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INNEN/4378: Lindner/Martens zur US-Spionageaffäre


fdk - freie demokratische korrespondenz 408/2014 - 11. Juli 2014

LINDNER/MARTENS zur US-Spionageaffäre



Berlin. Zur US-Spionageaffäre erklärten der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER und der sächsische Staatsminister der Justiz und für Europa DR. JÜRGEN MARTENS vor Journalisten:

"Schon seit längerem steht fest: Deutschland ist das Ziel US-amerikanischer Spionage-Aktivitäten. Neben den Enthüllungen des ehemaligen US-amerikanischen Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden sind weitere gezielte Spionage-Aktivitäten bekannt geworden: Die Anwerbung deutscher Geheimdienst- und Regierungsmitarbeiter durch US-amerikanische Nachrichtendienste markiert einen neuen Höhepunkt des Skandals - und einen neuen Tiefpunkt des gegenseitigen Vertrauensverhältnisses zwischen Deutschland und den USA.

Mit jedem neuen Detail über die Tätigkeit amerikanischer Geheimdienste in Deutschland wirken wiederholte Aufforderungen der deutschen Politik an die USA nach dem sofortigen Stopp der Spionage und der Ruf nach Aufklärung hilfloser. Die Bundesregierung verharmlost noch immer die Vorgänge und hat das geplante No-Spy-Abkommen mit den USA kampflos aufgegeben. Vorhandene Druckmittel werden zum Schaden aller ausspionierten Opfer nicht genutzt. Der NSA-Untersuchungsausschuss ist ohne die Möglichkeit einer Befragung von Edward Snowden ein zahnloser Tiger und wird zu allem Überfluss selbst ausgespäht. Die symbolische Bitte nach Ausreise involvierter US-Geheimdienstmitarbeiter mag schneidig erscheinen. Aber jedermann ist bewusst, dass an die Stelle der betroffenen Personen sofort Ersatz tritt, der nach Deutschland einreist, noch bevor die Vorgänger das Land verlassen haben.

Wer den Schutz der Bürger und der Institutionen unseres Landes ernst nimmt, muss auch ernsthafte Maßnahmen ergreifen. Wer das transatlantische Verhältnis ernst nimmt, muss auch die geltenden Spielregeln der Völkerfreundschaft entschlossen verteidigen. Dazu schlagen wir vor:

1. Nur wer selbst konsequent den Grundsätzen der Datensparsamkeit und Datensicherheit folgt, kann als glaubwürdiger Verhandlungspartner ernst genommen werden, wenn es um die Abwehr illegaler Daten- und Informationsbeschaffung geht. Das bedeutet, dass die Bundesregierung nur dann ernst genommen werden kann, wenn sie sich endgültig von Überwachungsmaßnahmen wie der Vorratsdatenspeicherung verabschiedet und keine neuen Massendatensammlungen verursacht. Genau das ist aber bei der Erhebung von Maut-Daten, die die Bundesregierung offenbar plant, oder Themen wie eCall (emergency call) zu befürchten. Überflüssig produzierte Datenberge schreien nach illegalen Angriffen - sei es von Geheimdiensten oder Hackern. Wer einen Schatz zusammenträgt und ihn dann ungeschützt nachts auf die Straße stellt, darf sich nicht wundern, wenn die Räuber kommen. Zum Schutz vor Missbrauch ist auch das Parlamentarische Kontrollgremium zu stärken. Neben einer besseren personellen und finanziellen Ausstattung der Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums sollte das Gremium mit den Rechten eines Untersuchungsausschusses ausgestattet werden und ein Klagerecht gegenüber den Geheimdiensten erhalten. Anstatt immer stärker mit den amerikanischen Geheimdiensten zusammenzuarbeiten und andauernd Daten auszutauschen, sollte der Verfassungsschutz sich lieber auf seine "schützende" Funktion besinnen und nun auch gegen US-Geheimdienste vorgehen.

2. Die Bundesregierung muss auch wirtschaftliche Hebel zur Durchsetzung deutscher Interessen nutzen. US-amerikanische Unternehmen drängen ihre Regierung immer stärker in Richtung des Transatlantischen Freihandelsabkommens (TTIP). Denn deren relative Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der deutschen Konkurrenz steigt. Die FDP steht zum Prinzip des Freihandels. Es nutzt den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Aber wenn das US-amerikanische Interesse so stark ist wie hier, dann muss es auch als Verhandlungshebel genutzt werden. Die Verhandlungen über TTIP sollten daher ausgesetzt werden, solange Washington nicht auch einem Transatlantischen Datenschutzabkommen zustimmt. Der Gegenstand der Verhandlungen zu einem solchen Abkommen muss zudem verbreitert werden. Nicht nur Politiker und Regierungen benötigen sichere Kommunikationswege. Auch die Bürger haben ein Recht auf Privatsphäre.

3. Eine Vernehmung von Edward Snowden ist inzwischen notwendig, um die Ausmaße dieser Affäre effektiv aufzuklären. Alle Erkenntnisse, die zur Aufklärung benötigt werden, müssen auf den Tisch. Die USA haben durch ihre Haltung im letzten Jahr wenig Anlass dazu gegeben, bei der Aufklärung der NSA-Affäre ausschließlich auf amerikanische Kooperation zu setzen und in Bezug auf Edward Snowden weiterhin Rücksicht auf amerikanische Belange zu nehmen.

4. Neben dem No-Spy-Abkommen mit den USA brauchen wir ein No-Spy-Abkommen zwischen den EU-Ländern, die Datenschutzgrundverordnung und ein Datenschutzabkommen im Rahmen der Vereinten Nationen. Nur so können Deutschland und Europa neue internationale Maßstäbe setzen, die den Druck auf die vorliegenden Spionage-Tätigkeiten erhöhen. Es muss klar sein: Spionage untereinander widerspricht der EU-Grundrechtscharta, den Regeln des Binnenmarktes und vor allem einem vertrauensvollen Umgang miteinander. Wirtschaftsspionage widerspricht außerdem dem freien und fairen Wettbewerb. Zudem sollte Europa im Rahmen der Vereinten Nationen auf ein Datenschutzabkommen, etwa als Zusatzprotokoll zu Art. 17 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte hinarbeiten.

5. Deutschland und Europa müssen nicht nur Maßstäbe und Regeln formulieren, sondern auch tatsächlich durchsetzen können. Denn Vertrauen in deren Bindungswirkung ist gut. Faktische Durchsetzungsfähigkeit ist aber besser. Daher benötigt Europa eine eigene Infrastruktur für Datensicherheit. Europäische Forschungsmittel sollten deshalb gezielt zur Erforschung von Datenschutztechnologien und -infrastruktur verwendet werden. Zudem sind Mittel zur Errichtung entsprechender Infrastrukturen erforderlich. Ziel ist, die Unabhängigkeit Europas beispielsweise von außereuropäischen Cloud-Anbietern zu steigern und damit die Daten von Bürgerinnen und Bürgern sowie von Unternehmen besser zu schützen."

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Quelle:
fdk - freie demokratische korrespondenz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juli 2014