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NORDRHEIN-WESTFALEN/2138: Sozialtickets sollen Mobilität fördern und Armut bekämpfen (Li)


Landtag intern 7/2014
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Zwischen Verkehrs- und Sozialpolitik
Sozialtickets sollen Mobilität fördern und Armut bekämpfen

Von Christoph Weißkirchen



1. Juli 2014 - "Die Fahrscheine bitte!" Wer mit Bus oder Bahn fährt, hat diese freundliche Aufforderung wohl schon häufig gehört. Was aber, wenn der Ticketpreis für den eigenen Geldbeutel einfach zu hoch ist und man trotzdem fahren muss? Weil man kein eigenes Auto hat, weil das Einkaufszentrum zu weit weg ist, weil sich die Arbeitsstelle am anderen Ende der Stadt befindet. Für diese Fälle gibt es Sozialtickets. Ob und wie man dieses Instrument ausweiten kann und soll, darüber berieten auf Antrag der PIRATEN (Drucksache 16/5277) Fachleute im Ausschuss für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr.


Rund 38 Euro koste es regulär, wenn man aus dem Kreis Wesel nach Düsseldorf fahren wolle, um dort den Landtag zu besuchen, erläuterte Roman Reisch (ATTAC Niederrhein). Mit Blick auf solche Preise sei es notwendig, über Sozialtickets allen Bevölkerungsschichten die Möglichkeit zu geben, den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zu nutzen. Ansonsten drohe ein "stetiger, schleichender, unsichtbarer Ausschluss von Menschen" aus der heutigen Mobilitätsgesellschaft, so Heiko Holtgrave (Institut für soziale und politische Planung, Dortmund). Gerade ärmere Bevölkerungsschichten wären vom ÖPNV abhängig, verwies er auf die teils beträchtlichen Distanzen zwischen Wohnsiedlungen, Einkaufsmöglichkeiten und Arbeitsstätten. Nehme man noch das Problem der Altersarmut hinzu, könne man den Problemkreis unter dem Begriff "Mobilitätsarmut" zusammenfassen.

"Armut macht immobil", stimmte auch Holger Kirchhöfer (Altstadtarmenküche Düsseldorf) zu. Er erläuterte, dass der Regelsatz für Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger für die Nutzung des ÖPNV monatlich bei 19,20 Euro liege. Dies sei deutlich weniger als die 25 Euro, die selbst viele Sozialtickets kosteten. Daher müsse man sich überlegen, ob man die entsprechenden Mittel, mit denen das Land die Sozialtickets fördere, nicht in sinnvolleren Modellen einsetzen könne.

Vor diesem Hintergrund waren sich die drei Fachleute darüber einig, dass die Sozialtickets übertragbar sein müssten, und lobten den entsprechenden Ansatz des Verkehrsverbunds Rhein-Sieg. Um Mobilität herzustellen, müssten die Tickets im gesamten Verkehrsverbund und ohne zeitliche Einschränkungen gelten. Immerhin sei Mobilität ein Faktor, der helfen könne, Armut zu beseitigen, betonte Kirchhöfer. Daher regte Holtgrave an, die Nutzung des ÖPNV vollständig freizugeben und diesen über Steuern oder eine Umlage zu finanzieren.

Ein Überdenken der in der Sozialhilfe geltenden bundesweiten Regelsätze hielt dagegen Dr. Michael Spörke (SoVD NRW) für notwendig. Denn das Sozialticket sei die richtige Antwort auf die Herausforderung, Menschen Mobilität zu ermöglichen. Allerdings fand auch er, dass dieses Instrument anders ausgestaltet werden sollte: Die Verkehrspolitik müsse noch stärker für sozialpolitische Fragen geöffnet werden.

Ausgewogenheit von Leistung und Einnahme

Genau dies sah Volker Wente (Verband deutscher Verkehrsunternehmen) anders. Die sozialpolitische Herausforderung anerkennend meinte er, das Modell des Sozialtickets solle nicht im Verkehrssektor, sondern im Sozialsektor angesiedelt werden. So könne die öffentliche Hand Tickets zum regulären Preis erwerben und diese dann zu einem angepassten, zielgruppenorientierten Preis an Bedürftige weitergeben. Dann hätte man das sozialpolitische Ziel erreicht und erfülle gleichzeitig die Vorgabe an die Verkehrsbetriebe, Einnahmen zu erzielen. "Wir müssen uns zurückhalten bei Angeboten, die sich nicht rechnen", meinte Wente. Auf jeden Fall benötigten die Verkehrsbetriebe auch für das Angebot des Sozialtickets einen angemessenen Ausgleich. Hier stünden der festgeschriebenen Landesförderung von 30 Millionen Euro seit Jahren steigende Fahrpreise gegenüber.

Derzeit sei die Finanzierung des Sozialtickets noch auskömmlich, aber eine Finanzierungslücke bahne sich an, meinte auch José Luis Castrillo (Verkehrsverbund Rhein-Ruhr, VRR). Es sei nun einmal notwendig, eine Ausgewogenheit von Leistungen einerseits und Preisen sowie Zuschüssen andererseits zu erreichen.

Gute Erfahrungen mit einem Sozialticket habe der Zweckverband Nahverkehr Rheinland (NVR) gemacht, so dessen Vertreterin Anja Höhn. Man erreiche immerhin rund 37 Prozent der Berechtigten. "Wir fahren damit gut", zeigte sie sich zufrieden. Wichtig sei, die Landesförderung auch über das Jahr 2015 hinaus zu gewährleisten.

Dieser Forderung konnte sich auch Lothar Ebbers (Pro Bahn NRW) anschließen. Er trat zudem dafür ein, die Mittel regelmäßig anzupassen. Es gehe schließlich um das Mobilitätsverhalten von Leuten mit wenig Geld. Die Gefahr sei, dass Fahrgäste aus dieser Zielgruppe einfach wegblieben; diesem Problem müsse man durch Sozialtickets entgegenwirken.

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Quelle:
Landtag intern 7 - 45. Jahrgang, 11.7.2014, S. 19
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2014