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PRESSEKONFERENZ/1434: Statement von Kanzlerin Merkel und dem irischen Premierminister Kenny, 06.04.2017 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift Pressekonferenz in Berlin - Donnerstag, 6. April 2017
Pressestatement von Bundeskanzlerin Merkel und dem irischen Premierminister Kenny

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)


Bundeskanzlerin Merkel: Guten Tag, meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass heute mein irischer Kollege Enda Kenny wieder einmal bei uns zu Gast ist. Wir arbeiten seit vielen Jahren sehr eng im Europäischen Rat zusammen, und Irland ist immer ein engagierter und wichtiger Partner bei der Gestaltung der Zukunft der Europäischen Union. Gerade jetzt, wo es darum geht, den Austritt Großbritanniens zu gestalten, aber auch die Zukunft der 27 Mitgliedstaaten zu bestimmen, arbeiten Deutschland und Irland das darf ich sagen sehr eng zusammen, und ich möchte mich beim Premierminister, bei meinem Kollegen Enda Kenny, sehr herzlich dafür bedanken.

Wie Sie wissen, bereiten wir, was den Austritt des Vereinigten Königreiches anbelangt, die Leitlinien für die Verhandlungen vor. Die britische Notifizierung ist eingegangen und der Europäische Rat wird sich am 29. April mit der Frage der Leitlinien befassen. Donald Tusk ist heute ja auch in London, um die britische Premierministerin zu treffen. Wir wollen natürlich konstruktiv an diese Verhandlungen herangehen. Wir wissen, dass für alle Seiten sehr viel davon abhängt. Natürlich werden wir unsere Interessen, die Interessen der 27, wahren. Wir wollen aber auch gute Partner bleiben, denn wir sind aufeinander angewiesen, was die Verteidigung anbelangt und was natürlich auch die ökonomischen Verflechtungen anbelangt, die bestehen bleiben, egal ob Großbritannien Mitglied der Europäischen Union ist oder nicht. Wir wollen dies in einem Geist tun, dass die 27 zusammenhalten, und wollen, dass die Verhandlungen dann auch entlang dieser Leitlinien von der Kommission in Zusammenarbeit mit dem Rat und dem Europäischen Parlament geführt werden. Wir wollen natürlich eine gute Abwicklung aller Verpflichtungen erreichen. Wir werden dann im zweiten Schr itt auch über die zukünftigen Beziehungen sprechen.

Wenn heute der irische Premierminister hier in Berlin zu Gast ist, dann ist natürlich auch klar, dass Irland von dem Austritt Großbritanniens in ganz besonderer Weise betroffen ist. Neben der allgemeinen Diskussion über die Leitlinien werden wir daher auch über die Erwartungen Irlands an die zukünftige Situation sprechen. Es geht hierbei auf der einen Seite um ökonomische Verflechtungen, aber es geht natürlich auch um Fragen von Frieden und Sicherheit. Sie alle kennen die Situation Irlands und die damit verbundenen wirklich im Mark betroffenen Fragen von Frieden und Krieg. Da werden wir als europäische Partner natürlich mit aller Sorgfalt unserem Mitgliedstaat Irland helfen, so weit wie möglich die Interessen zu vertreten. Deshalb wird das heute ein Schwerpunkt unserer Gespräche sein, aber wir werden auch über die Gesamtsituation der Europäischen Union sprechen.

Ich möchte mich noch einmal ganz herzlich bei Enda Kenny bedanken. Irland hat eine anspruchsvolle Zeit hinter sich. Irland hat die Reformen sehr, sehr erfolgreich gemeistert. Wir haben heute grandiose Wachstumsraten in Irland, die auch Schritt für Schritt den Menschen zugutekommen. Deshalb freue ich mich ganz besonders, dass mein Kollege heute hier bei uns zu Gast ist.

Premierminister Kenny: Herzlichen Dank, Frau Bundeskanzlerin, liebe Angela! Ich freue mich sehr, dass ich in dieser Woche hier in Berlin sein kann, um mich mit der Kanzlerin zu treffen. Wir sind sehr, sehr gute Freunde, viele Jahre haben wir gemeinsam am Tisch der Europäischen Räte verbracht, und natürlich sind Irland und die Bundesrepublik Deutschland schon lange enge Partner. Wir wissen diese Beziehungen sehr zu schätzen. Ich freue mich daher sehr auf einen interessanten Austausch mit der Bundeskanzlerin.

Was unsere Gespräche über den Brexit angeht, so ist das natürlich etwas, das ganz wichtig ist. Das wird vor dem Hintergrund der Tatsache stattfinden, dass Premierministerin May letzte Woche die förmliche Notifizierung vorgelegt hat, dass das Vereinigte Königreich die EU verlassen möchte, und nun die Verhandlungsrichtlinien vorbereitet werden. Die Tatsache, dass das Vereinigte Königreich Artikel 50 ausgelöst hat, ist natürlich nichts, was für uns überraschend kam wir alle haben uns ja schon einige Zeit darauf vorbereitet. Auch wir in Irland haben schon lange vor dem Referendum im letzten Juni unsere Vorbereitungen begonnen, weil wir natürlich wussten, dass wir mehr als alle anderen Länder den möglichen negativen Auswirkungen des Brexit ausgesetzt sein würden.

Bevor ich fortfahre, möchte ich gerne sagen, dass Irlands Platz fest im Herzen der Europäischen Union verankert bleibt. Die Zustimmungsraten dazu sind sehr hoch, sie liegen immer bei über 80 Prozent. Das heißt, dass wir unserer Mitgliedschaft in der Europäischen Union und in der Eurozone nachdrücklich verpflichtet bleiben, ganz gleich, was das Vereinigte Königreich da entschieden hat. Es ist so, dass die Meinungsumfragen dies zeigen. Die Union ist von zentraler Bedeutung für den Erfolg unserer kleinen, offenen Wirtschaft gewesen und auch die Basis für einen Großteil dessen gewesen, was an sozialem und politischem Fortschritt bei uns erzielt worden ist. Wir werden uns also auf jeden Fall sehr nachdrücklich in die Verhandlungen des EU-Teams einbringen, die jetzt anstehen.

Natürlich muss man aber auch sagen, dass das Vereinigte Königreich unser engster Nachbar ist, dass wir sehr eng zusammenstehen und durch geschichtliche und geografische Bande sehr eng miteinander verbunden sind. Wir sind auch durch den Friedensprozess in Nordirland und durch das Karfreitagsabkommen von 1998 sehr eng miteinander verbunden, ein rechtlich verbindliches, völkerrechtliches Instrument. Wir, Irland und das Vereinigte Königreich, sind Garantiemächte dieses Übereinkommens. Diese Verantwortung nehmen wir sehr ernst. Ganz gleich, was während der Brexit-Verhandlungen herauskommen wird - nichts darf und sollte diesen Friedensprozess und diese Stabilität in Nordirland untergraben. Es hat sehr lange gedauert, bis wir das erreichen konnten, und die EU hat dabei ja eine ganz besonders wichtige Rolle gespielt.

Die jüngsten Entwicklungen haben wieder einmal gezeigt, dass Frieden und Stabilität dort nach wie vor fragil sind. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass es keine Rückkehr zu einer harten Grenze gibt. Das ist ein politisches Problem. Ich denke, wir müssen da auch ein bisschen unsere Fantasie anstrengen; wir müssen kreativ damit umgehen.

Ganz gleich, was beschlossen wird, Frau Bundeskanzlerin, es muss natürlich ganz klar mit EU-Recht vereinbar sein. Wir dürfen uns aber im gegenwärtigen Stadium auch nicht in den technischen Details verlieren und sozusagen das zentrale Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung von Frieden und Stabilität, aus dem Auge verlieren. Ich weiß, dass das hier in Deutschland sehr wohl verstanden und sehr wohl gesehen wird. Vor allen Dingen Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben das ja auch immer wieder unterstrichen. Ich freue mich sehr und bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie das ausgedrückt haben.

Es gibt noch eine weitere Sorge, die mit dem Brexit zusammenhängt, nämlich die Auswirkungen auf die Wirtschaft in Irland. Da haben wir große Sorge. Das ist eine Sorge, die andere Partner teilen, auch Deutschland, aber uns ist schon klar, dass wir natürlich noch deutlich mehr als andere davon betroffen sein werden. Wir haben ja seit der Finanzkrise vor einigen Jahren sehr hart daran gearbeitet, unsere Wirtschaft wieder aufzubauen. Ich denke, man sieht, dass sich diese harte Arbeit gelohnt hat und dass wir jetzt die Früchte ernten. Die Arbeitslosigkeit ist von immerhin 8,3 Prozent im letzten Jahr auf 6,4 Prozent im letzten Monat gefallen. Wir können nicht zulassen, dass sich dieser Trend wieder umkehrt. Ich bin natürlich sehr daran interessiert und mir auch sehr bewusst, wie wichtig es ist, Arbeitsplätze und Wachstum zu schützen. Deswegen habe ich mich heute mit Vertretern der Wirtschaft hier in Deutschland getroffen und werde mich auch morgen mit ihnen treffen.

Die Bundeskanzlerin und ich werden uns auch über die zukünftige Ausrichtung der Europäischen Union unterhalten. Wir sind uns dabei sehr einig, was die Werte und die zentralen Ziele angeht. Der Gipfel in Rom im letzten Monat hat ja sehr nachdrücklich die europäischen Werte und auch die Leistungen Europas unterstrichen, seit die EU vor mehr als 60 Jahren gegründet wurde. Es ist in unserem Statement auch ganz klar geworden, dass wir Frieden und Wohlstand niemals einfach so als etwas hinnehmen sollten, das gesetzt ist, sondern dass wir sie durch die Union weiter schützen und weiter fördern müssen. Ich glaube, dass wir uns jetzt wirklich darauf konzentrieren müssen, dass wir unseren Bürgern etwas bringen und dass wir vor allen Dingen dafür sorgen, dass sie Arbeitsplätze haben, dass Wachstum entsteht, dass Investitionen ankommen und dass jeder Einzelne diese positiven Wirkungen in seinem täglichen Leben auch spürt.

Die Europäische Union sieht sich vielen Herausforderungen gegenüber. Nur indem wir zusammenstehen, können wir dafür Lösungen finden, zum Beispiel für das Problem der Migration. Ich muss sagen, dass ich es sehr zu schätzen weiß, welch führende Rolle die Bundeskanzlerin dabei gespielt hat. Irland versteht nur zu gut, welchem Druck sich Deutschland und auch andere Länder, die dabei unmittelbar im Vordergrund stehen und vor allen sehr viele Migranten aufgenommen haben, dabei ausgesetzt sehen. Wir haben gesagt: Wir möchten gerne einen Beitrag dazu leisten, indem wir freiwillig eine Reihe von Flüchtlingen bei uns aufnehmen. In dieser Woche sind zum Beispiel Syrer bei uns angekommen.

Als Teil dieses Gesamtansatzes gegenüber der Migrationskrise ist es auch wichtig, dass man das Problem vor allen Dingen an der Wurzel packt, das heißt, dass man versucht, mit den Ländern in Afrika zu arbeiten, um dort Chancen und Kapazitäten aufzubauen und den Menschen dort auch Kenntnisse zu vermitteln, damit dieser Flüchtlingsstrom, dieser Migrationsstrom, auf diese Weise eben eingedämmt wird.

Wir möchten auch in Zukunft weiterhin sehr eng mit Deutschland und auch mit unseren anderen Partnern innerhalb der Europäischen Union zusammenarbeiten - in Reaktion auf den Brexit, aber auch in Reaktion auf die Migration und andere Herausforderungen. Wir wollen dies ruhig tun, wir wollen dies konstruktiv tun, und wir wollen produktiv sein.

Herzlichen Dank, Angela, dass ich die Chance habe, heute hier mit dir zusammenzutreffen, und dass wir uns treffen konnten!

Donnerstag, 6. April 2017

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Quelle:
Pressestatement von Bundeskanzlerin Merkel und dem irischen Premierminister Kenny,
Pressekonferenz in Berlin am 6. April 2017
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2017/04/2017-04-06-statement-merkel-kenny.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. April 2017

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