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NORDRHEIN-WESTFALEN/1952: Fachleute diskutieren Gesetzentwurf zum Jugendarrestvollzug (Li)


Landtag intern 11/2012
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

"Mehr als nur Fensterbilder basteln"
Fachleute diskutieren Gesetzentwurf zum Jugendarrestvollzug

Von Daniela Braun



21. November 2012 - Wenn Jugendliche straffällig werden, können Richter bei der Verurteilung auf zahlreiche Maßnahmen zurückgreifen. Eine davon ist der Jugendarrest. Wie der Vollzug in NRW genau aussehen soll, darüber haben nun Fachleute im Rechtsausschuss auf Basis eines Gesetzentwurfs der Landesregierung diskutiert. Bislang fehlt hierfür ein spezielles Gesetz.


"Ich kann nur sagen: Endlich!", freute sich Emanuel Schmidt, Bewährungshelfer am Landgericht Dortmund. Der Gesetzentwurf spreche vieles an, was bislang fehle. Ähnlich sah das in der Anhörung Heinz-Dieter Beckmann, Amtsrichter und Leiter der Jugendarrestanstalt Wetter: Derzeit könnten seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit den Jugendlichen maximal Fensterbilder basteln oder etwas Fernsehen. Darin erschöpfe sich die ganze pädagogische Arbeit.

Das soll nun anders werden: "Der Jugendarrest ist erzieherisch zu gestalten", heißt es im rot-grünen Gesetzentwurf. Der Arrest müsse Jugendliche befähigen, eigenverantwortlich und ohne Straftaten zu leben. Als konkrete Elemente nennt der Entwurf unter anderem soziale Trainingskurse, Gruppenarbeit, Sport und das Vermitteln stabilisierender Kontakte und Anlaufstellen.

Mehrkosten

"Der Arrest ist unverzichtbar", betonte Reiner Lindemann vom Bund der Richter und Staatsanwälte. Und ja, es sei sinnvoll, den Erziehungsgedanken zu stärken. Dieser könne ruhig auch beim Kurz- und Freizeitarrest intensiver einfließen. Die Effektivität dieses Vorschlags stellte Prof. Dr. Michael Lemke allerdings infrage. "Es ist nicht zu erwarten, dass von diesen Arrestformen großartige pädagogische Impulse ausgehen", meinte auch die Rechtswissenschaftlerin Dr. Ingke Goeckenjan. Allerdings schreibe das Jugendgerichtsgesetz diese beiden Formen nun einmal vor. Deshalb sollte der Gesetzentwurf sie auch noch etwas ausführlicher beschreiben.

Wie auch immer: Die pädagogischen Aktivitäten kosteten "eine ganze Stange Geld". Damit stehe und falle am Ende alles, betonte Lindemann. Die Landesregierung plant mit Mehrkosten von jährlich rund 830.000 Euro. Jede der fünf Jugendarrestanstalten im Land soll demnach eine zusätzliche Sozialarbeiterkraft sowie drei allgemeine Vollzugsbedienstete erhalten. Hinzu kämen stundenweise extern eingekaufte psychologische Fachkräfte.

Erwartungen und Rückfallquoten

Mit diesem Gesetz könne NRW wegweisend für andere Länder sein, meinte Prof. Dr. Philipp Walkenhorst. Auch Goeckenjan begrüßte die Gesetzesinitiative grundsätzlich. Den Fokus auf die Erziehung zu setzen sei gut. Allerdings warnte sie vor überzogenen Erfolgserwartungen. Denn natürlich sei der Jugendarrest weiterhin eine unfreiwillige Sache und reiße die Betroffenen aus ihrem privaten Umfeld.

Goeckenjan plädierte daher dafür: "Wir müssen darauf hinwirken, dass die pädagogischen Maßnahmen ambulant durchgeführt werden." Ambulante Sanktionen seien vorzuziehen, meinte auch der NRW-Justizvollzugsbeauftragte Prof. Dr. Michael Walter: "Da muss unser Akzent sein." Gleichzeitig warnte Walkenhorst aber auch davor, den Erfolg des Jugendarrests vorrangig an Statistiken festzumachen: "Die Fixierung auf die Rückfallquoten halte ich in diesem Kontext für ziemlich überzogen." Es sei völlig klar: Viel könne man in den Arrest-Wochen in dieser Hinsicht nicht erreichen. Die Zeit sei eher eine weitere Chance, um Beziehungen aufzubauen und Hilfen anzubieten.

Vernetzung

Quasi alle Fachleute machten sich dafür stark, die einzelnen Akteure im Prozess rund um straffällige Jugendliche intensiver zu vernetzen. Es dürfe nicht nach dem Motto laufen: "Wenn es bei der Jugendhilfe nicht klappt, erzieht die Justiz", betonte Walter. Der Übergang zurück ins Umfeld sei besonders wichtig, befand auch Beckmann. Problematisch sei es vor allem mit den 18- bis 21-Jährigen. Sie fielen aus den Jugendhilfemaßnahmen heraus: "Da sagen die kommunalen Einrichtungen: Da haben wir nichts mit zu tun."

Die Bewährungshelfer müssten unbedingt Teil eines solchen Übergangsmanagements sein, forderte Schmidt. Das gelte auch für die Eltern, so Walkenhorst. Dies müsse der Gesetzentwurf noch stärker einfordern. Darüber hinaus schlug er Förderpartnerschaften unter anderem mit Schulen und berufsbildenden Maßnahmen vor: "Wenn wir das System für sich alleine denken, stehen wir alleine auf weiter Flur." Daneben forderte er eine Pflicht seitens des Jugendarrestvollzugs, auch nach dem Aufenthalt an den Jugendlichen dran bleiben zu müssen.

Widerspruch und Leitungsposten

Goeckenjan sah zudem einen Widerspruch in der Frage, ob der Arrest nun eigentlich ahnden oder fördern solle. Dies bleibe auch mit dem neuen Gesetzentwurf unklar. Anderer Meinung war da Walkenhorst: "Ich wehre mich dagegen, dass wir das gegeneinanderstellen." Erziehung sei die grundsätzliche Aufgabe und Strafe lediglich ein Mittel im Erziehungsprozess.

Für Diskussionsstoff sorgte darüber hinaus die Zahl der Leitungsposten in den Arrestanstalten. Bislang ist die Jugendrichterin oder der Jugendrichter vor Ort alleiniger Leiter der Anstalt. "Ich finde, es braucht eine Doppelspitze", forderte Walkenhorst: eine pädagogische und eine juristische Leitung. Dies sei überlegenswert, meinte auch Goeckenjan. Sie wies allerdings darauf hin, dass die aktuelle Situation auf dem Jugendgerichtsgesetz basiere. Das könne die Politik nur auf Bundesebene ändern.

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Quelle:
Landtag intern 11 - 43. Jahrgang, 28.11.2012, S. 13
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2013