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NORDRHEIN-WESTFALEN/2143: Flüchtlingsheime - Diskussionen über Verantwortung und Konsequenzen (Li)


Landtag intern 9/2014
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

PLENUM
"Unerträgliche Übergriffe"
Flüchtlingsheime: Diskussionen über Verantwortung und Konsequenzen



2. Oktober 2014 - Bestürzt haben sich alle Fraktionen über die Misshandlungsvorwürfe gegen private Sicherheitskräfte in nordrhein-westfälischen Flüchtlingsheimen gezeigt. Die Vorwürfe hatten bundesweit für Aufsehen gesorgt. Innenminister Ralf Jäger (SPD) unterrichtete im Plenum die Abgeordneten und sagte eine "lückenlose Aufklärung" der Vorgänge zu. In einer teils hitzigen Debatte warf die Opposition der Landesregierung Versäumnisse vor. Grundlage der Aktuellen Stunde waren Anträge der CDU (Drs. 16/6910) und der PIRATEN (Drs. 16/6909). Ein Eilantrag der Fraktion der PIRATEN (Drs. 16/6911) wurde bei Zustimmung von PIRATEN und CDU sowie Enthaltung der FDP mit der Mehrheit von SPD und GRÜNEN abgelehnt.


Innenminister Ralf Jäger (SPD) räumte in der Debatte Versäumnisse des Landes ein. Bei der Unterbringung von Flüchtlingen habe man "die Einhaltung von Standards aus den Augen verloren. Das war, wie wir im Rückblick sehen, ein Fehler. Dieses Versäumnis darf sich nicht wiederholen". Daher habe die Landesregierung Sofortmaßnahmen beschlossen und treibe die Aufklärung "so transparent und so offen wie möglich" voran. Jäger sagte Überprüfungen für mögliche weitere Verbesserungen zu.

CDU-Fraktionschef Armin Laschet warf dem Innenminister dagegen vor, zu spät gehandelt und Hinweise auf Probleme ignoriert zu haben. Die Sofortmaßnahmen der Landesregierung seien "Minimalstandards" und eine "pure Selbstverständlichkeit". Der Staat sei der grundgesetzlichen Verpflichtung nicht gerecht geworden, die Würde der Menschen in den Heimen zu schützen. Laschet betonte, die Frage nach der Übernahme politischer Verantwortung müsse beantwortet werden. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) fragte er, ob sie mit ihrem Innenminister weiter zusammenarbeiten wolle.

Die Übergriffe seien unerträglich, betonte Hans-Willi Körfges (SPD). Wer Menschen verletze, der verletze die Würde und die Werte der Gesellschaft. Dass Schutzbedürftige in Einrichtungen des Landes Opfer "krimineller Sadisten" werden könnten, habe er sich nicht vorstellen können. Unentschlossenheit bei der Aufklärung könne man der Landesregierung aber nicht vorwerfen. "Wir schaffen gerade Standards, damit so etwas nicht mehr vorkommt", ergänzte seine Fraktionskollegin Tanja Wagener. Da eine Überbelegung nicht akzeptabel sei, brauche man mehr Unterkünfte.

Dr. Joachim Stamp (FDP) bezeichnete die Übergriffe als "ekelhaft, beschämend und menschenrechtsverletzend". Neben dem strafrechtlichen Aspekt stelle sich auch die Frage der politischen Verantwortung. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Lindner verzichtete wie Laschet auf eine direkte Rücktrittsforderung an Jäger. Wenn dieser aber nach einem "eklatanten Organisationsversagen" in seinem Bereich im Amt bleibe, werfe dies einen Schatten auf seinen Charakter. "Die soziale Fassade der Hannelore Kraft ist umgefallen", kritisierte Lindner zudem die Ministerpräsidentin.

Bestürzt zeigte sich Monika Düker (GRÜNE) über die bekannt gewordenen Misshandlungen. Es sei eine Fehleinschätzung gewesen anzunehmen, dass von privaten Sicherheitsunternehmen Standards ohne entsprechende Kontrolle eingehalten würden. Die entsprechenden Maßnahmen habe man nun ergriffen. Gleichzeitig müssten das Problem der Überbelegung in den Heimen gelöst sowie das System der Erstaufnahme überprüft werden. Die CDU missbrauche das Thema allerdings für parteipolitische Zwecke; ihre Politik bedeute weder eine Hilfe für die Flüchtlinge noch für die betroffenen Kommunen.

Die Misshandlungen seien Folgen eines politischen Systemfehlers, wandte sich Dr. Joachim Paul (PIRATEN) an Innenminister Jäger. Dessen Wort vom "Werk einzelner Krimineller" sei eine Verhöhnung der Betroffenen. Bedauern ersetze nicht die politische Verantwortung. "Sagen Sie nicht, es hätte keine Warnungen gegeben", meinte Paul mit Blick auf Jäger. Es liege ein Kontrollversagen vor, denn die Aufnahme und Betreuung der Flüchtlinge sei staatliche Hoheitsaufgabe. Bisherige Hinweise habe der Innenminister aber ignoriert, meinte auch sein Fraktionskollege Frank Herrmann.

"Ich schäme mich dafür, was den Menschen dort geschehen ist", sagte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD). "Wir werden jedem einzelnen Verdacht nachgehen", kündigte sie an. Wo notwendig, werde eine strafrechtliche Verfolgung eingeleitet. Die bisherigen Kontrollen seien nicht ausreichend gewesen, dafür übernehme die Landesregierung die politische Verantwortung. Mit den Flüchtlingsverbänden, Kirchen und karitativen Organisationen wolle man das System der Aufnahme von Flüchtlingen erörtern.


SONDERSITZUNG
In weiteren Ausschusssitzungen, so am 14. Oktober 2014 in einer Sondersitzung des Innenausschusses, erörterten die Abgeordneten das Thema. Dabei warfen CDU, FDP und PIRATEN der Landesregierung vor, ihrer Kontrollpflicht weiterhin nicht ausreichend nachzukommen.

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Quelle:
Landtag intern 9 - 45. Jahrgang, 5.11.2014, S. 3
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. November 2014