrukturen, organisierte Kriminalität in Flüchtlingsunterkünften angeht: Gibt es dazu auf Bundesebene Erhebungen und Erkenntnisse? Auch da sind die Länder ja schon dabei, kräftig zu sammeln.

Plate: Danke für die Frage. - Zunächst einmal zu den beiden Themen ganz grundsätzlich: Das sind beides Themen, die in der Zuständigkeit der deutschen Bundesländer sind, die - so möchte ich das einmal ausdrücken - da dran sind. Selbstverständlich gibt es aber auch Kontakte, insbesondere des Bundeskriminalamtes und des Bundesverfassungsschutzes, zu ihren jeweiligen Partnerbehörden auf Länderebene, sodass wir beginnen, ein klareres Bild zu bekommen. Aber das wird jetzt nicht in dem Sinne strukturell-statistisch erfasst.

Zu der Frage, die Sie zunächst gestellt haben, was Salafisten angeht, die versuchen, Anwerbe- oder Werbeversuche in Unterkünften zu machen: Das hat noch keine Größenordnung, die Anlass zu Alarmismus geben würde. Wir sehen das aber schon mit einer gewissen Sorge. Ich bin neulich mit dem Minister in einer solchen Flüchtlingsunterkunft gewesen, wo wir gefragt haben, ob es dort auch so etwas gegeben hat. Das wird von den häufig ja ehrenamtlichen Personen, die diese Flüchtlingsunterkünfte und Zwischenunterkünfte betreiben, bisher auch nicht unbedingt strukturell weiter gemeldet. Dort haben wir zum Beispiel auch erfahren, dass es in dieser Unterkunft, in der wir waren, so etwas gegeben hat und die Salafisten häufig gar nicht hineingelassen werden. Insofern kann man nur schwer ein ganz vollständiges bundesweites Bild hierzu haben.

Sie haben ja schon der Berichterstattung entnommen, dass der Präsident des Verfassungsschutzes und auch der Minister sich dazu schon geäußert haben, dass wir das mit sehr großer Aufmerksamkeit verfolgen, gerade zum jetzigen Zeitpunkt, zu dem das noch keine zu Alarmismus berechtigende Größenordnung erreicht hat. Das soll aber nicht so kommen.

Zu der zweiten Frage, was die Strukturen von organisierter Kriminalität in Flüchtlingsunterkünften angeht: Dazu kann ich Ihnen jetzt auch kein echtes Lagebild geben. Der Minister hat gesagt, dass im Moment erwogen wird, ob dazu vielleicht ein Lagebild erstellt werden kann. Wir sind da in guten Gesprächen, insbesondere mit dem Bundeskriminalamt, das schon einiges an Informationen darüber hat, welche Gruppierungen unter Kriminalitätsgesichtspunkten unter den Schutzsuchenden oder sich als schutzsuchend Gemeldeten besonders auffällig sind, welche es zum Beispiel nicht sind. Sie werden sicher gehört und wahrgenommen haben, dass der Präsident des Bundeskriminalamtes darauf hingewiesen hat, dass zum Beispiel offenbar Georgier statistisch überdurchschnittlich auffällig sind, Syrer zum Beispiel überhaupt nicht, was ja auch eine wichtige Erkenntnis für alle Menschen in Deutschland ist, weil das ja nun die mit Abstand größte Gruppe ausmacht. Ich kann hier aber noch nichts zu konkreten Strukturen berichten, ob es sie gibt, wie sie, wenn ja, ausgestaltet sind und welche Größenordnung sie haben.

Zusatzfrage: Ich habe Sie richtig verstanden, dass das Ministerium versucht, ein übergeordnetes bundesweites Lagebild zu erstellen?

Plate: Das ist im Moment erst einmal eine fachliche Prüfung, inwieweit das sinnvoll vom Bundeskriminalamt in Zusammenarbeit mit den Länderpolizeien geleistet werden kann. Diese Prüfung hält noch an. Es besteht aber, wie wir feststellen, ein gewisses Informationsinteresse auch in den Medien, darüber mehr zu wissen. Dann ist es nur gut und richtig, dass man einmal fachlich ausleuchtet, ob ein solches Lagebild sinnvoll erstellt werden kann.

Frage: Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung schon tatsächliche Hinweise darauf, dass unter den eingereisten Flüchtlingen ein, zwei oder mehrere ehemalige IS-Kämpfer angetroffen wurden?

Herr Seibert, wie hat man sich eine Notwehraktion der bayerischen Staatsregierung in Form der bayerischen Landespolizei hinter den Reihen des Bundesgrenzschutzes vorzustellen, die das Ziel haben könnte, Flüchtlinge nach Österreich wieder zurückzuschieben? An der Grenze direkt stehen ja Bundesbehörden und dahinter eine Reihe von Landespolizisten, die dann durchstoßen. Oder wie hat man sich das praktisch vorzustellen?

StS Seibert: Ich fange vielleicht kurz an; die Frage wird dann, glaube ich, sowieso beim Bundesinnenministerium landen. Sie spielen auf angekündigte Beschlüsse des bayerischen Kabinetts an, die heute gefasst werden sollen. Sie sind noch nicht öffentlich. Der Ministerpräsident hält, glaube ich, erst am frühen Nachmittag seine Pressekonferenz ab. Deswegen kann und möchte ich dem hier nicht vorgreifen. Das wären im Übrigen auch Fragen, die eher an die bayerischen Kollegen zu stellen wären. Wenn diese Beschlüsse öffentlich sind, wird die Bundesregierung sie natürlich genau prüfen.

Zusatzfrage: Gibt es eine Möglichkeit der landespolizeilichen Notwehr an dem Bundesgrenzschutz vorbei?

StS Seibert: Und da landen wir bei Herrn Plate.

Plate: Das ist eine hypothetische Rechtsfrage, die sich im Moment für uns so nicht stellt. Es gibt ja keinen derartigen Beschluss, und deswegen möchte ich dazu in der Sache gar nicht Stellung nehmen.

Zusatz: Die Frage, was die IS-Kämpfer angeht, ist noch offen.

Plate: Dazu möchte ich gerne Stellung nehmen, auch wenn ich nur das wiederhole, was der Minister in einem Interview, das heute bei der "FUNKE MEDIENGRUPPE" erschienen ist, ausgeführt hat. Er hat gesagt - und das ist im Prinzip gar nicht ganz neu -:

"Es gab und gibt Hinweise von Nachrichtendiensten auch aus dem Ausland, dass sich Terroristen unter die Flüchtlinge mischen. Das zeigt, wie wichtig die Zusammenarbeit mit anderen Nachrichtendiensten ist, auch wenn sie zum Teil aus Staaten kommen, die nicht ganz unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung haben. Wir nehmen all diese Hinweise ernst und gehen ihnen nach. Bisher hat sich aber keiner dieser Hinweise bewahrheitet."

Vorsitzender Szent-Ivanyi: Bevor wir zur nächsten Fragen kommen, haben wir noch die Bundesländer in Sachen Diskussionsveranstaltung mit Schülern nachzutragen.

StS Seibert: Meine Kollegen haben mir das netterweise schon nachgereicht. Es sind Schulen aus Geiseltal (Sachsen-Anhalt), Bayreuth (Bayern), Potsdam (Brandenburg), Rövershagen (Mecklenburg-Vorpommern), Braunschweig (Niedersachsen), Kassel (Hessen), Fulda (Hessen) und Mainz (Rheinland-Pfalz).

Frage: Herr Plate, ich möchte Sie trotzdem, auch wenn das alles hypothetisch und noch nicht bekannt ist, doch noch einmal bitten - das müsste doch möglich sein -, dass Sie in kurzen Sätzen beschreiben, wer für die Einreise oder Ablehnung von Flüchtlingen an der Grenze zuständig ist. Wer hat da die Entscheidungsgewalt?

Die zweite Frage: Ist es möglich, dass man in einem Bundesland von sich aus sagt, dass sie Flüchtlinge, die einreisen, in Züge setzen und sie gleich in andere Bundesländer weiterschicken, zumal ja Teil des Pakets, das beschlossen worden ist, ist, dass die Verteilung der Flüchtlinge auf die Länder von der Bundesregierung noch effektiver gestaltet werden soll, als das bisher der Fall ist? Wäre etwas anderes nicht eine Widerstandshandlung gegen die Bundesregierung?

Plate: Ich verstehe den Versuch, aber Sie werden nicht erleben, dass ich zu Beschlüssen, die noch nicht öffentlich sind, hier in der Sache Stellung nehme. Die Bundesregierung - das gilt auch für das Bundesinnenministerium als Teil der Bundesregierung - ist keine allgemeine Rechtsauskunftsstelle für Rechtsfragen, die sich nicht stellen.

Ich kann Ihnen aber gerne sagen - das wissen Sie aber sicherlich auch so -, dass die Bundespolizei vor ihrer Umbenennung in Bundespolizei den Namen Bundesgrenzschutz hatte. Das wissen Sie auch, ohne dass ich es Ihnen sage; ich sage es Ihnen aber gerne noch einmal. Ansonsten warten wir einmal ab, welche Beschlüsse in Bayern gefasst werden.

Frage: Herr Seibert, Stichwort Schutz der EU-Außengrenzen. Was muss man sich darunter eigentlich vorstellen und welche Art von Schutz wird durch die Bundeskanzlerin, die Bundesregierung angestrebt? Welche Konsequenzen hätte das für Schutz- oder Asylsuchende, die an der EU-Außengrenze stehen und eingelassen werden möchten?

StS Seibert: Zunächst einmal müssen wir ja konstatieren, dass es heute ganz besonders zwischen Griechenland und der Türkei eine Situation gibt, wo auf diesen gar nicht sehr vielen Kilometern zwischen Festland und griechischen Inseln keine ordnungsgemäße und wirkungsvolle Kontrolle stattfinden kann, sondern es sind die Fluchthelfer oder die Schlepperbanden, die dort die See beherrschen und relativ freies Spiel haben. Das ist ein Zustand - darüber sind sich alle in Europa einig -, der geändert werden muss. Dazu bedarf es einer intensiven Zusammenarbeit Europas sowohl mit der Türkei als auch natürlich mit dem EU-Mitgliedsland Griechenland. Ich glaube, das ist zunächst einmal das Wesentliche.

Ansonsten sollten Sie den Punkt "Schutz der Außengrenze" nie separat sehen. Er kann natürlich überhaupt nur in Verbindung mit den anderen Maßnahmen wirksam werden, die wir ergreifen. Das sind Maßnahmen, die wir ergreifen zur Unterstützung der Türkei, zur Unterstützung der Länder außerhalb Syriens, die eine große Zahl von syrischen Flüchtlingen aufgenommen haben - Libanon und Jordanien -, und auch mit den politischen Maßnahmen, mit denen wir hoffentlich beitragen können, dass es doch wieder einen politischen Prozess zur Beilegung des Syrien-Konflikts gibt. Das ist alles immer in einem zu sehen, ebenso die Einrichtung der Hot Spots. Es gibt nicht den einen Teil, das eine Element, von dem man sagen kann: Das wird uns die Verbesserung alleine bringen. Wir müssen auf jeden Fall immer die Gesamtmaßnahmen im Blick halten.

Was die Hot Spots betrifft, das will ich noch sagen, gab es gestern im Justiz- und Innenministerrat - darüber könnte Her Plate noch genauer ausführen - Einigungen und Fortschritte zu zentralen Themen, und zwar gerade bei den Hot Spots, also diesen großen Aufnahme- und Registrierungszentren, die wir in Griechenland und Italien als den zwei hauptsächlich betroffenen Ländern errichten wollen. Nur mit solchen Registrierungszentren können wir dazu kommen, dass wir die nach Europa fliehenden Menschen registrieren. Das ist eine notwendige Voraussetzung, um innerhalb der Europäischen Union wieder zu geordneten Verfahren und einer solidarischen Verteilung zu kommen.

Da ist immerhin gestern einiges auf europäischer Ebene vorangebracht worden, was die Bundesregierung sehr begrüßt. Ebenso wie die Einigung auf das Maßnahmenbündel zum Thema der Rückführungen. Danach haben Sie nicht gefragt, aber das ist uns wichtig.

Zusatzfrage: Zu dem Einzelaspekt des Grenzschutzes: Welchen Zustand wünscht sich die Bundesregierung? Sie nannten das Beispiel türkisch-griechische Grenze. Wenn dort Boote mit Flüchtlingen ankommen, ist es dann sozusagen nur der Wunsch, dass diese dort in Griechenland ordnungsgemäß bei der Einreise registriert werden, dass dort ihr Asylantrag zur Kenntnis genommen wird oder strebt man einen Zustand an, äußert man den Wunsch, dass es auch möglich ist, diese Menschen an der Grenze sozusagen zurückzuhalten oder abzuweisen?

StS Seibert: Ich kann den notwendigen europäischen Gesprächen, wie das erreicht werden soll und wie das genau umgesetzt werden soll, hier nicht vorgreifen. Klar ist - die Bundeskanzlerin hat das auch mehrfach gesagt, zuletzt in Straßburg bei ihrem gemeinsamen Auftritt mit dem französischen Präsidenten -: Eine Abschottung wird uns nicht die gewünschten Ergebnisse bringen - weder national noch europäisch. Trotzdem brauchen wir einen wirksamen Schutz, wirksame Kontrollen der EU-Außengrenzen. Sie sind die Bedingung dafür, dass wir innerhalb der EU geordnete systematische Verfahren und eine faire Verteilung hinbekommen.

Zusatzfrage: Sind "wirksamer Schutz" und "wirksame Kontrolle" synonym oder sind das zwei verschiedene Sachen?

StS Seibert: Ich würde jetzt gerne den notwendigen Gesprächen, die dazu in Europa geführt werden müssen, nicht vorgreifen.

Frage: Herr Plate, der Bundesinnenminister hat mehrfach gesagt, es gäbe Vermutungen, ein Drittel der Syrer, die sich hier melden oder hierherkommen, seien gar keine Syrer. Ich würde gerne wissen: Auf welcher faktischen Grundlage erklärt der Bundesinnenminister das?

Plate: Danke für die Frage. Das war ja gestern Abend noch einmal Thema. So richtig Neues kann ich daran allerdings nicht erkennen. Ich habe auch nichts Neues dem hinzuzufügen, was ich hier schon ausgeführt habe, nämlich dass es sich um Schätzungen auf Grundlage der Erkenntnisse der Behörden vor Ort handelt. Mit Behörden vor Ort sind - das hatte ich beim letzten Mal schon ausgeführt - das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die Bundespolizei und Frontex gemeint. Es ist so, dass in der Tendenz manche Schätzungen sogar höher als das sind, was der Bundesinnenminister genannt hat. Aber es sind und bleiben Schätzungen. Daran habe ich auch zu keinem Zeitpunkt einen Zweifel gelassen.

Zusatzfrage: Warum müssen das Schätzungen sein? Es muss doch darum gehen, dass es Leute sind, die mindestens registriert sind. Wieso gibt es dafür keine Statistik, auf die man sich berufen kann?

Plate: Eine Statistik, für die es die Erhebung personenbezogener Daten bedarf, bräuchte eine gesetzliche Grundlage. Es gibt keine gesetzliche Grundlage, auf der man eine solche Statistik nach geltendem Recht erheben könnte, und deswegen gibt es auch keine.

Zusatzfrage: Gibt es ein Nachdenken darüber, welche Wirkung solche Äußerungen, die auf Schätzungen basieren, womöglich bei den Leuten haben, die sich im Augenblick um die Aufnahme der Syrer kümmern?

Plate: Grundsätzlich wird im Bundesinnenministerium über alles nachgedacht, was mit der momentanen Flüchtlingssituation zu tun hat. Das betrifft sowohl rechtliche Regelungen als auch Maßnahmen unterhalb des Gesetzes als auch die Frage, welche Wirkung welche Worte haben. Das ist doch selbstverständlich.

Frage: Herr Plate, die Frage, ob Flüchtlinge an der Grenze zurückgewiesen werden können, stellt sich ja nicht erst seit heute mit den zu erwartenden Beschlüssen des Kabinetts in München. Deswegen würde ich schon ganz gerne versuchen zu fragen, wie das vor Ort aussehen kann - Stichwort Landeskräfte beziehungsweise Bundespolizei -, auf welcher rechtlichen Grundlage eine solche Zurückweisung stattfinden kann.

Plate: Zu der letzten Frage, auf welcher Grundlage eine solche Zurückweisung stattfinden kann, werde ich nicht Stellung nehmen, weil die Bundesregierung, wie Sie wissen, das weder tut noch plant und mir sonstige Pläne konkret nicht vorliegen.

Zu der Frage, wie das in der Praxis aussieht, kann ich Ihnen das vielleicht insofern ein bisschen erläutern, als jedenfalls einmal in der Praxis sich die Frage Zurückweisung an der Grenze - wie Sie es formuliert haben - und wie es auch eine Vorschrift aus dem Asylverfahrensgesetz vorsieht, sich so eigentlich kaum jemals stellt. Warum nicht? Es gibt ja schon seit längerem keine Schlagbäume mehr, wie sicher alle wissen. Die Grenzkontrolle ist ja der Moment, wo zum Beispiel eine Grenzschutzpolizei, wie die Bundespolizei es ist, auf die Migranten trifft. In diesem Moment ist sie, technisch gesprochen, in aller Regel gar nicht an der Grenze im Sinne des Gesetzes, sondern auf deutschem Boden, und seien es nur 2,5 Meter, 5 Meter oder 100 Meter auf deutschem Boden. Es ist aber auf deutschem Boden. So sieht das in der Praxis aus. Deswegen stellt sich die Frage einer Zurückweisung an der Grenze so, wie das im Moment läuft, eigentlich eher nicht. Es handelt sich um Kontrollen auf deutschem Boden, und dann gilt jedenfalls der Grundsatz des Non-Refoulement der Genfer Flüchtlingskonvention. Das ist jedenfalls wohl die überwiegende Auffassung in der Rechtslehre für die Situation, wie sie sich im Moment in praxi darstellt.

Zusatzfrage: Unter welchen Umständen wäre es dann möglich, die Grenzbäume wieder aufzurichten beziehungsweise die Kontrollen an der Grenze direkt durchzuführen?

Plate: So etwas ist nicht geplant. Deswegen ist das eine hypothetische Frage, zu der ich nicht Stellung nehme.

Frage: Herr Plate, das ist keine hypothetische Frage, sondern - Sie sind ja auch Jurist - eine Lernfrage: Ist in Bezug auf Bayern die Bewältigung der Flüchtlingszahlen ein Problemfall, für den das Notstandsrecht geschaffen worden ist?

Plate: Ich bin zwar auch Jurist - das ist richtig -, sitze aber nicht in meiner Eigenschaft als Jurist hier, sondern als einer der Sprecher des Bundesinnenministeriums. Als ein solcher kann ich dazu im Moment nichts beitragen. Ich müsste erst einmal historische Exegese betreiben und gegebenenfalls nachreichen, wofür das Rechtskonstrukt, das Sie gerade erwähnt haben, geschaffen worden ist.

Zusatzfrage: Herr Schäfer, es wird gerade über die Türkei als ein sicheres Herkunftsland diskutiert. Ihr Ministerium hatte in den letzten Wochen immer gesagt: Das kommt nicht infrage. Ist das immer noch die Haltung der Bundesregierung? Können Sie noch einmal begründen, warum die Türkei kein sicheres Herkunftsland werden darf?

Schäfer: Ich glaube, ich kann es kurz machen. Die Diskussionen sowohl in Brüssel unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und den EU-Institutionen - dazu gehören in diesem Fall auch das Europäischen Parlament und die EU-Kommission - wie die Gespräche der Bundesregierung über diese Frage dauern an. Ich glaube, es bringt nichts, hier mit Ihnen über Prozeduren und Abläufe zu sprechen, sondern warten Sie doch einfach das Ergebnis dieser Beratungen ab.

Zusatzfrage: Ich wollte die Position der Bundesregierung hören, warum die Türkei kein sicheres Herkunftsland sein soll. Das haben Sie in den letzten Wochen ja immer wieder betont.

Schäfer: Ich glaube nicht, dass das in den letzten Wochen - im Plural - immer wieder betont worden ist, sondern ich wiederhole noch einmal: Die Beratungen innerhalb der Bundesregierung zu dieser Frage laufen. Das alles ist Teil eines Gesamtpaktes von Maßnahmen der Europäischen Union mit der Türkei, die dem Ziel dienen sollen, die Flüchtlingsströme, die auch über die Türkei kommen, besser zu kontrollieren und in den Griff zu bekommen. In dieser Diskussion gibt es in der Tat entsprechende Vorschläge aus Brüssel, die zurzeit, wie gesagt, in Brüssel in den europäischen Institutionen, aber auch bei uns hier in Berlin diskutiert werden.

Frage: Herr Plate, vor ziemlich genau einem Monat gab es die Auskunft, dass es keinerlei Hinweise auf Terroristen gebe, die sich unter die Flüchtlinge mischten. Jetzt sagt der Minister, die Bundesregierung habe solche Hinweise. Was hat sich innerhalb dieses Monats am Lagebild verändert?

Plate: Vielen Dank für die Frage. - Das ist dann vielleicht ein Missverständnis, dass es keine Hinweise gibt. Es gab schon länger Hinweise. Sie müssten mir vielleicht einmal die Textstelle nennen, dass etwas anderes gesagt worden wäre. Es gab schon länger Hinweise, teilweise konkreter, teilweise nicht so konkreter Art, oft auch von Flüchtlingen, die darüber berichten, dass andere Flüchtlinge angeblich berichtet hätten, sie seien IS-Kämpfer. So etwas sind Hinweise, die sich aber eben nicht erhärtet haben. Das galt vor einem Monat, wie es heute auch gilt.

Frage: Herr Plate, Herr Seibert, Herr Seehofer spricht in dem ganzen Kontext gerne von "Notwehr", wenn ich das richtig verstanden habe. Notwehr ist als solche in § 227 BGB als legal definiert, und zwar als "Verteidigung, welche erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden". Ich würde natürlich schon gerne von Ihnen erfahren, ob Sie in irgendeiner Form sehen können, dass ein solcher rechtswidriger Angriff auf das Territorium Bayerns zu sehen ist oder zu befürchten wäre.

Plate: Ich weiß nicht, ob Herr Seibert eine Äußerung von Herrn Seehofer kommentieren oder interpretieren - darauf würde es hinauslaufen - möchte. Ich mache es jedenfalls nicht.

StS Seibert: Das gilt auch für mich.

Frage: Herr Plate, wir haben im September die Zahlen des Zuzugs von Flüchtlingen zur Kenntnis genommen. Gibt es neuere Erkenntnisse in diesem Monat - heute ist der 9. Oktober -, ob sich die Tendenz weiter so hält oder ob es Veränderungen gibt?

Plate: Die Pressemitteilung, die wir herausgegeben haben, die Sie ansprechen, ist noch nicht besonders alt. Seitdem gibt es keine gravierend neuen Erkenntnisse. Dazu gehört aber jedenfalls auch - das kann ich sagen, ohne konkreter werden zu können -, dass wir es weiterhin mit hohen Zuzugszahlen zu tun haben. Wir rechnen auch nicht damit, dass sich das in Kürze in dramatischer Weise ändert.

Frage: Herr Plate, Sie sagten, eine Zurückweisung und eine Errichtung von weitergehenden Grenzkontrollen sei nicht geplant. Ist damit sozusagen der Vorschlag erledigt, das Flughafenverfahren an den Landesgrenzen durchzuführen und Transitzonen einzurichten? Wird der Vorschlag nicht mehr geprüft und nicht mehr verfolgt?

Zweitens eine Frage an Herrn Seibert: Könnten Sie vielleicht eine etwas verbindlichere Antwort zum Thema Anwendbarkeit der Notstandsgesetze geben?

Plate: Vielleicht ganz kurz zunächst zu Ihrer ersten Frage: Ein solches Verständnis meiner Aussage, wie Sie es gerade dargelegt haben, ist jedenfalls von mir nicht impliziert gewesen. Auf dieses Verfahren habe ich mich nicht bezogen. Dazu gibt es keinen neuen Sachstand. Das befindet sich weiterhin in der Abstimmung.

StS Seibert: Nein, das kann ich nicht.

Frage: Herr Seibert, ist es politisch legitim - das bezieht sich auf eine Aussage von Herrn Seehofer, die vorliegt -, dass ein Bundesland politische und juristische Notwehrmaßnahmen gegen die Bundesregierung und damit auch gegen die Politik der Bundeskanzlerin ankündigt? Ist das nach Ansicht der Bundesregierung politisch eine zulässige Auseinandersetzung, oder wird damit ein zulässiger Rahmen der Auseinandersetzung überschritten? Ich will keine juristische Antwort, sondern eine politische Antwort.

StS Seibert: Das ist mir klar. - Was politisch legitim ist, liegt im Auge des Betrachters, und das überlasse ich dann auch Ihrer Beurteilung. Ich werde hier dazu nichts beitragen.

Die Bundeskanzlerin hat ja in einem ausführlichen Fernsehgespräch auch hinsichtlich der Zusammenarbeit mit der bayerischen Staatsregierung und mit dem Ministerpräsidenten von dem großen Respekt gesprochen, den sie für die enorme Leistung hat, die Bayern derzeit sowohl staatlich als auch ehrenamtlich und zivilgesellschaftlich erbringt, und ich glaube, dass das die richtige Antwort darauf ist.

Zusatzfrage: Es gibt ja die Richtlinienkompetenz der Bundeskanzlerin für die Grundzüge der Bundespolitik. Ist die Bundeskanzlerin geneigt, ihre Richtlinienkompetenz in der Flüchtlings- und Asylfrage nicht nur formal in Anspruch zu nehmen, sondern auch durchzusetzen, auch wenn es gegen einen Parteifreund aus der CSU geht?

StS Seibert: Fragen zum Verhältnis zwischen Parteien werde ich hier nicht beantworten; die sind nicht Gegenstand meiner Überlegungen. Die Bundeskanzlerin leistet ihre Arbeit mit großer Energie an der Spitze der Bundesregierung. Sie haben gehört, dass am Mittwoch im Kanzleramt beschlossen wurde, eine politische Koordinierung der gesamten Flüchtlings- und Asylpolitik einzurichten. Das ist ein Zeichen der Verantwortung, die die Bundeskanzlerin auch persönlich empfindet, und auch dazu hat sie sich ja ausdrücklich im Gespräch mit Anne Will bekannt. Mehr habe ich dazu jetzt nicht zu sagen.

Frage: Herr Plate, Sie haben ja am Mittwochabend Zahlen komplett veröffentlicht. Wie verteilen sich die Flüchtlinge innerhalb der Bundesrepublik? Gibt es jetzt eine Auflistung darüber, wie viele in welchem Bundesland sind? Wenn nicht, warum gibt es die nicht?

Plate: Eine solche Auflistung kann ich Ihnen hier von der Bank aus nicht anbieten. Sie wissen ja, dass der Bund am 21. September auf Wunsch der Ministerpräsidenten die Koordinierung der Verteilung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland übernommen hat. Dazu wurde eine Stelle eingerichtet, die örtlich in München sitzt und unter dem Vorsitz von Herrn Tiesler steht, der zugleich Vizepräsident des BBK ist, des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Aber er ist sozusagen nicht in dieser Eigenschaft als Vorsitzender dieser Stelle benannt worden, sondern ad personam, wie man so schön sagt. Der versucht jeden Tag und Seite an Seite mit dem bayerischen Sozialministerium, das sogenannte Ankunftsgeschehen, das sich ja nach wie vor hauptsächlich in Bayern abspielt, so in den Griff zu bekommen, dass man eine Verteilung auf die Bundesländer vornimmt. Der Wunsch der Ministerpräsidenten und auch des Bundes ist, diese Verteilung sukzessive immer weiter an die Quoten anzunähern, die der Königsteiner Schlüssel vorsieht.

Zusatzfrage: Was ist mit den registrierten Flüchtlingen - die müssen ja irgendwie irgendwo registriert sein -, oder sind die in den Statistiken, die Sie am Mittwochabend zur Verfügung gestellt haben, nicht verortet?

Plate: Das ist richtig, aber ich kann Ihnen hier von der Bank keine Verteilungszahlen nennen, wie ich einleitend schon gesagt habe.

Frage: Herr Seibert, ich habe zwei Fragen. Zum einen verstehe ich nicht ganz, warum Sie sich so beharrlich weigern, etwas zum Thema Seehofer und Bayern zu sagen. Meiner Meinung nach hat die Kanzlerin doch schon gestern damit angefangen, etwas dazu zu sagen: Man könne nicht an der Grenze sagen "Du kommst hier nicht rein", was für mich eine relativ klare Absage an das war, was Seehofer da plant.

Zweite Frage: Es gibt mittlerweile Strafanzeigen - unter anderem gegen die Kanzlerin und, glaube ich, auch gegen den Innenminister - wegen bandenmäßiger Schleuserei. Können Sie dazu vielleicht auch ein paar Worte sagen?

StS Seibert: Sie sagen ja selbst, die Bundeskanzlerin habe sich geäußert. Dann empfehle ich, auf die Äußerungen der Bundeskanzlerin, die ja gerade aus dieser Woche reichlich vorliegen, zurückzugreifen.

Das Zweite ist die Frage nach diesen Anzeigen. Auch davon habe ich gehört, allerdings erst einmal nur aus der Presse. Wir sind ein Rechtsstaat. Wer Anzeige erstattet, der kann das tun. Das wird von der Justiz geprüft. Diese Dinge nehmen ihren Gang.

Zusatz: Kurze Nachfrage: Entweder ist doch Ihre Einstellung "Das ist alles hypothetisch, und dazu sagen wir nichts" oder "Die Kanzlerin hat bereits etwas dazu gesagt, und ich sage nichts mehr dazu", aber es kann doch nicht beides sein!

StS Seibert: Das ist einer der großen Unterschiede zwischen der Bundeskanzlerin und dem Regierungssprecher.

Zusatz: Ich verstehe, dass Sie dazu nichts sagen wollen, aber Sie können sich doch nicht immer eine neue Begründung einfallen lassen. Wenn Sie sagen "Das ist hypothetisch, und wir sagen dazu nichts" und wenn die Kanzlerin etwas dazu gesagt hat, dann können Sie doch nicht sagen "Wir haben ja schon etwas dazu gesagt".

StS Seibert: Ich habe nicht "wir" gesagt. Ich habe gesagt: Die Bundeskanzlerin hat sich geäußert. Das sind doch Äußerungen, mit denen Sie arbeiten können. Es liegt ein 60-minütiges Fernsehgespräch vor. Das ist noch sehr frisch. Das ist doch alles, was Sie brauchen. Ich nehme nicht Stellung zu Themen, die das Verhältnis der Parteien untereinander betreffen; das ist nicht meine Aufgabe als Regierungssprecher. Das habe ich auch in der Vergangenheit nicht getan, und insofern ist das nichts Neues.

Zusatz: Wobei sich meine Frage nicht auf das Verhältnis der Parteien untereinander bezog!

Frage: Herr Seibert, ist denn davon auszugehen, dass die Kanzlerin für die Bundesregierung spricht?

StS Seibert: Rhetorische Fragen finde ich in dieser Veranstaltung sinnlos. Sie können sie sich selbst beantworten: Selbstverständlich!

Zusatzfrage: Können Sie uns einmal verraten, wie sich die CSU-Minister der Bundesregierung aktuell im Rahmen der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin einbringen?

StS Seibert: Vielleicht fragen Sie die Sprecher der Minister, beispielsweise des Entwicklungsministeriums, das beispielsweise eine sehr wichtige Rolle dabei spielt, Fluchtursachen zu bekämpfen und dies zu einer zentralen Absicht unserer Entwicklungs- und Außenpolitik zu machen. Beispielsweise der Sprecher oder die Sprecherin des BMZ kann Ihnen etwas dazu sagen. Ich muss das doch jetzt hier nicht referieren.

Vorsitzender Szent-Ivanyi: Möchten Sie die Anregung aufnehmen?

Zusatz: Gerne!

Franke: Vielen Dank. Minister Müller hat bereits vor gut eineinhalb Jahren im Ministerium die Initiative zur Bekämpfung von Fluchtursachen und zur Vermeidung von Konflikten eingebracht. Wir arbeiten seitdem intensiv an diesem Thema, Fluchtursachen zu bekämpfen, und zwar mit verschiedenen Aktivitäten. Wir geben beispielsweise für die aktuelle Situation in Syrien und in den Anrainerstaaten mehr als 1 Milliarde Euro jährlich aus, um dieses Thema mit verschiedenen Maßnahmen anzugehen. Insofern ist das eine sehr aktive Einbringung in dieses Thema, Fluchtursachen zu bekämpfen.

Zusatzfrage: Steht Ihr Minister denn hinter den Aussagen aus Bayern und von Herrn Seehofer? Die gleiche Frage geht auch an Herr Susteck.

Franke: Ich bin der Sprecher des Ministeriums. Ich konzentriere mich auf das, was wir im Ministerium hinsichtlich dieses Themas leisten und dazu beitragen können. Zu weiteren Dingen werde ich mich nicht äußern.

Susteck: Ich habe dem, was der Kollege gerade ausgeführt hat, nichts hinzuzufügen. Das gilt für unser Haus ebenso wie für das BMZ.

Frage: Herr Susteck, Sie sind ja Sprecher des Fähnleinführers des CSU-Teils innerhalb der Bundesregierung; Herr Dobrindt hat diese Rolle des Sprechers der CSU-Minister zumindest inne. Ist Ihnen bekannt, ob Ihr Minister vorbehaltlos hinter der Flüchtlings- und Asylpolitik seiner Vorgesetzten beziehungsweise seiner Kanzlerin steht?

Susteck: Sie wissen, dass ich Ressortsprecher für das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur bin. Dort, wo unser Haus mit dem Thema Flüchtlinge zu tun hat, zum Beispiel im Bereich der Deutschen Bahn, wenn es um die Beförderung von Flüchtlingen geht, arbeiten wir eng und vertrauensvoll mit allen anderen Häusern zusammen. Die Koordination liegt bei den Kollegen des BMI. Darüber hinaus nehme ich nicht Stellung zu parteipolitischen Fragen.

Zusatzfrage: Das war keine parteipolitische Frage. Die Frage war, ob Ihnen als Sprecher von Herrn Dobrindt bekannt ist, ob Herr Dobrindt eine Position zur Asylpolitik der Bundeskanzlerin hat.

Susteck: Ich habe dem nichts hinzuzufügen.

Zusatzfrage: Hat er also keine Meinung zur Asylpolitik der Kanzlerin?

Susteck: Ich könnte jetzt noch einmal das wiederholen, was ich Ihnen gerade ausgeführt habe.

Frage: Herr Plate, ich würde ganz gerne noch einmal auf den Königsteiner Schlüssel zu sprechen kommen. Sie sagten eben, die präzisen Zahlen lägen nicht vor. Können Sie denn etwas dazu sagen, ob die Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel in der Tendenz annähernd gut funktioniert oder ob noch ein weiter Weg zu gehen ist?

Plate: Zunächst einmal, wenn ich mir das erlauben darf, vielleicht eine ganz kurze Korrektur dessen, wie Sie mich wiedergegeben haben: Ich habe nicht gesagt, dass keine Zahlen vorliegen, sondern, dass ich hier von der Bank aus keine Zahlen nennen kann. Natürlich ist es so: Wenn eine Stelle des Bundes die Verteilung von Flüchtlingen vornimmt, dann wird sie - jedenfalls seit dem Zeitpunkt, seit dem sie tätig ist - einen Überblick über die Zahlen gehabt haben. Ob die sozusagen in aggregierter Form vorliegen und - selbst, falls es so ist - ob ich sie herausgeben kann oder ob sie möglicherweise eingestuft sind, müsste ich einfach nachschauen. Ich kann die Zahlen hier von der Bank aus nicht liefern.

Die zweite Frage ist - ich glaube, Sie hatten es so formuliert -, ob die Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel schon annähernd gut läuft oder ob noch ein weiter Weg zu gehen ist. Das ist beides mit Ja zu beantworten. Es ist so, dass es im Ankunftsgeschehen der ersten Septemberwochen - das, wie Sie sicherlich alle wissen, mit besonders hohen Zahlen einherging und in dessen Rahmen Bayern noch selbst verteilt hat und das bayerische Sozialministerium federführend war - einfach so war, dass man schauen musste: Wo ist denn jetzt noch Platz? Wo können Flüchtlinge untergebracht werden? - Aber es ging in den ersten Wochen vor allen Dingen auch darum, auf jeden Fall Obdachlosigkeit zu vermeiden und das zu erfüllen, was die Genfer Flüchtlingskonvention von uns verlangt, nämlich Sicherheit und Würde. Natürlich ging das in den ersten Wochen damit einher, dass sich die Verteilung nicht oder jedenfalls nicht vollständig nach dem Königsteiner Schlüssel gerichtet hat. Seit dem 21. September hat der Bund das übernommen, eben auch, wie ich schon geschildert habe, mit dem Auftrag, sich immer weiter den Quoten des Königsteiner Schlüssels anzunähern. Genau das passiert. In dem Begriff "annähern" steckt auch schon die Aussage, dass es noch keine volle Abbildung der Quoten des Königsteiner Schlüssels gibt. Daran arbeiten wir weiter.

Zusatzfrage: Wenn Herr Seehofer ankündigt, dass er Züge mit Flüchtlingen in andere Bundesländer schicken möchte, dann würde das doch auch immer in Absprache beziehungsweise Koordinierung mit dem Bund passieren, wie Sie es ja eben auch erläutert haben, oder nicht?

Plate: Ich kann nur für die Vergangenheit und für die Gegenwart sprechen. Für die Zukunft kann ich nicht sprechen, insbesondere deshalb, da ich nicht konkret von einem solchen Plan weiß, wie Sie ihn gerade beschrieben haben. Da Herr Seehofer heute, wie Sie wissen, später vor die Presse treten wird, werden wir dann schauen, wie wir mit seinen konkreten Plänen, die er ankündigen mag, umgehen werden.

Frage: Auch noch einmal zum Königsteiner Schlüssel: Ist es rechtlich und politisch tatsächlich möglich, ein Bundesland oder mehrere Bundesländer von dieser Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel auszunehmen? Der Königsteiner Schlüssel wäre kein Königsteiner Schlüssel mehr, wenn man ihn nicht mehr auf 16 Bundesländer beziehen würde. Die erste Frage ist also: Geht das theoretisch, dass ein Land sagt "Wir steigen da jetzt aus"?

Zweitens. Wenn man die bisherigen Zahlen, die Sie uns jetzt nicht nennen können oder wollen, zugrunde legt, kann man dann sagen, dass Bayern nach jetzigem Stand seine Aufnahmeverpflichtung nach dem Königsteiner Schlüssel sozusagen schon übererfüllt hat? Könnten die Bayern also zu Recht sagen "Wir haben schon so viele aufgenommen, wir haben unsere Quote übererfüllt"?

Dritte Frage, noch einmal hinsichtlich der Frage, was man eigentlich an den Grenzen macht: Gibt es Gespräche mit Österreich oder mit anderen Nachbarländern darüber, das System der Flüchtlingsverteilung nach Dublin II oder Dublin III beziehungsweise im Sinne des Grundgesetzartikels 16b Absatz 2 wieder zu implementieren und in irgendeiner Weise dazu zurückzukehren?

Plate: Ich fange, wenn ich darf, mit der zweiten Frage an. Die zweite Frage betraf eine Erfüllung oder Übererfüllung des Königsteiner Schlüssels durch Bayern. Zunächst einmal möchte ich betonen: Die Bayern - das schließt ausdrücklich alle ein, die haupt- und ehrenamtlich in diesem Bereich tätig sind, vom bayerischen Ministerpräsidenten bis herunter zur Freiwilligen Feuerwehr und anderen engagierten freiwilligen Stellen - haben in den letzten Wochen großartige Arbeit geleistet und tun das auch weiterhin; davon bin ich völlig überzeugt. Es ist natürlich auch so, dass sich das Ankunftsgeschehen rein faktisch ganz überwiegend in Bayern abgespielt hat. Ob es einem jetzt gefällt oder nicht: Es ist einfach so, dass die Menschen die Bundesrepublik Deutschland ganz überwiegend über das Land Bayern betreten haben.

Wenn ich auf die Frage des Kollegen vorhin schon gesagt habe, dass sich die Verteilung der Flüchtlinge auf jeden Fall in der ersten Zeit nur sehr annäherungsweise an den Königsteiner Schlüssel anlehnen konnte, um einfach auch Obdachlosigkeit zu verhindern, dann ist damit, glaube ich, auch schon gesagt, und ich wiederhole es gerne noch einmal oder stelle es klar, dass Bayern ganz sicher zu den Ländern gehört, die jedenfalls nach heutigem Stand zunächst mehr Flüchtlinge untergebracht haben, als es der Königsteiner Schlüssel - bezogen auf diese Periode - für Bayern vorgesehen hätte. Daraus aber jetzt zu folgern, dass man sagen kann "Jetzt ist die Quote für alle Zeiten erfüllt oder übererfüllt", würde ich für eine voreilige Schlussfolgerung halten. Wie Sie wissen, kommen nämlich weiterhin Flüchtlinge an.

Dann komme ich vielleicht zu der ersten Frage, ob ein Land einfach aus dem Königsteiner Schlüssel ausscheren kann oder nicht. Ich möchte für den Bund ungern dazu Stellung beziehen, weil das, wie Sie wissen, eine Vereinbarung zwischen den Ländern ist. Nach meinem Verständnis ist es so, dass Vereinbarungen zwischen Parteien - ganz egal, ob es sich um den Königsteiner Schlüssel oder um andere Vereinbarungen handelt -, wenn sie geändert werden sollen, eben zwischen den Parteien besprochen werden müssen, die sich einmal auf so etwas geeinigt haben. Der Königsteiner Schlüssel ist aber kein Verfassungsrecht, falls das sozusagen die Frage ist. Der Minister hat sich aber in der Vergangenheit schon einmal dazu geäußert, dass er davon abraten würde, an das, was im Rahmen des Königsteiner Schlüssels vereinbart worden ist - das ist natürlich nicht ganz trivial -, heranzugehen und ihn ganz grundsätzlich zu ändern.

Zu der dritten Frage, ob, wenn ich Sie richtig verstanden habe, mit den anderen europäischen Mitgliedstaaten besprochen worden ist, ob die Dublin-III-Verordnung wieder angewendet wird, möchte ich vielleicht noch einmal sagen: Die Dublin-III-Verordnung ist unverändert geltendes Recht. Sie wird angewendet. Sie sieht zum einen die Möglichkeit von Rücküberstellungen in Länder, in denen ein Flüchtling zum ersten Mal europäischen Boden betreten hat, nach Abschluss eines in der Verordnung im Einzelnen beschriebenen Rücküberstellungsverfahrens vor. Sie sieht aber in ihrem Artikel 17 eben auch die Möglichkeit des sogenannten Selbsteintrittsrechtes vor, also des Rechts, auf ein Rücküberstellungsverfahren zu verzichten und das Verfahren bei sich selbst durchzuführen. In dieser Gesamtgemengelage beziehungsweise in diesem Spektrum bewegen sich die Maßnahmen, die Sie in der Vergangenheit gesehen haben und auch in der Gegenwart sehen, und das wird auch in der Zukunft so bleiben.

Frage: Herr Plate, ich würde gerne einfach noch einmal zwei Fragen stellen. Kann es sein, dass nur Bayern die Quote nach dem Königsteiner Schlüssel übererfüllt?

Zweitens. Warum sind die Zahlen - wie auch immer - geheim? Haben Sie die Zahlen, aber veröffentlichen Sie sie nicht? Woran liegt das? Es entsteht natürlich irgendwie der Eindruck: Man will hier jetzt die Krise managen, und gleichzeitig sind die Zahlen nicht öffentlich. Können Sie mir das vielleicht noch einmal erklären?

Plate: Ja, ganz gerne. Vielleicht zuerst zu der ersten Frage, ob es sein kann, dass Bayern die Quote als einziges Land übererfüllt oder nicht übererfüllt: Sein kann natürlich immer vieles. Der letzte Stand, der mir bekannt war, war, dass Bayern nicht das einzige Land war. Ich habe jetzt aber auch keinen Stand von heute, 11.29 Uhr, vorliegen. Das ändert sich natürlich täglich.

Noch einmal zu den Zahlen: Ich habe schon gesagt, dass ich die Zahlen nicht hier auf der Bank bei mir habe. Ich kann gerne prüfen, ob die Zahlen herausgegeben werden können und, wenn ja, auf welchen Zeitraum sie bezogen sind; das habe ich Ihnen ja auch schon bilateral zugesagt. Die Prüfung ist aber noch nicht abgeschlossen, und mehr habe ich zu dieser Zahlenfrage auch nicht zu sagen.

Schäfer: Ich bitte um Entschuldigung. Ich musste wegen einer dringenden Angelegenheit kurz das Haus verlassen; ich bitte um Verständnis.

Ich würde gerne im Namen der Bundesregierung ein paar Worte zum Thema Libyen sagen. Ich weiß nicht, ob Sie es schon mitbekommen haben; einige Agenturen haben darüber berichtet: Wir sind heute einen weiteren - ich hoffe, hinreichend großen - Schritt auf dem Weg zur Bildung einer Einheitsregierung auf der Grundlage einer neuen Verfassung vorangekommen. Es ist jetzt nach fast einjährigen Verhandlungen unter der Ägide des Sondergesandten der Vereinten Nationen Bernardino León gelungen, ein Personaltableau zusammenzustellen, das die Spitze einer neuen Einheitsregierung für Libyen sein soll. Schon das - gerade weil die Verhandlungen darüber zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Gruppen im Land so schwierig waren - ist ein wichtiger Schritt nach vorne, und dafür gebührt Herrn León und seinem gesamten Verhandlungsteam große Anerkennung.

Wir wollen darauf setzen und hoffen darauf, dass es trotz aller Schwierigkeiten und trotz aller fortbestehenden Meinungsunterschiede und Interessengegensätze zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen gelingen kann, die notwendigen Kompromisse zu finden, um die Konflikte, die es weiterhin gibt, friedlich auszutragen, und ein Auseinanderbrechen Libyens auf diese Art und Weise zu verhindern.

Das, was die Vereinten Nationen unter Führung von Bernardino León seit vielen Monaten probieren, ist aus unserer Sicht die beste Chance für einen Frieden im Land. Klar ist aber auch: Der Prozess unter Führung der Vereinten Nationen ist noch nicht am Ziel angelangt. Bevor die jetzt personell vorschattierte Einheitsregierung tatsächlich ihre Arbeit wird antreten können, werden noch manche Widerstände zu überwinden sein. Wir fordern alle Konfliktparteien deshalb in aller Eindringlichkeit auf, sich in den nächsten Tagen zu dem Friedensabkommen zu bekennen und an der Einsetzung einer handlungsfähigen Einheitsregierung in Tripolis zu beteiligen.

Ich kann Ihnen versichern, dass die Bundesregierung bereit steht, diese neue demokratische Regierung nach allen Kräften zu unterstützen. Die entsprechenden Vorbereitungen sind im Auswärtigen Amt bereits in vollem Gange.

Frage: Herr Schäfer, können Sie einmal begründen, warum das dann eine demokratische Regierung wäre?

Zur zweiten Frage: Sie betonen ja immer wieder, dass der libysche Staat aktuell kein wirklicher Staat sei. Angenommen, diese Regierung setzt sich jetzt zusammen, wie lange dauert es dann, bis man wieder mit einem funktionierenden Staat rechnen kann? Es ist ja nicht so: Die Regierung kommt ins Amt, und schwups ist ein Staat da.

Schäfer: Sie stellen alle richtige Fragen - Fragen, die wir uns auch stellen. Das, was ich gerade eben als den Versuch einer demokratischen Entwicklung beschrieben habe, ist keine Westminster-Demokratie und auch keine Demokratie nach dem Vorbild des deutschen Grundgesetzes oder nach europäischen Vorstellungen, sondern der Versuch, die gesellschaftlichen Gruppen nach demokratischen Grundsätzen zusammenzubringen.

Sie wissen: Es gibt in Libyen mehrere Regierungen und auch mehrere Parlamente, die sich gegenseitig ihre Legitimität streitig machen. Das Ganze ist eine große und ganz erhebliche Gefahr für die Stabilität, ja, für den Zusammenhalt des gesamten Staates. Deshalb sind die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft - im Übrigen in großer Eintracht aller großen Staaten, Spieler und Mächte, die ein Interesse an den Entwicklungen in Nordafrika haben - darauf gerichtet, genau diese unterschiedlichen Spieler, wenn Sie so wollen, zur Vernunft zu bringen und dazu zu bringen, sich auf demokratische Spielregeln einzulassen, um auf diese Art und Weise das zu verhindern, was droht, nämlich einen totalen Kollaps eines "failed state" Libyen, der nicht nur eine Katastrophe für die 6 Millionen Libyer im Land wäre, sondern der auch für uns als Nachbarn in Europa nördlich des Mittelmeeres nur noch zusätzliche Probleme mit sich brächte; die Flüchtlingsströme über Libyen sind nur eines davon.

Zusatzfrage: Die zweite Frage war ja: Wann kann man wieder von einem funktionierenden Staat sprechen? Die Regierung kommt ins Amt, und schwups ist ein Staat da - das ist ja nicht. Wie lange kann das dauern?

Schäfer: Ich halte mich da an etwas, was Herr Seibert gerade gesagt hat: Da liegt die Schönheit wieder im Auge des Betrachters. Wir glauben also nicht, dass der libysche Staat in absehbarer Zeit den Organisationsgrad des Bundeslandes Bayern erreichen wird; das halte ich für unwahrscheinlich. Das muss aber auch nicht sein. Letztendlich geht es doch darum, dass der libysche Staat in der Lage ist, in der ganzen Fläche seines Territoriums sozusagen staatliche Entscheidungen nicht nur zu treffen, und zwar möglichst legitim und demokratisch, sondern sie auch umzusetzen und durchzusetzen. Dazu gehört das Gewaltmonopol des Staates. In Libyen gibt es unzählige Fraktionen und Gruppierungen, die sich in der Vergangenheit in den Waffenarsenalen von Assad bedient haben. Diese Waffen stellen bis auf Weiteres eine große Gefahr für die Stabilität Libyens, aber auch für die ganze Region dar. Auch da geht es darum, die Leute zur Vernunft zu bringen und ihnen zu erklären, dass Libyen ein Land ist, das durch den Öl- und Gasreichtum im Grunde alle Ressourcen hat, die es braucht, damit die 6 Millionen Libyer miteinander in Wohlstand und Frieden zusammenleben können; man muss es nur organisieren. Die internationale Gemeinschaft will dabei behilflich sein, auch aus eigenem Interesse, und das gilt ausdrücklich auch für Deutschland.

Frage: Zum Thema VW an das Verkehrsministerium: Gibt es schon eine Reaktion auf den Bericht, den VW eingereicht hat?

Dann noch einmal zu einer Klärung bezüglich der Zahlen: Ich glaube, es geht um den 1,6-Liter-Motor. Wie viele Fahrzeuge müssen da letztendlich umgerüstet werden? Ist es richtig, dass es ungefähr 3,6 Millionen sind?

Können Sie auch noch einmal die Zahlen für den 1,2-Liter-Motor und für den 2-Liter-Motor nennen?

Susteck: Vielen Dank für die Frage. Das Antwortschreiben von Volkswagen auf den Brief des Kraftfahrt-Bundesamtes ist in der Tat am Mittwoch beim KBA eingegangen. Es handelt sich dabei um ein sehr umfangreiches Schreiben, das auch mit rechtlichen Ausführungen versehen ist. In dem Schreiben - das ist Ihnen, glaube ich, bekannt - werden in der Tat drei Euro-5-Dieselmotoren angesprochen, nämlich die mit einer Hubraumgröße von 2 Litern, 1,6 Litern und 1,2 Litern.

Bei den 2-Liter-Motoren spricht Volkswagen von einer Softwarelösung, um das Problem zu beheben. Diese Lösung soll noch in diesem Jahr vorliegen und ab Beginn des nächsten Jahres eingebaut beziehungsweise umgerüstet werden. Auch bei den 1,2-Liter-Dieselmotoren geht man aktuell bei Volkswagen davon aus, dass eine Softwarelösung gefunden werden kann. Bei den von Ihnen angesprochenen 1,6-Liter-Dieselmotoren wird zusätzlich mit großer Sicherheit eine motortechnische Anpassung notwendig sein. Das ist der von Volkswagen dem Kraftfahrt-Bundesamt gegenüber geschilderte Sachstand.

Das KBA prüft jetzt die von VW beschriebenen Maßnahmen und wird daraufhin eine unabhängige Entscheidung darüber fällen, welche Maßnahmen Volkswagen umsetzen muss. Das KBA wird diese Maßnahmen dann gegenüber Volkswagen anordnen. Das bezieht sich sowohl auf die technischen Umrüstungen, die stattfinden müssen, als auch auf den Zeitplan, also den Zeithorizont, innerhalb dessen diese Umrüstungen stattfinden müssen.

Zu Ihrer Frage nach den Zahlen: Ich kann Ihnen bestätigen, dass nach unserer Kenntnis hinsichtlich der 1,6-Liter-Dieselmotoren - das sind die Motoren, bei denen eine technische Umrüstung der Hardware erforderlich ist - in Europa 3,6 Millionen Fahrzeuge betroffen sind. Zu den 2-Liter-Motoren und den 1,2-Liter-Dieselmotoren liegen mir bisher keine konkreten Zahlen vor.

Die Prüfung dauert, wie Sie wissen, nach wie vor an. Der Minister hat das auch öffentlich gesagt. Wir gehen davon aus, dass das Kraftfahrt-Bundesamt jetzt einige Tage braucht, um diese technischen Vorschläge von Volkswagen zu würdigen und auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen. Parallel dazu arbeitet unsere Untersuchungskommission weiter. Die wird das nächste Mal am kommenden Dienstag in Wolfsburg sein und dort weitere Gespräche führen. In dieser Untersuchungskommission sitzen auch Experten und Fachleute des Kraftfahrt-Bundesamtes; die sind also auch mit daran beteiligt und werden sicherlich noch eine ganze Reihe von Detailfragen und Nachfragen an Volkswagen richten. Darüber hinaus laufen auch nach wie vor noch die umfassenden und umfangreichen Nachprüfungen, die der Bundesverkehrsminister beim Kraftfahrt-Bundesamt angewiesen hat, sowohl auf die in Rede stehenden Volkswagen-Dieselmodelle als auch auf weitere Dieselmodelle anderer Hersteller aus dem In- und Ausland bezogen.

Frage: Herr Susteck, der Minister hat sich gestern schon in Luxemburg vergleichsweise positiv zu diesem Antwortschreiben geäußert. Dann kam die Nachricht von den Durchsuchungen der Konzernzentrale in Wolfsburg. Haben diese Untersuchungen Einfluss auf die politische Bewertung in Ihrem Haus? Anders gefragt, ohne dass Sie jetzt auf Inhalte eingehen: Stehen Sie mit der Staatsanwaltschaft in Verbindung und lassen sich informieren?

Susteck: Vielen Dank auch für diese Frage. Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen laufen natürlich unabhängig von den Untersuchungen, die unser Haus vornimmt.

Zu der Bewertung, die Sie jetzt von mir hören möchten: Diese Frage stellt sich im Grunde erst, wenn wir auch wirklich alle Erkenntnisse haben, und die Erkenntnisse werden derzeit noch gewonnen - zum einen über diese Untersuchungskommission, zum anderen über die Aktivitäten des Kraftfahrt-Bundesamtes, die ich gerade beschrieben habe. Wir werden erst abschließend über Konsequenzen sprechen können, wenn uns alle Erkenntnisse vorliegen.

Völlig unbenommen davon sind natürlich die juristischen Fragen und auch die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, die Sie angesprochen haben.

Frage: An das BMVI oder das Ministerium für Verbraucherschutz: Gestern hat der US-Chef von VW vor dem Kongress gesagt, dass man prüfe, wie die Käufer der betroffenen Fahrzeuge möglicherweise kompensiert werden können, und dabei auch einen Rückkauf der Fahrzeuge in Betracht zieht. Gibt es für Deutschland eine Haltung der Ministerien zu der Möglichkeit des Rückkaufs?

Susteck: Mir ist eine solche Haltung nicht bekannt. Volkswagen hat bisher ja öffentlich immer geäußert, dass es für die Kunden keine Nachteile geben soll und dass auch im Bereich der Umrüstung nicht mit Kosten zu rechnen ist. Der Bundesverkehrsminister hat auch klargestellt, dass in dieser Frage alle Verbraucherinteressen vollumfänglich berücksichtigt werden müssen.

Zimmermann: Ich kann da als Sprecherin des Bundesministeriums für Verbraucherschutz selbstverständlich auch nur sagen, dass es für die Verbraucher natürlich ein hohes Interesse daran gibt, aufgrund dieses Vorfalls jetzt nicht mit Kosten für Rückrufaktionen oder Nachrüstungen betroffen zu werden. Aber wie der Kollege auch schon sagte, hat VW ja angekündigt, entsprechende Vorkehrungen zu treffen.

Frage: An das Finanzministerium zum Thema Garantiezins für Lebensversicherungen: Ihr Haus hat sich gestern ja schon dazu geäußert. Ich hätte gerne noch gewusst, wie sich die Abschaffung - ich nenne es jetzt einmal Abschaffung - des Garantiezinses mit dem Ziel im Koalitionsvertrag verträgt, die Lebensversicherungen an sich zu stärken. Eine Abschaffung einer Garantie ist nach meinem Verständnis erst einmal eine Verschlechterung.

von Tiesenhausen-Cave: Danke für die Frage. Das gibt mir die Gelegenheit, noch einmal ein bisschen auszuholen und die unterschiedlichen Begrifflichkeiten auch ein wenig auseinanderzufieseln.

Was steht an? Es steht an, dass das Versicherungsaufsichtsgesetz zum Jahr 2016 grundlegend geändert wird. Anlass ist, dass wir ein europäisches Aufsichtssystem für den Versicherungsbereich haben; das läuft unter dem Stichwort Solvency II. Unter Solvency II gibt es für große Unternehmen ein neues Aufsichtsregime. Hier wird anders berechnet als zuvor. Das wird im EU-Recht geregelt. Wir hatten in Deutschland bislang den Höchstrechnungszins; der wurde für die Zwecke der Aufsicht benötigt. In diesem neuen Regime unter Solvency II ist das nicht zwingend erforderlich. Deshalb ist in dem Entwurf der BMF-Verordnung, die auf unserer Webseite auch eingestellt ist, vorgeschlagen, dass dieser Höchstrechnungszins nicht mehr benötigt ist. Das gilt für die Unternehmen und deren Ansatz bei der Berechnung von Eigenmitteln.

Wichtig ist jetzt zu unterscheiden, was das für den Kunden bedeutet. Die Garantiezusagen, die die Versicherungsunternehmen machen, beruhen auf Verträgen, nicht auf dieser Verordnung. Das heißt, weiterhin sind auch Garantiezusagen möglich, Versicherer können also trotz des Wegfalls dieses aufsichtsrechtlichen Höchstrechnungszinses weiterhin Garantieversprechen abgeben. Nur noch einmal zur Einordnung: Im Übrigen gilt das für Neuverträge. An bestehenden Verträgen - davon gibt es ja in Deutschland sehr viele - würde sich also nichts ändern.

Zum Verfahren: Ich habe gesagt, dass es einen Anhörungsprozess gibt; der läuft. Wir sind natürlich offen für Argumente. Nach dem Ende der Anhörungsphase im November wird dann eine finale Entscheidung zu treffen sein.

Zusatzfrage: Ich verstehe das nicht ganz. Das Finanzministerium hätte das ja nicht machen müssen. Warum haben Sie es denn getan? Der Koalitionsvertrag sagt ja: Angesichts der Niedrigzinsphase wollen wir unter anderem Lebensversicherungen stärken.

von Tiesenhausen-Cave: Ich widerspreche der Darstellung, dass das eine Schwächung bedeutet. Im Übrigen ist das ein Vorschlag, der jetzt in der Anhörung ist, und eine finale Entscheidung wird im November getroffen.

Frage: An das Wirtschaftsministerium: Stimmt es, dass Herr Gabriel Ende Oktober nach Moskau fährt? Falls ja: Wen will er mitnehmen und wen will er dort in Moskau treffen?

Modes: Mir sind die Pläne nicht bekannt. Wie Sie wissen, kündigen wir solche Reisen immer im Vorfeld kurz vorher an, insofern würden wir auch diesen Termin so ankündigen. Ich kann dazu nichts sagen.

Zusatzfrage: Ist dem Auswärtigen Amt vielleicht von den Plänen des Vizekanzlers bekannt?

Schäfer: Nein.

Zusatzfrage : Auch dem Kanzleramt nicht?

StS Seibert: Natürlich wird über Reisen miteinander gesprochen, aber mehr kann ich Ihnen dazu jetzt nicht sagen. Die genaue Reiseplanung wird dann entsprechend von dem Ministerium bekanntgegeben werden.

Frage: An Herrn Seibert oder vielleicht das Wirtschafts- oder das Verteidigungsministerium: Es soll gute Chancen für ein Geschäft mit Indien in Sachen U-Boote geben. Können Sie den Stand der Dinge erläutern?

StS Seibert: Nein, das kann ich Ihnen nicht erläutern. Sie wissen, wie das bei uns läuft: Wir haben strenge Standards der Rüstungsexportgenehmigung. Es muss Anfragen geben, die dann im Einzelfall entsprechend der seit Jahren bewährten Standards geprüft werden. Dann kommt ein Punkt, an dem darüber auch informiert wird. Über alle Phasen vor einer abschließenden Entscheidung und bevor es dann in den Rüstungsexportbericht kommt, der an den Bundestag gegeben wird, berichten wir nicht.

Frage : Weiß man denn, ob die Inder atomwaffenfähige U-Boote wollen? Den Israelis werden ja auch solche U-Boote geliefert. Wünschen sich die Inder auch so etwas?

StS Seibert: Es bleibt bei der Antwort, die ich gerade dem Kollegen gegeben habe.

Zusatzfrage: Dazu kann auch kein anderes Ministerium etwas sagen?

Modes: Mir ist dazu nichts bekannt.

Frage: Herr Seibert, ich habe eine Frage, die sich auf das Normandie-Treffen letzte Woche Freitag in Paris bezieht. Da gab es in der Pressekonferenz von Frau Merkel einiges zu möglichen Sanktionserleichterungen, wenn denn Minsk II umgesetzt ist. Sie hatte nur in einem Nebensatz die Krim plötzlich ausgeschlossen. Hat sich irgendetwas an der Linie geändert?

StS Seibert: Danke für die Frage. Nein, die Haltung der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung insgesamt bezüglich der Krim ist ganz unverändert. Die Annexion der Krim durch Russland ist aus unserer Sicht, nach unserer Überzeugung ein schwerer Bruch des Völkerrechts. Die Bundeskanzlerin hat ja in Paris noch einmal betont, dass die Ukraine ein Recht hat, ihre territoriale Integrität wiederhergestellt zu sehen - einschließlich der Krim. Nun ist die Krim bekannterweise nicht der Gegenstand der Minsker Vereinbarungen, des Minsker Prozesses; da befasst man sich vielmehr mit der Situation in Donezk und Luhansk. Deswegen ist die Krim auch nicht Gesprächsgegenstand im Normandie-Format. Das Thema bleibt aber weiter auf der Tagesordnung, und die wegen der Annexion der Krim beschlossenen Sanktionen bleiben auch weiterhin in Kraft.

Frage: Frau Modes, gibt es einen neuen Stand bezüglich eventueller Nachverhandlungen beim CETA-Abkommen, vergleichbar vielleicht zu den neuen Ideen zum TTIP-Abkommen bezüglich der Schiedsgerichtsbarkeit? Falls es einen solchen neuen Stand geben sollte: Wie sieht der aus? Falls nicht: Woran hapert es, dass man dort nicht weiterkommt?

Modes: Ich würde das gerne ein bisschen einordnen. Das Ziel der Bundesregierung ist ein erfolgreicher Abschluss von CETA. Die Position ist die gleiche wie bei TTIP: Wir brauchen moderne und ambitionierte Freihandelsabkommen. Zum aktuellen Stand: Derzeit läuft die Rechtsförmlichkeitsprüfung, das sogenannte "legal scrubbing". Die Kommission will hier noch weitere Verbesserungen beim Investitionsschutz mit Kanada erreichen. Das hat sie uns zugesagt, und wir werden uns das anschauen und das prüfen, sobald das "legal scrubbing" abgeschlossen ist.

Zusatzfrage: Das heißt, Herr Gabriel macht sich bei der Kommission dafür stark, dass ein dem aktuellen TTIP-Stand vergleichbarer Modus auch dort gefunden wird?

Modes: Deutschland hat erklärt, dass Investitionsvorschriften in CETA mitgetragen werden können, wenn ausgeschlossen ist, dass der staatliche Gestaltungsspielraum dadurch eingeschränkt wird, und Schiedsverfahren transparent und nach rechtsstaatlichen Maßstäben durchgeführt werden. Es ist so, dass die Investitionsschutzvorschriften in CETA bereits jetzt so ausgestaltet sind, dass sie kanadischen Investitionen keinen höheren Schutz als das nationale deutsche Recht bieten.

Aber wie gesagt, die Kommission hat zugesagt, Verbesserungen im Rahmen des "legal scrubbing" einzubringen, und das werden wir dann im Anschluss prüfen.

Frage: Herr Nannt, die Ministerin hat gestern in Brüssel in Bezug auf die Bombardierung in Syrien sinngemäß gesagt: Für Russland gilt dasselbe wie für alle anderen Akteure in der Region; das heißt, wenn Russland diejenigen angreift, die den islamischen Staat bekämpfen, dann stärkt das den islamischen Staat, und das kann nicht in unserem gemeinsamen Interesse sein. Gilt denn dasselbe auch für die Bombardierung kurdischer Milizen durch die Türkei? Falls nicht: Warum nicht?

Nannt: Wie Sie ja wissen, ist eine Koalition von über 65 Staaten dabei, den IS zu bekämpfen. Hier ist natürlich wichtig, dass wir dort gemeinsam vorgehen. Was die Ministerin damit ausgedrückt hat, ist, dass wir natürlich ganz klar auch gemeinsam - auch mit Russland abgestimmt - gegen den IS wirken müssen, und nicht gegen andere Gruppen. Das ist der Punkt, den sie gerade in Bezug auf Syrien noch einmal deutlich gemacht hat.

Zusatzfrage: Es geht ja auch um die kurdischen Milizen, die gegen IS kämpfen. Ist deren Kampf gegen IS nicht so wichtig wie der Kampf derjenigen Gruppen, die in Syrien bombardiert werden?

Nannt: Man darf die Aussagen jetzt nicht aus dem Gesamtzusammenhang nehmen. Noch einmal: Das war bezogen auf den gemeinsamen Kampf in Syrien. Es ist wichtig, dass wir dort gemeinsam wirken und jetzt nicht plötzlich andere Dinge leisten, die sich dann eventuell so auswirken, dass wir den IS vielleicht noch stärken; denn das wäre natürlich überhaupt nicht das, was wir jetzt alle gemeinsam wollen.

Frage: Herr Nannt, Herr Schäfer, wer sind denn die Guten in Syrien? Assad ist nicht gut, ISIS ist nicht gut - wer sind denn für die Bundesregierung die guten Rebellen?

Schäfer: Wir sind irgendwie wieder bei dem gleichen Thema: Sie versuchen Fragen zu stellen, die leicht mit Ja oder Nein, schwarz oder weiß oder so zu beantworten sind. Leider kann man das ja nicht, denn die Welt ist in ihren Schattierungen ziemlich grau, und das gilt ganz besonders für die Lage in Syrien - Herr Nannt hat es eben ja schon angedeutet.

Ich sage es vielleicht einmal mit meinen Worten: Ein zweidimensionales Schachbrett reicht, glaube ich, nicht aus, um sich die Komplexität der verschiedenen Interessen der verschiedenen Spieler in Syrien und außerhalb von Syriens wirklich klarzumachen. Wenn von der Türkei die Rede ist, dann gibt es natürlich das Interesse des Nato-Partners Türkei, an seinen Grenzen Frieden und Stabilität zu haben. Gleichzeitig gibt es unbestreitbar Gruppierungen im Lager der Kurden, die auch in der Türkei in strafrechtlich relevanter Wiese, ja vielleicht terroristischer Weise tätig werden. Genauso ist das bei jedem anderen der Akteure, die in Syrien militärisch, politisch oder anders aktiv sind, von innen wie nach außen. Deshalb, glaube ich, werden wir der Sachlage echt nicht gerecht, wenn Sie jetzt einfach irgendeine Gruppierung nennen und ich Ihnen Ja oder Nein, schwarz oder weiß, gut oder böse sage. Ich glaube, das hilft nicht wirklich weiter.

Zusatzfrage: Dann nennen Sie mir doch einmal eine Gruppierung. Welche Akteure in Syrien werden von der Bundesregierung unterstützt?

Schäfer: Die Bundesregierung unterstützt alle Bemühungen - alle politischen Bemühungen -, die - -

Zusatz: Das war nicht die Frage.

Schäfer: Aber das ist meine Antwort. - Die Bundesregierung unterstützt alle Bemühungen unter Beteiligung von Staaten, Institutionen, Organisationen und auch handelnden Parteien vor Ort, die dem Ziel dienen, dem Morden, dem Krieg, dem Kämpfen und dem Leid der Menschen endlich ein Ende zu machen.

Frage: Zu den deutschen Patriot-Raketen in der Türkei: Werden sie auch zum Einsatz kommen, wenn die russischen Flieger jetzt wiederholt den türkischen Luftraum verletzen?

Nannt: Bei dem Auftrag, den wir haben - Active Fence Turkey, kurz AFTUR -, haben wir ein ganz klares Mandat: Das ist ein rein defensiver Schutzauftrag in der Region Kahramanmaras, und wir wirken dort gegen ballistische Flugkörper. Diese Bedrohung durch ballistische Flugkörper aus Syrien wird so gering beurteilt, dass wir sagen: Okay, wir können diesen Einsatz beenden. Wir werden daher zum 15. Oktober - das haben wir auch so verlautbart - operativ den Einsatz dort beenden und dann bis Ende Januar die Truppen auch wieder zurückverlegen. Das Mandat ist aber wirklich kein Mandat, bei dem es um das Wirken gegen Flugzeuge geht; vielmehr geht es hier ganz klar um den Schutz vor ballistischen Flugkörpern. Das ist das, was die Patriot-Systeme auch leisten können.

Zusatzfrage: Das heißt, die können gar nicht gegen Flugzeuge eingesetzt werden?

Nannt: Nein, die Aufgabe ist, gegen ballistische Flugkörper zu wirken.

Frage: Nächster Krisenherd: Jemen. Dort kam es zu einem Luftangriff auf eine Hochzeitsfeier mit Dutzenden von Toten. Das ist der zweite große Angriff auf eine Hochzeitsfeier innerhalb von einer Woche - wie gesagt, mit Dutzenden Toten in beiden Fällen. In beiden Fällen hat die Bundesregierung geschwiegen; es war ihr nicht einmal eine Pressemitteilung wert. Wieso schweigt die Bundesregierung zu den Kriegsverbrechen Saudi-Arabiens?

Schäfer: Wir sehen mit großer Bestürzung und auch mit Betroffenheit die Folgen der kriegerischen Auseinandersetzungen um Jemen. Jedes Opfer dieser kriegerischen Auseinandersetzungen ist eines zu viel. Es trifft schlicht nicht zu, dass sich die Bundesregierung oder das Auswärtige Amt zu den Ereignissen in Jemen nicht geäußert hätte; das tun wir sehr regelmäßig und auch immer wieder aus gutem und konkretem Anlass. Auch die jüngsten Ereignisse veranlassen uns, immer wieder zu bekräftigen und auch gegenüber unseren Partnern und den Spielern in der Region zu verdeutlichen, dass wir glauben, dass es an der Zeit ist, dem Frieden und dem politischen Ausgleich eine Chance zu geben. Dafür gibt es einen Prozess unter der Ägide der Vereinten Nationen und einen sehr tatkräftigen Sondergesandten der Vereinten Nationen.

Nun ist es leider in den letzten Monaten dazu gekommen, dass die Parteien offensichtlich der Meinung sind, die militärische Karte steche besser als die politische. Dass die Dinge passieren, von denen Sie sprechen, zeigt, welche Folgen das hat. Dass abgesehen von kleineren Veränderungen in der militärischen Lage weder für die eine noch für die andere Seite ein militärischer Durchbruch zu verzeichnen ist, spricht, glaube ich, auch für die Haltung der Bundesregierung, dass ein politischer Prozess sehr viel vernünftiger wäre als ein Fortsetzen der Kämpfe.

Die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen in Jemen werden so oder so miteinander zusammenleben müssen. Das setzt allerdings voraus, dass alle Seiten - auch die Huthi, die gegen die jemenitische Verfassung vorgegangen sind und die Regierung aus dem Land gezwungen haben - bereit sind, sich auf einen solchen Prozess des friedlichen Ausgleichs einzulassen. Daran mangelt es ganz eindeutig, und wir können im Namen der geschundenen Menschen in Jemen und auch der vielen, vielen, die Mühe haben, überhaupt nur das Brot und die Nahrung zusammenzubekommen, um ihre Familie zu ernähren, nur alle Konfliktparteien dazu aufrufen, genau diesen Weg zu beschreiten. Ansonsten kümmern wir uns darum, gemeinsam mit unseren Partnern die humanitäre Versorgung mit zu finanzieren und mit zu unterstützen, und zwar einfach deshalb, weil es nur wenige Länder gibt - - vielleicht ist Jemen, was den Anteil der Bevölkerung, der humanitäre Versorgung von außen braucht, das wirklich geschundenste Land auf unserem Planeten.

Zusatzfrage: Herr Schäfer, im Fall Syrien haben Sie gesagt, dass Präsident Assad nicht mehr die Legitimität hat, weil er sein eigenes Volk bombardiert. Nun macht die Hadi-Regierung genau das gleiche. Hat die Hadi-Regierung aus Ihrer Sicht irgendeine Legitimität?

Schäfer: Ich glaube, das eine kann man mit dem anderen nun wirklich nicht vergleichen. Aber dafür, das im Einzelnen auseinanderzudröseln, reicht jetzt die Zeit nicht; das können wir dann gerne am Montag wieder machen. Solche Vergleiche hinken immer, und in diesem Fall hinken sie in ganz besonderer Weise.

Freitag, 9. Oktober 2015

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Quelle:
Regierungspressekonferenz vom 9. Oktober 2015
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2015/10/2015-10-09-regpk.html;jsessionid=5244E2A722BF3C2538068EEA36BF427B.s2t1
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Oktober 2015

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