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BADEN-WÜRTTEMBERG/1076: Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus im Landtag (LBW)


Landtag von Baden-Württemberg - Pressemitteilung 10/2019

Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus im Landtag

Landtagspräsidentin Aras: "Gedenken motiviert uns, Angriffen gegen Menschenwürde und Menschenrechte mutig entgegenzutreten"


Stuttgart. Der Landtag von Baden-Württemberg hat am Freitag, 25. Januar 2019, mit einer zentralen Gedenkfeier im Haus des Landtags an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. In diesem Jahr lag der Fokus auf den wegen ihrer sexuellen Orientierung Verfolgten. "Gedenken hilft uns, Zusammenhänge zwischen unserer Vergangenheit und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit heute zu erkennen. Es motiviert uns, Angriffen gegen Menschenwürde und Menschenrechte mutig entgegenzutreten", sagte Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne). "Das ist der zeitlose Auftrag und Sinn für Gedenkarbeit."

In ihrer Rede vor mehr als 300 Gästen stellte die Landtagspräsidentin die Gedenkstätte "Hotel Silber" vor, die wenige hundert Meter vom Landtag entfernt, aus der ehemaligen Gestapo-Zentrale hervorgegangen ist. "Dort ist ein hervorragend gestalteter Geschichtsort entstanden", so Aras. Das Hotel Silber sei ein Ort, der die NS-Verbrechen zeigt, aber auch die Vor- und Nachgeschichte des Holocaust erzähle. "Er zeigt uns, wie die Gesellschaft von der Weimarer Demokratie in die Diktatur abglitt. Er erzählt uns, wie Täter in der neuen Demokratie der Bundesrepublik ihre Laufbahn teilweise nahtlos fortsetzten", berichtete die Präsidentin. Der Ort erzähle dies auch am Beispiel verfolgter Homosexueller. Der Ort berichte uns von vielen Schicksalen deportierter und ermordeter Jüdinnen und Juden, politischer Gefangener, von Zwangsarbeiterinnen und -arbeitern, von Sinti, Roma und weiterer Verfolgten.

Homosexuelle Opfer der NS-Diktatur hätten lange Zeit keine Stimme gehabt: "Das Unrecht, das Ihnen geschah, hat lange überdauert", so Muhterem Aras. Die Bundesrepublik habe das Verbot sexueller Handlungen unter Männern in der verschärften Version des NS-Regimes unverändert übernommen. "Gerade das Beispiel des Paragrafen 175 Strafgesetzbuch zeigt, dass wir beim Gedenken an die NS-Opfer unseren Blick nicht auf die Jahre 1933 bis 1945 verengen dürfen. Wir reden über einen absoluten Kulturbruch, der eine Vorgeschichte hat und Nachwirkungen, die wir teilweise bis heute spüren", betonte Aras.

Die Verbrechen des Nationalsozialismus und ihre Nachwirkung seien nach wie vor unvollständig aufgearbeitet. Es gebe blinde Flecken und damit Bedarf für weitere Forschung. "Unsere Erinnerungsarbeit muss breit gefasst sein", führte Aras aus. Das dahinter stehende Denken - wer nicht heterosexuell liebt, gilt als minderwertig - hatte und habe Einfluss auf das Handeln von Behörden und Justiz. Es hatte und hat auch Einfluss auf die Atmosphäre an Arbeitsplätzen und in Schulen. "Das Gedenken regt an, dass wir uns hier und heute mit den Mechanismen auseinandersetzen, die den Terror der Nazi-Zeit und die Verfolgung in der Bundesrepublik befeuert haben. Mit den Mechanismen, die nach wie vor Nährboden für Diskriminierung sind."

Der Rede der Landtagspräsidentin folgten ein Grußwort von Joachim Stein, Vorstandsmitglied Weissenburg e. V. Zentrum LSBTTIQ. Den Fachvortrag hielt Professor Dr. Wolfram Pyta, Historisches Institut der Universität Stuttgart, Abteilung Neuere Geschichte, zum Thema "Rosa Winkel und Weiße Rose - Freiheitsstreben in der NS-Diktatur". Musikstücke und eine Performance mit Drag-Queens und Drag-Kings umrahmten das Gedenken.

An der Gedenkstunde des Landtags nahmen neben Repräsentanten des Landesparlaments - Landtagspräsidentin Aras, Vizepräsidentin Sabine Kurtz und Vertretern aller Fraktionen - auch die der christlichen Kirchen sowie zahlreicher Glaubensgemeinschaften und Verbände teil: die Israelitischen Religionsgemeingemeinschaften Württemberg und Baden, der Rabbiner Yehuda Puschkin, Vertreter des Landesverbandes der Sinti und Roma, der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas, des Vereins der Verfolgten des Naziregimes, der Gruppe der wegen ihrer sexuellen Orientierung Verfolgten sowie vom Bund der Jenischen in Deutschland.

Anschließend waren alle Besucherinnen und Besucher zu Gesprächen und Begegnungen ins Foyer im Haus des Landtags eingeladen. Des Weiteren bestand die Möglichkeit, an Führungen in der neu eröffneten Gedenkstätte "Hotel Silber" teilzunehmen.

Der Feier ging ein stilles Gedenken am Mahnmal für die Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft (zwischen dem Alten Schloss und dem Karlsplatz in Stuttgart) voraus.

Hinweis: Der eigentliche Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus ist der 27. Januar. Das Datum erinnert an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar 1945. 1996 wurde das Datum vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog zum Tag des Gedenkens erklärt.

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Quelle:
Pressemitteilungen 10/2019 - 25.01.2019
Herausgeber: Landtag von Baden-Württemberg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Januar 2019

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