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PRESSEKONFERENZ/1869: Treffen von Merkel mit Regierungschefinnen und Regierungschefs der Bundesländer, 6.6.19 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz - Donnerstag, 6. Juni 2019
Pressekonferenz zum Treffen von Bundeskanzlerin Merkel mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Bundesländer im Bundeskanzleramt

Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Erster Bürgermeister Peter Tschentscher, Ministerpräsident Tobias Hans, StS Steffen Seibert


BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, wir hatten heute eine umfangreiche Tagesordnung, aus der ich zwei Punkte herausgreifen möchte. Ich durfte heute zwei Unterschriften leisten, die Ministerpräsidenten ebenfalls je zwei. Das war erstens der Abschluss der Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern auf der Grundlage des Artikels 91b Absatz 1 Grundgesetz, also der Pakt für Forschung und Innovation, die Nachfolge des Hochschulpakts und die Nachfolge des Qualitätspakts Lehre. Das ist eine ungewöhnliche gemeinsame Leistung - ich will das ausdrücklich sagen -, weil wir damit in den so wichtigen Bereichen von Innovation und Hochschule Planungssicherheit bis zum Jahr 2030 haben. Insofern ist das eine große Sache. Das wird vor allen Dingen ermöglichen, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die auch aus dem Ausland ein Auge auf uns werfen, wissen, dass sie hier nicht nur ein Jahr Unterstützung bekommen können, sondern dass sie berechenbare Forschungs- und Hochschulbedingungen haben.

Wir haben im Zusammenhang mit der Asyl- und Flüchtlingspolitik an einem zweiten Werkstück gearbeitet. Neben den vielen Gesetzen, die in dieser Woche - konkret morgen - im Deutschen Bundestag verabschiedet werden, ging es noch um die Frage: Wie werden wir unserer gesamtstaatlichen Verantwortung mit Blick auf die Finanzierung der Kosten für die Flüchtlinge gerecht? Wir hatten ja eine Regelung für dieses Jahr, aber noch keine für die Jahre 2020 und 2021 getroffen. Es ist heute gelungen, das zu ermöglichen. Wir setzen dabei die vollständige Erstattung der Kosten für Unterkunft und Heizung für Bedarfsgemeinschaften mit Fluchtbezug fort. Wir übernehmen als Bund auch weiterhin einen Beitrag zur Finanzierung der Kosten für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Höhe von 350 Millionen Euro. Die im Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz festgelegte Bundesbeteiligung für Asylbewerber - das sind 670 Euro je Verfahrensmonat - wird in den Jahren 2020 und 2021 fortgeführt. Es gibt außerdem eine für flüchtlingsbezogene Zwecke ausgereichte Pauschale, die 2020 700 Millionen Euro und 2021 500 Millionen Euro betragen wird. Um den Ländern eine gewisse Sicherheit zu geben - wir wissen ja nicht, wie viele Flüchtlinge kommen; wenn es mehr sind, sind die Kosten natürlich höher -, stellen wir in Aussicht, dass, wenn es weniger als die jetzt im Haushalt veranschlagten Kosten sind, diese Mittel vom Bund weiter für die entsprechenden Aufgaben zur Verfügung gestellt werden. Das ist, glaube ich, ein Kompromiss, der beide Seiten in die Verantwortung nimmt. Damit haben auch die Länder noch manches zu schultern - um es vorsichtig zu sagen -, aber wir waren uns einig, dass wir damit im Sinne eines Kompromisses unserer gesamtstaatlichen Verantwortung gerecht werden.

Wir hatten dann noch verschiedene Themen, insbesondere auch im Zusammenhang mit der Energiewende und der Digitalisierung. Hier sind Bund und Länder bei der Durchsetzung der Ziele in ganz erheblichem Maße aufeinander angewiesen. Ich will das jetzt nicht alles im Einzelnen darstellen, glaube aber, dass wir eine sehr erfolgreiche und auch zielorientierte MPK mit der Bundesregierung hatten, und bedanke mich für die Zusammenarbeit.

BGM Tschentscher: Ich darf das gerne erwidern: Ich glaube, dass wir eine sehr gute gemeinsame Konferenz hatten. Für meine Seite möchte ich gerne drei Punkte erwähnen.

Das eine ist der Fortschritt bei der Digitalisierung: Wir haben gemeinsam vor, die Register, die es in Deutschland gibt, technisch miteinander zu vernetzen und allen Bürgerinnen und Bürgern eine komfortable Möglichkeit der Identifikation zu bieten, damit wir in Zukunft Onlinedienstleistungen modern anbieten können - auf Bundes- und auf Länderebene. Das ist ein wichtiges Vorhaben für die nächste Zeit.

Das Zweite ist schon erwähnt worden: Wir haben eine Verständigung über die künftige Finanzierung der Kosten der Flüchtlingsintegration gefunden - eine wichtige Aufgabe, die Bund, Länder und Gemeinden weiterhin sehr engagiert betreiben wollen und müssen. Da gab es vor einigen Monaten einen Vorschlag des Bundes, der bei den Ländern auf wenig Resonanz gestoßen ist - eine Pauschalregelung für jeden anerkannten Asylbewerber. Von diesem Vorschlag sind wir jetzt abgekommen und haben uns auf eine Fortführung bewährter Finanzierungsvereinbarungen - nämlich erstens der KdU für Flüchtlinge, zweitens der 670-Euro-Pauschale für alle Flüchtlinge je Verfahrensmonat und drittens der 350-Millionen-Euro-Pauschale für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge - plus eine weitere Pauschale für die Jahre 2020 und 2021 und die schon erwähnte Zusicherung des Bundes, dass, sollten sich die Zahlen so entwickeln, dass für die Kosten der Unterkunft und die 670-Euro-Pauschale weniger Mittel erforderlich sind als derzeit prognostiziert, diese dennoch de n Ländern für wichtige Integrationsaufgaben zur Verfügung stehen, verständigt. Das ist ein sehr großer Erfolg, denn wir hatten bis vor Kurzem keine Sicherheit, wie es ab 2020 weitergeht. Ich glaube, dass es sinnvoll und auch erforderlich ist, dass diese Sicherheit jetzt für alle Beteiligten hergestellt ist. Deswegen finde ich, obwohl es jetzt für die Länder natürlich noch ein wichtiger Schritt ist, die Integrationsbemühungen auf gleichem Niveau fortzuführen, dass das ein wichtiges Ergebnis ist.

Das Dritte, was uns heute sehr beschäftigt hat, ist die Klima- und Energiepolitik. Dort ist letztlich eine gemeinsame Haltung aller 16 Länder und, wie wir heute gesehen haben, auch des Bundes entstanden, dass wir mit der Klimaschutzpolitik, mit den Zielsetzungen, die wir uns gesamtstaatlich gesetzt haben, sehr energisch vorangehen wollen. Es geht um drei Dinge: Der Industriestandort Deutschland muss wettbewerbsfähig und stark bleiben, deswegen kommt es darauf an, den Klimaschutz in diesem Bereich durch moderne Technologien voranzubringen. Zweitens müssen die Ziele sicher erreicht werden. Das heißt, wir brauchen ein Zusammenwirken von Bund, Ländern und eigentlich auch Gemeinden, die ja im Gebäude- und Mobilitätssektor vieles beitragen können, ein gemeinsames Handeln, um diese Ziele jetzt sicher einzuhalten, ohne dass es zu Strafzahlungen oder Verzögerungen kommt. Drittens muss all das, was wir tun, natürlich das Leben in Deutschland bezahlbar halten. Wenn es um Energiekosten geht, müssen wir dafür sorgen, dass es sozialverträglich zugeht und niemand überfordert wird.

Dieser Dreiklang - wettbewerbsfähige Industrie in Deutschland, technologischer Fortschritt, Nutzung aller regenerativen Energiequellen, die wir schon haben, um in allen Sektoren klarzukommen und die Ziele sicher zu erreichen, und das alles zu bezahlbaren Bedingungen für Bürgerinnen und Bürger hinzubekommen - ist das, was wir uns gemeinsam vorgenommen haben und was wir im Laufe der nächsten Monate weiter zwischen Bund und Ländern besprechen wollen. Der Netzausbau muss vorankommen, und wir müssen über die Reallabore, die jetzt in Deutschland zeigen sollen, dass all das auch geht, auf die richtigen Konzepte setzen. Dafür herzlichen Dank, dass die Bundesregierung uns auch zugesichert hat, dass wir das jetzt sozusagen Hand in Hand weiterbewegen können. Denn wir alle in den Ländern haben unsere Klimaschutzziele, die wir gemeinsam mit dem Bund und auch den Gemeinden umsetzen wollen.

MP Hans: Liebe Anwesende, ich glaube, Bund und Länder haben heute mit dieser Ministerpräsidentenkonferenz gemeinsam mit der Bundeskanzlerin Verantwortung bewiesen. Ich kann an dieser Stelle von wirklich ausgesprochen konstruktiven Beratungen und Verhandlungen in sehr schwierigen Themenfeldern - wir haben jetzt schon von einigen gehört - berichten.

Wir haben vor allem Verantwortung für den Zukunftsstandort Deutschland übernommen. Wenn wir, wie Peter Tschentscher gerade sagte, die Klimawende packen und den Treibhausgasausstoß reduzieren wollen, dann muss unser Ansatz dafür vor allem ein technologiegetriebener, ein innovationsgetriebener Ansatz sein. Deswegen will ich betonen, wie wichtig die Verabschiedung der drei großen Hochschulpakte ist, die wir - die Bundesregierung und die Länder gemeinsam - heute hier über die Hürde gehoben haben. Wir haben nicht nur im Nachfolgeprogramm des Hochschulpaktes eine Regelung gefunden, die unbefristet ist, sondern wir haben auch eine Regelung gefunden, die Bund und Länder gleichermaßen in der Verantwortung sieht, wenn es darum geht, Steigerungen in diesem Hochschulpakt vorzunehmen. Bis 2024 werden wir jeweils mit 1,88 Milliarden Euro dort einsteigen, ab 2024 mit 2,05 Milliarden Euro. Diese Stufe war den Ländern ganz besonders wichtig, um für attraktive Studienbedingungen in Deutschland zu sorgen. Denn wir brauchen diese jungen Köpfe, um die Innovation in diesem Land nach vorn zu bringen, um zum Beispiel bei Wasserstofftechnologie, Brennstoffzellentechnik oder synthetischen Kraftstoffen auch ganz nach vorn zu kommen. Denn das sind neben der Elektromobilität die großen Zukunftstreiber, wenn es um die Einsparung von CO2 im Verkehr geht.

Ich will aber auch noch einmal darauf eingehen, dass wir nicht nur mit dem Nachfolgepakt des Qualitätspakts Lehre eine wichtige Entscheidung getroffen haben, sondern vor allem auch mit dem Pakt für Forschung und Innovation. Der Pakt für Forschung und Innovation wird erstmalig bis zum Jahr 2030 Gültigkeit haben, und er wird eine dreiprozentige Steigerung bekommen. Obwohl wir derzeit im Bundeshaushalt sicherlich nicht unbegrenzte Möglichkeiten haben - das haben wir heute auch noch einmal gespürt -, haben wir gesagt, bei diesem Zukunftsthema Forschung und Innovation wird draufgelegt. 3 Prozent Steigerung sind ein starkes Signal gerade für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die in Deutschland eine sehr beachtete Rolle haben. Wenn wir unser Hochschul- und Forschungssystem erhalten wollen, müssen wir dort draufsatteln, um international attraktiv zu bleiben. Es ist mir sehr wichtig, das noch einmal zu betonen.

Wir haben heute aber auch Verantwortung übernommen, was die Beleuchtung der Beziehungen zu unserem französischen Nachbarn anbelangt. Wir haben heute darüber gesprochen, wie wir den Aachener Vertrag zwischen Deutschland und Frankreich in Realität umsetzen. Da geht es aus meiner Sicht - ich darf das als Saarländischer Ministerpräsident sagen - um Europa im Kleinen. Das, was wir dort an der ehemaligen Grenze haben, ist das, was wir uns für Gesamteuropa wirklich wünschen. Deswegen haben gerade die Länder, die Grenzbezug haben - das Saarland, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg - der Bundesregierung auch noch einmal angeboten, ihre gesamte Frankreich-Kompetenz einzubringen, wenn es darum geht, mit den französischen Nachbarn Motor in der Europäischen Union zu sein - gerade, wo sich manches in Europa in der Krise befindet, kann diese deutsch-französische Achse noch einmal für Aufschwung sorgen. Da ist es wichtig, dass wir es schaffen, die Hemmnisse, die es gibt, abzubauen. Aus meiner Sicht ist besonders die Schaffung von Grenzraumrecht im Fokus: Wir können in den Grenzregionen bislang keine gemeinsam betri ebenen Kindertageseinrichtungen, Schulen oder gemeinsamen öffentlichen Personennahverkehr aufbauen, weil uns dafür das Rechtsinstrument fehlt. Dass im Aachener Vertrag die Rolle der Grenzregion ein eigenes Kapitel ausmacht, ist auch ein Verdienst der guten Zusammenarbeit zwischen Ländern und Bundesregierung. Ich will mich an dieser Stelle beim Bund noch einmal sehr herzlich bedanken, dass es möglich war, das mit den französischen Nachbarn zu erreichen.

Letztlich möchte auch ich noch einmal die Einigung würdigen, die wir heute in Sachen Flüchtlingskosten hinbekommen haben. Das war ein sehr schwieriger Austausch miteinander, und wir haben am Ende Verantwortung übernommen. Die Länder übernehmen Verantwortung, weil die geflüchteten Personen eben bei uns sind, weil sie auch dann, wenn sie abgelehnt sind, teilweise noch Integrationskosten verursachen, aber auch für Neuankömmlinge, für diejenigen, für die eben auch Unterkunft und Versorgung geschaffen werden muss. Dass wir es nach diesem langen Verhandeln geschafft haben, eine Einigung, eine Lösung zu finden, die den Ländern in ihrer Forderung ein Stück weit entgegengekommen ist, deutet darauf hin, dass wir in dieser Konstellation, in unserem föderativen System, auch in schwierigen Sachverhalten gemeinsam Lösungen finden können. Wir können jedenfalls feststellen, dass wir damit Planungssicherheit haben. Wir werden für das Jahr 2020 3,35 Milliarden Euro und für das Jahr 2021 3,15 Milliarden Euro zur Verfügung haben. Damit ist, auch wenn es sich um eine Reduktion handelt, Planungssicherheit geschaffen worden. Es wird eine Kraftanstrengung bleiben, die Menschen zu integrieren, aber wir stellen uns dieser Verantwortung; auch das war Gegenstand der heutigen Beratung. - Vielen Dank.

StS Seibert: Eine kurze Anmerkung, bevor wir zu den Fragen kommen: Es gibt eine Bund-Länder-Erklärung zur Nachhaltigkeitspolitik, die wir hier gleich verteilen können, die Sie aber natürlich auch über das BPA bekommen.

Frage: Sie alle haben betont, dass Bund und Länder jetzt mehr für die Klimapolitik tun wollen. Trotzdem eilen in allen Umfragen - auch heute wieder - die Grünen den beiden Volksparteien, so will ich es noch sagen, voraus. Frau Merkel, hat man das Thema Klimapolitik als Bundesregierung in den letzten Jahren zu sehr vernachlässigt, möglicherweise verschlafen?

Herr Tschentscher, die starken Grünen stellen ja das bisherige Modell auf den Kopf: Sie sind Chef einer rot-grünen Regierung - ist es dann in Zukunft möglicherweise grün-rot? Muss die SPD lernen, Kellner und nicht mehr Koch zu sein?

BK'in Merkel: Die Bundesregierung hat das Thema Klimaschutz immer für sehr wichtig erachtet. Es hat sich allerdings herausgestellt, dass wir trotz aller Anstrengungen in einigen Bereichen recht gut sind - zum Beispiel beim Ausbau erneuerbarer Energien, wenngleich wir auch dort noch zulegen müssen; wir haben heute sehr intensiv darüber gesprochen -, in anderen Bereichen, zum Beispiel im Verkehr, die erwarteten Reduktionen aber nicht eingetreten sind. Dennoch freuen wir uns, dass wir im letzten Jahr deutlich weniger CO2-Emissionen hatten. Da konnte man zum ersten Mal sehen, wie Zertifikatspreise auch wirken. Dadurch sind Braunkohlestromexporte ins Ausland gesunken und dafür Gaskraftwerke wieder eher wirtschaftlich geworden.

Wir haben einen klaren Arbeitsplan. Wir haben jetzt ein Sondergutachten in Auftrag gegeben, um die Klimaschutzziele 2030 auch zu erreichen. Wir werden im September die Entscheidung treffen. Wir haben verabredet, dass wir uns im Dezember dann wieder auf dieser Ebene austauschen. Die Chefs der Staatskanzleien werden demnächst eine rein energiepolitische, klimapolitische Zusammenkunft haben. Ich glaube, dass wir dieses Thema, das uns wichtig ist, noch beschleunigter angehen. Wir waren nicht gut genug, das muss man sagen. Wichtig war uns das Thema aber immer.

Ich will auch noch einmal darauf hinweisen, dass unter Einbeziehung von Umweltverbänden und Wirtschaftsverbänden die Riesenkraftanstrengung gelungen ist, den Kohleausstieg in Deutschland festzumachen: spätestens 2038. Dass darüber eine gesamtgesellschaftliche Einigung erfolgt ist und die Bundesregierung jetzt auch die Eckpunkte für die betroffenen Länder festgelegt hat, ist auch ein Meilenstein auf dem Weg zu einer verlässlichen Einhaltung der Klimaziele 2030 gewesen. Denn der Kohleausstieg ist jetzt so gestaltet, dass damit implizit die energiepolitischen Ziele, also für die Energieerzeugung, erreicht werden.

BGM Tschentscher: Für meine Person kann ich sagen, dass es in Hamburg immer darauf ankommt, dass Pläne nicht nur gemacht, sondern auch umgesetzt werden. Das ist für einen Hanseaten und eine Hanseatin ein ganz wichtiges Kriterium, wenn es darum geht, Politik zu beurteilen.

BK'in Merkel: Gott sei Dank bin ich in Hamburg geboren!

BGM Tschentscher: Ja, Frau Merkel ist in Hamburg geboren, und insofern passt das sehr gut zusammen.

Wir haben schon 2011 begonnen, Dinge zu entwickeln, die sich heute auszahlen. Wir haben 2011 entschieden, ab dem nächsten Jahr - ab 2020 - nur noch E-Busse, also emissionsfreie Busse einzusetzen. Wir haben vor vielen Jahren damit begonnen, Landstromanlagen nicht nur zu planen, sondern sie auch tatsächlich zu realisieren. Wir sind die Stadt mit den meisten E-Mobilitätsanschlusspunkten im öffentlichen Raum. Das heißt, wir können schon sehr genau herleiten, obwohl ich die Umfragen kenne, dass sich die Stadt Hamburg schon seit geraumer Zeit dem Thema Klimaschutz gewidmet hat. Ich will daran erinnern, dass wir jetzt ein Fernwärmekonzept aufbauen, mit dem wir uns unabhängig von der Kohle machen. Noch bevor Fridays-for-Future-Demonstrationen in Deutschland eingesetzt haben, haben wir sozusagen vorgelegt. Deswegen bin ich guter Dinge, dass das in Hamburg jedenfalls auch in dieser Art und Weise beurteilt wird.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, die CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer hat heute in München die Befürchtung geäußert, dass die Klimapolitik wie die Flüchtlingspolitik zu einer Spaltung der Gesellschaft führen könnte. Teilen Sie diese Sorge?

An die beiden Ministerpräsidenten: Sie hatten ja vorhin in Ihrer Pressekonferenz nach Ihrem Vortreffen gesagt, dass Sie mit relativ konkreten Wünschen bezüglich der Klimapolitik an die Bundesregierung herantreten würden. Unter anderem sollte es ermöglicht werden oder leichter möglich sein, regenerative Energien auch unmittelbar in der Nähe des Erzeugungsortes zu nutzen und nicht damit zu warten und sie damit sozusagen zu verschwenden, bis der Netzausbau so weit ist. Inwieweit sind Sie denn mit diesem Wunsch bei Ihrem jetzigen Treffen gehört worden?

BK'in Merkel: Für mich steht außer Frage, dass wir unsere Klimaziele erreichen müssen, und zwar inklusive einer Planung, mit der wir auch die Chance haben, im Jahre 2050 in Deutschland klimaneutral zu sein. Diese Diskussion werden wir jetzt auch sehr zügig führen. Ich habe Ihnen ja auch die Schritte genannt, die wir schon erreicht haben. Wir fangen ja nicht bei null an.

Ich bin im Übrigen sehr froh darüber, dass gerade ein Land und eine Stadt wie Hamburg an vielen Stellen schon gezeigt hat, wie moderner Verkehr aussieht. Im Hafen arbeiten wir zwischen dem Bund und der Hansestadt Hamburg sehr, sehr eng zusammen. Der ist sozusagen auch ein Vorzeigeprojekt, was Klimaschutz anbelangt, und das ist wichtig.

Es wird natürlich gesellschaftliche Auseinandersetzungen geben. Deshalb geht es darum, den Zusammenhalt zu fördern. Aber wichtig ist, zu sagen, dass wir die Klimaziele erreichen wollen. Ich glaube, wir brauchen an dieser Stelle einfach auch diese Aussage für die Menschen, dass das eine Zukunftsvorsorge ist, dass das essenziell ist und dass wir dafür Planungssicherheit brauchen. Dann gehört zu jeder politischen Maßnahme natürlich auch das Werben um den Konsens. Je breiter wir das beschließen - so, wie zum Beispiel den Ausstieg aus der Kohleverstromung -, umso einfacher wird das sein. Je verlässlicher wir unsere Maßnahmenpakete schnüren, um zum Beispiel auch Kompensationen, also Ersatz zu schaffen, wenn Menschen Sorgen um ihren Arbeitsplatz haben, umso einfacher wird das auch sein. Aber die Klimaziele haben absoluten Vorrang für die Arbeit der Bundesregierung.

MP Hans: Ich denke, dass - egal, ob es jetzt junge Menschen in der Stadt oder vielleicht ältere Menschen im ländlichen Raum sind - alle Gruppen erwarten, dass man jetzt innerhalb der Regierenden - egal, ob das auf Bundesebene oder auf Landesebene ist - nicht in Hektik und Nervosität verfällt, auch nicht aufgrund irgendwelcher Umfrageergebnisse, sondern dass man mit kühlem Kopf agiert. "Kühler Kopf" kann aber auch bedeuten, dass man ein heißes Herz und eine zupackende Hand hat. Mein Eindruck ist, dass das bei den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Fall ist.

Wir sehen, dass wir dringend auch eine Reform des Abgaben- und Umlagensystems in Deutschland brauchen, damit auch klar ist, dass jemand, der sich klimaneutral verhält, der CO2 einspart, das am Ende auch spürt, dass er das an seinem Geldbeutel spürt, dass er spürt, wenn er seine Ölheizung beim Hausumbau zum Beispiel herauswirft, auf fossile Energieträger verzichtet und eine Wärmepumpe kauft, dass es dann am Ende auch wirklich günstiger wird. Ansonsten wird man das auch nicht erreichen; denn gerade im Gebäudesektor ist noch einiges zu holen.

Beim Thema Mobilität ist es sehr, sehr wichtig, nicht allein auf den Individualverkehr abzuzielen, sondern eben gerade auch in den kommerziellen Betrieben - Kollege Tschentscher hat gerade den ÖPNV genannt, aber das gilt auch für die Shared-Mobility-Dienste - voranzukommen, und zwar so, dass es nicht spaltet. Ich glaube, wir müssen nicht wie zum Beispiel die USA komplett auf Uber, Lyft und sonstige Dienste setzen, sondern in Deutschland können wir auch Plattformen entwickeln, über die sich ein Jugendlicher ganz selbstverständlich per App eine Mitfahrgelegenheit besorgt und eine ältere Person das dann zum Beispiel per Telefon und einen persönlichen Ansprechpartner hinbekommt. Darin muss die Stärke von Deutschland an dieser Stelle liegen, darin, auch auszugleichen. Dieser Ausgleich, diese Versöhnung zwischen den Interessen der Menschen im ländlichen Raum und in urbanen Zentren, der Ausgleich zwischen den Beschäftigten in der Industrie und auch denjenigen, die jeden Freitag auf der Straße gehen, kann gelingen, wenn man das Ziel jetzt festen Auges anpackt. Dafür braucht man eben auch die Gelegenheit, noch einmal zusammenzukommen und auch eine Runde zu drehen. Das darf nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag dauern, denn dann schaffen wir das nicht bis 2030, und das ist unser gemeinsames Ziel.

Die Länder stehen an der Seite der Bundesregierung, wenn es jetzt darum geht, ganz konkrete Maßnahmen umzusetzen, und dazu zählt eben auch die Umsetzung - die Bundeskanzlerin hat es gesagt - des Ausstiegs aus der Kohleverstromung. Das bedeutet dann aber auch, dass es Kompensationen geben wird, um die bestehenden Kohlekraftwerke in Deutschland zum Beispiel in moderne Gaskraftwerke umzurüsten oder Brennstoffzellentechnik einzusetzen. Da haben wir natürlich die Erwartungshaltung, das gemeinsam mit dem Bund voranzutreiben, aber wir haben das fest im Blick.

BGM Tschentscher: Wir haben, glaube ich, heute auch eine sehr einvernehmliche Haltung dazu entwickelt, dass der Ausbau der Übertragungsnetze jetzt wirklich vorankommen muss - dabei, dass das schneller vorangeht, helfen die Länder auch dem Bund und denjenigen, die das organisieren -, aber dass wir umgekehrt mit der Nutzung regenerativer Energien, die wir heute schon nutzen können, nicht warten dürfen, bis der Netzausbau so weit ist. Daraus ergibt sich ja gar nicht eine Forderung, die gegen jemanden gerichtet ist, sondern ein Angebot, eine positive Perspektive dafür, dass wir schneller vorankommen, als wenn wir jetzt sozusagen auf das Netz warten, um Offshore-Windenergie und anderes zu nutzen. Deswegen ist heute auch mit den Vertretern der Bundesministerien sehr einvernehmlich besprochen worden, dass das Angebot der Länder, an dieser Stelle schneller voranzukommen, jetzt besprochen werden muss, und auch, dass wir über die regulatorischen Fragen so reden müssen, dass das wirtschaftlich vernünftig möglich ist. Da habe ich heute eine große Übereinstimmung festgestellt.

Wichtig ist, dass wir in den nächsten Monaten klären, welche konkreten Schritte jetzt machbar sind, um das dann im Ergebnis auch wirklich zu erreichen. Am Ende geht es ja immer wieder nicht nur um das Ziel, sondern auch um den Weg und darum, dass wir zeigen, dass wir Punkt für Punkt praktisch vorankommen. Daran liegt sozusagen der Erfolg, und daran liegt, glaube ich, auch die Überzeugungskraft für alle, die bisher noch Zweifel haben, dass wir das in Deutschland hinbekommen, also daran, dass wir wirklich zeigen, dass wir mit der CO2-Reduzierung Schritt für Schritt so vorankommen, dass wir unsere Klimaziele, zu denen wir uns verpflichtet haben, dann auch sicher erreichen können.

Frage: Vielleicht können Sie noch einmal aufdröseln, wie viel der Bund jetzt global bei den Flüchtlingskosten in den Jahren 2021 und 2022 für die einzelnen Posten übernehmen wird.

Die andere Frage wäre: Was wäre in einem Jahr ein Erfolg, wenn man Ihre Verpflichtungen messen will? Wo müssten wir dann sein?

BGM Tschentscher: Mit den Flüchtlingskosten ist es recht einfach. Wir haben 1,8 Milliarden Euro für die Kosten der Unterkunft von Flüchtlingen vorgesehen. Es gibt 500 Millionen Euro, die wir für die 670-Euro-Pauschalregelung angenommen haben, und es gibt 350 Millionen Euro für die minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge. Außerdem gibt es die 700 Millionen Euro und die 500 Millionen Euro als weitere Pauschalen für die Jahre 2020 und 2021.

Jetzt kommt es noch auf diese Regelung an: Für den Fall, dass wir künftig geringere Kosten als 1,8 Milliarden Euro für die Unterkunft oder geringere Kosten als 500 Millionen Euro für die 670-Euro-Regelung haben werden, hat der Bund in Aussicht gestellt, die dabei eingesparten Beträge den Ländern gleichwohl für Integrationsleistungen zur Verfügung zu stellen. Das ist die Rechnung: 1,8 Milliarden plus 500 Millionen plus 350 Millionen - das sind diese 2,65 Milliarden. Dann kommen die 700 Millionen und die 500 Millionen hinzu, sodass man sich die Summe ausrechnen kann.

Es ist ein großer Erfolg, dass der Bund jetzt auch gesagt hat: Bei diesen Beträgen werden wir für 2020 und 2021 landen. Aber wie sich das genau ausrechnen lassen wird, werden wir halt erst im praktischen Leben sehen, weil wir nicht vorhersagen können, welche Fallzahlen es in welchem System wirklich geben wird. Das ergibt sich ja aus der Dynamik der Flüchtlings- und auch der Integrationsfortschritte.

MP Hans: Wir gehen, wenn ich das ergänzen darf, für 2020 von 3,35 Milliarden Euro und für das Jahr 2021 von 3,15 Milliarden Euro aus. Das ist die Summe dessen, was der Kollege Tschentscher gerade aufgezählt hat.

BK'in Merkel: Ich stimme zu.

Zusatzfrage: Die zweite Frage?

BK'in Merkel: Was war die zweite Frage von Ihnen? Die habe ich akustisch gar nicht richtig verstanden.

Zusatzfrage: Sie haben gesagt, Bund und Länder wollten jetzt beim Klimaschutz voranschreiten, und jetzt sollten konkrete Maßnahmen folgen. Dann ist die Frage: Wie sehen wir denn in einem Jahr, ob dieser Vorstoß jetzt tatsächlich etwas gebracht hat? Wo müssten wir dann liegen? Was wäre ein Gradmesser des Erfolgs?

BK'in Merkel: Na ja, wir haben uns ja jetzt als Bundesseite festgelegt, dass wir bis Ende des Jahres ein Gesetz verabschiedet haben werden, das all diese zur Erreichung der Klimaziele 2030 notwendigen Maßnahmen sicherstellt. Deshalb brauchen wir gar kein Jahr mehr zu warten, sondern wir brauchen etliche Monate zu warten.

Dann wird es eine Vielzahl von Kleineren, sage ich jetzt einmal, aber wichtigen Regelungen geben, zum Beispiel zur Entscheidung über die Anwendung von Landstrom im Gegensatz zu Dieselstrom. Dazu muss etwas gemacht werden, was sozusagen parallel zu dem Sondergutachten des Sachverständigenrats für Wirtschaft und des Potsdamer Klimainstituts passiert. Auf der einen Seite geht es sozusagen um die Frage, was Zertifikatsmodelle bringen, und auf der anderen Seite um die Frage, welche Lenkungswirkungen unser heutiges Abgaben- und Steuersystem hat. Es geht im Energiebereich bereits um etwa 60 Milliarden Euro, habe ich neulich gehört - ich kann mich jetzt für die Zahl nicht verbürgen, aber die Größenordnung wird richtig sein -, was Abgaben, Mineralölsteuer, dies und jenes und vieles andere angeht. Man muss jetzt schauen, wie das wirkt.

Sie können zum Beispiel sehen, dass der Landstrom eben sehr viel teurer als der Dieselstrom ist, und deshalb nutzt kein Mensch den viel CO2- und NOx-freundlicheren Landstrom in den Hafenstädten. Damit könnte man dann gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, nämlich die NOx-Werte besser einhalten und gleichzeitig die CO2-Werte senken. Man muss das so steuern, dass es am Ende attraktiv, ökonomisch und wirtschaftlich ist, eben die klimafreundlichen Technologien stärker zu nutzen. Man wird dann dazu kommen, dass man eine Zeit lang, wie Ministerpräsident Hans das gesagt hat, auch Förderinstrumente einsetzt, um Menschen eben dazu zu reizen, sich auch zu Hause - im Gebäudebereich usw. - klimafreundlich zu verhalten, wie wir das ja heute zum Beispiel mit dem Klimafonds schon machen. Aber man wird ab einem bestimmten Zeitpunkt dann auch sagen müssen: Jetzt sind die Standards einzuhalten. Das hängt auch damit zusammen, dass wir Sicherheit für 2030 haben. Es geht also um wenige Monate. Dann ist das ein dauerhafter Prozess.

Bundeswirtschaftsminister hat heute Bericht darüber erstattet, dass bereits jetzt für die Offshoreanlagen auf See die Möglichkeit der Umwandlung des Stroms in Wasserstoff gefördert wird, weil es eben oft eine Überproduktion gibt und man dann nicht weiß, wohin man mit dem Strom soll. Das sind alles Kleine Maßnahmen, die uns dann nachher in der Summe helfen, uns wirklich grundsätzlich klimafreundlicher zu verhalten. Das muss ja in unser gesamtes Wirtschaftssystem einbezogen werden. Das darf ja nicht irgendwo nebenan stehen, sondern das gesamte System muss nachhaltig und damit klimafreundlich sein.

Donnerstag, 6. Juni 2019

Donnerstag, 6. Juni 2019

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Quelle:
Pressekonferenz zum Treffen von Bundeskanzlerin Merkel mit den
Regierungschefinnen und Regierungschefs der Bundesländer im
Bundeskanzleramt, 06.06.2019
https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/pressekonferenz-zum-treffen-von-bundeskanzlerin-merkel-mit-den-regierungschefinnen-und-regierungschefs-der-bundeslaender-1635574
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juni 2019

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