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PRESSEKONFERENZ/1926: Merkel mit Vertretern internationaler Organisationen in Berlin, 01.10.2019 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz - Dienstag, 1. Oktober 2019
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel mit Vertretern internationaler Organisationen in Berlin


BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, heute wieder - und das zum elften Mal - Gastgeberin für das Treffen mit den internationalen Organisationen zu sein. Es haben sich Veränderungen ergeben. David Malpass ist jetzt der Chef der Weltbank, und der Internationale Währungsfonds ist heute vertreten durch David Lipton, der heute hier ist, weil die neue Chefin des Internationalen Währungsfonds, Kristalina Georgiewa, heute ihr Amt antritt und nicht gleich am ersten Tag nach Deutschland reisen wollte. Wir freuen uns also, David Lipton hier zu Gast zu haben. Ich möchte Kristalina Georgiewa aber noch einmal herzlich beglückwünschen und ihr alles Gute in der neuen Funktion wünschen. Sie hat ja Erfahrung mit den internationalen Organisationen, weil sie bei der Weltbank eine wichtige Funktion hatte.

Die Diskussion, die wir geführt haben, hat einheitlich das Ergebnis gebracht, dass sich die Weltwirtschaft in einer nicht einfachen Lage befindet, und wir bekommen von allen Organisationen überall eine Verlangsamung des Wachstums prognostiziert. Wir sehen das ja in Deutschland an unseren eigenen Wachstumsprognosen, aber das gilt eigentlich auch für alle wichtigen Akteure im Bereich der Weltwirtschaft. Das hat natürlich gerade auch Auswirkungen auf die ärmeren Länder, denn auf Dauer ist eine Verlangsamung des Wachstums auch verbunden mit einer Verlangsamung der Entwicklung von Beschäftigungschancen.

Besonders sorgenvoll muss einen auch stimmen, dass in letzter Zeit auch bestimmte Investitionen zurückgegangen sind. Ich glaube, das ist zurückzuführen auf die Unsicherheiten, die es gibt - einmal durch den Handelskonflikt zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und China. Zum anderen ist das, wenn wir uns auf der anderen Seite die europäische Landschaft anschauen, natürlich auch auf die Tatsache zurückzuführen, dass der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union noch nicht vollzogen ist. Keiner weiß, ob das jetzt mit einem geregelten Austritt verbunden ist - wofür wir arbeiten und was ich auch nach wie vor für möglich halte - oder ob es doch zu stärkeren Friktionen kommt.

Insgesamt kann man also sagen, dass die Weltwirtschaft und auch das Handelsvolumen in einer nicht einfachen Situation sind. Gleichzeitig kann man auch sagen, dass die multilateralen Institutionen unter Druck sind und dass sie in ihrer Beschlussfassung nicht so schnell sind, wie man es eigentlich angesichts der technologischen und globalen Revolutionen bräuchte. Deshalb war unser Austausch heute natürlich von besonderer Bedeutung.

Ich persönlich glaube, dass die multilaterale Zusammenarbeit von entscheidender Bedeutung ist und dass sie das Beste - wenn auch nicht immer vollkommen - ist, um möglichst vielen Menschen auf der Welt eine Entwicklungsperspektive zu geben. Die gute Nachricht, die ich heute - insbesondere vom IWF - gehört habe, ist, dass in vielen Ländern der private Konsum, die private Hoffnung, dass es gut weitergeht, im Augenblick das Wachstum trägt. Das kann ich auch für Deutschland sagen, denn wir haben in den letzten Jahren steigende Löhne gehabt und wir haben jetzt einen viel besseren Binnenkonsum. Ich hoffe, dass wir das auch weiter so erhalten können. Unser jetzt beschlossenes Klimaprogramm mit Investitionen in Höhe von 54 Milliarden Euro in den nächsten Jahren bis 2023 ist ein Beispiel dafür, wie man Wachstum stimulieren kann, Innovation befördern kann und Forschung und Entwicklung nach vorne bringen kann.

Von den Vertretern der internationalen Organisationen wurden natürlich verschiedene Schwerpunkte gesetzt:

Ich unterstütze sehr das Engagement der Weltbank sowohl bei der Unterstützung der Länder bei der Bewältigung des Klimawandels als auch bei der Konzentration vieler Arbeiten auf afrikanische Länder; denn der afrikanische Kontinent ist der, der sozusagen zu einem selbsttragenden Aufschwung kommen muss. Glücklicherweise sind die Wachstumsraten in den afrikanischen Ländern zum Teil noch sehr hoch. Diese Konzentration auf Afrika kommt uns sehr zupass, weil auch ich und auch wir ja in der G20-Präsidentschaft mit dem "Compact with Africa" einen Schwerpunkt gesetzt haben. Auch ich werde in diesem Herbst wieder afrikanische Länder einladen, die bereit sind für Reformen und die wir dann auch in ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit unterstützen sollten. Leider muss ich sagen: Für die deutsche Wirtschaft ist die Attraktivität noch nicht so groß, dass die deutsche Wirtschaft in großem Maße in Afrika investiert. Gerade auch der IWF hat heute noch einmal darauf hingewiesen, dass diese Handelsströme in Zukunft noch viel besser in Gang kommen müssen.

Zweitens haben wir über die Herausforderungen der Digitalisierung gesprochen. Ich möchte hier die Arbeit der OECD hervorheben. Wir schauen mit Interesse darauf, ob wir zu einer globalen Lösung für Digitalbesteuerung, also für die Besteuerung digitaler Unternehmen, kommen. Das wäre allemal besser, als wenn wir Flickenteppiche einführen würden; deshalb setze ich darauf sehr viel Hoffnung. Allerdings drängt die Zeit, denn gerade in Europa wird der Druck sehr groß, ansonsten unilateral, also europäisch zu handeln, und ich hielte das nur für die zweitbeste Lösung, zumal wir in diesem Bereich auch wirkliche Chancen haben, mit den Vereinigten Staaten von Amerika einen gemeinsamen Weg zu finden.

Wir haben dann über die Wichtigkeit des Handels als Ausdruck der multilateralen Zusammenarbeit gesprochen. Wir wissen, dass es eine Vielzahl von bilateralen Abkommen gibt. Wir hoffen, dass es auch ein Abkommen zwischen den USA und China geben wird. Insgesamt haben wir uns aber immer wieder - auch auf den G20-Treffen - dazu bekannt, die Welthandelsorganisation als Ganzes zu reformieren, und Roberto Azevêdo hat über diese Arbeiten Bericht erstattet. Sie gestalten sich schwierig, aber es gibt mehr Aktivitäten, als vielleicht bekannt ist. Wir wollen diese Arbeit dann auch wirklich unterstützen.

Last, but not least: Jede Friktion im Welthandel hat natürlich Implikationen für diejenigen, für die die wirtschaftliche Tätigkeit eigentlich gemacht ist, nämlich für die Menschen in unseren Ländern. Ich begrüße, dass es der Internationalen Arbeitsorganisation gelungen ist, eine Erklärung - eine Jahrhunderterklärung sozusagen - zur Zukunft der Arbeit zu verabschieden. Die Internationale Arbeitsorganisation zeichnet sich ja dadurch aus, dass in ihr nicht nur Regierungen vertreten sind, sondern dass dort auch die Arbeitnehmervertretungen und die Arbeitgebervertretungen eine Rolle spielen. Umso wichtiger ist, dass es gelungen ist, dass von über 190 Ländern, glaube ich, eine solche Erklärung verabschiedet werden konnte. Wir können nur darauf Wert legen, dass wir nicht vergessen - und das ist für Deutschland ja auch ganz denklogisch im Geist der sozialen Marktwirtschaft -, dass Menschen mitgenommen werden müssen, gerade in diesen technisch revolutionären Zeiten bei der Digitalisierung. Denn es stellt sich ja die Frage, ob all das, was wir im Bereich der Industrieproduktion in vielen Ländern an Regelwerk erreicht haben, jetzt nicht mehr gilt, wenn wir völlig neue Arbeitsmethoden im Bereich der Digitalisierung haben. Wir müssen daher - Deutschland hat das durch eine Weiterbildungsstrategie gemacht - lebenslanges Lernen ermöglichen.

Ein erschreckender Befund, auf den Guy Ryder noch einmal hingewiesen hat, ist die Tatsache, dass 25 Prozent der Kinderarbeit auf der Welt mit globalen Wertschöpfungsketten verbunden ist. Das heißt, dass die reicheren Länder im Grunde davon profitieren, dass Kinder arbeiten müssen. Daran zu arbeiten, dass das nicht mehr stattfindet, ist, glaube ich, eines der ganz wichtigen Ziele.

Insgesamt danke ich allen Teilnehmern, dass wir das Thema der multilateralen internationalen Zusammenarbeit auch heute wieder diskutieren konnten - wir werden das beim Abendessen fortsetzen, mit den Schwerpunkten Klima und Afrika. Wir waren uns alle einig, dass die Kohärenz des Agierens der internationalen Organisationen wichtig ist, um den Wirkungsgrad der Arbeit an den verschiedenen Baustellen zu erhöhen. Dem dient ein solches Treffen, ein solcher Austausch. Deshalb herzlichen Dank an alle, die gekommen sind!

Gurría: Liebe Frau Bundeskanzlerin, wir glauben, dass die Tatsache, dass sich quasi alle globalen Themen aktuell verschlimmern und schwieriger werden, darin begründet liegt, dass sie nicht durch den multilateralen Modus angegangen worden sind.

Der Handel kommt einem da natürlich sofort ins Gedächtnis. Zum Ende des Jahres haben wir vielleicht kein Quorum mehr im Streitschlichtungsgremium der WTO. 70 Jahre schrittweiser Deregulierung und schrittweiser Liberalisierung des Handels kehren sich jetzt um, und wir bewegen uns jetzt hin zu einem Null-Prozent-Wachstum im Welthandel hin. Das hat brutale Auswirkungen auf die Investitionen, denn dadurch entsteht Unsicherheit. Warum investiert man denn? Man investiert, um zu produzieren. Und warum produziert man? Man produziert, um etwas zu verkaufen. Aber wenn man nicht weiß, ob man etwas auch verkaufen kann oder welche Zölle man dafür bezahlen muss oder welche Zugänge zu bestimmten Märkten überhaupt möglich sind, dann investiert man nicht. Das wirkt sich bereits heute stark aus. Vor einem Jahr haben wir vorausgesagt, dass wir dieses Jahr ein fast vierprozentiges Wachstum in der Weltwirtschaft erleben würden. Die letzte Prognose aus der letzten Woche liegt bei lediglich 2,9 Prozent. Wir zahlen also jetzt schon den Preis dafür.

Der Bereich Klima ist ein weiteres Thema, bei dem der Multilateralismus unter Druck geraten ist. Wir machen Rückschritte, die Emissionen steigen wieder. Wir wussten bereits: Selbst wenn jeder seine im Pariser Abkommen gesetzten Ziele erreicht hätte, hätten wir das Ziel, die Erderwärmung unter zwei Grad zu halten, wahrscheinlich nicht erreicht - und noch viel weniger das Ziel, sie unter 1,5 Grad zu halten. Die meisten Länder können ihre im Pariser Abkommen gesetzten Klimaziele aber gar nicht erreichen. Das ist also auch ein großer Themenbereich. Frau Bundeskanzlerin, ich möchte hier auch ganz öffentlich sagen: Das Programm, das Maßnahmenpaket, das Sie entworfen haben, um die Zielerreichung für Deutschland zu beschleunigen, ist ganz besonders zu würdigen.

Wenn wir über multilaterale Themen sprechen, dann müssen diese multilateral angegangen werden. Migration ist solch ein Thema. Wie kann man die Migration denn nicht multilateral angehen? Die Migration ist ein multilaterales Thema. Nur so kann man es lösen, und wir müssen uns diesem Thema widmen, auch wenn sich nicht alle Länder dem "Global Compact for Migration" angeschlossen haben. Auch das Globale Forum für Stahlüberkapazitäten ist ein sehr praktisches Thema. Da wird es immer schwieriger, das Mandat zu erneuern und Fortschritte zu erreichen. Das sind sehr praktische Themen, die sich stellen. Die Erstellung von Kommuniqués wird immer komplizierter. Das Problem liegt nicht im Kommuniqué an sich, dem Papier, sondern es geht darum, dass klare Mandate fehlen. Es ist nicht mehr der Fall, dass sich alle führenden Politiker für ein klares Mandat aussprechen, und dann wird das Mandat infrage gestellt. Es ist uns selbst in den internationalen Organisationen, aber auch dem Rest der Welt nicht mehr klar, wohin wir uns entwickeln.

Darüber hinaus gibt es die alten Herausforderungen, also die Herausforderungen, die es bereits in der Vergangenheit gab, beispielsweise die Frage niedriger Produktivität bzw. die Wachstumsfrage. 2014 haben wir uns in Australien getroffen und haben beschlossen, dass wir alle Maßnahmen einführen würden, um zwei Prozent mehr Wachstum zu erreichen - aber mehr als was? So ist es uns nicht gelungen, das Ganze bis 2020 auch wirklich umzusetzen.

Sie haben die Arbeit zu Steuerfragen angesprochen, Frau Bundeskanzlerin. Auch hier möchte ich sagen, dass wir unsere Arbeit natürlich fortführen. Wir können das aber nur dann tun und nur dann Ergebnisse erzielen, wenn wir multilateral agieren. Das gilt auch für Digitales, für künstliche Intelligenz usw.

Wir müssen also weiterhin den Multilateralismus offen und mit lauter Stimme unterstützen, und Sie sind da natürlich an vorderster Front. Dafür danken wir Ihnen ganz herzlich, Frau Bundeskanzlerin.

Zweitens. Wir müssen die Belege liefern, die Fakten auf den Tisch legen. Das ist vielleicht unangenehm, das ist vielleicht auch schwierig, aber das ist unsere Raison d'être, dafür sind wir da, das ist unsere Aufgabe. Wir sind dafür da, die Fakten zu liefern und der Welt vorzulegen.

Drittens müssen wir untereinander besser zusammenarbeiten. Es ist jetzt das elfte Mal, dass wir in dieser Form mit der Frau Bundeskanzlerin zusammentreffen - eine Art Gruppentherapie, wenn Sie so wollen, denn wir alle bringen unsere Sorgen vor und sie ist dann der Arzt, der uns versorgt. Gleichzeitig muss ich aber auch sagen: Das ist von höchster Bedeutung für uns, um unsere Arbeit besser zu koordinieren. Also herzlichen Dank!

Malpass: Vielen Dank, Frau Bundeskanzlerin! Ich möchte Ihnen sehr herzlich für Ihre führende Rolle innerhalb dieses Forums und auch in anderen Foren danken.

Ich möchte ebenfalls Kristalina Georgiewa sehr herzlich dazu gratulieren, dass sie nun von der Weltbank zum IWF geht. Wir werden sie bei der Weltbank natürlich vermissen, aber es ist eine hervorragende Sache für den Internationalen Währungsfonds und für die ganze Welt, da eine Kontinuität und eine Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Organisationen zu haben. Ich habe heute angekündigt, dass Axel van Trotsenburg Managing Director bei der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung sowie bei der Internationalen Entwicklungsorganisation - zwei Teilen der Weltbankgruppe - wird.

Ich freue mich, dass ich vor unserem heutigen Treffen auch Entwicklungsminister Gerd Müller getroffen habe. Wir haben über grüne Fragen und über die die Einrichtung von Normen gesprochen, insbesondere in Bezug auf Entwicklungsländer.

Unsere Gespräche heute waren von aktueller Natur. Es gab natürlich auch unterschiedliche Ansichten innerhalb der Gruppe. Die globale Abschwächung der Weltwirtschaft stellt sich so dar: Die Weltbank hat im Juni 2,6 Prozent Wachstum prognostiziert. Jetzt sieht es so aus, als ob wir auch das nicht erreichen und dass es eine noch niedrigere Wachstumsrate geben wird. Das liegt an Unsicherheit im Handelsbereich, auch der Brexit wurde genannt, und das liegt auch an eingefrorenen Kapitalvolumina. Niedrige Anleiheerträge sind ein Problem und hemmen die Investitionen. Das langsame Wachstum setzt auch Entwicklungsländer unter Druck, die ohnehin bereits unter großem Druck stehen, da sich die Investitionsraten reduzieren. Das sind also wichtige, drängende Herausforderungen.

Es ist notwendig, dass wir international zusammenarbeiten. Wir brauchen effektive, starke Organisationen, um Länder dabei zu unterstützen, ihre Entwicklungsziele auch zu erreichen. Wir haben über angemessene Politiken bezüglich der nationalen Ausgaben, Besteuerung, Schuldenpolitik, Währungspolitik, Geldpolitik und Regulierung gesprochen. Wir haben auch über Entwicklungspolitik gesprochen, und ich freue mich über die Gelegenheit, mit der Bundeskanzlerin darüber zu sprechen. Wir haben uns über Afrika ausgetauscht, über die Sahelzone. Es gab Fortschritte am Horn von Afrika. Der "Compact with Africa" unter Führung Deutschlands ist eingerichtet worden. IDA19 ist eingerichtet worden 75 der ärmsten Länder profitieren davon.

Wir haben außerdem über die Klima- und Umweltfragen gesprochen. Ich möchte Deutschland noch einmal ganz herzlich für seine Beiträge zum Green Climate Fund danken. Die Weltbank hat bereits angekündigt, dass wir unsere Zusagen für Klima- und Umweltmaßnahmen verdoppeln werden; wir werden 200 Milliarden US-Dollar für Klima- und Umweltfragen mobilisieren. Die Weltbank ist bei Weitem der größte Financier solcher Maßnahmen: Etwa die Hälfte der weltweiten Finanzierung aus internationalen Organisationen für Klima- und Umweltprojekte stammt von der Weltbank, und wir bleiben diesem Thema auch verpflichtet.

Wir haben über die Digitalisierung gesprochen, die Bedeutung von Digitalisierung, mobile Bankinggeschäfte. Es gibt neue Möglichkeiten, das Geld zu den ärmsten Menschen der Welt zu bringen und sie aus der Armut herauszubringen. Es gibt relativ neue Technologien, die dabei sehr hilfreich sind.

Wir haben uns über die Herausforderungen in unseren Beziehungen mit China ausgetauscht. Wir haben über Schuldentransparenz und über die Bedeutung des World Development Report, des Berichts, den die Weltbank nächste Woche veröffentlichen wird, gesprochen. Darin geht es um globale Wertschöpfungsketten. Das ist ein wichtiger Bereich im Welthandel.

Wir haben darüber gesprochen, dass wir uns darüber freuen, dass man sich einigt, dass man internationale Treffen besser koordinieren und etwas verschlanken will. Das wird die Zusammenarbeit zwischen den internationalen Organisationen erleichtern.

Frau Bundeskanzlerin, herzlichen Dank dafür, dass Sie uns heute hier empfangen haben! Danke für Ihre führende Rolle!

Lipton: Vielen Dank, Frau Bundeskanzlerin, dafür, dass Sie uns als Gruppe zusammengebracht haben. Wir hatten heute eine lebhafte Diskussion und werden sie beim Abendessen noch fortführen.

Wir freuen uns sehr auf Frau Kristalina Georgiewa, die das Amt von Christine Lagarde übernehmen wird. Wir freuen uns sehr, dass jetzt eine zweite großartige Frau an der Spitze steht. Sie übernimmt das Amt von einer hervorragenden Vorgängerin.

Noch einige Worte zu den Prognosen für die Weltwirtschaft: Wir glauben, dass die Weltwirtschaft schrittweise und synchronisiert einen Abschwung erlebt. Vor zwei Jahren, 2017, lag das Weltwirtschaftswachstum bei 3,9 Prozent. Überall auf der Welt hatte es sich quasi beschleunigt. 80 Prozent der Welt hatten ein beschleunigtes Wachstum. Dieses Jahr sehen wir eine Verlangsamung. Im Juli gingen wir davon aus, dass das Wachstum dieses Jahr bei 3,2 Prozent liegen würde. Bei etwa 80 Prozent der Weltwirtschaft hat sich das Wachstum verlangsamt. Die Daten seit dem lassen uns die Erwartungen nach unten korrigieren. Wie es Frau Bundeskanzlerin bereits angesprochen hat, gibt es diese Trends. Das Wachstum verlangsamt sich. Die Investitionen verlangsamen sich. Das Geschäftsklima leidet. Das produzierende Gewerbe verlangsamt sich. Gleichzeitig gibt es überall in den Industrienationen einen starken Konsum, weil die Löhne und Gehälter stark angestiegen sind. Das bedeutet, dass die Dienstleistungssektoren recht gut aufgestellt sind.

Was steht hinter diesen Entwicklungen? Die Produktivität hat sich in den Industrienationen und den Schwellenländern über Jahre hinweg verlangsamt. Die neuen Faktoren, die in den letzten Jahren hinzugekommen sind, waren die Handlungsspannungen, die Zölle und vor allem die Unsicherheit bezüglich der Handelspolitiken. Das hat die Verlangsamung im Handel und auch in den Investitionen bewirkt. Es gibt zahlreiche Ereignisse auf der Welt wie etwa den Brexit. Viele Schwellenländer haben zu kämpfen und haben jetzt einige schwere Jahre hinter sich.

Welches sind also unsere Empfehlungen? Der wichtigste Punkt für uns ist, vor allem keinen Schaden anzurichten. Es ist wichtig, dass die Handlungsspannungen abgebaut werden und dass es Dialog gibt. Es wird aber nur dann Handelsabkommen geben, wenn man Kompromisse eingeht. Das bedeutet, dass Länder mit Handelspraktiken und anderen Praktiken, die einer globalen integrierten Wirtschaft nicht mehr angemessen sind, etwas ändern. Das ist sehr wichtig; denn das wirkt sich auch auf andere Länder aus. Darüber hinaus ist es, wenn die Handelskonflikte nicht entschärft werden, sehr schwierig, makroökonomische Maßnahmen zu ergreifen, um eine Eskalation der Handelsspannungen aufzufangen. Deswegen ist Deeskalation so wichtig.

Die Politiker müssen das natürlich möglichst schlagkräftig unterstützen. Die Zentralbanken waren bereit, Unterstützung zu liefern. Wir glauben, dass das ein materieller Faktor war, um die Verlangsamung des Weltwirtschaftswachstums aufzuhalten. Wir glauben, dass die Fiskalpolitik bereit sein muss, wenn es eine Abschwächung gibt, hineinzugehen und etwas zu tun - dafür muss sie auch den Handlungsspielraum haben -, und dass Fiskalpolitik und Strukturpolitik so ausgerichtet werden müssen, dass es mehr Dynamik und mehr Chancen in der Privatwirtschaft gibt, damit Infrastruktur sowie Forschung und Entwicklung gestützt werden. Wenn Länder keinen Handlungsspielraum haben und konsolidieren müssen, dann soll ihnen das möglich sein.

Niedrige Zinssätze haben in großen Teilen der Welt bereits über längere Zeit existiert. Sie werden wahrscheinlich weiterhin niedrig bleiben. Gleichzeitig wollen Investoren auf dem Privatsektor natürlich Erträge erzielen. Das ist aktuell kein imminentes Problem, aber wir glauben, dass die Politiker darum wissen müssen, sich dieser Risiken bewusst werden müssen und damit umgehen müssen, um sicherzustellen, dass wir nicht wieder zu einer finanziellen Instabilität kommen, die in der Vergangenheit, in der Finanzkrise, einmal sehr schädlich gewesen ist.

Azevêdo: Vielen Dank, Frau Bundeskanzlerin! Ich muss damit beginnen, dass es Handelsspannungen gibt. Diese sind eine riesige Herausforderung für die gesamte internationale Gemeinschaft. Sie haben tatsächliche negative Auswirkungen auf die Wirtschaft, auf globale Wachstumsraten. Heute haben wir unsere revidierte Prognose veröffentlicht. Es gibt eine starke Korrektur nach unten. 2019 wird das produzierende Gewerbe nur um 1,2 Prozent wachsen. Noch vor wenigen Monaten gingen wir von einem Wachstum um 2,6 Prozent aus. Die Zahl hat sich also mehr als halbiert.

Natürlich gibt es noch Potenzial für eine Verbesserung. Das ist möglich. Aber eine solche Erholung hängt davon ab, ob es eine Umkehr bei den Handelsspannungen gibt. Daran müssen wir also arbeiten.

Die WTO ist auch schon aktiv geworden. Wir arbeiten daran, diese Spannungen abzubauen. Wir wollen Gespräche zwischen den Mitgliedsstaaten ermöglichen und die bilateralen Gespräche dadurch ergänzen. Wir versuchen, die Mitglieder dabei zu unterstützen, Streitigkeiten beizulegen. Das Streitschlichtungsgremium ist, wie bereits gesagt wurde, in einer schwierigen Situation. Wenn es bis Dezember keine Ernennungen gibt, dann könnte das System quasi blockiert werden. Wir müssen das Problem also lösen. Daran arbeiten wir sehr hart. Frau Bundeskanzlerin und ich, wir haben heute auch schon darüber gesprochen.

Zweitens: Wir arbeiten auch daran, die globale Handelsarchitektur zu stärken. Wir wollen die WTO reformieren. Wir wollen unsere Verhandlungsprozesse beschleunigen und das System so ausrichten, dass es auf wirtschaftliche Veränderungen schneller reagieren kann, dass es sich modernisiert und dass moderne Standards und Regelungen eingeführt werden. Die G20 haben ihre volle Unterstützung für eine Modernisierung der WTO ausgesprochen. Frau Bundeskanzlerin war ebenfalls dabei. Auch beim G7-Gipfel in Biarritz ist das Ganze bekräftigt worden.

Diese Reformen vollziehen sich schrittweise. Es gibt gleichgesinnte Gruppen, die sich gefunden und Initiativen ergriffen haben, um elektronischen Handel, Digitalisierung, Unterstützung für KMU, inländische Regulierungen und die wirtschaftliche Stärkung von Frauen anzugehen. Das sind offene Initiativen. Jeder kann beitreten, und jeder kann sich ihnen anschließen. Damit wird wirklich eine neue Stärke aufgebaut.

Dann haben wir die traditionellen Themen, etwa die Deadline 2019 für die Fischereisubventionen, die wir einhalten müssen. Dabei geht es auch um das Thema der Ernährungssicherung und Ähnliches.

Unsere zwölfte Ministerkonferenz wird im Juni in Kasachstan stattfinden. Das ist ein wirklicher Meilenstein. Vieles steht auf der Agenda. Ich freue mich, dass wir die systemischen Probleme bereits jetzt angehen können. Mit der Frau Bundeskanzlerin haben wir darüber gesprochen, auch mit den anderen Teilnehmern am Gespräch. Ich hoffe, dass es uns gelingen wird, während des Abendessens noch mehr ins Detail zu gehen. - Vielen Dank.

Ryder: Frau Bundeskanzlerin, auch ich möchte ganz herzlich dafür danken, dass Sie uns wieder zusammengebracht haben. Es ist wie immer ein sehr wertvolles und sehr interessantes Treffen gewesen.

Wie gesagt, hat es eine Abschwächung des Wachstums, eine Abschwächung im Handel gegeben. Darüber haben meine Kollegen bereits gesprochen. Das wird auf jeden Fall auf die Arbeitsmärkte zurückschlagen. Ich denke, dass wir erwarten müssen, dass wir nach einer kurzen Verbesserung und Stabilisierung der Arbeitslosenzahlen vermutlich im nächsten Jahr wieder ein Ansteigen der Arbeitslosenzahlen erleben werden. Das kommt natürlich im Anschluss an eine Zeit, in der sich viele über die Zukunft der Arbeit Sorgen machen.

Wir feiern dieses Jahr das hundertjährige Bestehen meiner Organisation und haben uns daher die Dynamik der Arbeitswelt auch einmal ein bisschen langfristiger angesehen. Die Menschen machen sich jetzt über viele Themen Sorgen: Welche Auswirkung wird die Dekarbonisierung auf den Handel haben? Dann betrifft das Klimaaktionen, Demografien, die sich in der Welt völlig unterschiedlich entwickeln, und auch den unsicheren Pfad, den die Globalisierung jetzt einschlägt.

Einige der Themen, die wir heute besprochen haben, einige dieser langfristigen Themen zur Zukunft der Arbeit, haben es mir erlaubt, auch darauf hinzuweisen, dass es Arbeitsmarktdynamiken im Bereich der Klimadiskussion gibt. Viele unter den Arbeitnehmern machen sich darüber Sorgen, wie der Übergang zur Klimaneutralität geschafft werden soll und welche Auswirkung es auf sie haben wird, wenn man diesen Übergang erreichen will. Das wurde gerade heute Morgen auf einem Treffen im BMU auf sehr interessante Weise besprochen. Ich denke, allen müssen durch Prozesse des lebenslangen Lernens auch die richtigen Fähigkeiten vermittelt werden, und zwar einfach deshalb, weil die Dynamik der Veränderungen so schnell ist, dass auch jeder Einzelne seine Fähigkeiten im Arbeitsleben verbessern und erweitern muss.

Bisher gibt es immer noch eine große Disparität bei den Gehältern. Noch immer sind Frauen sehr stark benachteiligt, was die Höhe der Gehälter angeht. Wir haben übrigens ein sehr wichtiges Instrument über die Schikane und Belästigung am Arbeitsplatz erarbeitet. Wir hoffen, dass das einige der schlimmsten Auswüchse auf dem Arbeitsmarkt angehen wird.

Wir haben über die globalen Wertschöpfungsketten gesprochen. Die Bundeskanzlerin hat die doch relativ schockierende Tatsache erwähnt, dass etwa ein Viertel der Kinderarbeit in den globalen Wertschöpfungsketten zu finden ist. Wir müssen uns auch einmal überlegen, wie die globalen Wertschöpfungsketten so gesteuert werden können, dass den humanitären Aspekten ebenfalls Rechnung getragen wird.

Dann gibt es natürlich die Gig Economy, die Plattformwirtschaft. Viele fragen sich, ob die bestehenden Institutionen, die unseren Arbeitsmarkt eigentlich regulieren sollen, immer noch so ausgestattet sind, dass sie auch mit diesen neuen Formen der Arbeit tatsächlich fertigwerden können.

Wir haben sehr viel besprochen, zum Beispiel das Funktionieren des Multilateralismus. Wir alle haben gesagt, dass der Multilateralismus unter Druck ist. Ich glaube nicht, dass irgendwer, der im internationalen und multilateralen System tätig ist, behauptet, dass das System perfekt sei. Aber man muss sagen, dass das multilaterale System letzten Endes auch daran gemessen werden wird, ob es Ergebnisse für diejenigen zeitigt, die sich das erwarten.

Ich kann für die Organisation, für die hier am Tisch zu sprechen ich die Ehre habe, nur sagen: Wir wollen unsere Zusammenarbeit stärken, ohne dass es Überschneidungen gibt, ohne dass wir uns gegenseitig die Arbeit wegnehmen, und zwar einfach deswegen, damit wir auch wirklich die Ergebnisse liefern können, die man von uns erwartet.

Frage: Wenn ich Ihre skeptischen Äußerungen höre, dann frage ich mich, ob es am Ende nicht eigentlich einen gemeinsamen Appell an US-Präsident Donald Trump geben müsste, den Sie alle zwar nicht namentlich erwähnt haben, aber dessen Handelspolitik Sie alle ja offenbar für die Abkühlung der Weltwirtschaft verantwortlich machen. Ist es auch Ihre Interpretation, dass einer der Hauptschuldigen für diese Abkühlung in Washington sitzt?

Ich habe noch eine spezielle Frage an die Kanzlerin und den WTO-Chef. Kann nicht auch das Thema des Klimas zu einer Belastung für den Welthandel beitragen, wenn jetzt Phänomene wie eine CO2-Grenzsteuer und möglicherweise neue Formen von Protektionismus diskutiert werden?

BK'in Merkel: So einfach ist es ja nicht. Natürlich sind die zwei größten Ökonomien der Welt im Augenblick in einer schwierigen Situation, was den Handel anbelangt. Das sind die Vereinigten Staaten von Amerika und China. Aber wie David Lipton, wenn ich ihn zitieren darf, schon gesagt hat: Alle Seiten müssen an einer solchen Stelle Kompromisse finden. Nach wie vor gibt es ja die Hoffnung, dass es hierbei zu einer Lösung kommt. Dies würde die Unsicherheit natürlich entschärfen.

Aber es ist einfach der Fall, dass ein Handelsabkommen, von dem man vielleicht schon eine ganze Zeit lang gedacht hat, dass es kommen könnte ich halte es auch weiterhin für möglich, dass es kommen kann , noch nicht fertiggestellt ist. Die Verhandler werden gute Gründe dafür haben. Ich kann nur hoffen, dass es zu einem Kompromiss kommt.

Zweitens haben wir hier gar keinen Grund, in irgendeiner Weise hochmütig zu sein. Wir verhandeln seit drei Jahren mit Großbritannien über einen Austritt Großbritanniens, der geregelt ist. Er bringt auch für uns eine große Unsicherheit. Ich denke etwa daran, dass dieser Austritt am 31. Oktober stattfinden soll und dass viele Arbeitnehmer heute noch nicht genau wissen, wie die Wertschöpfungskette in Zukunft aussieht. Das ist natürlich auch ein erhebliches Unsicherheitspotenzial. Denn Großbritannien ist ja kein kleines europäisches Land, sondern ein großer, weltweiter Player.

Insofern sage ich einmal: Ein jeder kehre vor seiner Tür; dann wird die Welt eine bessere sein. Das war der Geist, in dem wir hier miteinander gesprochen haben. Wir kommen sowieso nur gemeinsam voran. Deshalb kann ich nur sagen: Ich hoffe, dass alle Anstrengungen unternommen werden. Der Wille der hier Anwesenden ist ja da, aber nicht alles haben wir in unserer Hand. Insofern, glaube ich, profitieren wir alle. Wir haben ja auch 2008 und 2009 in der großen internationalen Finanzkrise die Erfahrung gemacht, dass wir diese weltweite Krise im Grunde durch das gemeinsame Handeln - die G20 sind damals auf Ebene der Staats- und Regierungschefs erfunden worden - gut überlebt haben und eigentlich in gutem Fahrwasser waren. Vielleicht können und sollten wir uns daran wieder erinnern.

Zu Ihrer zweiten Frage: Es ist immer die Frage, ob man es gut macht oder nicht. Wir können uns diese zusätzlichen Steuern ersparen, wenn wir möglichst einig auf eine CO2-schonende Wirtschaft hinarbeiten. Man muss sehen, dass zum Beispiel auch China schon solch ein Emissionszertifikatesystem, wie wir es in Europa haben, in der Entwicklung und zum Teil auch schon eingeführt hat. Jetzt muss man einmal die weitere Entwicklung ansehen. Ich glaube nicht, dass es im Augenblick der zentrale Faktor ist, sondern im Augenblick gibt es noch andere Faktoren, die uns mehr bedrücken.

Azevêdo: Ich kann dem, was die Bundeskanzlerin gesagt hat, voll und ganz zustimmen. Was die Handelsspannungen angeht, so muss man sagen, dass man diese nicht zu sehr vereinfachen darf. Das ist eine sehr integrierte Welt, in der wir leben. Jeder hat auf seine Weise dazu beizutragen, diese Spannungen zu reduzieren und abzubauen. Es ist natürlich immer eine große Sorge, wenn man sieht, dass die zwei größten Volkswirtschaften der Welt offensichtlich nicht miteinander im Einklang sind, dass sie sich nicht darauf einigen können, wie sie ihre Handelsbeziehungen gestalten sollen. Das hat natürlich schließlich und endlich Auswirkungen auf alle.

Deswegen denke ich, dass jeder versuchen muss, die jeweils andere Position zu verstehen und auch durchaus verstehen, dass jeder seine legitimen Bedürfnisse und Sorgen hat und diese dann auch anzugehen. Das, was wir tun können, ist, zu versuchen, diese Spannungen zu reduzieren, Brücken zu bauen. Wir bei der WTO versuchen im Moment, das auch zu machen.

Was das Klima und die Klimafrage angeht, so muss man sagen, dass es eine ganze Reihe von Initiativen gibt, die bereits laufen. Das Pariser Abkommen gibt es ja schon. Das ist ein voll und ganz multilaterales Übereinkommen.

Was den Handel angeht, so denke ich, dass wir damit anfangen sollten, dass wir uns die echten wirtschaftlichen Gründe für den Klimawandel ansehen. Dabei geht es im Wesentlichen darum, dass man produziert, dass man konsumiert und Energie in einer bestimmten Weise verbraucht. Wir müssen uns wirklich das gesamte Bild ansehen, nicht nur die Handelsfragen, und wir sollten einmal damit anfangen.

Natürlich kann der Handel dazu beitragen. Wir haben ja auch schon Initiativen, die laufen. Das sind vor allen Dingen Initiativen, die darauf abzielen sollen, zum Beispiel Subventionen für die Überfischung zu reduzieren. Das diskutieren wir im Moment in der WTO. Die Mitglieder der WTO sprechen auch über ein mögliches Übereinkommen, dass zum Beispiel umweltfreundliche Technologien und Dienstleistungen weiter verbreitet werden. Auch das läuft im Moment.

Was die Frage der Grenzsteuern angeht, so glaube ich, dass man ganz, ganz vorsichtig sein sollte. Es ist ganz einfach, sich sozusagen eine Steuer aus weniger legitimen Gründen, nämlich aus protektionistischen Gründen, auszudenken. Das kann aber dann sehr komplex und sehr kostspielig für die Unternehmen im eigenen Land werden, aber natürlich auch in anderen Ländern. Ich sage jetzt nicht, dass das absolut unmöglich ist, sondern ich sage: Man sollte vorsichtig sein und sich erst einmal alle Optionen anschauen, bevor man in so eine Sache eintritt, die vielleicht auf den ersten Blick ganz einfach aussieht, aber am Ende sehr viel komplexer ist, als man denkt.

Gurría: Ich möchte noch einmal auf die Frage eingehen: Warum schreiben Sie keinen Brief? - Wir haben immer wieder öffentlich offen und faktenbasiert gesagt, dass wir berechnen, wie stark sich das Wirtschaftswachstum verlangsamt. Die andere Frage ist, wie weit wir denn noch heruntergehen können. Ich spreche nicht über Rezession. Wir brauchen jetzt eine Deeskalation.

David Lipton hat gesagt: Richten Sie keinen Schaden an. - Deeskalieren, das ist die Botschaft, die wir, natürlich unterschiedlich ausgedrückt, ausgesendet haben. Deutschland steht ja ganz besonders dafür, aber auch die internationalen Organisationen. Es wäre aber zu vereinfacht zu sagen, dass das Problem offensichtlich bei den USA oder bei China liegt. Natürlich sind das die Akteure, die die Nummer eins und Nummer zwei in der Weltwirtschaft sind. Sie sind für einen großen Teil der weltweiten Handelsströme verantwortlich.

Aber wie sieht es mit den USA und Europa aus? Es gibt immer noch das Problem der Zölle in Sachen Stahl und Aluminium, die Probleme hinsichtlich Airbus und Boeing und der Automobilindustrie. Es gibt nicht nur vier, fünf Länder, die die Technologie besitzen. Es gibt dutzende Länder in Europa, die im Automobilbereich Teile zuliefern. Da steht eine ganze Wertschöpfungskette auf dem Spiel. Wie sieht es mit der Technologie aus? Wie vermeiden wir technologische Spannungen, die die Welt spalten, dass man sagt "Wir machen hier Fortschritte, und dann macht ihr woanders Fortschritte" und so eine Kluft in der Mitte schafft?

Der Brexit ist ein weiteres Thema. Dann gibt es noch andere Spannungen, so die Halbleiterproblematik zwischen Japan und Korea. Das ist ein Problem zwischen Nachbarstaaten. Die Frage ist: Wie geht man mit diesem Problem um? Das ist der Punkt, um den sich die Diskussion heute gedreht hat. Macht man das unilateral oder bilateral, wo dann oft das Recht des Stärkeren greift und wo die Lösungen vielleicht schneller gefunden werden, aber nicht dauerhaft sind und es immer schlechte Stimmungen gibt, oder macht man das multilateral? Dabei sozialisiert man dann das Gefühl, dass man die Lösung gemeinschaftlich gefunden hat.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, es gibt offenbar Differenzen zwischen dem Entwicklungsminister und der Umweltministerin, wie mit Entwicklungsgeldern für Brasilien umzugehen sei. Wie sehen Sie das?

BK'in Merkel: Ich glaube, dass es sie nicht gibt. Das Umweltministerium hat unter bestimmten Voraussetzungen seine bilaterale Hilfe für Brasilien auf Eis gelegt. Der Entwicklungsminister ist mit dem brasilianischen Umweltminister und den norwegischen Ministern über den Amazonasfonds in einem Diskussionsprozess. Aber im Grundsatz gibt es keine großen Differenzen.

Wir versuchen das ist ja heute hier auch immer wieder gesagt worden, über Gespräche die Arbeit mit Brasilien fortzusetzen. Da gibt es Gesprächsbedarf. Ich glaube, man kann dabei auf einem guten Weg sein. Wenn dort gute Lösungen gefunden werden, werden sicherlich auch die bilateralen Gelder wieder fließen können. Es geht also unter den Bedingungen, unter denen wir Entwicklungshilfe betreiben. Aber ich sehe das, ehrlich gesagt, nicht als ein seriöses Problem an. Es gibt schwierigere Sachen.

Dienstag, 1. Oktober 2019

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Quelle:
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel mit Vertretern
internationaler Organisationen in Berlin am 1.10.2019
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Oktober 2019

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