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NORDRHEIN-WESTFALEN/2169: Cannabis - legalisieren oder lieber nicht? (Li)


Landtag intern 11/2014
Informationen aus dem Landtag Nordrhein-Westfalen

Cannabis - legalisieren oder lieber nicht?
PIRATEN fordern Neuausrichtung der Drogenpolitik.

Von Michael Zabka


10. Dezember 2014 - Die PIRATEN setzen sich für eine Neuausrichtung der Drogenpolitik und, damit verbunden, die Legalisierung von Cannabis ein. Ein entsprechender Antrag stand im Rechtsausschuss auf der Tagesordnung. Sechs Sachverständige wurden hinzugezogen. Fazit: Die Gegner des Vorstoßes waren deutlich in der Mehrheit.


Eine Drogenpolitik, die sich auf Verbote und Strafverfolgung konzentriere, sei nicht zeitgemäß, hieß es im Antrag der PIRATEN (Drs. 16/5478). Weltweit sei ein Trend zur Cannabis-Legalisierung erkennbar. Eine Entkriminalisierung könne Polizei und Justiz entlasten und führe zu Steuereinnahmen. Darüber hinaus fordert die Fraktion als Sofortmaßnahme, die "geringe Menge" zum Eigenverbrauch von derzeit 10 auf 30 Gramm anzuheben.

Der Jurist und Psychologe Prof. Dr. Lorenz Böllinger (Bremen) sprach sich für eine Legalisierung aus. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht 1994 die strafrechtlichen Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes für verfassungsgemäß befunden, dabei jedoch die damals aktuelle, lückenhafte Daten- und Erkenntnislage zugrunde gelegt. Eine Neubewertung sei also erforderlich. Die Zeit sei reif, "die Natursubstanz Cannabis sowohl für den medizinischen als auch für den normalen Gebrauch zu legalisieren", hieß es in seiner Stellungnahme. Das bisherige Verbot erzeuge Beschaffungs- und Begleitkriminalität, Konsumenten würden durch die Strafverfolgung diskriminiert und in kriminelle Karrieren getrieben. Vor allem aber verstoße das Gesetz gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit - Gesetze, die Grundfreiheiten einschränken, müssten inhaltlich und wissenschaftlich begründet sein sowie im Verlaufe ihrer Anwendung auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden.

Der Jurist Prof. Dr. Gunnar Duttge (Göttingen) empfahl, von "radikalen Schnellschüssen Abstand zu nehmen". Für viele Behauptungen im Zusammenhang mit Cannabis-Konsum gebe es keine wissenschaftlichen Grundlagen - zum Beispiel, ob es sich um eine Einstiegsdroge handelt oder nicht. Ratsam sei deshalb, zunächst die Datenbasis zu verbessern.

Der Leitende Oberstaatsanwalt Helmut Hammerschlag (Aachen) hielt eine Legalisierung von Cannabis außerhalb des rein medizinischen Gebrauchs für "unverantwortlich". Der Antrag der PIRATEN basiere "auf Behauptungen und Schlussfolgerungen, die vielfach nicht zutreffen oder auf nicht nachvollziehbaren Tatsachengrundlagen beruhen", so Hammerschlag in seiner Stellungnahme. Der Umgang mit jungen Cannabis-Konsumenten vor Gericht verdeutliche die Folgen der Sucht, besonders ausgeprägt sei eine Verlangsamung von Sprache, Gestik und Reaktion. Häufig würden Süchtige ihre Ausbildung abbrechen und könnten nicht mehr arbeiten. Der inzwischen nachgewiesene Intelligenzverlust bei Cannabismissbrauch in der Pubertät verstärke das gesellschaftliche Absinken zusätzlich. Dass die Rauschgiftkriminalität bei einer Legalisierung zurückgehen würde, bezweifelte Hammerschlag. Im Gegenteil: Es sei nahezu ausgeschlossen, die Sucht langfristig mit legalen Mitteln zu finanzieren.


"Folgen verharmlost"

Eine Arbeitsentlastung der Justiz könne kein entscheidendes Kriterium für die Legalisierung sein, betonte Oberstaatsanwältin Barbara Mayr (Wuppertal). Ihrer Ansicht nach werden mögliche Folgen des Konsums von Haschisch und Marihuana deutlich verharmlost. Bei jugendlichen und heranwachsenden Konsumenten falle häufig eine ausgeprägte Antriebslosigkeit auf. Sie seien oft nicht mehr in der Lage, ihren Tagesablauf zu strukturieren. In ihrer schriftlichen Stellungnahme führte Mayr zudem hirnorganische Veränderungen und schizophrene Psychosen an, die auf den Konsum zurückzuführen seien.

Edwin Pütz (Jugendrichter und Vollzugsleiter der Jugendarrestanstalt Düsseldorf) hielt es für ein "absolut falsches Signal, dieses Zeug freizugeben" und sprach von einem hohen Potenzial gefährdeter junger Menschen.

Bevor über eine Legalisierung von Cannabis diskutiert werde, sollte zunächst intensiv versucht werden, die Gefahren des Drogenkonsums aufzuzeigen, sagte Erich Rettinghaus, NRW-Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. Die Gefahr, dass Jugendliche nach einer Legalisierung leichter an die Droge gelangen und somit früher als bisher einsteigen, lasse sich nicht leugnen. Die von den PIRATEN vorgeschlagene Erhöhung der "geringen Menge" zum Eigenkonsum würde die Polizeiarbeit nicht entlasten, da die Beamten weiterhin dem Strafverfolgungszwang unterlägen. Lediglich Staatsanwaltschaft und Amtsgerichte würden möglicherweise entlastet, da die Staatsanwaltschaft die Verfahren einstellen könne und es somit nicht zu Gerichtsverhandlungen komme.

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Quelle:
Landtag intern 11 - 45. Jahrgang, 17.12.2014, S. 22
Herausgeberin: Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen,
Carina Gödecke, Platz des Landtags 1, 40221 Düsseldorf
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. März 2015

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