Schattenblick → INFOPOOL → PARLAMENT → FAKTEN


PRESSEKONFERENZ/1981: Zum Abschluss der Berliner Libyen-Konferenz, 19.01.2020 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz in Berlin - Sonntag, 19. Januar 2020
Pressekonferenz zum Abschluss der Berliner Libyen-Konferenz

Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Generalsekretär António Guterres, Bundesminister Heiko Maas, Sonderbeauftragter Ghassan Salamé

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)


BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, Sie haben es verfolgt: Wir haben heute Nachmittag hier in Berlin sehr intensive und ernsthafte Verhandlungen geführt und damit dazu beigetragen, dass wir einen neuen politischen Anlauf, einen neuen politischen Impuls geben im Bemühen, im Libyen-Konflikt Hoffnung für die Menschen und Hoffnung auf Frieden zu erzeugen. Ich denke, dass man sagen kann, dass diese Berliner Libyen-Konferenz einen wichtigen Beitrag dafür geleistet hat, die Friedensbemühungen der Vereinten Nationen zu unterstützen.

Das will ich ausdrücklich sagen: Es geht darum, das zu flankieren, was als Fahrplan auch immer wieder von António Guterres und Herrn Salamé vorgeschlagen wurde, und dafür Verbündete zu suchen, und zwar insbesondere diejenigen, die einen permanenten Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen haben plus diejenigen, die eine wichtige Rolle in der Frage spielen, wie es in Libyen weitergeht.

Wir hatten deshalb zwölf Teilnehmerstaaten hier: China, Frankreich, Russland, Großbritannien, die USA als die fünf permanenten Mitglieder des Sicherheitsrates, dazu Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate, Italien, Kongo, die Türkei und Algerien. Wir alle einschließlich der regionalen Organisationen, also der Arabischen Liga, der Europäischen Union und natürlich vor allen Dingen der Afrikanischen Union, waren uns einig, dass wir eine politische Lösung brauchen. Es ist, denke ich, gerade in den letzten Tagen noch einmal sichtbar geworden, dass es keine Chance auf eine militärische Lösung gibt. Das würde allenfalls das Leiden der Menschen vergrößern.

Wir haben uns unter den anwesenden Parteien auf einen umfassenden Plan, wie es weitergeht, geeinigt. Ich möchte vor allen Dingen auch Herrn Salamé und natürlich António Guterres ganz herzlich danken. Aber ich glaube, wir haben auch von deutscher Seite einen Beitrag geleistet, der Bundesaußenminister und ich. Aber ich kann auch sagen, dass alle Teilnehmer wirklich sehr konstruktiv zusammengearbeitet haben.

Wir können feststellen, dass alle einig sind, dass wir das Waffenembargo respektieren wollen und dass das Waffenembargo auch stärker kontrolliert wird, als es in der Vergangenheit der Fall war. Denn ansonsten werden wir sehen, dass die militärische Lösung doch nicht ausscheidet und dass immer wieder Versuche in diese Richtung gemacht werden.

Alle waren sich einig, dass die Dokumente, die wir heute verabschiedet haben, auch im UN-Sicherheitsrat akzeptiert werden müssen, sodass das damit eine offizielle internationale Bestätigung bekommt und die Verpflichtung auf das Waffenembargo damit noch einmal an Bedeutung gewinnt.

Wir wissen, dass wir mit dem heutigen Tag natürlich nicht alle Probleme in Libyen lösen konnten, sondern es soll nur ein neuer Impuls sein. Insofern war es sehr wichtig, dass die anwesenden libyschen Vertreter, nämlich Premierminister Sarradsch und General Haftar, uns heute für den nächsten Schritt, der von dem Beauftragten des Generalsekretärs, Herrn Salamé, getan werden muss, nämlich eine Zusammenkunft des 5+5-Militärkomitees, so wie es hier vereinbart ist, die Namen genannt haben. Das heißt, dass jetzt eine Einladung für dieses Treffen erfolgen kann. Dieses Treffen muss dann auch die Grundlage dafür sein, um aus einer Waffenruhe einen wirklich gefestigten Waffenstillstand zu machen. Zu diesem Treffen wird noch in der nächsten Woche eingeladen, und ich hoffe, dass es dann auch einen Schritt vorangehen wird.

Wir haben dann die Zusage aller Teilnehmer erhalten, dass sie den libyschen Konfliktparteien bis zu dem Treffen des 5+5-Komitees keine weiteren Unterstützungsleistungen geben werden und auch die Operationen einstellen, solange die Waffenruhe hält.

Ich denke, dass heute der Geist dafür geschaffen wurde, dass wir auf dem Pfad, den Herr Salamé mit den Folgeschritten vorgezeichnet hat, wirklich voranschreiten können. Wir haben einen sehr verbindlichen Prozess vereinbart dazu wird sicherlich gleich noch etwas gesagt werden , wie wir uns als die Vertreter, die heute zusammengekommen sind, engmaschig und in kurzen Zeitabständen immer wieder für den weiteren Prozess verantwortlich fühlen, der erarbeitet werden muss, um politische Lösungen zu finden, um den Waffenstillstand einzuhalten, das heißt, um aus einem heute ja auch stark durch Stellvertreterleistungen gekennzeichneten Konflikt einen Prozess zu machen, in dem die Menschen in Libyen endlich wieder zu ihrem Recht auf ein friedliches Zusammenleben kommen.

Ich mache mir keine Illusionen; das wird natürlich noch eine schwierige Wegstrecke sein. Die Emotionen sind gerade in Libyen, denke ich, sehr kontrovers. Aber wir waren uns alle einig, dass es angesichts des vielen Leides, das auftritt, angesichts der schrecklichen Situation, die wir auch im Blick auf die Ausbreitung des Terrorismus in der Sahelzone haben, gerechtfertigt war.

Ich möchte mich bei allen Teilnehmern, die heute an dieser Konferenz teilgenommen haben, sehr herzlich bedanken, weil es eine sehr konstruktive Atmosphäre war, in der wir zusammengearbeitet haben.

Guterres: Guten Abend! Ich möchte zunächst einmal der Bundeskanzlerin und der deutschen Regierung sehr herzlich dafür danken, dass sie diese Konferenz einberufen haben. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben von Anfang an sozusagen enthusiastisch, aber auch konsequent alle Bemühungen unterstützt, um Libyen Frieden und Stabilität zu bringen. Das ist sehr bemerkenswert. Als Generalsekretär der Vereinten Nationen möchte ich Ihnen an dieser Stelle meinen tief empfundenen Dank aussprechen.

Die Mitgliedsstaaten haben gemeinsam mit regionalen und internationalen Organisationen ein sehr nachdrückliches Signal gesetzt, dass wir zutiefst an einer friedlichen Lösung der libyschen Krise interessiert sind.

Ich darf hier vielleicht ganz kurz drei Punkte erwähnen.

Zunächst einmal kann ich nicht genug betonen, dass es keine militärische Lösung für den Konflikt in Libyen geben kann. Darauf haben sich alle Teilnehmer dieser Konferenz einigen können, und sie haben es immer wieder wiederholt, selbst diejenigen, die etwas direkter an dem Konflikt beteiligt sind.

Heute haben sich auch alle Teilnehmer dieser Konferenz dazu verpflichtet, in diesen bewaffneten Konflikt oder die inneren Angelegenheiten Libyens nicht weiter einzugreifen. Dies ist Teil der Schlussfolgerungen. Das muss natürlich eingehalten werden ebenso wie der Aufruf, die Waffen schweigen zu lassen und keine weiteren militärischen Ausrüstungsgegenstände zur Verfügung zu stellen.

Wir haben außerdem alle Akteure auch dazu aufgerufen, nichts zu tun, was den Konflikt weiter verschlimmern könnte. Wir rufen alle Beteiligten an diesem Konflikt und auch die internationale Gemeinschaft dazu auf, das Waffenembargo der Vereinten Nationen voll und ganz zu respektieren. Der politische Prozess ist absolut essenziell. Wir rufen alle Konfliktparteien dazu auf, weiterhin an einem politischen Prozess unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen teilzunehmen, der schließlich zu einer friedlichen Lösung führen soll.

Was die drei verschiedenen Bereiche angeht, die wir definiert haben, muss ich sagen, dass der wirtschaftliche Bereich tatsächlich bereits erste Erfolge hat. Es gab ein erstes Treffen in Tunis zu den wirtschaftlichen und finanziellen Fragen. Das nächste Treffen wird demnächst stattfinden. Hierbei hat man sich vor allen Dingen auf die zentralen Aspekte der Wirtschaftsreform, die das Land einfach dringend braucht, konzentriert, zum Beispiel die Vereinheitlichung der Zentralbank, die Tatsache, dass man die nationale Ölgesellschaft wieder in Kraft setzen muss, die Tatsache, dass der libysche Staatsfonds wieder in Kraft gesetzt werden muss.

Die zweite Spur sind die militärischen Fragen. Dank der Vermittlung der Bundesregierung war es heute möglich, auf beiden Seiten, sowohl seitens der Regierung der Nationalen Einheit als auch seitens General Haftars, jeweils fünf Personen zu benennen. Es wird also in den nächsten Tagen in Genf ein Treffen dieses militärischen Ausschusses geben.

Schließlich und endlich haben sowohl das Repräsentantenhaus als auch der Staatsrat gesagt, dass sie Vertreter für das politische Forum ernennen werden. Das wird auch eine ganze Reihe von Namen enthalten, die von dem Sondergesandten der Vereinten Nationen benannt werden. Wir hoffen, dass uns das ermöglicht, die Arbeit gerade in diesen politischen Bereichen ebenfalls weiter voranzutreiben und Erfolge zu erzielen.

Außerdem ist es so, dass das internationale Recht, dass das Völkerrecht - auch das humanitäre Völkerrecht - von allen respektiert wird - dazu haben sie sich heute zumindest verpflichtet. Ich hoffe, dass alle diese Verpflichtungen dazu führen, dass diese ernsthafte Krise für Libyen mit politischen Mitteln beigelegt werden kann. Wir wollen diese Gelegenheit ergreifen und wir möchten alle dafür sorgen, dass diese Verpflichtungen auch tatsächlich eingehalten werden.

Ich darf der Bundesregierung und Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, sehr herzlich danken für alles, was Sie dafür getan haben. Herzlichen Dank!

BM Maas: Herr Generalsekretär, lieber Ghassan, nachdem wir die Ziele dieser Konferenz, die wir uns gesteckt haben, heute erreicht haben, haben wir uns sozusagen den Schlüssel besorgt, mit dem wir den Libyen-Konflikt lösen können. Jetzt geht es darum, den Schlüssel ins Schloss zu stecken und auch umzudrehen; denn wir wissen, dass es mit den heutigen Unterschriften alleine nicht getan ist. Deshalb haben wir uns heute auch auf einen Follow-up-Prozess verständigt.

Wir werden ein Follow-up-Komitee gründen, welches die Umsetzung der Beschlüsse von heute sicherstellen soll und die weitere Arbeit von uns und Ghassan Salamé begleiten wird. Das heißt, geleitet von den Vereinten Nationen nimmt es bereits Anfang Februar seine Arbeit auf, und auch Staaten, die hier heute nicht vertreten waren, werden dazu eingeladen, sich an diesem Prozess und den vier angedachten Arbeitsgruppen - Sicherheits- und militärische Fragen, politische Fragen, wirtschaftliche Fragen und humanitäre Fragen - zu beteiligen. Für den Startschuss und die Konstituierung dieses Follow-up-Komitees werden wir hier in Deutschland als Gastgeber und als Co-Vorsitzende fungieren, und in der Folge sollen dann alle internationalen Partner, die heute da gewesen sind, und die, die noch dazukommen, über die noch zu entscheiden sein wird, reihum die Verantwortung in ihre Hände nehmen.

Darüber hinaus werden wir die Ergebnisse und mögliche weitere Schritte auch in den geeigneten multilateralen Formaten besprechen - nicht nur bei den Vereinten Nationen, sondern auch bereits morgen beim Rat der Außenminister der Europäischen Union.

Wir wissen, dass die Arbeit jetzt eigentlich erst begonnen hat und dass sicherlich noch ein schwieriger und arbeitsintensiver Weg vor uns liegen wird. Aber umso wichtiger war es heute, auf dieser Konferenz zu einer Einigung zu kommen. In diesem Geist der Zusammenarbeit, den wir heute hier erlebt haben und der deutlich über das hinausging, was wir bei anderen Gelegenheiten in der Vergangenheit erlebt haben, muss es uns jetzt gelingen, die libyschen Konfliktparteien zusammenzubringen und mit ihnen, nachdem es sicherlich zunächst einmal um Waffenruhe und Waffenstillstand gehen wird, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der Bürgerkrieg in Libyen einer politischen Lösung zugeführt wird und wir damit in Libyen dauerhaften Frieden bekommen.

Salamé: Dem habe ich eigentlich nicht viel hinzuzufügen - schon gar nicht dem, was der Generalsekretär gesagt hat.

Erlauben Sie mir, noch einmal herzlich der Bundesregierung, der Bundeskanzlerin und dem Bundesaußenminister für die Anstrengungen zu danken. Sie haben in den vergangenen Monaten keine Mühe gespart, um diesen Prozess voranzutreiben. Er begann mit einem Treffen, das ich die Ehre hatte, mit der Bundeskanzlerin am 15. August zu haben, und dann haben wir von da an zusammengearbeitet, um dahin zu kommen, wo wir uns heute wiederfinden. Wie der Generalsekretär schon sagte: Wir sind sehr dankbar für Ihre enthusiastische Unterstützung und natürlich auch für die Unterstützung des Bundesaußenministers.

Der Generalsekretär hat ja von den drei Ansätzen, den drei Spuren gesprochen, innerhalb derer wir Fortschritte machen wollen. In den vergangenen neun Monaten hat die UN-Mission das Land nicht verlassen; wir sind in Libyen geblieben. Ich glaube, dass wir eine beeindruckende humanitäre Anstrengung unternommen haben, neben und zusätzlich zu unseren politischen Anstrengungen, und ich danke allen, die uns dabei geholfen haben, den Menschen vor Ort zu helfen, und es uns auch ermöglicht haben, trotz der Schwierigkeiten, denen wir uns gegenübersahen, vor Ort zu bleiben. Die Libyer haben das sicherlich auch anerkannt, und ich hoffe und glaube, dass unsere Anwesenheit für sie Hilfe gebracht hat und nützlich war.

Ich denke jetzt an morgen, aber zunächst möchte ich sagen, dass heute ein großartiger Tag gewesen ist. Es gibt uns einen neuen Impuls, es stärkt unsere Einsatzkraft für einen Erfolg und unsere Bereitschaft, weiterzumachen. Ich hoffe sehr, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und der internationale Ausschuss für Folgemaßnahmen in den nächsten Wochen dann das umsetzen wird, worauf wir uns heute hier in Berlin geeinigt haben.

Ich danke Ihnen!

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie - alle eigentlich - haben viel von der Umsetzung der heutigen Vereinbarungen gesprochen. Ist die Bundesregierung bereit, unter Umständen auch mit der Bundeswehr bei der Umsetzung und bei der Implementierung der Vereinbarungen dabei zu sein und das zu unterstützen?

Wären Sie bitte so nett, uns zu schildern, wie sowohl Herr Sarradsch als auch Herr Haftar in diesen Prozess heute eingebunden waren? Haben die zusammen mit Ihnen gesprochen, waren die überhaupt bei der Konferenz dabei, haben Sie einzeln mit den beiden gesprochen?

BK'in Merkel: Wir haben einzeln mit den beiden gesprochen, weil die Differenzen zwischen den beiden Parteien doch so groß sind, dass sie zurzeit nicht miteinander sprechen. Sie waren nicht Teil der Konferenz, aber sie waren sozusagen räumlich, örtlich dabei nicht im gleichen Raum, aber örtlich in Berlin , damit wir sie auch jeweils über den Stand der Gespräche informieren konnten.

Es ist natürlich so, dass jeder vom anderen erst einmal erwartet, dass er alles einhält, und insofern war das eigentliche Signal - und das war ja auch immer der Gedanke der Konferenz. Als ich mich am 15. August zum ersten Mal mit Herrn Salamé getroffen habe, hieß es: Wir müssen es schaffen, dass all die Parteien, die in irgendeiner Weise mit dem Libyen-Konflikt verbunden sind, mit einer einzigen Stimme sprechen. Das war das Ziel der heutigen Konferenz. Denn dann werden auch die Parteien innerhalb Libyens verstehen, dass es nur einen nicht militärischen Weg zur Lösung gibt. Dieses Ergebnis haben wir auch erreicht: Alle haben sich hier zu den gleichen Verpflichtungen bekannt. Insofern war das sehr wichtig.

Ich finde, wir dürfen jetzt nicht den übernächsten Schritt vor dem ersten diskutieren. Deshalb haben heute einige Teilnehmer davon gesprochen: Wenn es zu einem dauerhaften Waffenstillstand kommt und wenn natürlich die libyschen Parteien dazu auch bereit sind, dann könnte man auch eine Überwachung dieses Waffenstillstandes, wie wir sie ja auch an anderen Stellen haben, ins Auge fassen. Aber darüber ist heute nicht konkret gesprochen worden und das ist auch nicht Gegenstand der Beschlüsse. Vielmehr geht es jetzt erst einmal darum, die verschiedenen Wege zu verfolgen. Der Weg zur Absicherung eines Waffenstillstands spielt insofern überhaupt erst dann eine Rolle, wenn man einen dauerhaften Waffenstillstand hat. Diesen Weg haben wir heute eröffnet, indem wir jetzt erst einmal diese Waffenruhe haben und indem das Militärkomitee tagen wird.

Der große Fortschritt, an dem man eben auch sehen konnte, dass beide Parteien in gewisser Weise spüren, dass sie auch konstruktiv sein müssen, war, dass jede Partei uns fünf Namen genannt hat, sodass Herr Salamé jetzt nicht eine anonyme Einladung verschicken muss, sondern die Teilnehmer einer solchen Konferenz kennt und sie einladen kann. Das ist sozusagen der erste Schritt zur Operationalisierung. Für die anderen Komitees sind Fortschritte gemacht worden, aber das war das allerwichtigste, um jetzt überhaupt diesem Waffenstillstand näherzukommen.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, eine Frage zu der Bedeutung der Vereinbarung über die Ölvorkommen: Die Kontrolle über diese Ölvorkommen ist ja ein wichtiger Grund dafür gewesen, dass immer wieder Geld vorhanden war, um Waffen zu kaufen. Wie wollen Sie sicherstellen, dass die Milizen tatsächlich auf die Kontrolle über Häfen und Öl- und Gasvorkommen verzichten?

Herr Generalsekretär, wo sehen Sie die Rolle gerade für die Europäer bei den nächsten Schritten? Setzen Sie darauf, dass eine mögliche Überwachungsmission von den Europäern kommen wird, oder denken Sie da eher an die Afrikanische Union oder andere Partner? Oder sollte Europa sich zum Beispiel auf den Wiederaufbau Libyens oder andere Punkte konzentrieren?

BK'in Merkel: Über die Ölfragen müssen ja auch erst noch Gespräche geführt werden. Vielleicht können Herr Guterres oder Herr Salamé - oder vielleicht auch der deutsche Außenminister - noch einmal etwas näher darauf eingehen. Natürlich ist das auch eine Voraussetzung. Wir haben ja im Grunde zwei Dinge: Das eine ist die faire Aufteilung der Einnahmen aus den Ölvorkommen, das zweite ist jetzt aber erst einmal, dass alle, die in gewisser Weise in diesen Konflikt involviert sind, deutlich machen: Es gibt keine militärische Lösung. Zu den Ölspezifika würde ich aber noch jemand anderen um eine Antwort bitten - aber erst einmal António Guterres.

Guterres: Zunächst möchte ich sagen, dass wir sehr beunruhigt sind angesichts der Tatsache, dass einige Häfen, von denen aus ja Öl exportiert wird, geschlossen wurden. Ein sehr bedeutsames Ölfeld hat heute die Produktion eingestellt. Das beunruhigt uns sehr. Wir sind ja der Auffassung, dass wir Teil einer viel umfassenderen Lösung sind. Wir brauchen eine effiziente Reform der Art und Weise, wie diese Dinge gehandhabt werden. Wir möchten die Normalität wiederherstellen. Aber der Erfolg bei der einen Spur hängt von den Erfolgen in den anderen Spuren ab. Aber zunächst geht es um einen echten Waffenstillstand. Wir können nichts überwachen, was noch nicht da ist. Wir haben eine Waffenruhe, aber keinen echten Waffenstillstand.

Eine der zentralen Fragen, die wir angehen müssen - und das ist heute sehr wichtig - , ist, dass alle betroffenen Parteien, die sich irgendwie beteiligt haben, sich verpflichtet haben, Druck auf die Parteien und die Konfliktparteien auszuüben, damit es einen solchen Waffenstillstand gibt. Wenn es den gibt, dann müssen wir über die Überwachung nachdenken.

Das lässt sich auf unterschiedliche Art und Weise erreichen. Natürlich bedeutet das, dass wir mit den Konfliktparteien darüber ins Gespräch eintreten müssen. Es muss auch eine Lösung sein, die von beiden Parteien akzeptiert wird. Das setzt auch voraus, dass wir dann seitens des Sicherheitsrats eine Entscheidung fällen. Eine ganze Reihe von internationalen Organisationen wird sich wahrscheinlich beteiligen. Die Vereinten Nationen werden ihre Aufgabe erfüllen.

Europa hat ganz zweifelsohne eine wichtige Rolle zu spielen, auf der diplomatischen Ebene zum Beispiel - das wird ja heute bei der Konferenz deutlich - und auch bei den Anstrengungen, die in der Vergangenheit mit dem Ziel unternommen wurden, Frieden in Libyen wiederherzustellen. Europa wird auch bei der Vorbereitung der verschiedenen Arbeiten in den verschiedenen Spuren, bei den einzelnen Ansätzen, eine Rolle zu spielen haben. Wenn das in die richtige Richtung weitergeht, dann wird Europa auch in Zukunft eine wichtige Rolle zu spielen haben, auch beim Wiederaufbau Libyens.

BM Maas: Die Bundeskanzlerin und ich haben in den Gesprächen mit Premierminister Sarradsch und Feldmarschall Haftar, die vor der Konferenz hier im Bundeskanzleramt stattgefunden haben, auch über die Frage der blockierten Ölhäfen gesprochen. Beide Seiten haben sich grundsätzlich bereiterklärt, dafür eine Lösung zu finden. Sie ist von verschiedenen Bedingungen abhängig. Das hat etwas damit zu tun, wie die Einnahmen aus dem Ölverkauf verteilt werden, über welche Organisationen und Institutionen das geschehen soll und wie diese Institutionen reformiert werden müssen. Das ist eines der Themen, die jetzt auf dem Tisch liegen, an dem wir in den kommenden Tagen und Wochen wahrscheinlich sehr lange sitzen werden.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, wie sieht denn das Einfrieren der militärischen Unterstützung der Kriegsparteien konkret aus? Hat man sich mit Russland und der Türkei jetzt speziell auf einen Zeitplan für den Abzug der Unterstützung jeglicher Art geeinigt?

BK'in Merkel: Man hat sich erst einmal darauf geeinigt, dass in Zukunft keine Unterstützung mehr erfolgen wird. Man hat sich auch darauf geeinigt, dass wir stärker als bisher die Überwachung dieses Waffenembargos auch im UN-Sicherheitsrat - das ist ja ein UN-Prozess - durchsetzen wollen. Dazu haben sich alle verpflichtet.

Die Frage, wie jetzt schon bestehende militärische Unterstützungen, sowohl was Menschen als auch was Ausrüstung anbelangt, abgezogen werden, ist dann eine Frage des wirklichen Waffenstillstands. Diese ist keine Frage. Aber man hat sich erst einmal darauf geeinigt, dass man Stand heute nicht weitere Waffen liefern will, also das Waffenembargo einhalten will. Das ist auch Teil der Erklärung hier.

Guterres: Darf ich dem noch etwas hinzufügen?

Seit Monaten haben wir eine fortwährende Eskalation der Situation erlebt. In den vergangenen letzten Tagen hat das ein dramatisches und gefährliches Ausmaß erreicht. Wir erleben diese Eskalation des libyschen Konflikts. Jetzt sehen wir das Risiko, die Gefahr einer echten regionalen Eskalation. Dieses Risiko haben wir heute hier in Berlin eingeschränkt, natürlich immer unter der Maßgabe, dass es uns gelingt, die Feuerpause in einen Waffenstillstand zu überführen. Aber das ist die Gefahr, die sich in den letzten Wochen und Tagen deutlich abgezeichnet hat. Heute haben wir den Ausdruck der Entschlossenheit aller Betroffenen und hier Anwesenden erlebt, das zu verhindern.

Frage: Frau Bundeskanzlerin Merkel, sind Sie sicher, dass die Europäer jetzt mit einer Stimme sprechen?

BK'in Merkel: Ich glaube, dass die gesamte Vorbereitungsphase gezeigt hat, dass die Europäer sich wirklich angenähert haben. Wir hatten eine Vielzahl gleich gerichteter Aktivitäten. Wir hatten wirklich ein unglaubliches Engagement des französischen Präsidenten, des italienischen Ministerpräsidenten, des Ratspräsidenten, des Hohen Beauftragten der Kommission, Josep Borrell, und auch von Boris Johnson. Wir haben ja wirklich Zeiten erlebt, in denen die Europäer nicht mit einer Stimme gesprochen haben. Aber dadurch, dass sich jetzt auch die Teilnehmer Ägypten, Vereinigte Arabische Emirate, Russland und die Türkei darauf verständigt haben, einen wirklich neuen Impuls für den Waffenstillstand zu geben, ist es jetzt auch für die Europäer sehr viel leichter gewesen, sich hier in eine Richtung auszurichten. Oder anders herum: Auch Europa hat dazu beigetragen, dass wir diesen Erfolg verzeichnen konnten. Deshalb habe ich da ein viel besseres Gefühl als vor ein oder zwei Jahren.

Frage: Gibt es eine Möglichkeit sicherzustellen, dass der Waffenstillstand über heute hinaus andauert? Es hat ja auch gestern noch weitere Kampfhandlungen gegeben, eine Art Eskalation. Müssen die zwei Libyer, die heute hier anwesend waren, ihre Zustimmung geben? Haben sie das getan, oder haben sie jeder für sich deutlich gemacht, dass sie zu den Feindseligkeiten nicht weiter beitragen wollen, zumindest nicht zu einer Eskalation?

BK'in Merkel: Ich denke, dass das Wichtigste war, dass sich erst einmal die Teilnehmer der Konferenz dazu bekannt haben. Wir haben ja eine sehr disparate Situation in Libyen. Dass also eine Waffenruhe sofort hundertprozentig eingehalten wird, ist ja auch nicht ganz so einfach zu garantieren, weil da viele Kräfte im Gange sind. Aber ich hoffe, dass wir durch die heutige Konferenz eine Chance haben, dass diese Waffenruhe weiter hält. Jedenfalls haben sich alle Teilnehmer der Konferenz dazu bekannt.

BM Maas: Wenn ich einen Satz ergänzen darf: Das Gremium, in dem darüber gesprochen werden soll, wie aus der Waffenruhe ein Waffenstillstand wird, ist dieses 5+5-Gremium. Das ist bisher nie zustande gekommen, weil insbesondere Feldmarschall Haftar dieses Gremium nicht personalisiert hat. Das ist heute gelungen. Damit haben wir ein Gremium, in dem genau das besprochen werden soll, wie aus der Waffenruhe jetzt ein dauerhafter Waffenstillstand werden kann.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben von dem Waffenembargo gesprochen, das ja schon laut UN-Beschluss existieren sollte. Wie wollen Sie das überwachen, und wird es Sanktionen geben? Hat man sich auf Sanktionen geeinigt, falls dieses Waffenembargo

BK'in Merkel: Nein, über Sanktionen haben wir heute nicht gesprochen, sondern wir haben darüber gesprochen, dass die Dokumente, die hier heute verabschiedet worden sind, noch einmal im UN-Sicherheitsrat behandelt und dort auch gebilligt werden. Wir gehen deshalb davon aus, dass alle diejenigen, die sich hier heute dazu bekannt haben, wissen, was passiert, wenn dieses Waffenembargo jetzt wieder verletzt wird.

Über Sanktionen als solche haben wir nicht gesprochen. Wir haben aber mit allen gesprochen, dass wir jetzt sehr viel schärfer benennen werden, wenn etwas passiert, wovon ich erst einmal nicht ausgehe, wer sich sozusagen dagegengestellt hat.

Guterres: Ich glaube, wir erleben heute etwas, was inakzeptabel ist. Das ist eine beständige Missachtung des Völkerrechts, der Resolutionen des Sicherheitsrates, die nicht geachtet werden. Das geschieht, wie Sie ja selbst nur zu gut wissen. In jüngster Vergangenheit haben wir das in Libyen erlebt. Da ist das geschehen.

Ich bin hundertprozentig überzeugt, dass die Mitglieder des Sicherheitsrates ihrer Verantwortung gerecht werden müssen, damit dieses Organ in dem Libyen-Konflikt noch ernst genommen wird.

Sonntag, 19. Januar 2020

*

Quelle:
Pressekonferenz zum Abschluss der Berliner Libyen-Konferenz
in Berlin am 19. Januar 2020
https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/pressekonferenz-zum-abschluss-der-berliner-libyen-konferenz-1713884
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Dorotheenstr. 84, 10117 Berlin
Telefon: 030 18 272-0, Fax: 030 18 10 272-25 55
E-Mail: internetpost@bpa.bund.de
Internet: www.bundesregierung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Januar 2020

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang