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PRESSEKONFERENZ/1204: Deutsch-niederländische Regierungskonsultationen, 21.04.2016 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz in Eindhoven - Donnerstag, 21. April 2016
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsident Rutte bei den 2. deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)


M. Rutte: Guten Tag, meine Damen und Herren, es ist uns eine Freude, mit Bundeskanzlerin Merkel und einigen Kollegen der deutschen und der niederländischen Parlamente und Kabinette hier zu sein.

Ich habe ein gutes Gespräch mit Frau Angela Merkel über aktuelle Themen geführt, die zurzeit bei der Europäischen Union behandelt werden. Natürlich haben wir auch über die Ausführung der Vereinbarung mit der Türkei gesprochen, und zwar alles im Hinblick auf die Migration.

Wie Sie wissen, haben wir mit dem Eins-zu-eins-Ansatz angefangen, wobei Migranten, die mit dem Boot in Griechenland ankommen, zurück in die Türkei geschickt werden und die EU im Gegenzug syrische Flüchtlinge aus der Türkei aufnimmt. In dieser Art und Weise wollen wir natürlich die gefährlichen Reisen über das Wasser in alten Booten eindämmen. Der Zustrom sinkt. Es ist noch zu früh, irgendwelche Schlussfolgerungen zu ziehen. Aber die ersten Signale sind positiv.

Zwar verlieren wir die Flüchtlingsproblematik nicht aus dem Auge, aber wir werden uns auch für andere Bereiche einsetzen, so zum Beispiel für die Wirtschaft. Innovation ist hier das Stichwort und war heute bei den Beratungen ein zentraler Punkt. Wie Sie wissen, sind Deutschland und die Niederlande nicht nur politisch gute Freunde. Auch unsere Wirtschaften sind sehr eng miteinander verwoben. Das deutsche Auswärtige Amt hat einmal herausgefunden, dass die Verwobenheit zwischen den Wirtschaften der Vereinigten Staaten und Kanada die einzige ist, die enger geknüpft ist als die zwischen Deutschland und den Niederlanden.

Deutschland und die Niederlande gehören zu den innovativsten Ländern in Europa. Heute Nachmittag haben wir wunderbare Beispiele anhand von ASML und der deutschen Zeiss gesehen, die gemeinsam Maschinen bauen, mit denen Chips gefertigt werden sollen. Diese beiden Unternehmen gehören zur absoluten Weltspitze. Es ist wirklich eine sagenhafte Leistung, auf die wir alle sehr stolz sind.

Heute besprechen wir, wie wir unsere Position und Zusammenarbeit besser verstärken können. Es gibt dafür keinen besseren Ort als den High Tech Campus hier in Eindhoven, vielleicht der klügste Quadratkilometer in Europa.

In verschiedenen Sitzungen werden wir gleich weiter miteinander sprechen, und zwar über Themen, die mit Innovation zu tun haben. Wir werden über Nachhaltigkeit und Energie sprechen. Wie können wir die Innovationen nutzen, um erfolgreich die Wende hin zur nachhaltigen Energie zu schaffen? Eine weitere Wende, die wir schaffen müssen, ist die Wende hin zur digitalen Wirtschaft. Die Industrie spielt dabei eine wichtige Rolle und muss die technologische Basis bieten, um digitale Lösungen für die Herausforderungen, vor denen wir zurzeit stehen, zu finden. Die Niederlande und Deutschland unterstützen deswegen von Herzen den Aktionsplan "Smart Industry" der Europäischen Kommission. Mit diesem Aktionsplan müssen wir die Chancen auch wirklich ergreifen, die uns die Digitalisierung bietet. Unsere Länder werden intensivst Erfahrungen auf diesem Gebiet austauschen.

Wir freuen uns außerdem, dass diese Konsultationen am Tag der deutschen Sprache stattfinden. Heute wählen viele in den Niederlanden ihr deutsches Lieblingswort. Ein Perlchen möchte ich Ihnen anbieten: Parkhausblinker. Das ist jemand, der sogar in einer Parkgarage im Parkhaus die Richtung angibt. Ich hoffe, dass das von mir gut ausgesprochen wurde.

Ich möchte Jugendliche von dieser Stelle aus dazu aufrufen, tatsächlich Deutsch zu lernen. Die Sprache ist nicht nur eine wunderschöne, sondern es ist auch eine sehr schlaue Wahl mit Blick auf die weitere Karriere.

Die niederländisch-deutsche Zusammenarbeit hat eine schöne Zukunft vor sich.

BK'in Merkel: Sehr geehrter Premierminister, lieber Mark, vielen Dank für die freundliche Begrüßung, auch durch den Bürgermeister hier von Eindhoven.

Wir treffen hier heute zu den 2. Deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen zusammen. Diese Regierungskonsultationen sind im wahrsten Sinne des Wortes immer sehr innovativ angelegt und auch sehr praktisch.

Ich werde darauf gleich zurückkommen, möchte aber vorher sagen, dass in unseren bilateralen Gesprächen das wird sicherlich gleich auch noch einmal eine Rolle spielen natürlich auch das Thema Europa eine Rolle gespielt hat. Ich möchte der niederländischen Präsidentschaft insgesamt, aber auch dir, lieber Mark, ganz besonders danken. Es ist eine bewegte Zeit. Es sind viele Aufgaben zu erfüllen und zu erledigen. Die niederländische Präsidentschaft arbeitet sehr erfolgreich. Ich will nur zwei Beispiele nennen: Das ist einmal das Übereinkommen, das wir mit der Türkei treffen konnten. Es ist ganz speziell auch dir und deinem Engagement zu verdanken, dass wir dieses Abkommen haben und dass wir es vor allen Dingen auch Schritt für Schritt implementieren. Das bedeutet viel Arbeit, auch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dafür herzlichen Dank!

Zweitens ist das Grenzschutzpaket zu nennen. Wir wissen, dass der Schutz unserer Außengrenzen ein zentraler Punkt ist, um eine geregelte, eine gesteuerte und eine legale Migration mit unserer Nachbarschaft zu erreichen. Hier ist es von großer Wichtigkeit, dass wir eine europäische Kraftanstrengung unternehmen, um den Grenzschutz zu gestalten. Hier hat die niederländische Präsidentschaft sozusagen schneller als im Plan überhaupt angedacht die Einigung hinbekommen. Man ist bereits im Trilogbereich. Ich glaube, dass das ein wichtiges Zeichen der Handlungsfähigkeit auch der Europäischen Union ist. Dadurch, dass die Zahl der Flüchtlinge, die jetzt nach Europa kommen, geringer geworden ist, haben wir auch eine Chance, solidarische und gesamteuropäische Lösungen zu finden. Deshalb sind diese Fortschritte von so großer Wichtigkeit.

Es ist typisch für unsere bilateralen Beziehungen Deutschland und die Niederlande sind ein Innovationscluster mit ganz enger Zusammenarbeit, wie man sagen kann , dass wir uns hier auf diesem High Tech Campus in Eindhoven treffen und damit auch zeigen, wie wir, gerade weil Europas Wohlstand davon abhängt, uns der Innovation verbunden fühlen. Wir haben mit ASML ein Werk besucht, das 80 Prozent der Chipherstellungsmaschinen der Welt in ganz enger Kooperation zum Beispiel mit Zeiss in Oberkochen produziert. Auch das ist ein Beispiel für die deutsch-niederländische Zusammenarbeit, aber auch eines extrem erfolgreichen niederländischen Unternehmens. Hier hat sich noch einmal gezeigt auch dafür werden wir gemeinsam eintreten , dass wir strategische Industriebereiche speziell in Europa fördern und unterstützen müssen. Dafür gibt es die entsprechenden Rahmenbedingungen, die jetzt erarbeitet wurden. Ich denke, gerade der Bereich der Halbleiter könnte ein solcher strategischer Bereich für Europa sein, um hier auch voranzukommen.

Wir haben ansonsten sehr, sehr enge bilateralen Beziehungen. Das ist das, was man einen kurzen Draht nennt, wenn es um die Fragen wie Russland, Ukraine, Syrien oder um andere europäische Aktivitäten geht. Ich glaube, dass auch heute unsere Regierungskonsultationen in ihrem weiteren Teil diese enge Zusammenarbeit noch einmal manifestieren, aber eben auch vom Format her deutlich machen, dass wir nicht nur reden, sondern uns auch etwas anschauen, etwas dazulernen und damit unseren Blick für die jeweiligen Länder erweitern. So konnte ich heute Morgen in Middelburg und jetzt hier in Eindhoven zwei wunderbare Teile der Niederlande kurz kennenlernen und bedanke mich bei allen für die wunderbare Gastfreundschaft.

Da heute der Tag der deutschen Sprache ist, will ich den Bürgerinnen und Bürgern der Niederlande nur sagen: Ihr Ministerpräsident spricht exzellent Deutsch.

M. Rutte: Vielen Dank!

Frage: Frau Merkel, werden Sie, wenn Sie in die Türkei reisen, auch die Lage der bedrängten Kurden dort ansprechen?

BK'in Merkel: Die Reise ist ja diesmal darauf ausgerichtet, dass es vor allen Dingen um Flüchtlingsprojekte für syrische Flüchtlinge geht; denn wir haben ja gesagt: Wir wollen seitens der Europäischen Union mit dem Abkommen mit der Türkei auch die Lasten teilen. Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass die Türkei mit 75 Millionen Einwohnern etwa 2,7 Millionen syrische Flüchtlinge beherbergt, und die Europäische Union mit 500 Millionen Einwohnern wahrscheinlich noch nicht einmal eine Million. Insofern ist es, was die Lastenteilung anbelangt, sehr wichtig, dass wir dort gerade auch Projekte im Grenzbereich der Türkei und Syriens unterstützen.

Wir werden dann noch die Gelegenheit haben, mit dem Ministerpräsidenten zu sprechen, und dabei werden sicherlich alle politischen Themen zur Sprache kommen. Im Zentrum steht aber die Frage der syrischen Flüchtlinge und wie wir hier unsere gemeinsamen humanitären Anstrengungen weiter ausbauen können.

Frage: Ich versuche es am Tag der deutschen Sprache einmal auf Deutsch: Ministerpräsident Rutte warnt immer vor einem Ende der europäischen Zusammenarbeit, falls die Flüchtlingsfrage nicht gelöst wird. Er sagt immer: Die Flüchtlingskrise bildet ein Risiko für die europäische Zusammenarbeit. Sie sagen immer: Wir schaffen das. Ich möchte fragen: Wie sieht es jetzt aus? Schaffen wir es wirklich?

BK'in Merkel: Ich glaube, dass wir wichtige Schritte nach vorne gemacht haben, aber eines ist richtig: Wir haben jetzt im Grunde zweimal hintereinander innerhalb weniger Jahre große Kraftanstrengungen unternehmen müssen.

Einmal gab es sozusagen eine Anfrage an die Stabilität unserer Währung, an den Euro. Dafür mussten wir die entsprechenden Instrumente entwickeln. Das ist uns, glaube ich, recht gut gelungen, aber auch da haben wir noch mehr zu tun gerade im Bereich der Strukturreformen und des Wachstums.

Zum Zweiten haben wir plötzlich gemerkt, dass die Außengrenze unseres Schengen-Raums nicht von uns geschützt werden kann zumindest, wenn es sich um Wassergrenzen handelt. Hier müssen wir wieder lernen: Wie kriegen wir das hin, wie schaffen wir das? Ich glaube, dass das EU-Türkei-Abkommen hier ein wichtiges Mittel ist. Aber die Alternative, wenn wir den Schutz der Außengrenzen nicht hinbekommen, ist wieder ein Schutz der Binnengrenzen und das wäre natürlich eine schwere Störung des Binnenmarktes, denn der Binnenmarkt beruht darauf Sie sehen das hier an der deutsch-niederländischen Zusammenarbeit , dass wir Bewegungsfreiheit haben, dass wir Reisefreiheit haben und die Geschäftsleute sich frei bewegen können. Das macht ein großes Wachstumspotenzial aus.

Also: entweder europäisch die Außengrenzen schützen oder doch wieder ein herber Rückschritt. Insofern stimme ich dem Ministerpräsidenten sehr zu.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich habe noch einmal eine Frage zur EZB: EZB-Chef Draghi hat gestern Abend davor gewarnt, dass die wiederholte Kritik an der Niedrigzinspolitik die Autorität der EZB infrage stelle. Nun kommt ja gerade aus Deutschland immer öfter einmal eine kritische Bemerkung, auch von Ihrem Finanzminister. Sehen Sie das als Problem? Wie deutlich soll Deutschland gegenüber der EZB werden, was die Niedrigzinspolitik angeht? Oder sollte sich die Bundesregierung da ein bisschen mehr zurückhalten?

Noch eine kurze Frage an den niederländischen Ministerpräsidenten: Sie haben ja vom Fall Böhmermann in Deutschland gehört, bei dem es um die Beleidigung von Erdogan geht. Jetzt gibt es ja in Holland einen ähnlichen Fall, bzw. hat zumindest das Konsulat angewiesen, dass man Beleidigungen des Herrn Erdogan irgendwie melden sollte. Sehen Sie es als ein Problem an, dass man jetzt den Preis dafür zahlt, dass man der Türkei gegenüber doch übertrieben vorsichtig sein muss?

BK'in Merkel: Es gilt und das gilt seit Bestehen der EZB , dass die EZB in ihrer Politik unabhängig ist. Sie hat ein klares Mandat, und dieses Mandat lautet auf Preisstabilität. Es ist unbestritten, dass die Geldpolitik nicht alle Fragen lösen kann. Deshalb haben wir als Politiker die Verantwortung, in unserem Bereich in der Wirtschaftspolitik, in der Innovationspolitik, bei den Strukturreformen unsere Hausaufgaben zu machen, und je besser wir sie machen, umso schneller wird Wirtschaftswachstum kommen, und damit wird sicherlich auch die Inflationsrate wieder steigen. Dass dennoch Menschen in Deutschland darüber diskutieren, dass die Zinsen schon einmal höher waren und dass das auch bestimmte Effekte hat, ist, glaube ich, legitim und darf nicht verwechselt werden mit einer Einmischung in die unabhängige Politik der EZB, die ich voll unterstütze.

M. Rutte: Zur zweiten Frage, die Sie stellten: Ich war heute natürlich bei der Arbeit in Middelburg und auch in Eindhoven; ich konnte die ganze Sache also nicht so genau verfolgen. Ich bin erstaunt, denn auch der niederländischen Regierung ist nicht ganz klar, was die türkische Regierung mit dieser Aktion erreichen will. Es ist keine gute Sache, und unser Botschafter in Ankara wird deswegen auch eine Erläuterung von den türkischen Autoritäten erbitten.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich stelle diese Frage gern auf Niederländisch, denn am Tag der deutschen Sprache wäre es vielleicht auch eine Beleidigung für die deutsche Sprache, wenn ich sie auf Deutsch stelle; das möchte ich gar nicht erst auf mich laden.

Sie haben bestimmt mitbekommen, dass wir in den Niederlanden ein Referendum über den Assoziationsvertrag mit der Ukraine abgehalten haben. Die Niederlande hat das Gutheißen dieses Vertrages abgelehnt. Erste Frage: Was, glauben Sie, sollte jetzt nach diesem Ergebnis passieren?

Zweite Frage: Das Ergebnis des Referendums wird zurzeit interpretiert. Eine Interpretation lautet, es sei ein Protest gegen ein Europa, das vielleicht zu schnell läuft, gegen ein Europa, in dem die Mitgliedstaaten alle ihre Befugnisse oder jedenfalls zu viele Befugnisse an Brüssel übertragen müssen. Was soll mit diesen Emotionen in der Bevölkerung passieren?

BK'in Merkel: Sie werden verstehen, dass ich ganz fest davon überzeugt bin, dass die niederländische Regierung und auch das niederländische Parlament den Ausgang des Referendums richtig bewerten werden und dass man dazu deutsche Kommentare wirklich nicht braucht. Insofern ist das eine niederländische Angelegenheit, und man wird diesbezüglich vonseiten der Niederlande sicherlich auch mit der Kommission sprechen. Wir warten daher in vollkommener Ruhe ab, was das Ergebnis sein wird.

Auch was die zweite Frage betrifft, kann ich jetzt nicht auf die spezifischen Gefühle in den Niederlanden eingehen. Ich kann nur Folgendes sagen: Europa muss zeigen, dass wir über den Binnenmarkt, über die Gemeinsamkeit der 500 Millionen Menschen durch eine Digitalunion, durch eine Energieunion, durch gemeinsame außenpolitische Aktivitäten, durch eine möglichst gemeinsame Entwicklungspolitik die großen Fragen, die vor den Menschen stehen die Fragen der Sicherheit im äußeren Bereich, die Frage der Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus , gut gelöst werden. Dann wird Europa auch überzeugend sein. Die ganze niederländische Präsidentschaft und auch heute unsere bilateralen Regierungskonsultationen sind genau darauf ausgerichtet. Da, wo wir innovativ sein können, wo wir zusammen besser innovativ sein können als das jeder von uns für sich alleine sein kann, da hat Europa seinen Mehrwert. Das stellen wir in unserer Politik in den Vordergrund.

M. Rutte: Vielen Dank!

Donnerstag, 21. April 2016

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Quelle:
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsident Rutte
bei den 2. deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen am 21. April 2016 in Eindhoven
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2016/04/2016-04-21-bkin-rutte-niederlande.html;jsessionid=805394D06C7853AD1B1B8A3D3FFCDC50.s7t1
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. April 2016

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