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NORDRHEIN-WESTFALEN/1950: Hartes Ringen um Schulden und Investitionen (Li)


Landtag intern 11/2012
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Dreiklang oder "Missklang"?
Hartes Ringen um Schulden und Investitionen

Von Christoph Weißkirchen und Ilja Zeidler



28. November 2012 - Die vorläufige Haushaltsführung ist zu Ende, der Haushalt 2012 unter Dach und Fach: Mit den Stimmen der rot-grünen Regierungsmehrheit setzte die Landesregierung ihre Politik eines "Dreiklangs" aus Sparen, Investitionen und Einnahmeverbesserungen, wie sie selbst erklärte, durch. Alle drei Oppositionsfraktionen kritisierten, teils mit unterschiedlicher Begründung, mangelnden Sparwillen. Anders als in den Vorjahren gestaltete sich die dritte Lesung nicht als Generaldebatte des Regierungshandelns, sondern als Schlagabtausch über die Grundzüge der Haushalts- und Finanzpolitik.


Die CDU-Fraktion lehne den Haushaltsentwurf der Landesregierung ab, weil er die Schuldenlast des Landes in unverantwortlicher Weise erhöhe, so Dr. Marcus Optendrenk. "Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen ist das Schlusslicht bei der Haushaltskonsolidierung unter allen Bundesländern", kritisierte er und unterstellte der Regierung Kraft, weder jetzt noch in Zukunft ernsthaft sparen zu wollen. Für den CDU-Politiker ist präventive Schuldenmacherei weder nachhaltig noch wirkungsvoll. Sie stelle eine schwere Hypothek für die Zukunftsfähigkeit dar. Im Gegensatz zu NRW gebe es sechs andere Bundesländer, die in ihren Haushaltsplänen mindestens eine schwarze Null schreiben könnten, einige von ihnen tilgten sogar schon Altschulden. Das zeuge davon, dass diese Länder sich den Herausforderungen des demografischen Wandels stellten und ihre Ausgaben nach verfügbaren Mitteln planten. Die Neuverschuldung im NRW-Haushalt weise aber nach oben und nicht nach unten. "Wie so die Schuldenbremse 2020 zu schaffen sein soll, ist ein Rätsel", konstatierte Optendrenk. Positiv zu vermerken sei lediglich, dass die geplanten Einnahmen aus dem Schul- und Studienfonds aus dem Etat gestrichen worden seien und die Milliarden-Ausgabe für die WestLB letztendlich doch in den Haushaltsplan aufgenommen worden sei.

Der vorliegende Haushaltsentwurf sei mit gezielten Zukunftsinvestitionen verknüpft, entgegnete Martin Börschel (SPD). Eine Haushaltssanierung durch Raubzüge in kommunalen Kassen sei mit Rot-Grün nicht zu machen: "Wir dürfen die Kommunen nicht allein lassen." Zudem sende der Haushalt ein weiteres wichtiges Signal. So stelle das Land erste Gelder für den Aufbau von Ausbildungsmöglichkeiten für Mediziner in Ostwestfalen-Lippe bereit, um dem Ärztemangel im ländlichen Raum entgegenzuwirken. Darüber hinaus seien wesentliche Ziele der Landesregierung wie die Stärkung der frühkindlichen Bildung oder die Abschaffung der Studiengebühren in den Entwurf eingeflossen und sorgten so für mehr soziale Gerechtigkeit. Börschel widersprach dem Vorwurf der Opposition, die Haushaltskonsolidierung nicht ernst genug zu nehmen und verwies darauf, dass man die Nettoneuverschuldung immerhin auf 4,2 Milliarden Euro gesenkt habe, trotz der Sondereffekte aufgrund der Einberechnung der WestLB-Risiken. Der SPD-Sprecher zeigte sich enttäuscht über eine aus seiner Sicht wenig konstruktive Teilnahme der Opposition an der Haushaltsdebatte. Lediglich die PIRATEN hätten sich mit allerdings unrealistischen, nicht finanzierbaren Vorschlägen in die Debatte eingebracht und damit quasi die Rolle der LINKEN übernommen.

"Dieser Haushalt ist verfassungskonform, weil er rechtzeitig eingebracht wurde." Mit diesen Worten begann der GRÜNEN-Abgeordnete Mehrdad Mostofizadeh seine Abrechnung mit den Vorwürfen der Opposition. Dabei sei der Haushaltsentwurf auch mit den eingebrachten Änderungsvorschlägen konsequent und zukunftsweisend. Wichtig seien beispielsweise die neuen finanziellen Mittel, die für die U3-Förderung bereitgestellt würden, damit der Ausbau auch entsprechend vorangetrieben werden könne. Bei den Positionen, die die Opposition vertrete, lasse sich allerdings keine klare Linie erkennen. "Wo soll denn eigentlich gespart werden?", fragte der GRÜNEN-Politiker bei der Opposition nach. Auch die Forderungen nach weniger Steuersenkungen auf Pump, keinen Stelleneinsparungen bei der Polizei und mehr Fachstellen bei der Justiz seien für ihn so nicht nachvollziehbar. Gerade bei der CDU gebe es zu bestimmten Themen wie beispielsweise beim Ehegattensplitting sehr unterschiedliche Auffassungen, die sich zum Teil sogar widersprächen. Die Landesregierung verliere entgegen der Ansicht der Opposition ihre Sparziele keineswegs aus den Augen und der kommende Haushalt 2013 werde mit größeren Einsparvorhaben davon Zeugnis ablegen. Auch zukünftig werde Rot-Grün eine konsistente Politik für NRW betreiben.

Fünf verlorene Jahre für die Haushaltskonsolidierung und Generationengerechtigkeit sah Ralf Witzel (FDP) vor Nordrhein-Westfalen liegen. Der Haushalt 2012 forciere die Staatsschuldenkrise, denn die Regierung finanziere mit Sozialticket, beitragsfreiem Studium und beitragsfreien Kita-Jahren Wahlgeschenke und Staatsexpansion auf Pump. Damit nehme sie der jungen Generationen, die dies später "bitter" bezahlen müsse, notwendigen Gestaltungsspielraum. Witzel sah angesichts historisch höchster Steuereinnahmen und gleichzeitig niedriger Zinsen derzeit Idealbedingungen für den Abbau von Schulden gegeben. Angesichts von 4,3 Milliarden Euro neuer Schulden unter Bestbedingungen sei eine grundlegende Kurskorrektur "dringlich". "NRW hat kein Einnahmeproblem, sondern ein massives Ausgabeproblem", so der FDP-Sprecher. Der Schuldenstaat müsse aus den Fesseln der Finanzwirtschaft befreit werden. Die dazu notwendige Schuldenbremse bedinge harte Sanktionen und die Überprüfung aller Staatsausgaben. Fallen müssten "Überstandards" in der Umweltbürokratie, im Baurecht und in der Personalratsarbeit. Im Übrigen sei der Haushalt 2012, wenn er ins Gesetzblatt komme, zu elf Zwölftel bereits vollzogen, daher habe es keinen Sinn gemacht, Änderungsanträge mit Blick auf strukturelle Konsolidierung vorzulegen.

Seine Fraktion habe gelernt, dass es nicht möglich sei, die Schulden auf den Mond zu schießen, erklärte Dietmar Schulz (PIRATEN). Am Steuerknüppel des Schuldenraumschiffs sitze dabei die Regierungskoalition. Ein Schuldenhaushalt wie der vorliegende sei nicht zwingend geboten. "Vernünftige" Anträge seien bei der Haushaltsberatung niedergestimmt worden. Milliardenforderungen hätte seine Fraktion dabei nicht gestellt. Der Haushalt beinhalte jetzt rund 4,2 Milliarden Euro von ursprünglich geplanten 4,75 Milliarden Euro an Krediten. Die gesamten Forderungen seiner Fraktion in den Haushaltsberatungen hätten Ausgaben von 470 Millionen Euro umfasst. Nicht bewilligt worden sei zum Beispiel die Forderung nach Anhebung des Verbundsatzes zugunsten der Städte und Gemeinden. Es werde notwendig sein, die haushaltspolitischen Daumenschrauben dort anzusetzen, wo seine Fraktion dies gefordert habe. Mit Verweis auf die Ausgaben für die WestLB kritisierte Schulz den vorliegenden Haushalt als Beleg für eine Politik der "Verlustsozialisierung". Angesichts bereits feststehender Minderausgaben stelle sich für ihn die Frage, ob es die Landesregierung mit dem Dreiklang Sparen, Zukunftsinvestitionen und Einnahmeverbesserungen ernst meine. Dieser Dreiklang sei für ihn eher ein "Missklang", betonte der Sprecher der PIRATEN.

Dem einen seien die Ausgaben zu hoch, dem anderen zu niedrig, also müsse der Weg der Landesregierung richtig sein, schlussfolgerte Finanzminister Dr. Norbert Walter-Borjans (SPD). Es habe keinen Haushalt gegeben, der im Parlament so lange diskutiert worden sei wie dieser; schließlich habe er seit einem Jahr vorgelegen. Bei der Landtagswahl, bei der auch das Thema "Finanzen" im Mittelpunkt gestanden habe, hätten die Menschen der rot-grünen Regierung ein klares Mandat für die von ihr propagierte Politik des Dreiklangs gegeben. Zur Generationengerechtigkeit gehöre es nämlich eben auch, neben Sparen auch in Bildung, Infrastruktur und öffentliche Sicherheit zu investieren. Man könne nicht allem den Boden entziehen, plädierte Walter-Borjans für eine "nachhaltige Konsolidierung", die auch den sozialen Zusammenhalt berücksichtige. Bei der Verschuldung pro Kopf liege Nordrhein-Westfalen im Vergleich aller Bundesländer nicht am Ende, sondern im Mittelfeld. Außerdem zahle NRW im Umsatzsteuerausgleich 2,4 Milliarden Euro ein und erhalte am Ende 200 Millionen Euro zurück. Hinsichtlich der Kritik an der WestLB hob der Minister die Bedeutung dieser Bank bei der Bewältigung des Strukturwandels hervor. Zur Schuldenbremse erklärte er schließlich, dass NRW diese im Normalfall einhalten werde.


ZUSATZINFORMATION:
Der Haushalt 2012 (Drs. 16/300) sowie das Gemeindefinanzierungsgesetz (Drs. 16/302) wurden mit den Stimmen von SPD und GRÜNEN, das Stärkungspaktfondsgesetz (Drs. 16/176) mit den Stimmen von SPD, GRÜNEN und FDP angenommen.

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Quelle:
Landtag intern 11 - 43. Jahrgang, 28.11.2012, S. 10-11
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Dezember 2012