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PRESSEKONFERENZ/1513: Regierungspressekonferenz vom 2. August 2017 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift Pressekonferenz - Mittwoch, 2. August 2017
Regierungspressekonferenz vom 2. August 2017

Themen: Lage in Venezuela, Kabinettssitzung (Sozialbericht 2017, Rechenschaftsbericht 2017 der Bundesregierung zur Umsetzung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt, Nationales Forum Diesel), Inhaftierung des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner in der Türkei, Selbstmordanschläge auf eine schiitische Moschee sowie auf einen Nato-Konvoi in Afghanistan, Konflikt zwischen Katar und anderen arabischen Staaten, Beteiligung der vietnamesischen Nachrichtendienste und der Botschaft der Sozialistischen Republik Vietnam in Berlin an der Entführung eines vietnamesischen Staatsangehörigen in Berlin, Forderungen aus dem polnischen Regierungslager nach Reparationen aus Deutschland, Fristverstreichung für das Wiederaufnahmeersuchen im Fall des Hamburger Attentäters Ahmad A.

Sprecher: SRS'in Demmer, Stelten (BMAS), Friedrich (BMVI), Kock (BMI), Schäfer (AA)


Vors. Szent-Iványi eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt SRS'IN Demmer sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

SRS'in Demmer: In Venezuela hat sich die Lage nach den schweren Ausschreitungen mit mindestens 15 weiteren Toten, zahlreichen Verletzten und 100 Festnahmen am vergangenen Wochenende weiter verschärft. Die Regierung Venezuelas hat mit der Wahl der verfassungsgebenden Versammlung gegen den Willen der großen Bevölkerungsmehrheit gehandelt und dies mit Gewalt durchgesetzt. Sie hat zudem die Empfehlungen der Vereinten Nationen und zahlreicher Vertreter der internationalen Gemeinschaft ignoriert.

Eine unter solchen Umständen zustande gekommene Versammlung ohne nationalen Konsens und mit gewaltsamen Mitteln kann aus Sicht der Bundesregierung keine Legitimität beanspruchen. Präsident Maduro hat erneut bewiesen, dass für ihn Machterhalt über dem Wohlergehen seines eigenen Volkes steht. Mit den willkürlichen Verhaftungen des Oppositionspolitikers Leopoldo López sowie des Bürgermeisters von Caracas, die sich in friedlicher Weise für die demokratische Entwicklung des Landes eingesetzt haben, ist ein weiterer Tiefpunkt in Venezuela erreicht. Die Bundesregierung fordert ihre sofortige Freilassung ebenso wie die Freilassung weiterer Inhaftierter, die lediglich von ihren demokratischen Rechten Gebrauch gemacht haben.

Vors. Szent-Iványi: Wenn es dazu keine Fragen gibt, kommen wir zum Kabinett.

SRS'in Demmer: Im Kabinett ist heute der Sozialbericht 2017 behandelt worden. Der Sozialbericht 2017 bietet eine Gesamtschau der Reformen mit sozialpolitischem Bezug in der 18. Legislaturperiode. Zudem informiert er über den Umfang der Sozialleistungen.

Im Jahr 2016 hatten die sozialen Leistungen in Deutschland ein Volumen von rund 918 Milliarden Euro. Das entspricht 29,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Diese sogenannte Sozialleistungsquote liegt seit 2011 stabil bei rund 29 Prozent. Die Ausgaben stehen also weitgehend im Einklang mit der guten wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland.

Die Bundesregierung hat in der 18. Legislaturperiode wichtige sozialpolitische Weichenstellungen vorgenommen. Stichworte sind hier Reformen etwa bei der Rente, bei Gesundheit und Pflege, im Bereich des Arbeitsmarktes oder auch bei der Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. In Deutschland ist die solide wirtschaftliche Lage das Fundament für ein hohes soziales Sicherungsniveau. So war das robuste Wirtschaftswachstum der letzten Jahre die entscheidende Grundlage für den sozialen Fortschritt. Von besonderem Wert ist auch die gewachsene Sozialpartnerschaft mit ihrem Ausgleich von Arbeitnehmer- und Unternehmensinteressen. Stärker als je zuvor wird der deutsche Sozialstaat auch im internationalen Vergleich als in vielen Bereichen vorbildliches Modell angesehen.

Das Kabinett hat den Bericht heute beschlossen. Er wird nun dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat zugeleitet.

Dann ist im Kabinett der Rechenschaftsbericht 2017 der Bundesregierung zur Umsetzung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt behandelt worden. Die Bundesregierung hat im November 2007 die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt beschlossen und festgelegt, einmal in jeder Legislaturperiode einen Rechenschaftsbericht vorzulegen. Denn der Zustand der Natur und die von ihr erbrachten Ökosystemleistungen sind für uns, wie auch für die nachfolgenden Generationen von wesentlicher Bedeutung.

Der aktuelle Bericht zeigt: Die Strategie hat eine große Zahl von Aktivitäten angestoßen. Es wurden rechtliche Regelungen beschlossen. Länder und Kommunen haben eigene Strategien erarbeitet und setzen sie nun um. Es gibt Förderprogramme, die Projekte für die biologische Vielfalt unterstützen. Damit werden auch wichtige Beiträge zur neuen Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung geleistet, die sich ebenfalls den Erhalt der Artenvielfalt zum Ziel gesetzt hat. Dennoch konnte der fortschreitende Verlust der biologischen Vielfalt, der weltweit stattfindet, auch in Deutschland noch nicht gestoppt werden.

Dann würde ich Ihnen gerne berichten, dass im Kabinett heute auch Bundesverkehrsminister Dobrindt und Bundesumweltministerin Hendricks über den derzeitigen Stand und den Ablauf des Nationalen Forums Diesel informiert haben. Es gab dazu aber keinerlei Beschlussfassung.

Übrigens war das eine Kabinettssitzung unter Leitung von Vizekanzler Sigmar Gabriel.

Frage : Frau Demmer, können Sie etwas zu den außergewöhnlichen Umständen der Kabinettssitzung und auch zur Dauer sagen?

SRS'in Demmer: Ja, die Kabinettssitzung war um 10.10 Uhr zu Ende. Was Sie mit "außergewöhnlichen Umständen" meinen, kann ich nicht nachvollziehen.

Zusatzfrage : Hatte der Vizekanzler das alles im Griff, was er zu tun hatte?

SRS'in Demmer: Selbstverständlich!

Frage: Eine Frage zum Sozialbericht 2017, wer immer sich berufen fühlt: Sie haben den Zeitpunkt 2011 genannt, um darzustellen, dass die Sozialausgaben anteilig an der Wirtschaftsleistung, also dem Bruttoinlandsprodukt, stabil sind und sich nicht erhöht haben. Jetzt frage ich mich, warum das das Jahr 2011 ist. Das ist kein Wahljahr; sonst könnte man sagen: Legislaturperiode. Davor lag diese Quote ja schon einmal deutlich niedriger. Hat das vielleicht etwas damit zu tun, dass die Darstellung dann vielleicht besser aussieht?

SRS'in Demmer: Ich würde hier das Ressort bitten.

Stelten: Ich bin gerade unsicher, was Sie mit dem Bezug auf 2011 meinen.

SRS'in Demmer: Das war die Aussage, dass die Quote bei 29 Prozent stabil geblieben ist.

Stelten: Die Sozialquote schwankt in den letzten Jahren geringfügig. Sie ist auf einige Jahre rückblickend und auch, was die Prognosen für die nächsten Jahre betrifft, im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung als relativ stabil anzusehen.

Ich hatte in dem Bericht gelesen, dass es irgendwann eine Veränderung gibt, weil dann die PKV mit einbezogen wurde, sodass man bestimmte Jahre nicht mehr miteinander vergleichen kann. Ich bin jetzt von hier aus unsicher, ob sich das auf 2011 bezieht. Ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob ich Ihre Frage richtig verstehe.

Zusatz: Vor der deutschen Einheit lag sie einmal bei 25 Prozent.

Stelten: Dann gab es einen Sprung wegen der deutschen Einheit.

Zusatzfrage: Genau! Jetzt hat man 2011 als Basisjahr gewählt, um die Aussage zu unterstützen, dass das eine stabile Quote ist. Es gibt ja Kritik daran, dass die relativ gesehen deutlich gestiegen sei. Deshalb frage ich mich, warum Sie ausgerechnet 2011 gewählt haben, ob das für die Darstellung besser ist oder ob das einen anderen Grund hat.

Stelten: Weder in unserer Pressemitteilung noch sonst bei den Dingen, die vonseiten des BMAS kommen, sehe ich, dass wir uns besonders auf 2011 beziehen, sondern eigentlich immer auf 2017. Wir weisen aus, was wir bis 2021 prognostizieren. Der Bericht geht doch einige Jahre zurück.

Zusatz: Frau Demmer hatte das gerade so vorgetragen.

SRS'in Demmer: Genau! Seit 2011 liegt die Sozialleistungsquote bei rund 29 Prozent. Ich kann Ihnen jetzt keine Auskunft darüber geben, ob es vorher dramatisch anders war. Es klingt nicht so.

Stelten: Das kann ich von hier jetzt auch nicht sagen. Wir können das gerne noch einmal recherchieren, und vielleicht können wir dann eine Antwort nachreichen.

Frage : Frau Demmer, Sie hatten eben erwähnt, dass Herr Dobrindt und Frau Hendricks die Kabinettsmitglieder zum Thema Nationales Forum Diesel gebrieft hatten. Gab es darüber irgendeine Aussprache oder Diskussion? Wurde dabei der Beschluss gefasst, dass man den Gipfel kurzfristig in das Innenministerium verlegt?

SRS'in Demmer: Wie Sie wissen, ist die Kabinettssitzung grundsätzlich geheim. Deswegen kann ich Ihnen keine Details dazu nennen. Es ist ein wesentliches Thema, und deswegen ist es auch im Kabinett behandelt worden. Darüber hinaus muss ich Sie bitten, jetzt einfach die Ergebnisse des Gipfels abzuwarten.

Zusatzfrage: Können wir dann gleich beim Thema Diesel bleiben, oder wollen wir das gesondert machen?

Vors. Szent-Iványi: Wir können dabei bleiben.

SRS'in Demmer: Ich kann bestätigen, dass der Gipfel verlegt worden ist. Das ist aber nicht im Kabinett beschlossen worden.

Zusatzfrage: Vielleicht können Sie noch einmal ganz kurz erklären, warum jetzt eigentlich diese Verlegung notwendig war? Es ist ja sehr ungewöhnlich, dass so kurzfristig von einem Ministerium ins andere verlegt wird.

Friedrich: Letztendlich ist die Antwort, glaube ich, ganz einfach: Es ist einfach die aktuelle Lage, die dazu bewogen hat, den Gipfel noch einmal zu verlegen, und zwar in das BMI.

Zusatzfrage : Die aktuelle politische Lage?

Friedrich: Generell die aktuelle Lage einfach. Das ist der Grund, warum wir das verlegen.

Zusatzfrage : Weil da mehr Platz ist?

Friedrich: Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen.

Frage: "Aktuelle Lage" allein ist als Antwort etwas unbefriedigend. Ist es die aktuelle Verkehrslage, ist es die aktuelle politische Lage, ist es die aktuelle Umweltlage? Vielleicht können Sie das ein bisschen detaillierter sagen; das interessiert ja.

Darüber hinaus wüsste ich gerne, was die Erwartungen sowohl des Verkehrsministeriums als auch des Umweltministeriums hinsichtlich der Ergebnisse des heutigen Gipfels sind.

Friedrich: Zum einen kann ich nur noch einmal die letzte Antwort wiederholen; das kann ich jetzt nicht weiter spezifizieren.

Grundsätzlich zur Erwartungshaltung würde ich Sie auch auf die Pressekonferenz verweisen, die voraussichtlich um 15 Uhr stattfindet. Dort können Sie all diese Fragen zum Thema Diesel noch einmal stellen.

Zusatzfrage: Entschuldigung, Sie sind doch als Sprecherin des Ministeriums hier; insofern erwarte ich eigentlich, dass Sie in zwei Hauptsätzen sagen können, warum erstens der Ort verlegt worden ist und was zweitens die Erwartungen Ihres Hauses hinsichtlich der möglichen Ergebnisse des heutigen Gipfels sind.

Friedrich: Da muss ich um Verständnis bitten; die beiden Sätze habe ich Ihnen geliefert: Es ist die aktuelle Lage und es bleibt bei der PK. Dort wird es eben die Möglichkeit geben, diese Fragen zu stellen.

Frage: Ich versuche es einmal anders herum, vielleicht an das BMI und an das BMVI: Gab es denn irgendwelche konkreten Hinweise auf eine Bedrohung einzelner oder aller Gipfelteilnehmer?

Kock: Wir wurden gefragt, wir wurden darum gebeten, und haben gesagt: Das ist bei uns möglich. Insofern haben wir das jetzt kurzfristig ermöglicht. Für alles Weitere verweise ich an die Kollegin.

SRS'in Demmer: Vielleicht können wir das abkürzen: Grundsätzlich haben wir hier in den letzten Wochen ja relativ häufig dazu Stellung genommen. Natürlich bleibt es dabei, dass wir eine verbindliche Zusage der Hersteller hinsichtlich von Technik und Finanzierung wirksamer Maßnahmen zur Verminderung des Schadstoffausstoßes von Dieselautos erwarten. Resümee gezogen wird aber nach der Veranstaltung, und dann sehen wir weiter.

Vors. Szent-Iványi: Pardon, aber das war, glaube ich, nicht die letzte Frage.

Zusatzfrage: Genau. Die Frage war, ob es Hinweise auf eine Bedrohung einzelner oder aller Teilnehmer gab, die dann zu der Verlegung geführt haben - vielleicht auch Hinweise im BMI.

Friedrich: Zu der Frage hinsichtlich möglicher Bedrohungen kann ich Ihnen leider nichts sagen, da sich das schlicht meiner Kenntnis entzieht.

Vors. Szent-Iványi: Gibt es weitere Fragen dazu? - Das ist nicht der Fall. Dann möchte ich noch dem Kollegen Schäfer das Wort geben.

Schäfer: Ich habe in der Tat einige Punkte, die ich gerne aktiv mit Ihnen besprechen würde.

Ich würde gerne anfangen mit unseren Beziehungen zur Türkei, und zwar mit dem Haftfall Peter Steudtner, der uns hier in den letzten Wochen gemeinsam leider schon sehr intensiv beschäftigt hat. Ich möchte Ihnen das bestätigen, was bereits gestern von einigen Medien berichtet worden ist, nämlich dass Herr Steudtner gemeinsam mit seinem schwedischen Leidensgenossen von einer Untersuchungshaftanstalt in eine andere verlegt worden ist. Darüber sind weder die Anwälte noch der Heimatstaat von Herrn Steudtner informiert worden. Es hat weder eine Haftprüfung gegeben, noch gibt es erkennbare Fortschritte beim Ermittlungsverfahren; Herr Steudtner ist jetzt aber in eine andere Haftanstalt verbracht worden, die ungefähr 80 Kilometer von Istanbul entfernt ist.

Wir müssen annehmen, wir müssen befürchten - wir wissen das nicht so genau - , dass damit auch eine Verschlechterung der Haftbedingungen für Herrn Steudtner einhergeht. Wir bedauern ausdrücklich sowohl die Kommunikationspolitik der zuständigen türkischen Behörden wie auch die Tatsache als solche. Es bleibt dabei, dass wir die Vorwürfe, die gegen Herrn Steudtner von der türkischen Justiz, aber auch in der türkischen Politik erhoben worden sind, für offenbar unbegründet, unrechtmäßig und unverhältnismäßig halten. Es bleibt deshalb dabei, dass wir die zuständigen türkischen Behörden nachdrücklich auffordern, Herrn Steudtner mindestens auf freien Fuß zu setzen beziehungsweise im besten Fall dieses Ermittlungsverfahren aus den von mir genannten Gründen einzustellen.

Das Zweite, was ich Ihnen für die Bundesregierung sagen möchte, betrifft die Lage in Afghanistan. Wir verurteilen das menschenverachtende terroristische Verbrechen, das gestern im Westen des Landes, in Herat, begangen worden ist, wo betende schiitische Gläubige in einer Moschee zum Gegenstand eines Selbstmordanschlages geworden sind. Es hat dort, soweit wir das wissen, mindestens 29 Todesopfer gegeben. Ich möchte Ihnen für die Bundesregierung sagen, dass wir in Trauer über die Opfer, die Toten und die Verletzten sind und unsere Gefühle der Anteilnahme an unsere Partner in Afghanistan übersenden möchten.

Gleichzeitig müssen wir davon ausgehen, dass es heute einen weiteren Selbstmordanschlag gegeben hat, zu dem sich bereits die Taliban bekannt haben, nämlich auf einen Nato-Konvoi in der südafghanischen Provinz Kandahar. Wir wissen noch nicht genau, ob und wie viele Opfer es da gegeben hat, müssen aber annehmen, dass auch das geschehen ist. Unser Mitgefühl gilt daher auch denjenigen, die zum Opfer dieses Anschlages geworden sind.

Mein dritter Punkt betrifft die immer noch laufende und leider auch nicht abschwellende Krise um Katar. Ich möchte Ihnen für die Bundesregierung sagen, dass wir mit Sorge sehen, dass auch nach neun Wochen immer noch keine Lösung der Krise am Golf in Sicht ist. Die Kernfragen dieses Zerwürfnisses zwischen Katar und vier anderen Staaten werden sich, so glauben wir, nur im direkten Dialog lösen lassen. Wir appellieren an alle Akteure am Golf, sich baldmöglichst an einen Tisch zu setzen und die Themen miteinander zu besprechen. Dies betont Außenminister Sigmar Gabriel regelmäßig in seinen Gesprächen mit allen Partnern in der Region. Gestern hat er unter anderem mit dem Außenminister von Katar über die Lage in der Region gesprochen.

Wir ermutigen alle Parteien, auch weiterhin konstruktive Schritte zur Deeskalation und zu einem Einstieg in die Lösung des Konfliktes zu unternehmen, und vertrauen darauf, dass für alle Mitglieder des Golf-Kooperationsrates Einigkeit, Geschlossenheit und eine gute gemeinsame Zukunft in der Region Priorität haben. Daran haben wir Europäer ein unmittelbares Interesse. Eine zentrale Rolle kommt bei einer Lösung oder mindestens einer langsamen Überwindung des Konfliktes der kuwaitischen Vermittlung zu, für die wir weiterhin sehr dankbar sind und die wir nachdrücklich unterstützen. Wir stimmen uns weiter mit unseren kuwaitischen, amerikanischen und europäischen Partnern ab und stehen bereit, zu unterstützen, wo und wie das hilfreich ist.

Jetzt bin ich fast fertig; jetzt komme ich zu meinem vierten Punkt, den ich Ihnen gegenüber ansprechen möchte. Das möchte ich aber auch wirklich in aller Deutlichkeit tun. - Nachdem sich im Laufe des gestrigen Tages und bereits über das Wochenende Hinweise verdichtet hatten und es jetzt keine ernsthaften Zweifel mehr über eine Beteiligung der vietnamesischen Nachrichtendienste und der Botschaft der Sozialistischen Republik Vietnam in Berlin an der Entführung eines vietnamesischen Staatsangehörigen in Berlin gibt, hat gestern der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Markus Ederer den Botschafter der Sozialistischen Republik Vietnam ins Auswärtige Amt einbestellt.

Die Entführung des vietnamesischen Staatsangehörigen TrXuân Thanh auf deutschem Boden ist ein präzedenzfallloser und eklatanter Verstoß gegen deutsches Recht und gegen das Völkerrecht. Dank der Aufmerksamkeit der deutschen Strafverfolgungsbehörden kam der Vorgang ans Licht. Inzwischen laufen dazu auch Ermittlungen bei den Berliner Strafverfolgungsbehörden.

Ein derartiger Vorgang hat das Potenzial, die Beziehungen zwischen Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam massiv negativ zu beeinflussen. Er ist gleichzeitig ein extremer Vertrauensbruch. Noch am Rande des G20-Gipfels haben hochrangige Vertreter der Bundesregierung auf Bitte der vietnamesischen Seite darüber gesprochen, in welcher Weise eine mögliche, von vietnamesischer Seite gewünschte Auslieferung des Mannes nach den Regeln der Rechtsstaatlichkeit geschehen könne.

Dies ist von Staatssekretär Ederer gestern dem vietnamesischen Botschafter in aller Klarheit und in aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht worden. Wir haben ihm auch unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass wir verlangen, dass Herr TrXuân Thanh unverzüglich nach Deutschland zurückreisen kann, damit der vietnamesische Antrag auf Auslieferung, aber auch der Antrag auf Asyl dieses Mannes in einem rechtsstaatlichen Verfahren zu Ende geprüft werden können.

Als Konsequenz aus diesem völlig inakzeptablen Vorgang werden wir den offiziellen Vertreter der vietnamesischen Nachrichtendienste an der Botschaft der Sozialistischen Republik Vietnam unverzüglich, und zwar jetzt, zur Persona non grata erklären und ihm 48 Stunden geben, Deutschland zu verlassen. Wir behalten uns vor, gegebenenfalls weitere Konsequenzen auf politischer, wirtschaftlicher sowie entwicklungspolitischer Ebene zu ziehen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Frage: Herr Schäfer, das ist ja nicht ganz mein Thema, und insofern kenne ich mich damit nicht wirklich gut aus, aber vielleicht könnten Sie das noch ein bisschen näher ausführen. Wenn es einen Asylantrag und ein Auslieferungsbegehren des Staates gibt, dann scheint das ja auch eine Vorgeschichte zu haben. Vielleicht können Sie uns noch ein bisschen weiterhelfen.

Schäfer: Es geht in der Sache darum, dass ein Staatsangehöriger der Sozialistischen Republik Vietnam nach Deutschland gekommen ist und hier einen Asylantrag gestellt hat, der in Bearbeitung ist. Der ist noch nicht beschieden worden. Diesem Mann werden vonseiten der vietnamesischen Justiz und vonseiten der vietnamesischen Regierung ernste Straftaten zur Last gelegt. Die vietnamesische Seite wünscht die Genehmigung der Auslieferung dieses vietnamesischen Staatsangehörigen aus Deutschland nach Vietnam. Auch da sind die politischen und justiziellen Verfahren im Gang.

Wir müssen davon ausgehen - ja, wir sind sicher -, dass Stellen des vietnamesischen Staates hier in den letzten Tagen Handlungen vorgenommen haben, die sozusagen nur mit Begriffen des Strafrechts qualifiziert werden können: Menschenraub, Entführung, so etwas. Der Mann befindet sich, wie auch öffentlich bekannt ist, seit vorgestern wieder in Vietnam. Er ist also offensichtlich aus Deutschland, aus Europa, nach Vietnam zurückverbracht worden. Die Konsequenzen dieses Vorgehens der Sozialistischen Republik Vietnam habe ich Ihnen darzustellen versucht.

Zusatzfrage: Hat die Einbestellung des Botschafters schon stattgefunden, oder wird das Gespräch noch stattfinden?

Schäfer: Ich hatte es bereits gesagt: Die Einbestellung hat gestern Nachmittag um 15 Uhr - das hatte ich nicht gesagt - stattgefunden. Dem Botschafter ist bedeutet worden, dass er bis heute Mittag um 12 Uhr, also vor 90 Minuten, Gelegenheit hatte, Stellung zu den Ausführungen zu nehmen, die Staatssekretär Ederer ihm gegenüber gemacht hat, und insbesondere unserer Forderung nachzukommen, den Mann wieder nach Deutschland zu verbringen. Beides ist - sonst würde ich jetzt auch hier nicht mit Ihnen sprechen - ganz offensichtlich nicht geschehen, Frau Wefers. Deshalb habe ich für die Bundesregierung, für das Auswärtige Amt und für den Außenminister diese ja sehr harsche, sehr drastische Konsequenz zu verkünden. Es ist schlicht inakzeptabel, dass ausländische Staaten auf deutschem Hoheitsgebiet unter deutscher Souveränität auf diese Art und Weise das deutsche Recht mit Füßen treten.

Frage: Herr Schäfer, können Sie uns sagen, wo sich das abgespielt hat? Können Sie möglicherweise auch sagen, was dem Mann seitens des vietnamesischen Staats beziehungsweise der Justiz vorgeworfen wird? Können Sie sich erinnern, ob es so etwas schon einmal gegeben hat?

Schäfer: Ich glaube, die Örtlichkeiten helfen Ihnen jetzt nicht übermäßig weiter. Das ist ein Vorgang, der sich in Berlin abgespielt hat, in unserer Hauptstadt. Dem Mann werden, soweit wir das aus den Informationen von vietnamesische Seite wissen, Straftatbestände im Zusammenhang mit dem Verschwinden von hohen dreistelligen Dollar-Millionenbeträgen als langjähriger Chef eines staatlichen vietnamesischen Unternehmens zur Last gelegt.

Frage: Herr Schäfer, können Sie sagen, woher Sie Ihre Informationen über den Aufenthaltsort des Betroffenen beziehen? Haben Sie Kontakt zu ihm selbst oder zu Angehörigen oder Rechtsbeiständen?

Schäfer: Der Betroffene, der in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, ist gestern vor der vietnamesischen Öffentlichkeit in Haft genommen worden und hat, auch wenn ich es mir selbst nicht angeschaut habe, dem Vernehmen nach vor der vietnamesischen Öffentlichkeit gesagt, dass er sich freiwillig den vietnamesischen staatlichen Stellen gestellt habe.

Frage: Wenn ein Auslieferungsbegehren besteht, dann müsste derjenige ja wahrscheinlich zumindest in Haft sein oder der deutsche Staat müsste der Person auf irgendeiner Weise habhaft werden können. Wie verhält sich das denn?

Schäfer: Wenn es ein Auslieferungsersuchen für einen ausländischen Staatsangehörigen an die Bundesrepublik Deutschland gibt, dann ist Voraussetzung für die Genehmigung der Auslieferung durch die Bundesregierung eine Entscheidung des, meine ich, Oberlandesgerichts, jedenfalls außerhalb der Europäischen Union. Die zuständigen Richter entscheiden im eigenen Ermessen, ob solche Maßnahmen wie die Inhaftnahme zwecks Sicherstellung der Auslieferung erforderlich sind oder nicht. Das ist in diesem Fall, ohne dass das von der Bundesregierung zu kommentieren wäre, nicht geschehen.

Es gibt eben zwei Verfahren, die nebeneinander verliefen. Das eine ist das vietnamesische Auslieferungsersuchen, und das andere ist der Asylantrag dieses Mannes.

Zusatzfrage: Darf ich nach Katar fragen? Ich wollte fragen, ob jetzt irgendwelche weiteren Dinge passieren, außer dass Sie Aufrufe machen. Das ist ja angesichts der hohen Investitionen verschiedener Unternehmen auch für die deutsche Wirtschaft ein recht wichtiges Thema.

Schäfer: Ich teile Ihre Einschätzung, Frau Wefers: Für die deutsche und die europäische Wirtschaft beziehungsweise für alle, die im Golf oder mit dem Golf Handel treiben oder dort Investitionen getätigt haben, ist der fortdauernde Konflikt um Katar schädigend. Nicht nur die beteiligten Staaten leiden wirtschaftlich darunter, sondern auch die Unternehmen, die im Vertrauen auf gedeihliche Handels-, Wirtschafts- und Investitionsbedingungen in diesen Ländern investiert haben.

Das ist einer der Gründe dafür, dass wir Druck machen, dass wir mit den Parteien dieses Konfliktes im Kontakt stehen und dass wir Ihnen diese Botschaft auch immer wieder übermitteln, dass wir gar nicht mehr ausschließen können, dass es nachhaltige, ja, langfristige Folgen auch für die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen hat, wenn dieser Konflikt andauert. Es bedeutet auch, dass der deutsche Außenminister in sehr engem und regelmäßigem Kontakt mit seinem amerikanischen Kollegen ist, der, wie Sie wissen, genau wie er ja auch bereits in der Region gewesen ist, um zu eruieren und zu testen, welche Möglichkeiten bestehen, diesen offensichtlich tief sitzenden Konflikt, der schon seit dem 5. Juni, also seit acht Wochen, andauert, zu überwinden. Wir haben es jetzt in der Tat mit mehreren Wochen des Stillstands zu tun, jedenfalls mit keiner Verbesserung der Lage, hier und da vielleicht sogar mit einer Verschärfung der Eskalation. Das kann nicht in unserem Interesse sein.

Aber andererseits gebietet es die Ehrlichkeit, auch zu sagen, dass die Mittel der deutschen und der europäischen, ja, auch der westlichen Diplomatie insgesamt begrenzt sind. Es handelt sich um einen Konflikt zwischen Bruder- und Nachbarnationen, auch zwischen Bruder- und Nachbarkönigs- oder -adelshäusern und -geschlechtern, die in der Vergangenheit einmal besser und einmal schlechter miteinander ausgekommen sind, jedenfalls jetzt angehalten sind, diesen Konflikt miteinander so zu lösen, dass die Folgen auch für die deutsche und für die europäische Wirtschaft in Grenzen bleiben. Dazu gehört es, dass eine Lösung schnell erfolgt.

Frage: Frau Demmer und vielleicht auch Herr Schäfer, Vertreter des polnischen Regierungslagers haben in letzter Zeit mehrmals die Frage der Kriegsreparationen aus Deutschland ins Gespräch gebracht - bei öffentlichen Auftritten, bei Presseinterviews. Der Chef der Regierungspartei hat dies zweimal getan; gestern hat es der Verteidigungsminister getan. Er sagte, es sei unumstritten, dass Deutschland Polen Kriegsreparationen schulde. Polen habe niemals auf diese Leistungen, auf die Entschädigung, verzichtet.

Ich habe zwei Fragen dazu, nämlich, erstens, ob Sie dazu eine Meinung beziehungsweise einen Standpunkt haben und, zweitens, ob Sie diese polnischen Wünsche schon offiziell erreicht haben.

SRS'in Demmer: Der Bundesregierung liegt keine Anfrage der polnischen Regierung vor, zu der ich jetzt hier Stellung nehmen könnte.

Vielleicht kann ich ganz allgemein noch einmal unsere Haltung wiedergeben: Natürlich steht Deutschland politisch, moralisch und finanziell zu seiner Verantwortung im Zweiten Weltkrieg. Es hat in erheblichem Umfang Reparationen für allgemeine Kriegsschäden geleistet - auch an Polen - und leistet immer noch in großem Umfang Wiedergutmachung für NS-Unrecht.

Die Frage der deutschen Reparationen für Polen ist in der Vergangenheit abschließend geregelt worden, rechtlich und politisch. Polen hat im August 1953 verbindlich und mit Wirkung für ganz Deutschland auf weitere Reparationsleistungen verzichtet und dies auch nachfolgend immer wieder bestätigt.

Zusatzfrage: Vor einiger Zeit hatten wir mit Griechenland einen ähnlichen, wenn auch nicht ganz identischen Fall. Können Sie mir sagen, auf welcher Etappe, in welchem Stadium sich dieser Fall befindet?

SRS'in Demmer: Dazu habe ich keinen neuen Stand.

Frage: Eine Frage an das Bundesinnenministerium. Es geht um die Fristversäumnis beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Fall Ahmad A. Mich würde die Haltung des Bundesinnenministeriums dazu interessieren, wie Sie sich diese Panne erklären und ob daraus jetzt Konsequenzen gezogen werden.

Kock: Vielen Dank für Ihre Frage. - Es ist richtig, dass das Wiederaufnahmeersuchen des BAMF nach der Dublin-III-Verordnung gegenüber Norwegen im Fall von Ahmad A. einen Tag nach Ablauf der entsprechenden Frist am 14. Juli 2015 gestellt wurde. Die Frist begann - das vielleicht noch einmal zur Erläuterung - mit der Treffermeldung von A. in Eurodac am 11. Mai 2015. Aufgrund der Fristverstreichung - auch das ist richtig - hat Norwegen das Wiederaufnahmeersuchen des BAMF abgelehnt, und die Zuständigkeit für das Asylverfahren ging auf Deutschland über. Dazu darf ich in Erinnerung rufen, dass dies alles in einer Zeit geschah, 2015, als das BAMF aufgrund der großen Zahl an Zuwanderern vor den allgemein bekannten großen Herausforderungen stand.

Zum besseren Verständnis vielleicht noch einmal die folgende Ergänzung: Solche Dublin-Verfahren sind ziemlich kompliziert und ziemlich komplex. Vor allen Dingen die konkrete Umsetzung von Überstellungen ist mit ganz eigenen Schwierigkeiten verbunden. Diese Fristenregelungen - auch das hat sich in der Praxis gezeigt - sind für viele Beteiligte nicht wirklich praktikabel.

Vor diesem Hintergrund werden jetzt im Zuge der Reform der Dublin-Verordnung erste Überlegungen angestellt, die Fristenregelungen im Dublin-Verfahren abzuschaffen. Das würde, so hoffen wir, dazu führen, dass der Praxis Einhalt geboten wird, dass sich Einzelne durch Verstreichen der Fristen den Dublin-Regelungen entziehen können.

Ich denke damit sind ihre Fragen, auch die Frage nach den Konsequenzen, beantwortet.

Vors. Szent-Iványi: Ich möchte noch Fragen, ob es irgendeine neue, aktuelle Lage bei der Frage der Pressekonferenz zum Dieselgipfel gibt.

Friedrich: Nein, die gibt es nicht. Es bleibt unverändert

Mittwoch, 2. August 2017

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Quelle:
Regierungspressekonferenz vom 2. August 2017
https://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Service/Newsletter/Nachrichten/_node.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. August 2017

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