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NORDRHEIN-WESTFALEN/2122: Knapp drei Jahre Schulkonsens (Li)


Landtag intern 6/2014
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Plenum
Knapp drei Jahre Schulkonsens
Erste Bilanz nach interfraktioneller Einigung zur Schulstruktur in NRW

Von Sonja Wand



15. Mai 2014 - Knapp drei Jahre ist der Schulkonsens her, der erst einmal Schluss machen sollte mit dem Streit um die richtige Schulstruktur. Damals hatten sich SPD, CDU und GRÜNE darauf verständigt, den Kommunen als Schulträgern zu überlassen, ob sie Sekundarschulen als Form des längeren gemeinsamen Lernens errichten wollen. Am Konsens beteiligt waren im Rahmen der breit angelegten Bildungskonferenz auch die Kommunalen Spitzenverbände, Eltern- und Lehrerverbände, Kirchen, Kommunen, Gewerkschaften und Unternehmensverbände. Nun zog die Schulministerin eine positive erste Bilanz.


Der Konsens, so Schulministerin Sylvia Löhrmann (GRÜNE), wirke stärker als erwartet und trage sowohl dem Elternwillen nach längerem gemeinsamen Lernen als auch dem demografiebedingten Schülerrückgang Rechnung: Die meisten der ab Sommer voraussichtlich bestehenden 110 neuen Sekundarschulen und 73 neuen Gesamtschulen befänden sich im kreisangehörigen Raum. Kommunen hätten sich zu einem gemeinsamen wohnortnahen Schulangebot entschlossen oder Teilstandortlösungen umgesetzt. Die Alternative sei - wie im Osten Deutschlands -, gar keine Schule mehr vor Ort zu haben. Insofern bewertete Löhrmann die Entwicklung auch als gelungene Strukturpolitik.

Bezugnehmend auf die verhandelte Laufzeit des Kompromisses fragte der CDU-Fraktionsvorsitzende Armin Laschet: "Bedeutet dieser Konsens, dass wir bis zum Jahre 2023 nicht mehr über Schulpolitik streiten und in der Bildungspolitik keinen Dissens mehr haben?" Es sei schließlich Aufgabe der Opposition, die Landesregierung an ihren selbst gesteckten Zielen zu messen. Die im Wahlkampf von Rot-Grün verkündete Entscheidung gegen Gymnasien, Real- und Hauptschulen habe der Schulkonsens glücklicherweise verhindert: Heute stehe das gegliederte Schulsystem in der Verfassung. Beim Turbo-Abitur, der Inklusion und anderen Bildungsthemen seien aber noch Debatten nötig.

Bei aller Bereitschaft zum inhaltlichen Streit wünschte sich Renate Hendricks (SPD) auch für die Zukunft differenzierte, pragmatische und konstruktive Debatten zur Schulpolitik. Im Übrigen habe die SPD auch im Wahlkampf nicht Gymnasien abschaffen wollen, sondern eine Entwicklung von unten nach oben angestrebt, korrigierte sie ihren Vorredner. Notwendigkeiten der Nachjustierung im Rahmen der Bildungskonferenz sah die Abgeordnete unter anderem bei Fragen der interkommunalen Zusammenarbeit, der Lehrerressourcen an Teilstandorten und bei Kooperationsvereinbarungen, die Sekundarschulen mit Schulen schließen müssen, die eine gymnasiale Oberstufe anbieten.

"Sie hat das Kunststück fertiggebracht, in ihrer Unterrichtung über eine erste Bilanz des Schulkonsenses zu allen praktischen Umsetzungsproblemen zu schweigen", sagte Christian Lindner, FDP-Fraktionsvorsitzender, über die Schulministerin und forderte eine ehrliche Bilanz ein. Denn vor Ort mangele es an Wahlfreiheit und Schulangeboten: Die Sekundarschule verdränge mancherorts andere Schulformen, und auch die Umsetzung der Inklusion gefährde die Förderschulen. Beides beschneide Elternwillen und Wahlfreiheit. "Sie wollen Bildungsgerechtigkeit und opfern dafür Bildungsqualität", kritisierte er. Das Gymnasium als beliebteste und erfolgreichste Schulform werde vernachlässigt.


Verfassungsänderung

Sigrid Beer (GRÜNE) warf Lindner Legendenbildung vor: Gymnasien hätten dieselben Rechte wie die anderen Schulformen. Politischer Dissens lasse sich aushalten, aber die FDP habe sich damals aus der Bildungskonferenz und damit aus dem Diskurs verabschiedet und führe nun die alte Separationsdebatte. Das gegliederte Bildungssystem habe übrigens zuvor schon in der Landesverfassung gestanden; neu hinzugekommen sei der Verfassungsrang des längeren gemeinsamen Lernens. Und Inklusion, so Beer, sei kein Zustand, sondern ein Prozess, in dem weiter um die besten Lösungen gerungen werde und für den die Regierung in dieser Wahlperiode über 1 Milliarde Euro bereitstelle.

Monika Pieper (PIRATEN) sah im Schulkonsens weder den Anfang noch das Ende der NRW-Schulpolitik, sondern schlicht einen Kompromiss von drei Fraktionen. Und ein guter Kompromiss zeichne sich bekanntlich dadurch aus, dass alle Beteiligten nachher unzufrieden seien, wie die Debatte zeige. So sei die Sekundarschule kein Wunschmodell, sondern ein Kompromiss, mit dem niemand ganz zufrieden sei. Auch ihre Fraktion nicht: Mancherorts bestehe, wie von Lindner beschrieben, keine Wahlfreiheit mehr, weil Sekundarschulen Schließungen anderer Schulen nach sich zögen. Die Entwicklung gehe Richtung Zwei-Säulen-System: Gymnasium plus eine Schule des längeren gemeinsamen Lernens.

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Quelle:
Landtag intern 6 - 45. Jahrgang, 4.6.2014, S. 9
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juli 2014